Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 18.07.2002
Aktenzeichen: 8 U 124/01
Rechtsgebiete: InsO, ZPO, SGB I, SVG/DDR


Vorschriften:

InsO § 35 Abs. 1
InsO § 36 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 2 n. F.
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 850 Abs. 3 lit. b
SGB I § 54 Abs. 2
SVG/DDR § 20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

8 U 124/01

Verkündet am 18. Juli 2002

in dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2002 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ..., des Richters am Oberlandesgericht ... und des Richters am Landgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 7. November 2001 verkündete Urteil der 5, Zivilkammer des Landgerichts Cottbus wird zurückgewiesen.

Dem Kläger fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheit in Höhe von 2.800,00 € abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Beim Amtsgericht Cottbus ist unter dem Aktenzeichen 64IK 178/00 ein Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet worden. Der Beklagte wurde zum Treuhänder über das Vermögen des Klägers bestellt.

Durch Bescheid der Überleitungsanstalt Sozialversicherung vom 05.09.1991 (Bl. 6 d.A.) ist der Kläger auf seinen Antrag mit Wirkung vom 01.06.1991 gemäß § 20 des Gesetzes über die Sozialversicherung (SVG) von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit worden. In der Folgezeit schloss der Kläger mehrere - befreiende - Lebensversicherungsverträge ab. Sein Arbeitgeber gewährt ihm zu den Versicherungsprämien jeweils einen - steuerfreien - Zuschuss von 50 %, wie sich aus dem Schreiben der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 13.03.1998 (Bl. 8 d.A.) ergibt. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Kapitallebensversicherungsverträge:

Der Rückkaufswert dieser Versicherungen betrug zum 01.02.2001 insgesamt 28.864,67 DM. Mit Schreiben vom 02.02.2001 (Bl. 22 - 26 d.A.) teilte der Beklagte dem Kläger mit, er betrachte die Rückkaufswerte der Lebensversicherungsverträge als zur Masse gehörig und beabsichtige, sie - nach Kündigung der Verträge - einzuziehen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass folgende Versicherungsverträge nicht in die Insolvenzmasse fielen und demzufolge nicht durch den Beklagten kündbar seien:

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ansprüche des Klägers aus den Lebensversicherungsverträgen gehörten zu seinem - pfändbaren - Vermögen und unterfielen der treuhänderischen Verwaltung.

Der Kläger hat Berufung eingelegt.

Beide Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinem erstinstanzlichen Sachantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die zulässige Feststellungsklage des Klägers als unbegründet abgewiesen.

I.

Die Forderungen aus den von dem Kläger abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen gehören zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) und unterfallen damit der treuhänderischen Verwaltung des Beklagten. Dem Kläger steht das von ihm mit seiner Feststellungsklage für sich geltend gemachte Recht nicht zu, die Verträge zu kündigen und damit zugleich über die Rückkaufswerte aus den Lebensversicherungsverträgen - in seiner Verbraucherinsolvenz - frei zu verfugen. Der Sache nach macht der Kläger dieses Recht für sich geltend. Wenn er nämlich mit seiner Klage die Feststellung begehrt, dass die von ihm abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge nicht in die Insolvenzmasse fielen und demzufolge nicht durch den Beklagten kündbar seien, dann heißt dies umgekehrt, ihm, dem Kläger, gebühre dieses Recht. In seiner Verbraucherinsolvenz kann dem Kläger die Verwertungsbefugnis hinsichtlich der Rückkaufswerte - zu Lasten seiner Gläubiger - nicht zugebilligt werden.

1. Gemäß § 35 Abs. 1 InsO unterliegt das gesamte Vermögen des Schuldners dem Insolvenzbeschlag. Ausgenommen sind nach § 36 Abs. 1 InsO diejenigen Gegenstände, zu denen auch Forderungen und Vermögenswerte Rechte zu rechnen sind, die der Zwangsvollstreckung nicht unterliegen.

Rechte aus einer Kapitalversicherung - wie im Streitfall - über mehr als 4.140,00 DM (§ 850 b Abs. 1 Nr. 4 ZPO), die zur Versorgung des Arbeitnehmers und seiner Hinterbliebenen eingegangen wurden, sind voll pfändbar; dies gilt auch für eine von der Rentenversicherungspflicht befreiende Kapitallebensversicherung (BFH NJW 1992, 527; VG Arnsberg VersR 1969, 920, 921; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 850 ZPO, Rn. 11; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 1 KO, Rn. 75; Kilger/Karsten/Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 1 KO, Anm. 2 B c a a).

Darüber hinaus gibt es keine Vorschrift, die das Recht zur Kündigung von Versicherungsverträgen und den Anspruch auf Einziehung der Rückkaufswerte für unpfändbar erklärte. Auch der Kläger nennt eine solche Vorschrift nicht.

2. Auf den Pfändungsschutz des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO kann der Kläger sich nicht berufen. Nach dieser Vorschrift sind Renten aus bestimmten Versicherungsverträgen - zur Altersversorgung - unpfändbar.

Im Streitfall ist der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO nicht berührt. Der Kläger bezieht - derzeit noch - keine Rente. Der Rentenfall ist folglich noch nicht eingetreten. Der Beklagte will denn auch nicht Renten zur Masse ziehen, sondern allein die Rückkaufswerte aus den Versicherungsverträgen.

3. Der Kläger kann sich auch nicht auf den Pfändungsschutz des § 54 Abs. 2 SGB I berufen. Nach dieser Vorschrift können Ansprüche auf einmalige Geldleistungen nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles die Pfändung der Billigkeit entspricht.

Im Streitfall stellt sich die Frage gar nicht, ob die künftigen Einmalzahlungen aus den Lebensversicherungsverträgen pfändbar wären oder nicht. Es geht allein darum, ob die Rückkaufswerte pfändbar sind.

Außerdem bezieht sich die genannte Vorschrift nur auf Sozialleistungen. Demgegenüber handelt es sich aber hier um Ansprüche aus Versicherungsverträgen.

Schließlich führt die im Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 SGB I vorzunehmende Billigkeitsprüfung dazu, dass es nicht der Billigkeit entspricht, dem Kläger das Recht zur Kündigung der Verträge und zur Einziehung der Rückkaufswerte zu belassen; denn dies würde dem Kläger die Möglichkeit eröffnen, ganz nach seinem Belieben über die Vermögenswerte aus den Lebensversicherungsverträgen zu verfügen, während auf der anderen Seite seine Gläubiger leer ausgingen.

4. Auch die übrigen Erwägungen des Klägers rechtfertigen eine andere Beurteilung nicht.

Der Kläger hat sich - mit staatlicher Billigung - gemäß § 20 SVG/DDR von der gesetzlichen Rentenversicherung und damit auch von deren Last befreien lassen. Damit hat er - aus eigenem freien Entschluss - auch den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung aufgegeben. Die private Kapitallebensversicherung, für die der Kläger sich freiwillig als Alternative entschieden hat, kann nicht mit einer Sozialleistung gleichgesetzt werden. Die Rechte aus der Lebensversicherung beruhen auf dem privatrechtlichen Versicherungsvertrag; diese Rechte haben nicht einen sozialversicherungsrechtlichen Charakter.

Der Kläger hat sich der Last solidarischer Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung durch den Abschluss "befreiender" Versicherungsverträge enthoben. Von dieser Last ist er aber nur und solange befreit, als er - jährlich - den Abschluss und die Aufrechterhaltung solcher Verträge nachweist. Würde der Kläger von sich aus die Verträge kündigen, was er jederzeit könnte, wäre er von der Verpflichtung zur Entrichtung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr befreit, sondern müsste die Beiträge fortan entrichten.

Zu keinem anderen Ergebnis führt es, wenn der Beklagte die Versicherungsverträge kündigt und die Rückkaufswerte zur Masse zieht. Würde dem Beklagten das Einziehungsrecht verwehrt, so könnte der Kläger es ausüben. Seine Absichtserklärungen, dies nicht zu tun, hinderten den Kläger hieran nicht. Dies gilt auch insoweit, als der Kläger angibt, er könne bzw. werde die Kapitalversicherungen in "fondsgebundene Rentenversicherungen" umwandeln, was allerdings die Nürnberger Lebensversicherung nur mit Zustimmung des Klägers, wie mit Schreiben vom 22.02.2001 (Bl. 108 d. A.) mitgeteilt, ermöglichen würde.

Der Senat teilt nicht die Besorgnis des Klägers, er müsse - nach Kündigung durch den Beklagten - etwa für die Vergangenheit Steuern nachzahlen und seinem Arbeitgeber Ersatz leisten. Solange der Kläger von der Versicherungspflicht befreit war, bleibt es dabei. Gegenteilige Rechtsvorschriften sind nicht ersichtlich, werden vom Kläger auch nicht angeführt.

Entgegen der Auffassung der Berufung sind die verfassungsrechtlichen Grundrechte des Klägers nicht berührt. Der Kläger hat den Status aus der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig aufgegeben bzw. für sich nicht in Anspruch genommen. Er hat sich für die Möglichkeit entschieden, eine "befreiende" Lebensversicherung abzuschließen.

Die Verfassung verbietet solche wirtschaftlichen Entscheidungen nicht, auch wenn sie sich später einmal, namentlich in der Insolvenz, als nachteilig erweisen können.

Die InsO bietet keine Möglichkeiten, solche Entscheidungen zu korrigieren, sondern hat vielmehr die Konsequenzen daraus zu ziehen.

II.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür in § 543 Abs. 2 ZPO n. F. aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert im Berufungsrechtszug, zugleich Wert der Beschwer des Klägers: 14.758,27 € (entspricht 28.864,67 DM).

Ende der Entscheidung

Zurück