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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 25.03.2004
Aktenzeichen: 8 U 40/03
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2
InsO § 22 Abs. 1
InsO § 55
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 55 Abs. 2
InsO § 55 Abs. 2 Satz 1
InsO § 55 Abs. 2 Nr. 1
InsO § 81
InsO § 82
InsO § 87
InsO § 89
InsO § 90
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

8 U 40/03

Verkündet am 25.03.2004

in dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts im schriftlichen Verfahren unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie der Richter am Oberlandesgericht ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 1. April 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.476,05 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13. August 2002 zu zahlen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Auf den Eröffnungsantrag der ... K... ... GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) vom 15.02.1999 hin beauftragte das Amtsgericht durch Beschluss vom 19.02.1999 (Bl. 12 d.A.) den Beklagten mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens.

Am 05.03.1999 ließ der Geschäftsführer der Schuldnerin - auf Vorschlag einer Mitarbeiterin des Beklagten - bei der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten ein neues Girokonto einrichten. Bei der Kontoeröffnung erwähnte er den zuvor gestellten Insolvenzantrag nicht. Auf das neu eröffnete Konto gingen am 15.03.1999 Zahlungen in Höhe von 37.564,00 DM ein. Am 16.03.1999 bestellte das Amtsgericht um 13.00 Uhr durch Beschluss den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter (Bl. 17, 18 d.A.). Es ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. In dem Beschluss heißt es weiter unter anderem:

"Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin.... Er wird ermächtigt, mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln, ist jedoch verpflichtet, diese Befugnis nur wahrzunehmen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgabe schon vor der Verfahrenseröffnung dringend erforderlich ist. Den Schuldnern der Schuldnerin (Dritt-schuldnern) wird verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen ..." (Bl. 17 d.A.).

Dieser Beschluss ging der Schuldnerin am 18.03.1999 und der Klägerin am 31.03.1999 zu.

Am 16.03.1999 erteilte der Geschäftsführer der Schuldnerin der Klägerin verschiedene Überweisungsaufträge über insgesamt 22.445,21 DM (Bl. 20 - 23 d.A.). Die Klägerin führte die Überweisungen am 17. und 19.03.1999 aus. Am 19.04.1999 zahlte sie das Restguthaben der Schuldnerin in Höhe von 15.138,79 DM auf ein Konto des Beklagten.

Mit Schreiben vom 06.05.1999 (Bl. 26 d.A.) forderte der Beklagte die Klägerin auf, die - ohne seine Zustimmung - überwiesenen Beträge von 22.445,21 DM auf ein für die Schuldnerin eingerichtetes Konto zurückzuerstatten. Die Klägerin zahlte am 17.06.1999 den Betrag von 22.445,21 DM (11.476,05 €) an den Beklagten. Am 29.06.1999 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt (Bl. 28, 29 d.A.).

Die Klägerin verlangt die Rückzahlung des Betrages von 22.445,21 DM (11.476,05 €) mit der Begründung, ihr stehe ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen die Insolvenzmasse zu; bei diesem Anspruch handele es sich um eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO bzw. § 55 Abs. 2 InsO); bei Ausführung der Überweisungsaufträge vom 16.03.1999 habe sie keine Kenntnis von dem vorläufigen Insolvenzverfahren gehabt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 11.476,05 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13.08.2002 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick darauf fehle, dass titulierte Forderungen nicht mehr durchsetzbar seien (§§ 87, 89 InsO). Im übrigen liege eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 InsO nicht vor. Der Klägerin stehe auch ein Anspruch aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO) nicht zu, weil der eingeforderte Betrag bereits mit der Überweisung auf das "Treuhandkonto" des Beklagten und damit vor Insolvenzeröffnung der Insolvenzmasse zugeflossen sei.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt.

Beide Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichem Antrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und auch begründet.

I.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die auf Erlangung eines Vollstreckungstitels gegen die Masse gerichtete Klage nicht schon unzulässig. Die Massegläubiger sind vorweg zu befriedigen (§ 53 InsO). Geschieht dies nicht, bedarf es eines Vollstreckungstitels gegen die Masse, der im Wege der Zwangsvollstreckung auch durchgesetzt werden kann. Das folgt aus der (Spezial-)Vorschrift des § 90 InsO, die für Masseverbindlichkeiten gilt. Demgegenüber sind die vom Landgericht herangezogenen Vorschriften der §§ 87, 89 InsO nicht einschlägig, sie gelten nämlich für Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO).

II.

Die Klage ist auch begründet. Der Klageanspruch findet seine Rechtsgrundlage in einer entsprechenden Anwendung des § 55 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der Beklagte hat als vorläufiger Verwalter im Rahmen der ihm erteilten Einzelermächtigung gehandelt; dies hat eine Masseverbindlichkeit begründet, nämlich zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse geführt, der die von der Klägerin - ohne rechtlichen Grund - zurückerstatteten Beträge zugeflossen sind.

1.

Auf § 55 Abs. 2 InsO lässt sich die Klage nicht stützen.

Diese Vorschrift betrifft ausschließlich Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters auf den die Verfügungsbefugnis des Schuldners übergegangen ist (BGHZ 151, 353, 358 = ZIP 2002, 1625, 1627). Im Streitfall war der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot nicht auferlegt, die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin folglich nicht auf den Beklagten übergegangen.

2.

Jedoch ist § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO entsprechend anzuwenden.

Allerdings reicht eine pauschale, allumfassende Ermächtigung nicht schon für eine Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO aus, weil nach dieser Vorschrift Masseverbindlichkeiten nur durch eine inhaltlich bestimmte gerichtliche Anordnung begründet werden können (BGHZ 151, 353, 367) Eine solche Anordnung kann auf der Grundlage des § 22 Abs. 1 InsO ergehen; in einem solchen Fall ist § 55 Abs. 2 InsO indessen bereits unmittelbar anzuwenden. Eine entsprechende Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO kommt dann in Betracht, wenn durch eine gerichtliche Anordnung eine - gegenüber dem Regelfall des § 22 Abs. 1 InsO eingeschränkte - Einzelermächtigung, die als solche inhaltlich bestimmt ist, erteilt wird.

Das Insolvenzgericht hat dem Beklagten eine inhaltlich bestimmte Einzelermächtigung erteilt. Aufgrund der Anordnung des Insolvenzgerichts war der Beklagte befugt, über bestimmte Gegenstände des Schuldnervermögens zu verfügen. Der Beklagte war als vorläufiger Verwalter ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (Bl. 17 d.A.). Der BGH hat eine derartige Einzelermächtigung ausdrücklich für rechtlich unbedenklich erachtet und als rechtfertigenden Grund angegeben, dass der vorläufige Verwalter zur Erfüllung seiner Aufgaben auf die Einziehung dieser Forderungen angewiesen sei (BGHZ 151, 353, 365). Namentlich für eine solche, auf den Schuldnerforderungseinzug bezogene Einzelermächtigung hat der BGH ausgeführt, dass diese - ebenso wie die Anordnung nach § 22 Abs. 1 InsO - den vorläufigen Verwalter in die Lage versetze, Masseverbindlichkeiten zu begründen (BGHZ 151, 353, 367).

Eine ganz andere Frage, die sich im Streitfall jedoch nicht stellt, ist es, ob und inwieweit der vorläufige Verwalter durch den Abschluss von im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Verträgen Masseverbindlichkeiten begründen kann. Handelt es sich um einen vorläufigen Insolvenzverwalter ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot (§ 22 Abs. 1 InsO), so muss zum Schutz der vom vorläufigen Verwalter in Aussicht genommenen Vertragspartner eine auf den Abschluss bestimmter Verträge inhaltlich bestimmte Einzelermächtigung erteilt werden. Allein hierauf beziehen sich die vom Beklagten im Schriftsatz vom 04.03.2004 (Bl. 265 ff. d.A.) herangezogenen Ausführungen von Kirchhof in ZinsO 2004, 57, nicht aber auf die hier interessierende Fallgestaltung.

3.

Indem der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 06.05.1999 zur Rückerstattung des Betrages von 22.445,21 DM aufforderte, hat er durch seine Handlung als vorläufiger Verwalter eine Verbindlichkeit begründet (§ 55 Abs. Nr. 1 InsO). Das Zahlungsverlangen des Beklagten war unberechtigt, mit der Folge, dass die Klägerin ohne rechtlichen Grund geleistet hat und die Masse dadurch ungerechtfertigt bereichert ist (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB).

In einem vergleichbaren Fall, in welchem der Nachlasspfleger eine dem Erben nicht zustehende Leistung einforderte, hat der BGH entschieden, dass nach Eröffnung des Nachlasskonkurses die Pflicht des Verwalters, das ohne rechtlichen Grund in den Nachlass und in die Masse Gelangte herauszugeben, Masseschuld ist (BGHZ 94, 312). Entgegen den Ausführungen des Beklagten auf Seiten 1 und 2 des Schriftsatzes vom 04.03.2004 (Bl. 265, 266 d.A.) handelt es sich um eine vergleichbare Fallgestaltung, weil hier wie dort die Bereicherung der Masse dadurch eingetreten ist, dass das ohne rechtlichen Grund Erlangte nicht erst vom Verwalter selbst, sondern zunächst vom vorläufigen Verwalter bzw. vom Nachlasspfleger eingefordert und dann der Masse zugeflossen war.

a)

Das Rückerstattungsverlangen des Beklagten war deshalb unbegründet, weil weder er noch die Schuldnerin selbst eine Forderung gegen die Klägerin aus dem Bankvertrag hatte.

Zwar trifft der Hinweis des Beklagten in seinem Aufforderungsschreiben an sich zu, dass die Schuldnerin mit Rücksicht auf die gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ergangene Anordnung des Insolvenzgerichts nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters verfügen durfte. Das bedeutet, dass die Klägerin während des Insolvenzeröffnungsverfahrens die Überweisungsaufträge der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters hätte ausführen dürfen.

Gleichwohl blieb der von dem Beklagten gerügte Verstoß gegen die angeordnete Verfügungsbeschränkung für die Klägerin ohne Folgen. Bei einem Verstoß gegen die Vorschrift des § 21 Abs.2 Nr. InsO gelten die §§ 81, 82 InsO entsprechend. Die Klägerin ist gemäß § 82 InsO von ihrer Leistungspflicht befreit worden; denn sie hatte im Zeitpunkt der Vornahme der - vom Beklagten in seinem Schreiben beanstandeten - Leistung, nämlich der Ausführung der Überweisungen der Schuldnerin, keine Kenntnis von der Anordnung der vorläufigen Verwaltung gehabt. Ihr selbst ist der Beschluss des Amtsgerichts vom 16.03.1999 erst am 31.03.1999 zugegangen (Bl. 4/ 17 d.A.). Der Beklagte hat demgegenüber nichts für eine positive Kenntnis der Klägerin vorgetragen.

Nach allem war die Klägerin zwar an sich wegen der insolvenzrechtlichen Anordnung nicht - ohne Zustimmung - befugt, die Überweisungsaufträge der Schuldnerin auszuführen; ihre Verpflichtungen der Schuldnerin gegenüber aus dem Bankvertrag hat sie gleichwohl wegen ihrer Unkenntnis mit befreiender Wirkung erfüllt, zu einer Rückerstattung der geforderten Beträge war die Klägerin nicht verpflichtet.

b)

Indem die Klägerin dem unberechtigtem Zahlungsverlangen entsprach, leistete sie ohne rechtlichen Grund. Die durch den Beklagten begründete Verbindlichkeit führte - letztlich - zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse, der die Beträge nach Eröffnung zugeflossen sind (§ 148 Abs. 1 InsO). Die nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Handlungen des Verwalters begründeten Verbindlichkeiten setzen anders als § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht den Eintritt einer unmittelbaren Bereicherung der Masse voraus.

c)

Die von dem Beklagten als vorläufigen Verwalter begründete Verbindlichkeit gilt nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeit. Dies folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO.

Im Streitfall hat der Beklagte im Rahmen der ihm erteilten Einzelermächtigung gehandelt: er hat eine vermeintliche Forderung der Schuldnerin eingezogen; dies hat eine Masseverbindlichkeit begründet, nämlich zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse geführt, der die von der Klägerin - ohne rechtlichen Grund - zurückerstatteten Beträge zugeflossen sind.

4.

Nach allem kommt es für die Entscheidung des Senats nicht auf die zwischen den Parteien streitige Frage an, ob die Klage unter dem Gesichtspunkt des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO begründet ist.

5.

Der Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt des Verzuges begründet (§ 288 Abs. 1 BGB). Der Beklagte hat mit Schreiben vom 13.8.2002 (Bl. 35 d.A.) das Zahlungsverlangen der Klägerin in deren Schreiben vom 12.8.2002 (Bl. 32 - 34 d.A.) abgelehnt.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür in § 543 Abs.2 ZPO aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen. In der Entscheidung BGHZ 151, 353 sind die für den Streitfall bedeutsamen Rechtsfragen bereits beantwortet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert im Berufungsrechtszug: 11.476,05 €.

Ende der Entscheidung

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