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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 28.08.2002
Aktenzeichen: 8 Wx 32/02
Rechtsgebiete: VwGO, FGG, AuslG, FEVG, ZPO, PStG, BGB


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 123
FGG § 27
FGG § 29
AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 57
AuslG § 57 Abs. 2 S. 4
AuslG § 103 Abs. 2
FEVG § 3
FEVG § 3 Satz 2
FEVG § 11
FEVG § 14 Abs. 3
FEVG § 16
ZPO § 562 n. F.
PStG § 15 a Abs. 1 Nr. 1
PStG § 69 b
BGB § 1309
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

8 Wx 32/02

In dem Freiheitsentziehungsverfahren

hat der 8. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Beilich, des Richters am Oberlandesgericht Fischer und des Richters am Landgericht Engels

am 28. August 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 7. August 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über den Auslagenersatz im Verfahren der weiteren Beschwerde - an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste am 15.06.2000 mit dem auf den Namen H von den algerischen Behörden ausgestellten Reisepass in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte unter dem Aliasnamen einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 01 08.2000 abgelehnt wurde. Der Antrag des Betroffenen nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder vom 09.08.2000 unanfechtbar abgelehnt. Die ebenfalls vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage wurde abgewiesen. Die Entscheidung ist seit dem 30.03.2001 rechtskräftig.

Mit Bescheid vom 10.01.2002 widerrief die Ausländerbehörde die dem Betroffenen erteilte Duldung, forderte ihn auf, die Bundesrepublik zu verlassen und drohte an, ihn anderenfalls am 05.03.2002 abzuschieben.

Der Betroffene begab sich daraufhin nach Dänemark.

Am 04.04.2002 schloss er in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen A D die Ehe. Die in F wohnhafte A D war zu diesem Zweck ebenfalls nach Dänemark gereist.

Unter Berufung auf die Eheschließung und den Trauschein der dänischen Kommune L (Bl. 47 d.A.) begehrte der Betroffene die Erteilung eines Visums zur Einreise in die Bundesrepublik. Die Ausländerbehörde bat unter dem 13.06.2002 die Botschaft der Bundesrepublik in Kopenhagen, das Visum nicht zu erteilen, weil die Ledigkeit des Betroffenen durch die Eheschließung in Dänemark nicht nachgewiesen und er im übrigen im Bundesgebiet zur Festnahme ausgeschrieben sei (Bl. 8 d.A.).

Der Betroffene, der auch aus Dänemark ausgewiesen worden war, reiste dennoch in die Bundesrepublik ein. Nach anonymem Hinweis wurde er am 28.07.2002 in der Wohnung der A D in F festgenommen.

Auf den Antrag der Ausländerbehörde, zur Sicherung der Abschiebung in das Herkunftsland die Haft des Betroffenen für 3 Wochen anzuordnen, hat das Amtsgericht Frankfurt/Oder nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 29.07.2002 die Sicherungshaft für die Dauer von 2 Monaten angeordnet.

Das Landgericht Frankfurt/Oder hat die dagegen erhobene sofortige Beschwerde nach Anhörung des Betroffenen und der A D zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Fortdauer der Haft stehe nicht die nach dänischem Recht geschlossene Ehe entgegen. Diese stehe so lange nicht unter dem Schutz des Art. 6 GG, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland nicht legalisiert bzw. anerkannt sei, so dass es nicht darauf ankomme, ob eine Scheinehe geschlossen worden sei.

Der Betroffene hat die sofortige weitere Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen ist gemäß §§ 27, 29 FGG, § 103 Abs. 2 AuslG, § 3 Satz 2 FEVG zulässig.

Sie hat in der Sache vorläufig Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts unterliegt der Aufhebung und Zurückverweisung entsprechend § 562 ZPO n. F..

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 27 Abs. 1 FGG).

1.

Die Anordnung der Abschiebehaft für einen über den im Antrag der Verwaltungsbehörde hinausgehenden Zeitraum ist verfahrensfehlerhaft.

In der Freiwilligen Gerichtsbarkeit besteht eine Bindung an Anträge nicht in sog. Amtsverfahren. In Antragssachen jedoch, in denen die Einleitung des Verfahrens von der Stellung eines Antrages abhängt und eine amtswegige Verfahrenseröffnung ausgeschlossen ist, darf das Gericht ebenso wie in Streitsachen nicht eine über den Antrag hinausgehende Entscheidung treffen. Das Gericht ist in Antragssachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ebenso wie im Zivilprozess an den Antrag gebunden (Schmidt, Handbuch der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 2. Aufl. Rn. 8; Baur, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 1955 § 17 IV 1 a; Münch.-Komm./Musielak, ZPO, 2. Aufl. § 308 ZPO Rn. 4).

Die Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft ist eine Antragssache. Notwendige Voraussetzung für das Verfahren und die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung ist ein Antrag nach § 3 FEVG.

Auf den Antrag, die Haft zur Sicherung der Abschiebung für 3 Wochen anzuordnen, durfte nicht eine Haft für die Dauer von 2 Monaten angeordnet werden.

In der Erklärung des Vertreters der Antragstellerin vor dem Landgericht liegt nicht ein geänderter Antrag. Der Vertreter der Antragstellerin hat angegeben, nicht sagen zu können, wann eine Abschiebung durchgeführt werden könne. Das hänge davon ab, dass der Betroffene als Algerier "anerkannt werde. Danach könne die Abschiebung "relativ kurzfristig" durchgeführt werden.

Darin liegt nicht ein Antrag, die Haft für eine genau bezeichnete Dauer anzuordnen.

2.

Die Entscheidung des Landgerichts beruht auch auf einer Verletzung von Art. 6 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.

a)

Entgegen der Auffassung des Landgerichts bedarf die im Ausland geschlossene Ehe weder zu ihrer Wirksamkeit, noch zur Begründung des Schutzes aus Art. 6 GG einer Legalisierung oder Anerkennung.

Die aus Art. 6 GG ableitbaren Schutz- und Abwehrrechte sind Menschenrechte, die Deutschen, Ausländern und Staatenlosen gleichermaßen zustehen. Der Schutzbereich umfasst nicht nur inlandbezogene Ehen, sondern eheliche Lebensgemeinschaften unabhängig davon, ob und nach Maßgabe welcher Rechtsordnung sie - vorbehaltlich des deutschen ordre public - begründet wurden und ob die Rechtswirkungen des ehelichen Bandes nach deutschem oder ausländischem Recht zu beurteilen sind.

Die ausländerrechtlichen Rechte und Pflichten werden daher auch durch die dem Schutz des Art. 6 GG unterliegende im Ausland geschlossene Ehe beeinflusst (BVerfGE 31, 58; Mauz/Badura GG-Kommentar Loseblattsammlung, Art. 6 GG Rn. 13 m.w.N.).

Nach den von dem Landgericht festgestellten Tatsachen ist die Ehe nicht nichtig.

Die im Ausland geschlossene Ehe ist nach Art. 11 EGBGB formgültig, wenn sie den formellen Erfordernissen nach dem Recht des Staates, in dem die Ehe geschlossen wurde, genügt. Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Ehe dem dänischen Recht nicht entspreche, sind nicht ersichtlich. Der Betroffene hat unter dem Namen H geheiratet. Der Vertreter der Antragstellerin hat in der Anhörung erklärt, dass der Betroffene mit einem von den algerischen Behörden ausgestellten Reisepass auf den Namen H eingereist sei. Er hat nicht mehr Zweifel daran geäußert, dass dies die wahre Identität des Betroffenen ist und allein der Asylantrag unter dem falschen Namen gestellt wurde.

Die materielle Wirksamkeit der Ehe beurteilt sich gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach dem jeweiligen Heimatrecht der Eheschließenden.

Unwirksamkeitsgründe nach algerischem Recht, etwa dass der Betroffene bereits verheiratet sei, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Unwirksamkeitsgründe nach dem Heimatrecht der Ehefrau, somit nach deutschem Recht, sind ebenfalls nicht festgestellt.

Es bedarf zur Wirksamkeit der im Ausland geschlossenen Ehe nicht eines formellen Aktes in der Bundesrepublik. Vielmehr steht den Eheleuten frei, einen Antrag auf Anlegung eines Familienbuches nach § 15 a Abs. 1 Nr. 1 PStG zu stellen.

Auch eine in Dänemark unterlassene Prüfung der Ehefähigkeit steht der Wirksamkeit der Ehe nicht entgegen. Selbst nach deutschem Recht ist eine ohne Ehefähigkeitszeugnis des Ausländers geschlossene Ehe wirksam. § 1309 BGB ist lediglich eine Sollvorschrift (Palandt/Brudermüller, BGB, 60. Aufl., § 1309 BGB Rn. 3). Ebenso führt die. Eheschließung einer deutschen Staatsbürgerin im Ausland ohne Ehefähigkeitszeugnis nach § 69 b PStG nicht zur Unwirksamkeit der Ehe. Es kommt allein darauf an, ob der deutsche Ehepartner im Zeitpunkt der Eheschließung tatsächlich ledig war.

b)

Die Anordnung der Abschiebehaft verletzt das Recht des Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz, weil die Gefahr besteht, dass die Ausländerbehörde durch die Abschiebung vollendete Tatsachen schafft, obwohl der Betroffene durch einen Antrag an das Verwaltungsgericht auf vorläufigen Rechtsschutz sein Verbleiben in der Bundesrepublik sichern könnte.

Grundsätzlich kommt dem Haftrichter im Abschiebehaftverfahren nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz zu. Der Haftrichter hat die Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebehaft nach § 57 AuslG zu prüfen. Er ist au die Verwaltungsakte der Ausländerbehörde und an die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gebunden. Diese Bindung gilt jedoch nicht, wenn sich die Verwaltungsakte wegen eines besonders schweren oder offenkundigen Fehlers als nichtig erweisen oder der Betroffene sich auf einen Umstand beruft, der erst nach Erlass und Bestandskraft der Verwaltungsakte oder verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen eingetreten ist.

Das ist der Fall, wenn der Betroffene nach Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über seine Ausreisepflicht die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen hat.

Aus der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen kann dem Ausländer ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG erwachsen. Die Abschiebung ist dann nicht mehr rechtmäßig möglich, die Abschiebehaft somit rechtswidrig.

Die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis aufgrund der veränderten Umstände - hier der Eheschließung - obliegt der Verwaltungsbehörde und den Verwaltungsgerichten. Aufgrund der aufgespaltenen Zuständigkeit sind diese Umstände folglich grundsätzlich nicht im Haftverfahren, sondern vor dem Verwaltungsgericht geltend zu machen.

Allerdings ist ein Gericht, das über die Abschiebehaft zu entscheiden hat, nicht der Verpflichtung enthoben zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Haft vorliegen oder aufgrund nachträglich eingetretener Umstände, durch die der Inhaftierte der Ausreisepflicht ledig wird oder die Durchführbarkeit seiner Abschiebung für längere Zeit oder auf Dauer gehindert wird, entfallen sind. Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet nicht nur, im Falle der Undurchführbarkeit der Abschiebung von der Sicherungshaft abzusehen, sondern zwingt auch dazu, das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und den Freiheitsanspruch des Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Insoweit erweist sich § 57 Abs. 2 S. 4 AuslG als gesetzliche Ausprägung des in diesem Sinne verstandenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für den Fall der Ungewissheit darüber, ob die Haft tatsächlich erforderlich ist (BVerfG NJW 1987, 3076; BVerfG B. v. 15. 12.2000, Az: 2 BvR 347/00, Juris Nr.: KVRE298590005).

Daraus folgt, dass die von dem Betroffenen geltend gemachten veränderten Umstände auch von dem Haftrichter zu beachten sind. Das ist ahne die Gefahr widersprechender Entscheidungen der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichte möglich.

In Fällen, in denen es naheliegt, dass die Verwaltungsbehörde durch die Abschiebung vollendete Tatsachen schafft, die sich mit den verfassungsrechtlichen Garantien, insbesondere dem Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 G nicht ein Einklang bringen lassen, ist es nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten, das Haftverfahren so zu gestalten, dass dem Betroffenen effektiver Rechtsschutz gewährt wird.

Der Haftrichter hat durch Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeiten des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (§§ 80 Abs. 5, 123 VwGO) und die entsprechende zeitliche Gestaltung des Verfahrens den Grundrechten des Betroffenen zur Geltung verhelfen (BGHZ 78, 145; OLG Karlsruhe NVwZ 1998, 214; OLG Köln OLGR 2001, 279). Der Haftrichter oder das zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufene Landgericht kann Anträge zu Protokoll nehmen und zur Entscheidung an die Verwaltungsbehörde oder das Verwaltungsgericht weiterleiten. Bis diese tätig werden, kann er mit der Entscheidung über den Haftantrag angemessene Zeit zuwarten (BGHZ 78, 145, 152).

3.)

Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Landgericht Gelegenheit, die unterbliebene Gewährung effektiven Rechtsschutzes nachzuholen und - in der bei jeder Freiheitsentziehung gebotenen Eile - nach erneuter Anhörung in der Sache zu entscheiden. Sollte die Verwaltungsbehörde den Haftantrag nicht zurücknehmen, wird das Landgericht zu prüfen haben, ob der von dem Betroffenen in der Anhörung vor dem Landgericht gestellte Antrag auf Duldung oder ein gegebenenfalls in der Zwischenzeit gestellter Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG von der Verwaltungsbehörde beschieden worden ist.

Der Betroffene wird, soweit sein Antrag abgelehnt werden sollte, Gelegenheit haben, einen Antrag nach § 123 VwGO bei dem Verwaltungsgericht zu stellen.

Ist bis zu dem anzuberaumenden Anhörungstermin der Antrag des Betroffenen von der Verwaltungsbehörde noch nicht beschieden oder hat das Verwaltungsgericht über einen Eilantrag des Betroffenen noch nicht entschieden, wird das Landgericht nicht feststellen können, dass die Abschiebung innerhalb von 3 Monaten (rechtmäßig) durchgeführt werden kann, § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG.

Es wird dann zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung nach § 11 FEVG vorliegen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 14 Abs. 3 FEVG.

Die Entscheidung zum Auslagenersatz nach § 16 FEVG ist dem Landgericht übertragen.

Der Festsetzung eines Beschwerdewertes bedarf es nicht (§ 112 BRAGO).

Ende der Entscheidung

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