Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 22.06.2009
Aktenzeichen: 9 AR 6/09
Rechtsgebiete: ZPO, FGG, BGB, GVG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 a Abs. 1
FGG § 5
FGG § 5 Abs. 1 Satz 1
FGG § 36 Abs. 1 Satz 1
FGG § 43 Abs. 1
FGG § 43 Abs. 2
FGG § 46 Abs. 1
FGG § 46 Abs. 2
FGG § 64 Abs. 3
FGG § 64 Abs. 3 Satz 2
BGB § 11 Satz 1
BGB § 11 Satz 2
BGB § 1696
BGB §§ 1773 ff
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Entscheidung über den Kompetenzkonflikt wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Mit dem am 26. März 2009 beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt eingegangenen Schreiben vom 12. März 2009 hat die Mutter des E... We..., die in L..., ...straße 4, wohnhafte Frau M... We...-S... auf (Rück-)Übertragung des (alleinigen) Sorgerechts für ihren Sohn angetragen. Aus diesem Schreiben lässt sich erahnen, dass der Junge unter Mitwirkung des Jugendamtes bei Pflegeeltern untergebracht war und seitens des Jugendamtes beabsichtigt gewesen sein könnte, den Jungen nunmehr im Rahmen eines so genannten "Betreuten Wohnens" unterzubringen. Näheres lässt sich der Antragsschrift, insbesondere zum Aufenthalt des Jungen zunächst nicht entnehmen.

Mit Verfügung vom 27. März 2009 (Bl. 3 d.A.) hat das Amtsgericht Fürstenwalde die Sache mit Abgabenachricht an die Kindesmutter unter Hinweis auf §§ 621 a Abs. 1 ZPO, §§ 64 Abs. 3, 43 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 1 FGG an das Amtsgerichts Fürstenwalde abgegeben. Dieses hat die Übernahme unter dem 3. April 2009 (Bl. 7 d.A.) abgelehnt, weil eine dortige Zuständigkeit mit Blick auf den Wohnsitz der Kindesmutter und den bislang nicht erkennbarer Wohn-/Aufenthaltsort des betroffenen Kindes nicht festgestellt werden konnte.

Mit Schreiben vom 9. April 2009 (Bl. 8 d.A.) hat das Jugendamt E... mitgeteilt, dass E... am 10. April 2009 "von der Pflegefamilie P... in der Einrichtung der pe... in F..., T...straße 25 verlegt" und dort dann seinen Hauptwohnsitz haben werde. Diese Verlagerung des Lebensmittelpunktes wurde mit Schreiben des Jugendamtes E... vom 21. April 2009 bestätigt (Bl. 10 d.A.).

Daraufhin hat das Amtsgericht Eisenhüttenstadt mit Verfügung vom 23. April 2009 unter Hinweis auf den dortigen Hauptwohnsitz des Kindes die Sache dem Amtsgericht Frankfurt (Oder) mit der Bitte um Übernahme vorgelegt. Das Amtsgericht Frankfurt (Oder) hat bei der Vormundschaftsabteilung des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt telefonisch ermittelt, dass dort mit Beschluss vom 25. Juni 1999 - Az. 4 VII 16/99 - die Vormundschaft über sämtliche Angelegenheiten der elterlichen Sorge angeordnet worden sei und deshalb mit Verfügung vom 28. April 2009 die Übernahme unter Bezugnahme auf § 43 Abs. 2 FGG abgelehnt. Es hat vorsorglich ferner darauf hingewiesen, dass dort ein Grund zur Übernahme nach § 46 Abs. 1 FGG nicht gesehen werde.

Mit Verfügung vom 5. Mai 2009 hat das Amtsgericht Eisenhüttenstadt "vermerkt", dass es sich vorliegend um ein - von der vorangegangenen vormundschaftsrechtlichen Entscheidung unabhängiges - selbständiges sorgerechtliches Verfahren nach § 1696 BGB handele, für das sich die Zuständigkeit nach dem jeweiligen Wohnsitz des Kindes zum Zeitpunkt der Antragstellung - nach dortiger Auffassung F... - richte. Die Sache wurde zugleich dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit übersandt (Bl. 16 d.A.).

II.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist zur Entscheidung über den Kompetenzstreit der beteiligten Gerichte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt berufen.

a) Da die Vorlageentscheidung nicht erkennen lässt, aufgrund welcher gesetzlichen Vorschrift die Anrufung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts erfolgt, ist vorsorglich festzustellen, dass eine Entscheidung des erkennenden Senates nach § 46 Abs. 2 FGG nicht veranlasst ist.

Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 FGG kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen ein Gericht seine Zuständigkeit bejaht, das Verfahren jedoch aus Zweckmäßigkeitserwägungen an ein anderes, die Übernahme ablehnendes Gericht abgeben möchte (vgl. Keidel/Kuntze/ Winkler-Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 46 Rdnr. 38). Daran fehlt es hier. Im Streitfall hält sich ausweislich der Gründe der jeweiligen Beschlüsse keines der an dem Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte für örtlich zuständig. Es liegt daher vielmehr ein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG vor, nämlich ein Streit zwischen Gerichten über die zur Zeit der Einleitung des Verfahrens gesetzlich begründete örtliche Zuständigkeit, die das beteiligte Amtsgericht Eisenhüttenstadt wegen des bei Verfahrenseinleitung bestehenden Wohnsitzes des Kindes im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt(Oder) dort als gegeben ansieht und das Amtsgericht Frankfurt (Oder) wegen der beim Jugendamt des Landkreises O... bestehenden Vormundschaft jedenfalls E... angesiedelt wissen will.

b) Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist allerdings auch nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits berufen. Auch die dort genannten Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

(1) Es dürfte sich vorliegend tatsächlich um eine selbständige Familiensache (Sorgerechtsverfahren) gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO handeln, wobei dies in Ansehung der recht unkonkreten Antragsschrift und ohne Kenntnis des offenbar beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt ergangenen vormundschaftsrechtlichen und ggf. auch familiengerichtlichen Beschlusses, nicht sicher festgestellt werden kann. Für ein (mutmaßlich) auf § 1696 BGB gestütztes Sorgerechtsverfahren richtet sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 621 a Abs. 1 ZPO nicht nach § 5 FGG, sondern nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.

Intern ist der Familiensenat des Oberlandesgerichts für den bestehenden Kompetenzkonflikt zweier Familiengerichte zuständig. Zu den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 a GVG zählen auch solche die Hauptsacheentscheidung vorbereitenden Nebenentscheidungen der Amtsgerichte. Eine solche Nebenentscheidung stellt auch der Streit zweier Familiengerichte um die örtliche Zuständigkeit in Verbindung mit den nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erforderlichen Erklärungen über die eigene Unzuständigkeit dar (vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1977, 725; Zöller-Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rdnr. 8).

(2) Voraussetzung für eine derartige Gerichtsbestimmung ist aber in jedem Falle, dass sich die in Betracht kommenden Gerichte wirksam und "rechtskräftig" für unzuständig erklärt haben. Im Streitfall liegt keine wirksame Zuständigkeitsleugnung der beteiligten Amtsgerichts vor.

Die Abgabe- bzw. Nichtübernahmeentscheidungen sind jeweils verfahrensfehlerhaft, nämlich unter Verletzung des Gebotes des rechtlichen Gehörs ergangen: Weder das Amtsgericht Eisenhüttenstadt noch das Amtsgericht Fürstenwalde noch das Amtsgericht Frankfurt (Oder) haben jemals die Beteiligten zu dem Kompetenzkonflikt angehört. Dann aber bietet die jeweilige Zuständigkeitsleugnung keine hinreichende Grundlage für einen Kompetenzkonflikt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Mai 2000, Az. 2 AR 30/00 - zitiert nach juris; erkennender Senat, Beschluss vom 6. August 2008, Az. 9 AR 6/08 - veröffentlicht in juris).

Darüber hinaus ist nach Aktenlage abgesehen von der - inzwischen "unstreitig" überholten - Nachricht an die Antragstellerin über die Abgabe an das Amtsgericht Fürstenwalde weder die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts Fürstenwalde noch diejenige des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) noch die Abgabeentscheidung vom 23. April 2009 oder die Vorlageentscheidung vom 5. Mai 2009 des Amtsgerichts Frankfurt (Oder), also keine der hier noch erheblichen "Entscheidungen" über den Zuständigkeitsstreit der Gerichte den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht worden. Die Wirksamkeit gerichtlicher Verfügungen hängt aber von ihrer Bekanntmachung an alle ab, für die sie nach ihrem Inhalt bestimmt sind (§ 621 a Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 16 Abs. 1 FGG). Sämtliche Entscheidungen der Gerichte sind daher mangels Bekanntgabe ein akteninterner Vorgang geblieben, so dass es auch aus diesem Grund an einer - wirksamen - Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fehlt (vgl. BGH FamRZ 1998, 609; BayObLG, Beschluss vom 4. Mai 1999, Az. 1Z AR 40/99 - zitiert nach juris; erkennender Senat, a.a.O.; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 36 Rdnr. 25).

c) Zur Vermeidung einer Fortsetzung des bestehenden Kompetenzkonfliktes weist der Senat darauf hin, dass die die Abgabe an das Amtsgericht Frankfurt (Oder) tragenden Gründe nach Aktenlage nicht überzeugen können.

(1) Richtig ist zwar, dass sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts in diesem Sorgerechtsverfahren nach §§ 64 Abs. 3 Satz 2; 43 Abs. 1; 36 Abs. 1 Satz 1 FGG richten dürfte. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FGG in Verbindung mit § 11 Satz 1 BGB teilt das minderjährige Kind den Wohnsitz der Eltern, soweit diese sorgeberechtigt sind. Im konkreten Fall steht allerdings den Eltern oder auch nur der hier antragstellenden Kindesmutter das Sorgerecht für E... W... (oder We...) wohl gerade nicht zu. Offenbar besteht vielmehr eine Vormundschaft des Jugendamtes des Landkreises O... nach §§ 1773 ff BGB. In diesen Fällen teilt das Kind nach § 11 Satz 2 BGB den Wohnsitz des Vormundes (vgl. Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, 67. Aufl., § 11 Rdnr. 5). Zwar ist diese Regelung des sog. gesetzlichen Wohnsitzes nicht zwingend. Neben oder statt diesem gesetzlichen Wohnsitz kann ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden (vgl. Palandt-Heinrichs/Ellenberger, a.a.O., § 11 Rdnr. 5, 1). Die hier erfolgte Verlagerung des Lebensmittelpunktes des Kindes von dem - bislang unbekannt gebliebenen - Wohnsitz der Pflegefamilie P... in das Wohnprojekt in F... muss schon deshalb ohne Einfluss auf die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bleiben, weil diese erst nach Antragstellung erfolgt ist. Wird der Wohnsitz während der Anhängigkeit eines Verfahrens verlegt, so ändert das die einmal begründete örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach dem Grundsatz der Fortdauer des Gerichtsstandes nicht (Brandenburgisches Oberlandesgericht - 2. Familiensenat, Beschluss vom 12. Februar 2004, Az. 10 WF 5/04 - zitiert nach juris). Entgegen der Darstellung in dem Vorlagevermerk des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt gibt es derzeit jedenfalls keinerlei belastbare Anhaltspunkte dafür, dass "zum Zeitpunkt der Antragstellung" das Amtsgerichts Frankfurt (Oder) örtlich zuständig gewesen sein könnte.

(2) Vorsorglich wird ferner darauf hingewiesen, dass aus den Gründen der ablehnenden Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. April 2009 (Bl. 14 d.A.), die der Senat nach Aktenlage ausdrücklich teilt, auch kein wichtiger Grund vorliegen dürfte für eine Abgabe an das Amtsgericht Frankfurt (Oder) nach § 46 Abs. 2 FGG, der auch in Sorgerechtsverfahren nach § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anwendbar ist (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Familiensenat, a.a.O.; Keidel/Kuntze/Winkler-Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 46 Rdnr. 51).

Ende der Entscheidung

Zurück