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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 07.01.2004
Aktenzeichen: 9 UF 167/03
Rechtsgebiete: ZPO, FGG, BGB, VAÜG


Vorschriften:

ZPO § 517
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 621 a Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3 Satz 2
FGG § 12
FGG § 53 b Abs. 2 Satz 2
BGB § 1587 Abs. 2
VAÜG § 1 Abs. 4
VAÜG § 2 Abs. 1
VAÜG § 2 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 UF 167/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die befristete Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 1. September 2003 gegen die in dem am 9. April 2001 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Cottbus zum Versorgungsausgleich getroffene Regelung durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Landgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 7. Januar 2004

im schriftlichen Verfahren

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird teilweise abgeändert.

Das Verfahren über den Versorgungsausgleich wird ausgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Beschwerdewert wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe:

1.

Die befristete Beschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig.

Sie ist insbesondere rechtzeitig eingelegt worden. Zwar ist das angefochtene Urteil bereits am 9. April 2001 verkündet worden und die befristete Beschwerde erst am 3. September 2003 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen. Gleichwohl ist die Beschwerdefrist von einem Monat gemäß § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 517 ZPO gewahrt, da diese Frist gegenüber der Beschwerdeführerin nicht in Lauf gesetzt worden ist.

Gemäß § 517 ZPO beginnt die Monatsfrist grundsätzlich mit Zustellung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung. Der Beschwerdeführerin ist aber der angefochtene Beschluss bis heute nicht formell zugestellt, sondern lediglich auf ihre Anforderung hin mit gerichtlichem Schreiben in August 2003 formlos übersandt worden.

Die Beschwerdefrist ist auch nicht deshalb abgelaufen, weil sie mehr als sechs Monate nach Erlass der angefochtenen Entscheidung eingelegt worden ist.

§ 517 ZPO setzt für den Beginn des Laufes der Fristen die ordnungsgemäße Beteiligung der Parteien bzw. der sonstigen notwendig Beteiligten voraus. Dies hat der Senat im Einklang mit der herrschenden Meinung bereits früher für solche Entscheidungen, die nicht verkündet worden sind, bejaht (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 22. Februar 1999, Az. 9 UF 157/98 - zu § 516 ZPO a. F. - m. w. N.). Nichts anderes gilt aber dann, wenn - wie es hier der Fall ist - die angefochtene Entscheidung verkündet worden ist.

Der Vorschrift des § 517 ZPO liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlass einer Entscheidung rechnen muss und es ihr daher zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine solche Entscheidung ergangen ist. Wenn dieser Grundgedanke im Einzelfall nicht eingreift, kann ausnahmsweise auch die Fünfmonatsfrist nicht zu laufen beginnen, was etwa dann in Betracht kommt, wenn die beschwerte Partei im Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (BGH FamRZ 1988, 827). Dieser Gedanke ist auch auf diejenigen verkündeten Familiensachen, die mit der befristeten Beschwerde gem. § 621 e Abs. 1 ZPO anzufechten sind, übertragbar. Im dem Verfahren über den Versorgungsausgleich, das auch ohne Antrag zwingend im Verbund zum Scheidungsverfahren zu führen ist (vgl. § 623 Abs. 2, S. 3 ZPO), muss das Gericht von Amts wegen die einzelnen Versorgungsträger ermitteln und deren Auskünfte einholen, §§ 621 Abs. 1 Nr. 6, 621 a Abs. 1 ZPO i. V. m. § 12 FGG. Im Gegensatz zu den Parteien, die das Scheidungsverfahren einleiten, kann der fehlerhaft nicht zugezogene Versorgungsträger in der Regel von sich aus weder von der Existenz des Verfahrens noch den einzelnen Terminen und deren Ausgang etwas wissen, sodass es völlig dem Zufall überlassen bleibt, ob und wann er von dem Urteil Kenntnis erlangt. Seine Nichtbeteiligung führt aber in der Regel zu einer falschen Entscheidung, deren Unrichtigkeit auch für die übrigen Beteiligten regelmäßig nicht erkennbar ist. Eine starre Anwendung des § 517 ZPO auf einen solchen Fall würde daher, noch dazu in einem Verfahren, in dem der Untersuchungsgrundsatz des § 12 FGG gilt, zu völlig unbilligen Ergebnissen führen, die auch vom Gesetzeszweck des § 517 ZPO, die Rechtskraft eines Urteils nicht zu lange in Schwebe zu halten, nicht gedeckt werden (OLG München FamRZ 1991, 1460, 1461). Die Beschwerdefrist konnte daher erst mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnen. Konnte der Versorgungsträger mangels einer Beteiligung am Verfahren über dessen Ausgang keine Kenntnis erlangen, so erscheint es gerechtfertigt, die Berufungsfrist ihm gegenüber nicht in Gang zu setzen. Der Lauf der Beschwerdefrist nach §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO beginnt demnach auch bei verkündeten Entscheidungen nicht für einen Versorgungsträger, der überhaupt nicht am Verfahren über den Versorgungsausgleich beteiligt worden ist (OLG München FamRZ 1991, 1460; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl. 2004, § 621 e, Rn. 20; Musielak-Borth, ZPO, 3. Aufl. 2002, § 621 e, Rn. 14; Weinreich/Klein, Kompaktkommentar Familienrecht 2002, § 612 e ZPO, Rn. 16; FamVerf/Große-Boymann 2001, S. 891 f.; i. E. auch BGH FamRZ 1988, 827; anderer Ansicht OLG Frankfurt am Main FamRZ 1985, 613; Zöller/Philippi, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 621 e, Rn. 43 m. w. N.).

Auch im vorliegenden Fall fehlt es an einer Beteiligung der Beschwerdeführerin am Verfahren über den Versorgungsausgleich. Zunächst wurde die Beschwerdeführerin nicht durch das Amtsgericht, vielmehr über das Arbeitsamt Cottbus über das laufende Verfahren informiert, wie aus dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 2. März 2000 (Bl. 13 VA-Heft) hervorgeht. Nachdem sich das Amtsgericht mit seinem Auskunftsersuchen sodann an das Arbeitsamt Cottbus wandte und dieses offenbar erneut die Weiterleitung veranlasste, meldete sich die Beschwerdeführerin mit weiterem Schreiben vom 13. Juni 2000 erneut. Zu einer weitergehenden Kommunikation mit der Beschwerdeführerin kam es vor Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht mehr, insbesondere hat die Beschwerdeführerin - wie im Übrigen auch die weiteren beteiligten Versorgungsträger - von dem anberaumten Termin keine Kenntnis erhalten. Allein aufgrund dieses Schriftverkehrs war die Beschwerdeführerin aber noch nicht am Verfahren formell beteiligt. Die Einholung von Auskünften zum Versorgungsausgleich gemäß § 53 b Abs. 2 Satz 2 FGG stellt keine formelle Beteiligung des Trägers einer Versorgung am Verfahren dar (Musielak-Borth, a.a.O. Rn. 15), zumal es hier nicht einmal zu einer unmittelbaren Anforderung an die Beschwerdeführerin durch das Amtsgericht gekommen ist. Damit kann auch dahinstehen, ob es für eine förmliche Beteiligung des Versorgungsträgers ausreichend wäre, wenn es zu weiterem Schriftverkehr aufgrund des (erstmaligen) Auskunftsersuchens zwischen dem Versorgungsträger und dem Amtsgericht gekommen wäre (so OLG Celle FamRZ 1997, 760, 761). Es fehlt hiernach an einer ausreichenden Beteiligung der Beschwerdeführerin am Verfahren über den Versorgungsausgleich, sodass für sie nachfolgend keinerlei Veranlassung gegeben war, sich innerhalb der Frist nach § 517 ZPO nach dem Ausgang des Verfahrens zu erkundigen.

2.

Die befristete Beschwerde der Beschwerdeführerin hat auch in der Sache Erfolg.

Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts kann keinen Bestand haben. Das Familiengericht hat den Versorgungsausgleich zwischen den geschiedenen Eheleuten wegen Übergehung der der Antragstellerin bei der Beschwerdeführerin zustehenden Versorgungsanrechte zu Unrecht bereits jetzt durchgeführt.

Die Antragstellerin hat während der Ehezeit i. S. d. § 1587 Abs. 2 BGB (1. Mai 1990 bis 31. Dezember 1999) nach Auskunft der Beteiligten zu 1. vom 14. Juli 2000 (Bl. 25 VA-Heft) angleichungsdynamische Rentenanwartschaften in Höhe von 255,96 DM sowie nichtangleichungsdynamische Rentenanwartschaften in Höhe von 5,06 DM monatlich erworben. Darüber hinaus stehen ihr nach der im Beschwerdeverfahren erteilten Auskunft der Beschwerdeführerin vom 4. Dezember 2003 (Bl. 150 d. A.) angleichungsdynamische Anwartschaften auf eine beamtenrechtliche Versorgung zu, deren ehebezogener Anteil 315,67 € entspricht.

Der Antragsgegner hat nach der am 14. August 2000 (Bl. 35 VA-Heft) erfolgten Auskunft der Beteiligten zu 2. während der Ehezeit angleichungsdynamische Rentenanwartschaften in Höhe von 316,54 DM sowie nichtangleichungsdynamische Rentenanwartschaften in Höhe von 44,04 DM monatlich erworben. Damit sind die nichtangleichungsdynamischen Anwartschaften des Antragsgegners aber höher als diejenigen der Antragstellerin, wohingegen die Summe der angleichungsdynamischen Anwartschaften der Antragstellerin höher als diejenigen des Antragsgegners sind.

Bei dieser Sachlage kann gemäß § 2 Abs. 1 VAÜG der Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden. Nach dieser Vorschrift ist der Versorgungsausgleich nur dann durchzuführen, wenn

1. die Ehegatten in der Ehezeit keine angleichungsdynamischen Anwartschaften minderer Art erworben haben und

a) nur angleichungsdynamische Anwartschaften zu berücksichtigen sind

oder

b) der Ehegatte mit den werthöheren angleichungsdynamischen Anwartschaften auch die werthöheren nichtangleichungsdynamischen Anwartschaften erworben hat.

2. die Voraussetzungen der Nr. 1 nicht vorliegen, aus einem im Versorgungsausgleich zu berücksichtigenden Anrecht aufgrund des Versorgungsausgleichs jedoch Leistungen zu erbringen oder zu kürzen wären.

Da diese Voraussetzungen nicht vorliegen, ist der Beschluss abzuändern und das Verfahren über den Versorgungsausgleich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG auszusetzen.

Nach der Einkommensangleichung gemäß § 1 Abs. 4 VAÜG ist das ausgesetzte Verfahren wieder aufzunehmen. Antragsberechtigt sind unter anderem die Ehegatten. Das Familiengericht soll das ausgesetzte Verfahren binnen fünf Jahren nach der Einkommensangleichung von Amts wegen wieder aufnehmen (§ 2 Abs. 3 S. 2 VAÜG).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 93 a ZPO, 8 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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