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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 03.02.2003
Aktenzeichen: 9 UF 171/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG, KostO


Vorschriften:

ZPO § 78 II 1 Nr. 3
ZPO §§ 517 ff. n. F.
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 621 e Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
ZPO § 621 e Abs. 3 Satz 2
BGB § 1684 Abs. 1
BGB § 1684 Abs. 4 Satz 1
FGG § 12
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 1
FGG § 20
FGG § 50 Abs. 2 Nr. 1
FGG § 50 a
FGG § 50 b
KostO § 131 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 UF 171/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache betreffend den Umgang mit dem minderjährigen Kind B..., geboren am 30.12.1989

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die als befristete Beschwerde auszulegende Beschwerde der Verfahrenspflegerin vom 20.9.2002 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 19.8.2002 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht

am 3. Februar 2003

beschlossen:

Tenor:

1. Die befristete Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Beschwerdewert betragt 2 556,46 € (= 5 000 DM).

Gründe:

Die im Interesse des betroffenen Kindes eingelegte Beschwerde der Verfahrenspflegerin ist gemäß § 621 e Abs. 1 ZPO statthaft, da sie sich gegen eine Endentscheidung über eine Familiensache gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, die Regelung des Umgangs mit einem Kind, richtet.

Das betroffene Kind ist - auch wenn es das 14 Lebensjahr noch nicht vollendet hat - beschwerdeberechtigt, da ihm § 1684 Abs. 1 BGB ein eigenes Umgangsrecht gibt, das durch die amtsgerichtliche Entscheidung im Sinne von § 20 FGG beeinträchtigt sein kann (vgl. Verfahrenshandbuch/Große-Boymann, § 4, Rn. 128, Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, § 621 e, ZPO, Rn. 7).

Das betroffene Kind wird vor Vollendung des 14 Lebensjahres wirksam durch die gemäß § 50 Abs. 2 Nr. 1 FGG bestellte Verfahrenspflegerin vertreten, (vgl. Verfahrenshandbuch/Große-Boymann, § 4, Rn. 128, Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, § 621 e, ZPO, Rn 7), die Vertretungsbefugnis folgt insoweit der Stellung der Verfahrenspflegerin im Verfahren (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., § 20, Rn. 21).

Insbesondere ist die Verfahrenspflegerin befugt, im Interesse des Kindes unabhängig von diesem Rechtsmittel einzulegen und zu begründen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., § 20, Rn. 21 m. w. N.).

Die Beschwerdeschrift ist gemäß § 621 e Abs. 3 ZPO beim Beschwerdegericht eingereicht worden, ebenfalls binnen der Notfrist von einem Monat gemäß §§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 517 ff. ZPO n. F. begründet worden.

Im selbstständigen Sorgerechtsverfahren gemäß § 621 I Nr. 2 ZPO besteht für keinen der Beteiligten Anwaltszwang, § 78 II 1 Nr. 3 ZPO, auch nicht in der Beschwerdeinstanz (Verfahrenshandbuch/Große-Boymann, § 4, Rn. 50, Rn 127), sodass auch im Hinblick darauf, dass die Beschwerde nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt wurde, keine Bedenken bestehen.

Auch dass die Beschwerdeführerin keinen konkreten Antrag gestellt hat, steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. In einer den Verfahrensvorschriften des FGG unterliegenden selbstständigen Familiensache ist es nicht erforderlich, die Beschwerde gemäß § 621 e I ZPO mit einem bestimmten Antrag zu verbinden. Es ist lediglich erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Beschwerdeführer darlegt, warum er sich durch die Entscheidung beschwert fühlt und was er an ihr missbilligt (vgl. Oelkers, FamRZ 1995, 1394).

In der Sache hat die befristete Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Dem Antragsteller steht ein Recht auf Umgang mit seiner Tochter zu. Ein solcher Anspruch des Antragstellers auf einen geregelten Umgang folgt aus § 1684 Abs. 1 BGB. Danach ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Das Verhältnis der Eltern zum Kind wird vom Gesetz als grundsätzlich wünschenswert angesehen und ist insoweit zu schützen. Deshalb besteht das Umgangsrecht grundsätzlich uneingeschränkt auch bei Streitigkeiten zwischen den Eltern und auch dann, wenn es sich bei dem betroffenen Kind um ein jüngeres Kind handelt, da nur so der Gefahr einer dauerhaften Entfremdung des Kindes von einem Elternteil vorgebeugt werden kann (OLG Karlsruhe, FamRZ 1992, 58, 59).

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin war dieses Umgangsrecht nicht auszuschließen. Nach § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB kann das Familiengericht das Umgangsrecht nur dann einschränken oder ausschließen, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.

Ein Ausschluss ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls unumgänglich ist, eine Gefährdung der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Kindes abzuwenden und wenn diese Gefahr nicht auf andere Weise ausreichend sicher abgewendet werden kann (BGH, FamRZ 1994, 159, 160, BGH, FamRZ 1988, 711, KG, FamRZ 2000, 49, OLG Thüringen, FamRZ 1996, 359). Mildere Mittel sind dem Ausschluss vorzuziehen, sodass ein völliger Ausschluss nur in Ausnahmefallen in Betracht kommt (OLG Schleswig, FamRZ 2000, 48, OLG Thüringen, FamRZ 2000, 47).

Gemessen an dieser grundsätzlichen Wertung des Gesetzes reichen die von der Beschwerdeführerin für den Ausschluss des Umgangsrechts vorgebrachten Umstände nicht aus.

Soweit sie vorträgt, B habe zwischenzeitlich Kenntnis davon erlangt, dass es gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern gegeben habe, sie ordne dem Antragsteller insoweit die Rolle des "Akteurs" zu, rechtfertigt dies den vollständigen Ausschluss des Umgangsrechts nicht. Selbst die Tatsache, dass ein Vater zeitweise u. a. wegen Körperverletzung inhaftiert gewesen und gegenüber der Mutter in der Vergangenheit handgreiflich geworden war, rechtfertigt nicht die Feststellung, dass dadurch das Kindeswohl konkret und in der Gegenwart gefährdet ist (vgl. Oelkers, FamRZ 1995, 1390 m. w. N., OLG Celle, FamRZ 1990, 1026). Dass dem betroffenen Kind insoweit Gefahr durch den Antragsteller drohen konnte, ist nicht ersichtlich und wird auch von keinem Beteiligten behauptet.

Auch die Tatsache, dass der Umgangsberechtigte über mehrere Jahren keinen Kontakt zu seinem Kind gehabt hat, ist für sich gesehen kein Ausschlussgrund. Eine Verwirkung des Umgangsrechts kann es nicht geben (vgl. Oelkers, a. a. O., S. 1390). Ist nämlich durch die jahrelange Nichtausübung des persönlichen Verkehrs eine Entfremdung zwischen Umgangsberechtigtem und Kindern eingetreten, wurde der dauernde Ausschluss des Umgangsrechts diese Entfremdung noch verstärken und den Absichten des Gesetzgebers zuwider laufen (OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 1277).

Dem Erfordernis, dass bei erfolgter Entfremdung eine behutsame Wiederannäherung zwischen Umgangsberechtigtem und seinem Kind zu erfolgen hat (vgl. dazu OLG Köln, FamRZ 1997, 1097), ist das Amtsgericht durch die Gestaltung des Umgangsrechtes und dessen Frequenz in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen.

Ein Ausschluss des Umgangs mit dem Kind rechtfertigt sich schließlich auch nicht auf Grund des entgegenstehenden Willens des Kindes. Zwar kann grundsätzlich der Widerstand eines Kindes den Ausschluss des Umgangsrechts rechtfertigen (vgl. Handbuch des Fachanwaltes für Familienrecht/Oelkers, 4. Aufl., Kap. 4, Rn. 675), die dafür erforderliche konkrete, in der Gegenwart bestehende Gefährdung des Kindeswohls (BGH, FamRZ 1994, 158, 160 = NJW 1994, 312, FamRZ 1984, 1084), von der nur ausgegangen werden kann, wenn nicht zu erwarten ist, dass der Widerstand des Kindes überwunden werden kann (vgl. Handbuch des Fachanwaltes für Familienrecht/Oelkers, 4. Aufl., Kap. 4, Rn 675 m. w. N., OLG Karlsruhe, FamRZ 1990, 901), ist hierin allein jedoch nicht erkennbar.

Die ablehnende Haltung B geht nicht über Verhaltensweisen hinaus, wie sie von Kindern gleichen Alters auf Grund bestehender Loyalitätskonflikte, die sich in der Ablehnung des getrennt lebenden Elternteils äußern, vorgebracht werden (vgl. OLG Celle, FamRZ 1998, 971). Soweit B in ihrem Brief vom 31.7.2002 geschrieben hat, der Antragsteller sei nicht einfühlsam genug, frage nicht, wie es ihr gehe und rede nur über sich, besteht ausweislich der Ausführungen des Antragstellers in der Beschwerdeerwiderung die begründete Aussicht, dass dieser auf die entsprechenden Erwartungen des Kindes Rücksicht nehmen wird Gleiches gilt für die von B geäußerte Ablehnung der Umarmungen durch den Antragsteller.

Sämtliche genannte Argumente von B erscheinen nicht in einer Weise schwerwiegend, dass sie nicht mit anderen Mitteln, z. B. Hinzuziehung hilfsbereiter Fachkräfte durch den Antragsteller zu den nächsten Umgangsterminen, ausgeräumt werden konnten. Dies entspricht der Einschätzung des Jugendamtes in seinem Bericht vom 30.12.2002, wonach nach dortiger Einschätzung nach den erfolgten zwei Kontakten keinesfalls feststeht, dass die seitens B geäußerte Ablehnung ihren tatsächlichen Empfindungen und Bedürfnissen entspricht.

Inwieweit dies praktisch angesichts des Umzuges des Kindes nach Osterreich umsetzbar ist, war vom Senat vorliegend nicht zu beurteilen. Der Einräumung des Umgangsrechts stehen zu erwartende Schwierigkeiten bei seiner künftigen Umsetzung nicht entgegen, da insoweit zwischen beiden strikt zu unterscheiden ist (vgl. Handbuch des Fachanwaltes für Familienrecht/Oelkers, 4. Aufl., Kap. 4, Rn. 680 m. w. N., OLG Karlsruhe, FamRZ 1990, 902). Schwierigkeiten bei der Durchführung von Besuchen sind kein Ausschlussgrund, sondern Grund zu Anstrengungen, sie zu überwinden (OLG Köln, a. a. O., 1098).

Einer persönlichen Anhörung der Beteiligten in einem Termin vor dem Senat nach §§ 50 a, 50 b FGG bedurfte es nicht. Zwar ist eine solche grundsätzlich gemäß § 12 FGG erforderlich.

Jedoch kann das Beschwerdegericht in Ausnahmefallen hiervon absehen (vgl. zu den Voraussetzungen Keidel/Kuntze/Winkler-Engelhardt, aaO, Rn. 17, 18 zu § 50 a und Rn. 19, 20 zu § 50 b jew. m. w. N.).

Da mit der Beschwerde keine neuen, entscheidungserheblichen Tatsachen vorgebracht worden sind und eine Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes nicht eingetreten, der Sachverhalt zudem hinreichend aufgeklärt und eine gütliche Einigung nicht zu erwarten ist (vgl. insoweit OLG Karlsruhe, FamRZ 1990, 901), war eine solche entbehrlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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