Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.04.2008
Aktenzeichen: 9 UF 191/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 517
ZPO § 520
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621e
BGB § 1671 Abs. 1
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 UF 191/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Sorgerechtssache

betreffend das minderjährige Kind L... H..., geboren am ... 1999

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Werr als Vorsitzende sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Rohrbach-Rödding und Gieseke als beisitzende Richterinnen auf die Anhörung vom 3. April 2008 im schriftlichen Verfahren am 16. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Die befristete Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 18. Oktober 2007 - Az. 20 F 8/07 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin streiten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter L... H.... Die Kindeseltern sind seit dem 07.09.1996 verheiratet. Sie haben L... am 15.04.2000 adoptiert, nachdem sie bereits seit deren Geburt die Pflege für sie ausgeübt hatten. Die Kindeseltern haben sich am 28.09.2006 getrennt. Die Kindesmutter ist aus dem zuvor bewohnten Familienheim ausgezogen, in dem der Kindesvater weiterhin lebt, gemeinsam mit seinen Großeltern. Auch die Eltern des Kindesvaters leben in der Nähe. Die Schule, in die L... geht, befindet sich in der unmittelbaren Nachbarschaft. L... lebte seit Januar 2007 zunächst im wöchentlichen Wechsel bei den Eltern. Sie äußerte später jedoch den Wunsch, nicht mehr wechseln zu müssen und einen festen Aufenthaltsort zu haben. Die Eltern konnten sich über einen dauerhaften Aufenthalt von L... nicht einigen.

Der Vater ist selbständig tätig. Die Kindesmutter arbeitet bei der Bahn. Sie hat nach der Adoption von L... etwa ein Jahr Erziehungsurlaub genommen und arbeitete danach zunächst im Schichtsystem, inzwischen jedoch nur noch in der Frühschicht (6:00 bis 14:00 Uhr). Der Kindesvater lebt mit einer neuen Partnerin zusammen, die ebenfalls eine Tochter hat. Diese wohnt inzwischen bei ihrem eigenen Vater.

Mit Antrag vom 03.01.2007 beantragte der Kindesvater die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn. Die Kindesmutter stellte den gegenläufigen Antrag.

Bei ihrer Anhörung durch die Amtsrichterin am 26.04.2007 hat L... betont, sie möchte nicht mehr jede Woche woanders leben und dauernd von der Mutter zum Vater ziehen und umgekehrt. Außerdem hat sie angegeben, beim Papa wohnen zu wollen. Dieser habe ihr gesagt, er sei todtraurig, wenn sie sich anders entscheiden würde. Außerdem habe sie dort ein größeres Zimmer, und der Vater habe ihr Haustiere versprochen.

Das Amtsgericht hat ein psychologisches Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. L... S... vom 27.08.2007 eingeholt. Diese hat festgestellt, der Kindesvater mache für die Trennung und das Auseinandergehen der Familie allein die Kindesmutter verantwortlich. Er sei nur eingeschränkt selbstkritisch. Im Zentrum seines emotionalen Erlebens stünden neben der Tochter verstärkt eigene Befindlichkeiten. Er habe positive Emotionen gegenüber L... und auch grundsätzlich die Fähigkeit, ihre altersspezifischen Bedürfnisse zu erkennen und zu berücksichtigen. Die Reflexion kindlicher Wahrnehmungen und Befindlichkeiten sei jedoch unzureichend tiefgründig und differenziert und nur eingeschränkt hinterfragbar. Vorherrschend wirkten das Bedürfnis des Kindesvaters, die Kontrolle zu behalten, und eine Verschlossenheit im Umgang. Die Kindesmutter sei kooperativ und beständig. Sie habe eine hohe Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit und könne Stimmungen des Kindes aufgreifen. Ihre Reflexion der kindlichen Befindlichkeiten weise viele empathische Elemente auf. Im Mittelpunkt ihres emotionalen Erlebens steht die Tochter L.... Sie habe ein hohes Verantwortungsgefühl dem Kind gegenüber. Ihr Erziehungsverhalten sei fürsorglich. Die Erziehungsfähigkeit des Vaters und seine Bedeutung für das Kind stelle die Kindesmutter nicht grundsätzlich in Frage.

Hinsichtlich L...s hat die Sachverständige ausgeführt, das Kind befinde sich in einem erheblichen Loyalitätskonflikt, sei emotional belastet und reagiere nach Angaben der Eltern und der Klassenleiterin mit Ticstörungen. L... sei bemüht, ihre eigenen Wünsche durchzusetzen und spiele die Eltern gegeneinander aus. Hinsichtlich ihres Lebensmittelpunktes habe sie bislang den Wunsch geäußert, beim Vater zu leben.

Aus ihren Untersuchungen hat die Sachverständige den Schluss gezogen, dass L... gewachsene und gefestigte Bindungen zu beiden Elternteilen habe, die als gleichwertig anzusehen seien. Sie versuche allerdings massiv, im Zusammensein mit jedem Elternteil Grenzen auszutesten und Anweisungen in Frage zu stellen. Es sei eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Störungen feststellbar. Mehrfach habe L... den stabilen Wunsch geäußert, nicht mehr von einem Elternteil zum anderen wechseln zu müssen. Die Äußerung ihres Wunsches, beim Vater zu leben, sei nicht unbeeinflusst von Äußerungen des Vaters geblieben. L... habe sich davon leiten lassen, sich an Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten zu orientieren, die sie am ehesten beim Vater erfüllt sehe. Sie identifiziere sich aber auch mehr mit dem Vater als mit der Mutter. Der Vater habe eine höhere Vorbildfunktion. Die Lebensgefährtin des Vaters akzeptiere sie vor allem deshalb, weil diese sich wenig in ihre Erziehung einmische. Hinsichtlich der Erziehungskompetenz sieht die Sachverständige keine gravierenden Unterschiede zwischen beiden Eltern. Die Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern sei deutlich eingeschränkt. Beide Eltern erkennen jedoch die Bedeutung des jeweils anderen Elternteils für das Kind an. Allerdings gebe es verstärkte Hinweise auf eine nur eingeschränkte väterliche Bindungstoleranz. Die Sachverständige hat das Bestehenlassen der gemeinsamen elterlichen Sorge befürwortet, jedoch das so genannte "Wechselmodell" als zu belastend für L... eingeschätzt. Weder ein dauerhafter Aufenthalt bei der Mutter noch beim Vater widerspreche dem Kindeswohl. Einen konkreten Vorschlag zur Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts hat die Sachverständige nicht abgegeben.

Die Kindesmutter hat zwischenzeitlich dem Wunsch L...s zugestimmt, für einige Zeit beim Kindesvater ihren Aufenthalt zu nehmen. Der Wechsel fand am 01.09.2007 statt. Im Oktober äußerte L... sodann den Wunsch, wieder bei der Mutter leben zu wollen, dem die Kindeseltern folgten.

L... wurde am 18.10.2007 erneut durch das Amtsgericht angehört. Dabei erklärte sie mehrfach, es sei ihr egal, bei wem sie lebe. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 18.10.2007 das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Kindesmutter übertragen. Im Wesentlichen hat es darauf abgestellt, die Kindesmutter habe gezeigt, dass sie bereit sei, ihre eigenen Interessen hinter die des Kindes zurückzustellen. Auch ihre Bindungstoleranz sei ausgeprägter als die des Kindesvaters. Dieser habe versucht, L... zu beeinflussen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Beschlusses Bezug genommen.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kindesvater seinen Antrag weiter. Er meint, die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn sei für die Entwicklung von L... förderlicher. Hierdurch würde die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Lebensverhältnisse am besten gewahrt. Förderungsprinzip und Kontinuitätsgrundsatz seien vom Amtsgericht missachtet worden. Auch der nachhaltige Wunsch von L..., beim ihm leben zu wollen, sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Außerdem müsse mehr Wert darauf gelegt werden, dass neben dem Kindeswohl auch die Urgroßeltern und die Großeltern väterlicherseits in nächster Nähe wohnten und aufgrund der langjährigen räumlichen Nähe und der intensiven Beziehungen ein guter familiärer Kontakt zwischen L... und den Großeltern besteht. Es sei wichtig für L..., sie nicht auch noch aus ihrem sozialen Umfeld herauszureißen.

Der Kindesvater beantragt nunmehr,

das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die am ... 1999 geborene L... H... unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 18.10.2007, Az. 20 F 8/07, auf ihn zu übertragen.

Die Kindesmutter beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kindesmutter führt aus, die Entscheidung des Amtsgerichts sei zutreffend. Sie meint, L... befinde sich aufgrund des Verhaltens des Vaters in einem Loyalitätskonflikt. Dies habe zu erheblichen Verhaltensauffälligkeiten geführt. L... habe sich zuletzt beständig dahin geäußert, weiter bei der Mutter leben zu wollen. Die ständigen Beeinflussungen des Kindesvaters, die darauf abzielten, L... möge erklären, bei ihm wohnen zu wollen, setzten das Kind massiv unter Druck. L... habe ihrer Mutter erklärt, sie traue sich nicht, ihrem Vater zu sagen, dass sie nicht dauernd bei ihm leben wolle, weil ihr Vater dies nicht akzeptiere. Außerdem habe L... von herabwürdigenden Äußerungen des Vaters und dessen Lebensgefährtin über die Mutter berichtet.

Nachdem es zunächst zu einer Verbesserung der Kommunikation zwischen den Kindeseltern durch Wahrnehmung einer Beratung der Familien- und Erziehungsberatungsstelle gekommen war, wird die Beratung seit Anfang des Jahres 2008 nicht mehr gemeinsam durchgeführt. Nach der im Anhörungstermin seitens des Jugendamtes geäußerten Auffassung hat sich der Konflikt der Kindeseltern inzwischen zugespitzt. Die Verfahrenspflegerin hat ausgeführt, ihr gegenüber habe L... zunächst geäußert, eigentlich lieber beim Vater wohnen zu wollen. Einige Tage später habe sie dies telefonisch widerrufen und angegeben, es sei ihr doch egal, bei wem sie wohne. Am Tag des Anhörungstermins habe sie gesagt, sie möchte lieber bei keinem der beiden wohnen. Es sei deutlich zum Ausdruck gekommen, dass das Kind massiv durch den Konflikt der Eltern belastet werde. Sie werde von deren Streitigkeiten quasi "zermalmt". Sie wolle endlich ihre Ruhe haben und wissen, bei wem sie dauerhaft leben solle. Die Verfahrenspflegerin hat die Empfehlung ausgesprochen, es bei der Entscheidung des Amtsgerichts zu belassen. Das Jugendamt hat keine Empfehlung abgegeben.

Dem Senat gegenüber hat sich L... dahin geäußert, es sei ihr gleichgültig, bei wem sie dauerhaft wohnen solle, sie wolle jedoch möglichst bald hierüber Bescheid haben.

II.

Die befristete Beschwerde des Kindesvaters ist gemäß §§ 621e, 621 Abs. 1 Nr. 1, 517, 520 ZPO zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht hat mit zutreffender Begründung der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L... allein übertragen.

Nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB kann einem Elternteil die elterliche Sorge bzw. ein Teil davon, allein übertragen werden, wenn die Kindeseltern nicht nur vorübergehend getrennt voneinander leben und wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.

Für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge, für die kein Regel-Ausnahme-Verhältnis gesetzlich geregelt ist (BGH, NJW 2000, 203; FamRZ 2008, 592), ist im Wege einer Prognoseentscheidung zu prüfen, inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, ob ein Wille zur Kooperation besteht, und ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen. Ein Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten zwischen den Eltern ist Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge (BGH, FamRZ 1982, 1179; FamRZ 2008,592).

Hier muss festgestellt werden, dass die Kindeseltern ungeachtet der beiderseits vorhandenen Erziehungsfähigkeit auf Grund ihrer persönlichen Probleme nicht in der Lage sind, zum Wohl L...s hinsichtlich der Bestimmung ihres dauerhaften Aufenthalts zusammenzuwirken. Es bestehen so erhebliche Spannungen zwischen den Kindeseltern, dass sie bereits zu massiven Störungen des Kindswohls geführt haben. Die Auffälligkeiten, die L... gezeigt hat, beruhen auf dem massiven Trennungskonflikt, dem das Kind seitens der Eltern ausgesetzt worden ist. Dies ergibt sich im Ansatz aus der Begutachtung der Sachverständigen, zuletzt aber auch aus dem Entlassungsbericht der Klinik, in der sich L... in der Zeit vom 21.02. bis 18.03.2008 aufhielt, und den Einschätzungen von Jugendamt und Verfahrenspflegerin. Auch die Kindeseltern selbst stellen wohl nicht in Frage, dass L... durch ihre Trennung und die daraus resultierenden Probleme erheblich belastet worden ist. Es ist leider nicht ersichtlich, dass in absehbarer Zeit eine Verbesserung ihrer Kooperationsfähigkeit zu erwarten ist. Ohne die gerichtliche Lösung der Frage, wem das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht, sind die Eltern derzeit jedenfalls nicht imstande, zum Wohl L...s in dieser Frage zusammenzuwirken. Dies hat sich zuletzt noch einmal im Anhörungstermin vor dem Senat gezeigt. Trotz der erkannten Unzuträglichkeiten für das Kind und der ebenfalls erkannten Tatsache, dass ein Wechselmodell aus Sicht des Kindes zu solchen Belastungen führt, dass es hier nicht mehr in Betracht kommt, waren die Kindeseltern auch auf eindringliche Bitte des Senats nicht in der Lage, persönliche Befindlichkeiten zurückzustellen und einvernehmlich eine Lösung auch nur zu versuchen. Da der Grundsatz gilt, dass eine Entscheidung über das Sorgerecht nur insoweit erforderlich ist, wie die Eltern darüber streiten, ist hier nur eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil erforderlich. Im Übrigen soll es - jedenfalls vorläufig - bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleiben (vgl. Johannsen/Henrich/Jäger, Eherecht, 3. Auflage, § 1671, Rz. 18; Palandt/Diederichsen, BGB, 67. Auflage, § 1671, Rz. 4 f; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Familiensenat, FamRZ 2003, 1953).

Bei der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, ist derjenigen Regelung der Vorzug zu geben, von der zu erwarten ist, dass sie im Sinne des Kindeswohls die bessere Lösung darstellt. Bei der prognostischen Beurteilung sind die folgenden Gesichtspunkte bedeutsam, wobei die Gewichtung im konkreten Fall dem Gericht überlassen ist: Förderungsgrundsatz und Erziehungseignung, Bindungstoleranz der Eltern, Bindungen des Kindes, Kontinuitätsgrundsatz und Kindeswille (Brandenburgisches Oberlandesgericht, FamRZ 2003, 1953).

Das Amtsgericht hat zutreffend festgestellt, inwieweit diese Kriterien im vorliegenden Fall erfüllt sind. Es ist davon auszugehen, dass mit der Einschätzung im Sachverständigengutachten, die insoweit von keiner Seite angegriffen worden ist, grundsätzlich sowohl die Kindesmutter als auch der Kindesvater erziehungsgeeignet sind und das Kind angemessen fördern können. Soweit leicht unterschiedliche Tendenzen bei der Erziehung zu erkennen sind, vermögen diese nicht ein Schwergewicht zu erzeugen, das sich zu Gunsten einer Aufenthaltsbestimmung für die eine oder andere Seite auswirken könnte.

Hinsichtlich der Bindungen des Kindes sind neben den gleichermaßen ausgeprägten Bindungen zu den Eltern auch die Beziehungen zu berücksichtigen, die L... zu ihren sämtlichen Großeltern hat. Diese Bindungen hat aber auch bereits das Amtsgericht beachtet und zutreffend ausgeführt, die Kontakte ließen sich auch dann noch gut pflegen, wenn L... bei ihrer Mutter wohnt. Weder ist ersichtlich, dass die Mutter den Kontakt L...s zu ihren Großeltern nicht fördern möchte, noch stellt die nicht nennenswerte Entfernung zwischen dem Wohnort der Mutter und des Kindesvaters bzw. den Großeltern eine tatsächliche Erschwerung der Umgangsausübung dar.

Weiter zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Bindungstoleranz beim Kindesvater erheblich weniger ausgeprägt ist als bei der Kindesmutter. Die massive Einflussnahme auf das Kind hat dessen Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt, wie die Sachverständige zutreffend in ihrem Gutachten dargestellt hat. Auf die Ausführungen des Amtsgerichts im angefochtenen Beschluss wird ausdrücklich Bezug genommen. Der Senat konnte nicht feststellen, worauf die möglicherweise eingetretene Verschlechterung in der Kommunikation zwischen den Kindeseltern zu Beginn dieses Jahres beruht. Insbesondere war es nicht möglich, den Vortrag der Kindesmutter nachzuvollziehen, der Kindesvater habe durch die Ankündigung, wieder auf dem Wechselmodell bestehen zu wollen, gegenüber dem Kind einen solchen Druck entfaltet, dass es die Kindesmutter als unzumutbar ansah, weiterhin gemeinsam mit ihm die Beratung aufzusuchen. Insoweit stehen sich die Aussagen beider Eltern unvereinbar gegenüber, ohne dass der Wahrheitsgehalt der einen oder anderen Aussage überprüft werden konnte. Möglicherweise lag die Verschlechterung der Kommunikation auch im Weggang der bis dahin tätigen Psychologin begründet, was keinem der Eltern anzulasten wäre. Somit bleibt es bei der Einschätzung des Amtsgerichts, der sich der Senat anschließt, wonach die Kindesmutter - trotz der auch bei ihr feststellbaren Defizite in der Kommunikation mit dem Kindesvater - eher bereit zu sein scheint, ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Befindlichkeiten hinten anzustellen, um L... ein unbeeinträchtigtes Leben zu ermöglichen. Der Kindesvater scheint eher dazu zu neigen, persönlich als beeinträchtigend empfundene Äußerungen oder Verhaltensweisen der Kindesmutter durch ein (möglicherweise unbewusstes) Verhalten gegenüber L... zu kompensieren, welches das Kind wiederum erneut belastet.

Der Kontinuitätsgrundsatz kann im vorliegenden Fall für die Entscheidung kaum herangezogen werden. An der früheren Betreuung und Erziehung waren beide Eltern beteiligt. Danach wurde ein Wechselmodell praktiziert. Auch in letzter Zeit haben die Eltern es L... ermöglicht, teils bei der Mutter und teils beim Vater zu wohnen. Die Wohnsitze der Kindeseltern liegen derzeit auch nicht soweit auseinander, dass hier wegen der Unterschiede im Schulweg oder bei dem Weg zu Freunden ein nennenswertes Übergewicht für den einen oder anderen Elternteil feststellbar wäre.

Der Kindeswille kann derzeit nicht verlässlich festgestellt werden. Der früher geäußerte Wunsch L...s, beim Vater leben zu wollen, dürfte bereits nach den Feststellungen der Sachverständigen nicht hinreichend autonom und unbeeinflusst gewesen sein. Dies mag aber offen bleiben, da L... jedenfalls seit Oktober 2007 keine stabile Willensäußerung mehr abgegeben hat. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die letzten Äußerungen des Kindes gegenüber der Amtsrichterin, der Verfahrenspflegerin und dem Senat zutreffen, wonach es ihr im Grunde gleichgültig ist, bei welchem Elternteil sie lebt, da sie ihre Eltern beide sehr liebt und schätzt und es ihr in beiden Haushalten gut geht. Die zuletzt gemachte Äußerung, sie wolle am liebsten bei keinem der beiden leben, lässt sich als Hilferuf des Kindes verstehen, nicht zwischen die Mühlsteine des elterlichen Konflikts zu geraten. Beide Eltern erkennen nicht ausreichend, dass sie durch ihre Unfähigkeit, zu einer Lösung zu gelangen, ihre Tochter massiv beeinträchtigen und ihre seelische Gesundheit gefährden. Mag es auch glücklicherweise bislang nicht zu einer ernsthaften Erkrankung gekommen sein, so zeigt doch der Aufenthalt des Kindes in der Klinik, dass L... von den ständigen Zankereien der Eltern, die auf ihrem Rücken ausgetragen werden, zermürbt ist. Die Kindeseltern bürden indirekt L... die Entscheidung von existenzieller Bedeutung für das Kind auf, nämlich bei wem sie weiter leben möchte. Sie selbst sind zwar nicht in der Lage, hier zu einer vernünftigen Lösung zu gelangen, sie vermitteln jedoch dem erst neunjährigen Kind, dass dieses die Verantwortung für die Zukunft trage. Diesen Konflikt vermag L... nur dadurch zu lösen, dass sie angibt, es sei ihr egal, bei wem sie wohnt bzw. sie möchte am liebsten bei keinem der Eltern wohnen. Der Senat erkennt dieses Verhalten als völlig beachtenswert an. Es geht nicht an, einem so jungen Kind die Verantwortung für sein künftiges Leben dadurch zuzuschieben, dass die Eltern, die hierfür die Verantwortung tragen, sich nicht einigen können. Der von L... früher immer wieder geäußerte Wunsch, beim Vater leben zu wollen, kann dementsprechend nicht als ausreichend stabil angesehen und daher nicht berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass bei jungen Kindern regelmäßig davon auszugehen ist, dass diese noch nicht in der Lage sind, einen autonomen Willen zu bilden. Hierfür ist die verstandesmäßige und seelische Reife, die eine tragfähige, selbstbestimmte und vernunftgeleitete Entscheidung über den Aufenthalt voraussetzt, erforderlich. Regelmäßig bildet der Kindeswille vor Vollendung des 12. Lebensjahres eines Kindes keine relativ zuverlässige Entscheidungsgrundlage, weil er noch nicht Ausdruck einer autonomen Selbstbestimmung ist (Johannsen/Henrich/Jäger, a.a.O., Rz. 81; Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O.; OLG Stuttgart, FamRZ 2006, 1857). Es ist hier davon auszugehen, dass die Bindung L... zu beiden Eltern gleichermaßen vorhanden ist und berücksichtigt werden muss.

Angesichts dieser Umstände ist eine Entscheidung nur schwer zu treffen, weil im Wesentlichen beide Eltern gleichermaßen geeignet sind, das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu Gunsten L...s und ihrem Wohl entsprechend auszuüben. Gleichwohl muss hier eine Entscheidung getroffen werden, weil die Eltern nicht in der Lage sind, sich zu einigen. Es bleibt deshalb nur übrig, auf die Gesichtspunkte abzustellen, die bereits das Amtsgericht bewogen haben, der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Eltern künftig wenigstens das Umgangsrecht des Kindesvaters großzügig zu regeln in der Lage sind, wobei sie sich weiter dringend einer fachkundigen Beratung bedienen sollten. Angesichts der bereits geschilderten Bindungen L...s ist es für sie besonders wichtig, nachdem der dauernde Aufenthalt geregelt ist, ihren Vater und die Großeltern väterlicherseits oft genug sehen zu können, ohne dass auf sie weiterhin Druck ausgeübt wird. Die Kindeseltern müssen sich ihrer Verantwortung stellen, die Regelungen zu treffen, ohne Druck auf das Kind auszuüben. Dies gilt besonders für die Kindesmutter, die versuchen muss, etwaige ihr negativ erscheinende Äußerungen seitens des Kindesvaters oder dessen Lebensgefährtin im Interesse ihres Kindes zu ignorieren und trotzdem mit dem Kindesvater zu kooperieren. Dies gilt aber auch für den Kindesvater, der sich im Interesse L...s nicht zurückziehen darf und ihr weiterhin das Gefühl geben muss, bei ihm ein zweites Zuhause zu haben. Eine Umgangsregelung war nicht durch den Senat zu treffen, weil ein Verfahren über den Umgang nicht anhängig ist, und es zuvörderst den Kindeseltern obliegt, sich darüber zu vereinbaren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG, die Entscheidung über die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück