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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 02.04.2008
Aktenzeichen: 9 UF 25/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, VAÜG, SGB VI


Vorschriften:

BGB § 134
ZPO § 517 Abs. 1
ZPO § 621e Abs. 1
ZPO § 621e Abs. 3
BGB §§ 1587 ff
BGB § 1587 Abs. 2
BGB § 1587o Abs. 1 S. 1
BGB § 1587o Abs. 1 S. 2
VAÜG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
VAÜG § 2 Abs. 1 S. 2
VAÜG § 2 Abs. 2
VAÜG § 2 Abs. 3
SGB VI § 101 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 UF 25/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Werr als Vorsitzende, die Richterin am Oberlandesgericht Rohrbach-Rödding und den Richter am Oberlandesgericht Götsche als beisitzende Richter

am 02.04.2008

im schriftlichen Verfahren

beschlossen:

Tenor:

Auf die befristete Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 18.01.2008 - Az.: 22 F 39/07 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das Verfahren über den Versorgungsausgleich bleibt ausgesetzt.

Es bleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf 1.000 € festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 621e Abs. 1; 3; 517 Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist begründet. Mit Recht hat sie sich darauf berufen, das Amtsgericht habe den Versorgungsausgleich nicht durchführen dürfen.

1.

Die Ehe der Parteien ist durch Urteil des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 18.08.1994 rechtskräftig geschieden worden, nachdem die Folgesache Versorgungsausgleich mit Beschluss vom selben Tag zuvor abgetrennt worden war. Durch Beschluss vom 28.05.1996 hat das Amtsgericht das Verfahren über die Folgesache Versorgungsausgleich bis zur Einkommensangleichung ausgesetzt (§ 2 Abs. 1 S. 2 VAÜG).

Unter dem 24.01.2007 hat die Beteiligte zu 1. mitgeteilt, dass der Antragsgegner eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht. Nach dieser Auskunft hat der Antragsgegner während der Ehezeit i. S. d. § 1587 Abs. 2 BGB - dies ist die Zeit vom 01.08.1976 bis zum 28.02.1993 - in der gesetzlichen Rentenversicherung nichtangleichungsdynamische Anwartschaften in Höhe von 367,08 € monatlich erworben.

Nach der Auskunft der Beteiligten zu 2. vom 21.08.2007 hat die Antragstellerin während der Ehezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung angleichungsdynamische Anwartschaften in Höhe von 206,16 € monatlich sowie nichtangleichungsdynamische Anwartschaften von 7,98 € monatlich erworben.

Auf Vorschlag des Amtsgerichts haben die Parteien im Termin vom 09.01.2008 vor dem Amtsgericht (von diesem abschließend familiengerichtlich genehmigt) vereinbart, dass "die dynamische Anwartschaft als angleichungsdynamische Anwartschaft gewertet werden soll, damit der Ausgleich zum Versorgungsausgleich auf der Basis der angleichungsdynamischen Anwartschaften durchgeführt werden kann."

Sodann hat das Amtsgericht die angefochtene Entscheidung erlassen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

2.

Bei dieser Sachlage ist der Versorgungsausgleich nicht durchzuführen. Das Verfahren bleibt vielmehr ausgesetzt.

a)

Es sind nicht nur angleichungsdynamische Anwartschaften zu berücksichtigen; der Antragsgegner verfügt zwar über die werthöheren nichtangleichungsdynamischen Anwartschaften, nicht aber über die werthöheren angleichungsdynamischen Anwartschaften. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Versorgungsausgleichs nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VAÜG liegen somit nicht vor. In einem derartigen Fall ist der Versorgungsausgleich nur durchzuführen, sofern aus einem zu berücksichtigenden Anrecht aufgrund des Versorgungsausgleichs Leistungen zu erbringen oder zu kürzen wären, § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VAÜG (Leistungsfall). Ein Leistungsfall liegt hier jedoch nicht vor.

Dabei kann die Frage offen bleiben ,ob die von dem Antragsgegner bezogene Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit als Leistung im Sinn des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VAÜG anzusehen ist, obgleich aufgrund der bisherigen Auskünfte nicht feststellbar ist, ob die Rente wieder entzogen werden kann. Jedenfalls fehlt es an der erforderlichen Auswirkung des Versorgungsausgleichs auf die erworbenen Anrechte. Bezieht der Ausgleichsverpflichtete (hier: der Antragsgegner, weil er die insgesamt höheren Anrechte besitzt) eine Leistung der Altersversorgung oder eine Rente wegen Erwerbsminderung und ist diese aufgrund des Rentnerprivilegs, § 101 Abs. 3 SGB VI, (noch) nicht zu kürzen - wie hier - so liegt keine tatsächliche Auswirkung vor.

Der Versorgungsausgleich ist deshalb grundsätzlich auszusetzen, § 2 Abs. 1 S. 2 VAÜG (OLG Naumburg, Beschluss vom 19.11.2007, Az.: 8 UF 198/07; zitiert nach juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.11.2006, Az.: 9 UF 171/06; zitiert nach juris) und nach Wiederaufnahme erst dann durchzuführen, wenn auch der Berechtigte eine Rente bezieht (OLG Naumburg, FamRZ 2003, 40; OLG Brandenburg, Beschluss vom 8.3.2007, Az.: 10 UF 85/06; OLG Nürnberg, FamRZ 1995, 1362; Rotax/Vogel, Praxis des Familienrechts, 3.A., Teil 10 Rz. 1191 ff) oder die Einkommensangleichung erfolgt ist.

b)

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der von den Parteien geschlossenen Vereinbarung vom 09.01.2008.

Dies gilt schon deshalb, weil die in § 2 Abs. 2 und 3 VAÜG genannten Wiederaufnahmegründe abschließender Natur sind und eine Wiederaufnahme aufgrund Parteivereinbarung ausscheidet (Brandenburgisches OLG, FamRZ 1998, 1441; Götsche, FamRZ 2002, 1235, 1246 m. N.).

I. Ü. ist die hier getroffene Vereinbarung unwirksam. Grundsätzlich können Ehegatten in Zusammenhang mit der Scheidung als Folge der auch in diesem Bereich geltenden Privatautonomie eine Vereinbarung über den Ausgleich von Anwartschaften nach § 1587o Abs. 1 S. 1 BGB treffen. Die Dispositionsfreiheit der Ehepartner wird allerdings insoweit begrenzt, als sie den durch die §§ 1587 ff BGB gebildeten Rahmen für Eingriffe in öffentlich-rechtliche Versorgungsverhältnisse nicht überschreiten darf. Deshalb ist eine Vereinbarung gemäß §§ 134, 1587o Abs. 1 S. 2 BGB nichtig, wenn sie zur Folge hat, dass zu Lasten des Ausgleichsverpflichteten mehr Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen werden, als dies bei Einbeziehung aller in der Ehezeit erworbenen Anwartschaften der Fall wäre (BGH, FamRZ 2001, 1701; FPR 2002, 84).

Hier liegt ein Verstoß gegen § 1587o Abs. 1 S. 2 BGB vor, der zur Nichtigkeit der getroffenen Vereinbarung führt. Zwar haben die Parteien im Grundsatz einen Weg gewählt, um einen zulässigen In-sich-Ausgleich angleichungsdynamischer Anrechte zu ermöglichen, indem sie auch die regeldynamischen Anrechte als angleichungsdynamische behandeln wollten. Auch die Richtung des Ausgleichs vom Antragsgegner zur Antragstellerin hat sich dadurch nicht geändert. Es werden aber auf diese Weise zu Lasten des Antragsgegners mehr Anwartschaften übertragen als dies ohne die Vereinbarung der Fall wäre:

Da angleichungsdynamische Anrechte bis zur Einkommensangleichung wegen der ihnen innewohnenden besonderen Wertsteigerung einen höheren Wert haben als nichtangleichungsdy-namische, führt die Vereinbarung der Behandlung aller Anrechte wie angleichungsdynamische zu einer Höherbewertung der nichtangleichungsdynamischen Anrechte. Handelt es sich - wie hier - um Anrechte des Ausgleichspflichtigen, so führt dies zu dessen Schlechterstellung, nämlich einem höheren Verlust erworbener Anrechte zu Gunsten des Berechtigten. Diese Folge des überschießenden Versorgungsausgleichs ist nach der Systematik der §§ 1587 ff BGB unzulässig und führt zur Nichtigkeit der getroffenen Regelung (BGH, a.a.O.).

Der Versorgungsausgleich hat somit derzeit zu unterbleiben; die durch Beschluss vom 18.08.1994 ausgesprochene Aussetzung des Versorgungsausgleichs dauert fort.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 13 a Abs. 1 FGG, 21 GKG, die Entscheidung zum Beschwerdewert aus § 49 GKG. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen nach § 621 e Abs. 2 in Verb. mit § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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