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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 01.11.2007
Aktenzeichen: 9 UF 58/07
Rechtsgebiete: Regelbetrag-VO, BGB, ZPO, UnterhaltsvorschussG, SGB II


Vorschriften:

Regelbetrag-VO § 2
BGB §§ 1601 ff.
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1612 Abs. 1
BGB § 1612 b Abs. 5
ZPO §§ 511 ff.
UnterhaltsvorschussG § 7 Abs. 1 Satz 1
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

9 UF 58/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 01.11.2007

verkündet am 01.11.2007

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die Berufung des Beklagten vom 5. April 2004 gegen das am 1. März 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Oranienburg auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht Götsche als Einzelrichter,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu Händen der gesetzlichen Vertreterin, Frau J... S..., Unterhalt wie folgt zu zahlen:

- ab dem 1. September 2004 bis einschließlich 30. Juni 2007 monatlich 177 €,

- ab dem 1. Juli 2007 bis einschließlich 31. Oktober 2007 monatlich 175 € und

- ab dem 1. November 2007 monatlich jeweils bis zum 3. eines jeden Monats im Voraus 100 % der jeweiligen Regelbeträge gemäß § 2 der Regelbetrag-VO gemäß der jeweiligen Altersstufe unter Abzug des gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB anzurechnenden Kindergeldes.

Im Übrigen werden die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Unterhaltsanspruch des minderjährigen Klägers.

Der Kläger ist am .... August 1999 geboren. Der Beklagte ist der Vater des Klägers. Der Kläger wohnt bei seiner Mutter, die für ihn alleinsorgeberechtigt ist; die Kindeseltern leben voneinander getrennt. Der Kläger hat in der Vergangenheit Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezogen. Insoweit ist mit Datum 29. November 2006 zwischen der Unterhaltsvorschusskasse des Landkreises O... und dem Kläger ein Rückübertragungsvertrag geschlossen worden, ausweislich dessen die seit September 2004 übergegangenen und noch übergehenden Unterhaltsansprüche des Klägers auf diesen rückübertragen worden sind. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichte Kopie des Rückübertragungsvertrages Bezug genommen.

Der Beklagte hat zunächst Arbeitslosenhilfe und seit Januar 2005 Arbeitslosengeld II (Hartz IV) bezogen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte schulde ihm Unterhalt mindestens in Höhe der Regelbeträge gemäß der Regelbetrag-VO § 2. Soweit der Beklagte dazu aus tatsächlicher Sicht nicht leistungsfähig ist, sei er seiner Ansicht nach dazu als fiktiv leistungsfähig zu behandeln.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn zu Händen seiner gesetzlichen Vertreterin, Frau J... S..., ab dem 1. September 2004 einen monatlichen jeweils bis zum Dritten eines jeden Monats im Voraus zahlbaren Unterhalt in Höhe von 100 % der jeweiligen Regelbeträge nach § 2 der Regelbetrag-VO zu zahlen, und zwar vom 1. September 2004 bis 31. Juli 2005 der 1. Altersstufe, vom 1. August 2005 bis 31. Juli 2011 der 2. Altersstufe und ab dem 1. August 2011 nach der 3. Altersstufe.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden und arbeitsunfähig zu sein. Seit 2003 befinde er sich in fachärztlicher Behandlung.

Das Amtsgericht hat mit Beweisbeschluss vom 5. Januar 2006 ein Sachverständigengutachten hinsichtlich der durch den Beklagten behaupteten gesundheitlichen Einschränkungen sowie seiner Leistungsfähigkeit eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das zur Akte gereichte schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. K... vom 1. September 2006 Bezug genommen.

Mit dem am 1. März 2007 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht Oranienburg der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er in Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Unter dem 25. Juli 2007 hat das Oberlandesgericht den Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen sowie Hinweise zum Sach- und Streitstand des Verfahrens erteilt.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 511 ff. ZPO in zulässiger Weise eingelegte Berufung des Beklagten hat in der Sache nur insoweit Erfolg, als hinsichtlich der rückständigen Unterhaltsbeträge der entsprechende Zahlbetrag auszuurteilen und dabei das gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB anzurechnende Kindergeld zu berücksichtigen war; insoweit ist die Klage abzuweisen. Im Übrigen und damit im Wesentlichen bleibt die Berufung ohne Erfolg. Dem Kläger steht ein entsprechender Unterhaltsanspruch aus den §§ 1601 ff. BGB zu. Soweit der Kläger in der Vergangenheit Unterhaltsvorschuss bezogen und daraus Bedenken an seiner Aktivlegitimation unter Berücksichtigung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Unterhaltsvorschussgesetz resultierten, ist eine entsprechende Rückübertragungsvereinbarung mit dem Träger des Unterhaltsvorschusses unter dem 29. November 2006 zustande gekommen. Insoweit bestehen die entsprechenden Bedenken an der Aktivlegitimation nicht mehr fort.

1.

Der Anspruch des Klägers folgt aus §§ 1601 ff. BGB. Soweit sich der Beklagte erstinstanzlich damit verteidigt hat, er sei vollständig arbeitsunfähig und damit nicht leistungsfähig, ist dem nicht zu folgen.

Zum einen ist er unter Berücksichtigung dessen, dass er zunächst Arbeitslosenhilfe und seit Januar 2005 Arbeitslosengeld II (Hartz IV) bezogen hat, sein Vorbringen widersprüchlich und daher unbeachtlich. Mit dem Bezug dieser Gelder erklärt der Leistungsempfänger, dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung zu stehen. Voraussetzung des Bezuges dieser Sozialleistungen ist die bestehende Erwerbsfähigkeit des Leistungsempfängers. Beruft sich eine Partei trotz Bezuges dieser Leistungen auf Erwerbsunfähigkeit, ist dieses Vorbringen als widersprüchlich zurückzuweisen (vgl. zu Hartz IV-Leistungen: Brandenburgisches OLG FamRZ 2007, 72, 73 = jurisPR-FamR 2/2007; OLG Stuttgart, OLG-Report 2006, 379).

Unabhängig davon ist in dem gerichtlicherseits eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. K... vom 1. September 2006 festgestellt worden, dass dem Beklagten jedenfalls kurzfristige Beschäftigungen im Sinne von Aushilfs- oder Hilfstätigkeiten möglich gewesen sind, also jedenfalls keine vollständige Erwerbsunfähigkeit vorlag. Den nachvollziehbaren und in sich stimmigen Ausführungen des Sachverständigen schließt sich der Senat an. Dem stellt sich der Beklagte angesichts des Inhalts seiner Berufungsschrift auch nicht mehr entgegen.

2.

Aber auch soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, angesichts seiner eingeschränkten Erwerbsfähigkeit zur Zahlung des titulierten Regelbetrages von 100 % gemäß § 2 Regelbetrag-VO nicht in der Lage zu sein, führt sein Vorbringen nicht zum Erfolg der Berufung. Für seine die Sicherung des Regelbetrages betreffende Leistungsunfähigkeit ist der gem. § 1603 Abs. 2 BGB verpflichtete Elternteil in vollem Umfange darlegungs- und beweisbelastet (BGH FamRZ 2002, 536 ff.). Er hat einerseits darzulegen, dass seine tatsächlichen Mittel nicht genügen, um den eigenen Bedarf und denjenigen des Kindes zu decken, andererseits auch, dass er alles Zumutbare unternommen hat, um seine Leistungsfähigkeit herzustellen.

a.

Der Beklagte hat bereits seine tatsächliche Leistungsfähigkeit zur Zahlung des Regelbetrags nicht ausreichend substanziiert. Eine systematische Darstellung des Beklagten über seine seit Mitte 2004 tatsächlich erhaltenen Gelder, auch solche aus Türsteher- oder weiteren ausgeübten Nebentätigkeiten, fehlt ebenso wie eine substantiierte Erklärung darüber, welche Vermögenswerte er in dieser Zeit hatte. Der Beklagte ist aber zur Sicherung des Existenzminimums des Klägers sogar zur Verwertung seines Vermögensstammes verpflichtet. Eventuelle Ausgaben beispielsweise für die Anschaffung von Hausrat oder eines Autos besitzen insoweit Nachrang.

b.

Darüber hinaus muss er sich auch als fiktiv leistungsfähig zur Zahlung des Regelbetrages behandeln lassen. Denn aus den ihm möglichen Nebentätigkeiten kann er Einkünfte erzielen, mit denen er einerseits den Bedarf des Klägers decken kann und die er andererseits nicht für die Deckung des eigenen Bedarfes, d. h. die Wahrung seines Selbstbehaltes, benötigt.

Ein gem. § 1603 Abs. 2 BGB verschärft haftender Unterhaltspflichtiger hat sich intensiv, d.h. unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten um die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen. Er muss alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt des Kindes verwenden, alle Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen, um ein die Zahlung des Regelbetrages sicherstellendes Einkommen zu erzielen (BVerfG, FamRZ 2003, 661). Bei eigener Arbeitslosigkeit hat sich der Pflichtige durch intensive Suche um eine Erwerbsstelle zu bemühen; bei Arbeitsstellen mit geringeren Einkommen oder sonstigen Bezügen sind zusätzliche Gelegenheits- und Aushilfstätigkeiten zumutbar (Brandenburgisches OLG ZFE 2007, 192, 193; OLG Köln ZFE 2007, 195).

Dabei ist zu beachten, dass derartige Nebeneinkünfte anrechnungsfrei gegenüber dem Bezug von Hartz IV-Leistungen (vor dem 01.01.2005: Arbeitslosenhilfe) wären.

Unterhaltsansprüche, denen ein Unterhaltsverpflichteter ausgesetzt ist, sind von seinem Einkommen abzuziehen, wenn es um den Unterhalt von minderjährigen (erstrangigen) Kindern geht (SozG Dortmund, FamRZ 2005, 1935 = JAmt 2005, 144; Fichtner/Wenzel-Augstein, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl. 2005, Rz. 3). Das für diese Unterhaltszwecke eingesetzte Einkommen bleibt daher anrechnungsfrei gemäß § 11 II Satz 2 SGB II, sodass es ohne Auswirkungen auf den Bezug von Leistungen auf Arbeitslosengeld II ist. Ein zum Unterhalt verpflichteter Hartz IV-Empfänger kann Erwerbseinkommen in Höhe der (titulierten) Unterhaltsbeträge beziehen, ohne befürchten zu müssen, dass das Erwerbseinkommen seine Bezüge nach dem SGB II mindert (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II in der seit 1. August 2006 geltenden Fassung) und entspricht auch der obergerichtlicher Rechtsprechung (Brandenburgisches OLG, FamRZ 2006, 1297, 1299; OLG Koblenz, FamRB 2006, 297; Götsche, FamRB 2006, 373).

Dem Kläger stehen nach § 2 Regelbetrag-VO (1. Altersstufe) seit September 2004 monatlich 188 € und seit Juli 2007 monatlich 186 € zu. Angesichts der geringen Höhe dieser Beträge bestehen keine Bedenken, dass der Beklagte sich zumindest als fiktiv leistungsfähig zur Zahlung dieser Beträge behandeln lassen muss, da er in der Lage ist, durch Ausübung von Nebentätigkeiten diese Beträge monatlich zu erwirtschaften.

3.

Erfolg kommt der Berufung damit allein insoweit zu, als im angefochtenen Urteil eine Anrechnung des Kindergeldes unterblieben ist. Gemäß § 1612 Abs. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte anzurechnen, wenn an den barunterhaltspflichtigen Elternteil Kindergeld nicht ausgezahlt wird, weil ein anderer vorrangig berechtigt ist. Die Anrechnung unterbleibt nur dann, soweit kein Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages nach der Regelbetrag-VO geleistet werden kann, § 1612 b Abs. 5 BGB. Da die gesetzliche Vertreterin des Klägers das Kindergeld bezieht, hat grundsätzlich eine Anrechnung zu erfolgen. Im Rahmen der 1. Altersgruppe führt dies zu einer Anrechnung von 11 € monatlich, sodass dem Kläger zunächst ein Zahlbetrag von 177 € (= 188 € - 11 €) und ab 1. Juli 2007 von 175 € (= 186 € - 11 €) zusteht. In diesem Umfange bedarf das angefochtene Urteil der Korrektur.

Nebenentscheidungen

Die zu Lasten des Beklagten getroffene Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO. Insoweit ist das Obsiegen des Klägers hinsichtlich der anzurechnenden Kindergeldbeträge derart gering, dass ihm die vollen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen waren.

Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Ziff. 10 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Weder haben die hier entschiedenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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