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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 18.12.2008
Aktenzeichen: 9 UF 64/08
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, GKG


Vorschriften:

BGB § 7
BGB § 8
BGB § 9
BGB § 10
BGB § 11
BGB § 11 Satz 1
BGB § 1712
ZPO § 128 Abs. 1
ZPO § 310 Abs. 1
ZPO § 310 Abs. 2
ZPO § 313 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
ZPO § 549 Abs. 2
ZPO § 640 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 640 a Abs. 1 Satz 1
GKG § 21 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht -Cottbus vom 26.05.2008 (Aktenzeichen: 51 F 132/08) aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Berufung vorbehalten bleibt. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.000,00 € festgesetzt (§§ 48 Abs. 3 Satz 3, 47 GKG).

Tatbestand:

Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Feststellung der Vaterschaft in Anspruch. Im Verfahren wird sie durch das Jugendamt Lichtenberg von Berlin als Beistand gemäß § 1712 BGB vertreten.

Die Klägerin wurde am ...2005 als Kind der K. A.-F. geboren. Die Kindesmutter ist nicht verheiratet und lebt in Berlin. Ihr steht die alleinige elterliche Sorge zu. Für die Kindesmutter ist eine Betreuung eingerichtet worden.

Die Klägerin lebt im Bezirk des Amtsgerichts Cottbus in einer sogenannten Dauerpflegestelle. Die Fremdunterbringung ist mit Zustimmung der Kindesmutter erfolgt.

Die Klägerin hat die Klage beim Amtsgericht Cottbus erhoben. Sie hat behauptet, dass sie vom Beklagten abstamme. Während der gesetzlichen Empfängniszeit habe der Beklagte mit ihrer Mutter geschlechtlich verkehrt.

Der Beklagte hat es abgelehnt, die Vaterschaft für das klagende Kind - ohne Einholung eines Abstammungsgutachtens - anzuerkennen. Die Kindesmutter habe auch zu anderen Männern geschlechtliche Beziehungen unterhalten.

Mit Urteil vom 26.05.2008 hat das Amtsgericht Cottbus die Klage abgewiesen, weil das örtlich unzuständige Gericht angerufen und auf einen entsprechenden Hinweis kein Verweisungsantrag gestellt worden sei. Die Entscheidung ist ohne mündliche Verhandlung und ohne Anordnung des schriftlichen Verfahrens ergangen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 29.07.2008, mit der sie die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache erreichen will. Das angerufene Amtsgericht sei örtlich zuständig, da die alleinsorgeberechtigte Mutter durch die Zustimmung zur dauerhaften Fremdunterbringung für das Kind einen neuen Wohnsitz bei den Pflegeeltern im Gerichtsbezirk Cottbus begründet habe.

Die Klägerin beantragt,

den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts - Familiengerichts - Cottbus vom 26.05.2008 (Aktenzeichen: 51 F 132/08) an das Amtsgericht Cottbus zur erneuten mündlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte ist anwaltlich nicht vertreten. Er strebt eine Führung des Prozesses in Berlin an, wo er lebt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere nicht verfristet. Durch Beschluss vom 08.09.2008 hat der Senat der Klägerin gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) gewährt. Die Berufung gilt damit als fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517, 520 Abs. 2 ZPO).

Die Berufung hat auch Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ist eine Zurückverweisung zulässig, wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist, eine weitere Verhandlung zur Sache erforderlich ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt hat. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist es zur Entscheidung der vorliegenden Vaterschaftsfeststellungsklage (§ 1600 d BGB) berufen. Die örtliche Zuständigkeit ist gegeben.

Gemäß § 640 a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist in Kindschaftssachen, wozu das Verfahren auf Vaterschaftsfeststellung gehört (§ 640 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO), das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk das Kind seinen Wohnsitz oder bei Fehlen eines inländischen Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wo der Wohnsitz des Kindes ist, ergibt sich aus den §§ 7 - 11 BGB (Zöller/Philippi, ZPO, 27. Auflage, § 640 Rn. 49).

Das klagende Kind hat seinen Wohnsitz im Bezirk des angerufenen Amtsgerichts.

Gemäß § 11 Satz 1 BGB teilt das minderjährige Kind grundsätzlich den Wohnsitz der sorgeberechtigten Eltern. Steht das Personensorgerecht - wie hier - nur einem Elternteil zu, teilt das Kind nur dessen Wohnsitz. Die Regelung des § 11 BGB ist aber nicht zwingend. Neben oder anstelle des gesetzlichen Wohnsitzes kann gemäß §§ 7, 8 BGB ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden (Palandt/Heinrichs/Ellenberger, BGB, 67. Auflage, § 11 Rn.1; Schmitt in Münchener Kommentar, BGB, 5. Auflage, § 11 Rn. 2; Soergel/Fahse, BGB, 13. Auflage, § 11 Rn. 12, jeweils m.w.N.). So verhält es sich hier. Die alleinsorgeberechtigte Mutter hat der Fremdunterbringung des Kindes zugestimmt. Die Klägerin lebt seit geraumer Zeit in einer Pflegefamilie, die im Bezirk des Amtsgerichts wohnhaft ist. Das ist unstreitig. Durch ihr Verhalten hat die Mutter zum Ausdruck gebracht, dass der Wohnort der Pflegeeltern auf unbestimmte Zeit der Lebensmittelpunkt des Kindes sein soll. Es liegt damit eine Wohnsitzbegründung für das Kind abweichend vom gesetzlichen Wohnsitz vor. Geben Eltern ihr Kind auf nicht absehbare Zeit in die Obhut einer Pflegefamilie, so begründen sie im Zweifel durch diesen Umstand den Kindeswohnsitz am Wohnort der Pflegefamilie, auch wenn ihr Sorgerecht in dieser Zeit fortbesteht (OLG Köln, FamRZ 1996, 859, 860; BayObLG, Beschluss vom 15.10.1993 - 1Z AR 34/93; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20.04.1983 - 3 W 32/83 - veröffentlicht bei JURIS).

Eine andere rechtliche Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil für die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter ein Betreuer bestellt worden ist. Die Anordnung der Betreuung (§ 1896 BGB) als solche hat keine Auswirkung auf die elterliche Sorge, da der Betreute durch die Betreuerbestellung nicht geschäftsunfähig wird. Der Betreuer ist nicht Vertreter des Betreuten in dessen elterlichen Angelegenheiten (Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1673 Rn. 5). Die Mutter konnte mithin im Rahmen der ihr zustehenden Personensorge (§§ 1626 a Abs. 2, 1631 Abs. 1 BGB) eine Aufenthaltsbestimmung für das klagende Kind treffen.

Festzuhalten bleibt, dass die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben ist. Die Vaterschaftsfeststellungsklage ist auch im Übrigen zulässig. Das Amtsgericht hätte die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen.

Wegen dieses Mangels ist die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO an die Vorinstanz zurückzuverweisen, da der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif ist und die Klägerin einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die Zurückverweisung ist sachdienlich, da umfangreich Beweis zu erheben ist. Der für das Kindschaftsverfahren geltende Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 640, 616 Abs. 1 ZPO) verpflichtet das Gericht, von sich aus alle Beweise zu erheben, die zur möglichst sicheren Klärung der Vaterschaft des in Anspruch genommenen Mannes führen (BGH, FamRZ 1996, 1001; NJW 1994, 1348, 1349). Danach hat das Gericht alle zur Verfügung stehenden Beweise einzuziehen, bis es die volle Überzeugung von der Vaterschaft des Mannes gewonnen hat. Da der Zeugenbeweis ein relativ unzuverlässiges Beweismittel ist, muss im Regelfall ein Abstammungsgutachten eingeholt werden (Zöller/Philippi, a.a.O., § 640 Rn. 33 m.w.N.). Vor der Begutachtung ist zu klären, ob die Mutter in der Empfängniszeit mit mehreren Männern geschlechtlich verkehrt hat; diese Tatsache kann Einfluss auf die biostatische Auswertung haben (BGH, FamRZ 1982, 691; FamRZ 1990, 615). Zu diesem Zweck sind die Mutter, der angebliche Vater und die Mehrverkehrszeugen zu hören.

Der Umstand, dass der Beklagte in der Berufungsinstanz anwaltlich nicht vertreten ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. In einem Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft nach § 640 Abs. 2 Nr. 1 ZPO darf gegen den Beklagten kein Versäumnisurteil ergehen (§§ 640 Abs. 1, 612 Abs. 4 ZPO). Das gilt auch bei Säumnis des Berufungsbeklagten, wenn dieser - wie hier - zugleich Beklagter ist (Zöller/Philippi, a.a.O., § 612 Rn. 9). Das Klagevorbringen gilt als bestritten und ist sachlich nachzuprüfen. Das Gericht entscheidet nach einseitiger streitiger Verhandlung durch kontradiktorisches Urteil.

Zu erwähnen bleibt, dass das erstinstanzliche Verfahren auch im Übrigen Mängel aufweist. Das Urteil vom 26.05.2008 ist entgegen § 128 Abs. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung ergangen. Eine Zustimmung der Parteien, eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen, liegt auch nicht vor (§ 128 Abs. 2 ZPO). Des Weiteren ist das Urteil vom 26.05.2008 auch nicht verkündet, sondern den Parteien nur zugestellt worden. Es liegt ein Verstoß gegen § 310 Abs. 1 und 2 ZPO vor. Schließlich enthält die Urschrift des Urteils (Bl. 27) entgegen § 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch kein vollständiges Rubrum. Die Frage, ob die aufgezeigten Verfahrensmängel eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO rechtfertigen würden, kann dahinstehen. In jedem Fall sind - wie bereits ausgeführt - die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO gegeben.

Dem Amtsgericht bleibt die Entscheidung auch über die außergerichtlichen Kosten der Berufung vorbehalten (Zöller/Heßler, a.a.O., § 538 Rn. 58). Von der Erhebung von Gerichtskosten für die Berufungsinstanz wird wegen unrichtiger Sachbehandlung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abgesehen.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 549 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

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