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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: 9 UF 68/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 520 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 522 Abs. 1
ZPO § 233
ZPO § 114
ZPO § 119 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen den Ausspruch zum Unterhalt in dem am 17. März 2009 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Guben - Ziff. IV. des Tenors - wird verworfen.

2. Der Antrag der Beklagten vom 30. Juli 2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

5. Der Berufungswert wird auf 2.736 € festgesetzt (1.560 € betreffend Kindesunterhalt für das Kind M... und 1.176 € betreffend Kindesunterhalt für das Kind C...).

Gründe:

I.

Die Berufung ist wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig, §§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO, 522 Abs. 1 ZPO. Das am 17. März 2009 verkündete, hinsichtlich des Ausspruchs zum Kindesunterhalt angefochtene Urteil des Amtsgerichts Guben ist der Beklagten am 27. April 2009 zugestellt worden (Empfangsbekenntnis Bl. 111 d.A.). Die der Beklagten auf ihren Schriftsatz vom 22. Juni 2009 (Bl. 137 d.A.) antragsgemäß bis zum 29. Juli 2009 verlängerte Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung (Verfügung der Senatsvorsitzenden vom 25. Juni 2009, Bl. 138 d.A.) hat die Beklagte nicht eingehalten. Ihre Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 28. Juli 2009, Bl. 139 d.A.) ist erst nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist am Folgetag, dem 30. Juli 2009, beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen.

II.

Der in zulässiger Weise gestellte Antrag der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 30. Juli 2009 (Bl. 150 d.A.) auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 233 ZPO liegen nicht vor, da die Beklagte nicht ausreichend glaubhaft gemacht hat, ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Begründung der Berufung verhindert gewesen zu sein.

1. Der Rechtsanwalt muss alles ihm nur Zumutbare tun und veranlassen, damit er jede einzelne Frist einhält (BGH NJW 1985, 1710). Wichtige Berechnungen, Kontrollen und Überwachungen muss er grundsätzlich persönlich vornehmen. Er darf sie allenfalls seinem Sozius, einem speziell mit der Sache beauftragten Volljuristen als Mitarbeiter oder einem langjährigen Bürovorsteher übertragen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67 Aufl. 2009, § 233, Rn. 50).

Die strengen Pflichten betreffen insbesondere die Sicherstellung des rechtzeitigen Einganges eines Schriftstückes beim Adressaten, hier damit der Berufungsbegründung beim empfangszuständigen Brandenburgischen Oberlandesgericht. Zwar ist der Rechtsanwalt befugt, Fristen grundsätzlich bis zum letzten Tag auszunutzen; dann trifft ihn aber eine erhöhte Sorgfaltspflicht (BVerfG NJW 2000, 574; BGH BB 2007, 1078). Soweit die Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 28. Juli 2009 vormittags und damit einen Tag vor Fristablauf die Berufungsbegründungsschrift persönlich in den Postausgang gegeben hat, traf sie wegen der einen Tag später ablaufenden Frist unter Beachtung der gängigen Postlaufzeiten eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Insoweit kann sie sich auch nicht darauf berufen, dass im " hiesigen" Postverkehr - gemeint ist wohl der Postverkehr am Ort ihrer Kanzlei in K... - die Post binnen eines Tages beim Adressaten eintrifft. Zum einen kann dies nicht bundesweit übertragen werden, daher auch nicht betreffs der Postlaufzeit zum Brandenburgischen Oberlandesgericht. Zum anderen birgt eine derart kurze Postlaufzeit schon in grundsätzlicher Hinsicht die Gefahr, dass es nur bei optimalem Verlauf zu einem rechtzeitigen Eingang beim Adressaten kommt. Verzögerungen im Postlauf muss der Rechtsanwalt aber grundsätzlich einkalkulieren (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 233, Rn. 137), nur im Nahverkehr genügt die Aufgabe einen Tag vor Fristablauf (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 233, Rn. 157).

Daran ändert auch nichts, dass nach den (i.Ü. nicht nach § 236 Ab.2 ZPO glaubhaft gemachten) Angaben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten die " hiesigen Gerichte" - gemeint sind wohl die für ihren Kanzleiort zuständigen Gerichte - um ein Absehen von der parallelen Versendung der Schriftsätze per Telefax gebeten haben. Auch eine derartige "Vereinbarung" entbindet den Prozessbevollmächtigten von seinen Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Überwachung des rechtzeitigen Eingangs beim Empfänger eines fristgebundenen Schriftstückes nicht. Erst recht gilt dies unter Beachtung dessen, dass jedenfalls eine solche "Vereinbarung" nicht zwischen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten und dem Brandenburgischen Oberlandesgericht besteht.

Trafen hiernach die Prozessbevollmächtigte wegen der späten Absendung der Berufungsbegründungsschrift erhöhte Sorgfaltspflichten, hat sie dagegen mangels der ausreichenden Kontrolle des Eingangs beim Brandenburgischen Oberlandesgericht verstoßen. Soweit sie insoweit dazu vorträgt, dass in der Kanzlei grundsätzlich die Regel gelte, am Fristablauftermin telefonisch nachzufragen, ob der Posteingang erfolgt ist, entlastet sie dies nicht. Insoweit kann zunächst von einem allgemeinen Organisationsverschulden dahingehend ausgegangen werden, dass innerhalb der Kanzlei lediglich grundsätzlich die Regel der telefonischen Nachfrage gilt; bei postalischer Absendung von Schriftsätzen einen Tag vor Ablauf einer Frist bedarf es aber einer einschränkungslosen Regelung dahingehend, dass der Posteingang kontrolliert wird, jedenfalls soweit es die Versendung an kein " hiesiges" Gericht der Prozessbevollmächtigten betrifft. Darüber hinaus erschließt sich für den Senat nicht, wer für diese telefonische Nachfrage innerhalb der Kanzlei zuständig ist. Es fehlt an jeglichen weiterführenden Angaben dazu, ob diese Aufgabe durch die Kanzleiangestellten oder durch die Rechtsanwälte selbst wahrzunehmen ist und welche genauen Regelungen/Anweisungen insoweit zu befolgen sind. Schon hieraus folgt die mangelnde Darlegung unverschuldeten Verhaltens.

Selbst bei Zurückstellung dieser Bedenken ergibt sich aber nichts anderes. Sollte der Kontrollanruf Aufgabe eines Angestellten in der Kanzlei sein, fehlt es an jeglichen weiteren Angaben (bzw. deren Glaubhaftmachung) der Prozessbevollmächtigten der Beklagten hinsichtlich der Schulung, Überwachung sowie der Qualifikation dieses Personals, zumal zu beachten ist, dass für die Berufungsbegründungsfrist als Notfrist die Kontrolle nur zuverlässigen Angestellten überlassen werden darf und die bloße Behauptung deren Zuverlässigkeit nicht genügen würde (allg. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 233, Rn. 146). Insoweit würde zumindest ein verschuldetes Verhalten der Prozessbevollmächtigten hinsichtlich ihrer Überwachungs- und Prüfungspflichten innerhalb des Kanzleibetriebes vorliegen.

Die abschließenden Ausführungen auf Seite 2 ihres Schriftsatzes vom 30. Juli 2009 (Bl. 151 unten d.A.) sowie der Inhalt ihrer beigefügten eidesstattlichen Versicherung mögen aber darauf hindeuten, dass die Prozessbevollmächtigte selbst für die telefonische Nachfrage des rechtzeitigen Posteinganges zuständig ist. Dann jedoch liegt ihr Verschulden darin, dass sie die gebotene Nachfrage unterlassen (vergessen) hat. Das Vergessen einer zur Fristwahrung notwendigen Handlung ist in der Regel schuldhaft (BGH VersR 1980, 942). Der Rechtsanwalt darf notwendige, der Fristwahrung dienende Handlungen auch dann nicht vergessen, wenn er wie üblich in seinem Beruf abgelenkt wird (BGH VersR 1975, 40). Die behauptete " derzeit bestehende Arbeitsüberlastung" entschuldigt das Versäumnis damit nicht, unabhängig davon, dass zu der Arbeitsüberlastung weiterführende Angaben, die eine Überprüfung und Bewertung ermöglichen würden, fehlen. Die gewählte Formulierung deutet zudem darauf hin, dass die Arbeitsüberlastung bereits längerfristig besteht; gerade dann obliegt es aber dem Rechtsanwalt durch weitere Maßnahmen sicherzustellen, dass derartige Unterlassungen im Geschäftsbetrieb nicht vorkommen. Erst recht gilt dies, wenn - wie es hier der Fall ist - die Prozessbevollmächtigte an dem Tag der zur Fristwahrung vorzunehmenden Handlung terminsbedingt abwesend ist. Ein Rechtsanwalt, der Fristen regelmäßig selbst kontrolliert, hat dafür zu sorgen, dass sein Vertreter - so er die Kontrolle nicht vornehmen kann - die Frist ebenfalls selbst kontrolliert; der Hinweis auf eine bestehende Überlastung entschuldigt dann nicht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 233, Rn. 103). Auch dazu fehlen jedoch jegliche weiteren Angaben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten.

2. Zuletzt kommt die Wiedereinsetzung auch nicht deshalb in Betracht, weil über den Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden war. Die Fristversäumung der um Prozesskostenhilfe ersuchenden Partei ist nur dann unverschuldet, wenn die Mittellosigkeit der Partei für die Fristversäumung kausal geworden ist.

Entscheidend für die Frage der (Nicht-)Ursächlichkeit der Mittellosigkeit für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist allerdings, ob der beim Berufungsgericht zugelassene Rechtsanwalt bereit war, die Berufung auch ohne die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu begründen (BGH FamRZ 2008, 1520, 1521). Holt die Partei die Prozesshandlung nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor Entscheidung über das Prozesskostenhilfe-Gesuch nach, so ist zwar grds. davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit für die zunächst unterlassene Prozesshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist; dieser Grundsatz gilt aber nur, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt (BGH FamRZ 2008, 1520, 1521). Im vorliegenden Fall ergibt sich Gegenteiliges aus dem prozessualen Verhalten der Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Bereits die begehrte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist lässt erkennen, dass Zeitmangel und nicht die Mittellosigkeit Ursache für die mangelnde Abfassung der Berufungsbegründungsschrift war (vgl. auch die Hinweise von Zimmermann in seiner Anmerkung zur vorgenannten BGH-Entscheidung, FamRZ 2008, 1522 unter Ziffer 7.). Im Anschluss an die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten erkennbar darum bemüht, die Berufungsbegründungsschrift noch rechtzeitig - innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist - beim Brandenburgischen Oberlandesgericht anzubringen. Sie wollte die verspätet eingereichte Berufungsbegründungsschrift fristgemäß anbringen, wie ihren eigenen Ausführungen im Rahmen ihres Wiedereinsetzungsgesuches zu entnehmen ist. Dass dies nur deshalb misslungen ist, weil über die begehrte Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden war, lassen weder ihr Sachvortrag noch ihre Handlungen erkennen. Erst recht gilt dies, weil hier nicht lediglich der Entwurf einer Berufungsbegründungsschrift (wie es dem Fall des BGH FamRZ 2008, 1520 zugrunde lag), sondern unzweifelhaft diese selbst eingereicht worden ist.

III.

Der gestellte Prozesskostenhilfeantrag war wegen mangelndem Erfolg für die eingelegte - unzulässige - Berufung zurückzuweisen, §§ 114, 119 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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