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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.12.2001
Aktenzeichen: 9 UF 87/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, EStG, GKG


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 652 Abs. 1
BGB § 1612 b Abs. 5
EStG §§ 31 ff.
EStG §§ 64 ff.
GKG § 17 Abs. 1
GKG § 17 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 UF 87/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Unterhaltssache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 7. Mai 2001 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Guben durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Landgericht ... und den Richter am Amtsgericht ...

am 6. Dezember 2001

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Beschwerdewert beträgt 1.620,00 DM.

Gründe:

Die gem. § 652 Abs. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die Bedenken des Beschwerdeführers gründen sich darauf, dass er hinsichtlich der in § 1612 b Abs. 5 BGB getroffenen Regelung zur Anrechnung von Kindergeld eine Verletzung der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK sieht und die Vorschrift aus diesem Grunde für verfassungswidrig hält. Der Senat teilt diese Bedenken nicht.

Die Zahlung des Kindergeldes beruht auf der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs gemäß den §§ 31 ff., 64 ff. EStG. Sinn und Zweck dieser Neuregelung liegen im Wesentlichen in der steuerrechtlichen Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes, dem auch das Kindergeld vorrangig dient (vgl. § 31 S. 1 EStG). Das monatlich gezahlte Kindergeld ist danach charakterisiert als eine Steuervergütung bzw. Steuerrückvergütung (s. auch § 31 S. 3 EStG). Es stellt so betrachtet eine Vorausleistung auf die einkommenssteuerliche Entlastung durch den Kinderfreibetrag, die bei Nichtzahlung von Kindergeld ansonsten im Lohnsteuerjahresausgleich bzw. bei der Steuerveranlagung gewährleistet würde, dar.

Subsidiär zu dieser Funktion als Steuervergütung soll das Kindergeld auch der Familienförderung dienen (sogenannte Doppelfunktion des Kindergeldes). Übersteigt etwa das Kindergeld den Wert der steuerlichen Entlastung durch den Kinderfreibetrag, so verbleibt der überschießende Betrag dem Berechtigten als Leistung der allgemeinen Familienförderung (§ 31 S. 2 EStG), das heißt insoweit liegt eine staatliche Sozialleistung vor. Deutlich wird dies für untere Einkommensgruppen, die nur in geringem oder gar keinem Umfang steuerlich belastet sind. Liegt das zu versteuernde Jahreseinkommen unterhalb eines Betrages von etwa 17.000,00 DM nach der Grundtabelle bzw. von etwa 27.000,00 DM nach der Splittingtabelle, so hat der Kinderfreibetrag keine Auswirkungen auf die Einkommenssteuerschuld und stellt damit das gezahlte Kindergeld auch keine Einkommenssteuerrückvergütung dar; in diesen Fällen ist das Kindergeld vielmehr reine Sozialleistung. Umgekehrt sinkt dieser sozialstaatliche Zweck bei steigenden Einkommen ab, wobei sich in gleichem Verhältnis der originäre Zweck der Steuerrückvergütung verstärkt (zum Ganzen eingehend Schwonberg, JAmt 2001, 309, 311 f.; siehe auch Graba, Zur Neuregelung der Kindergeldanrechnung, NJW 2001, 249, 252).

Danach ist festzustellen, dass es sich bei dem Kindergeld um unterhaltsrechtliches Einkommen handelt. Zwar hat dieses Einkommen keine Auswirkung bei der Berechnung des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten, da die mit dem Familienlastenausgleich verbundene Zweckbestimmung des Kindergeldes (Erleichterung der Unterhaltslast der Eltern) sonst in ihr Gegenteil verkehrt werden würde. Zur Deckung des ohne Berücksichtigung des Kindergeldes errechneten Bedarfes des Kindes, insbesondere des Mindestbedarfes des Kindes, ist das Kindergeld jedoch einzusetzen; es handelt sich insoweit um Einkommen (zuletzt BGH FamRZ 1997, 806, 810; siehe auch Schwonberg a. a. O., S. 3112 f. sowie Graba a. a. O.; ferner Wohlgemuth, Mindestunterhalt und Dynamisierung des Kindergeldanteils, FuR 2001, 390, 391), welches die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners erhöht. Hieran bestehen schon deshalb keine Bedenken, weil die Hauptfunktion des Kindergeldes gerade in der vorausgezahlten Steuerrückerstattung zu sehen ist und jedenfalls im Rahmen der Leistungsfähigkeit an der Berücksichtigung von Steuervergütungen als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen keine Bedenken bestehen.

Stellt sich jedoch hiernach das Kindergeld als unterhaltsrechtliches Einkommen dar, bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken an seinem Einsatz zur Deckung des Mindestbedarfes des Kindes gem. § 1612 b Abs. 5 BGB.

Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz liegt nicht vor, da eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nicht erkennbar ist.

Der Wille des Gesetzgebers war es, mit der Neuregelung des § 1612 b Abs. 5 BGB das Existenzminimum des Kindes zu sichern (BT-Drucksache 14/3781, S. 8). Die Zahlung des Kindergeldes ist keine wert- und zielfreie Subvention von Eltern. Der Staat hat aus dem Grundgesetz den Auftrag, das Existenzminimum im Interesse des Kindes steuerlich freizustellen, aber auch, das Existenzminimum für das Kind überhaupt sicherzustellen (vgl. auch BVerfG FamRZ 1999, 291; i. Ü. Heger, Die Änderung des § 1612 b Abs. 5 BGB - Schlußstein oder Neubeginn, FamRZ 2001 S. 1412). Die Grenze der Anrechenbarkeit des staatlichen Kindergeldes stellt deshalb das Barexistenzminimum des Kindes dar. Daher hat die Anrechnung zu unterbleiben, solange der 135-%ige Regelbetrag und damit das Existenzminimum des Kindes nicht gezahlt werden kann. Dabei kann dahinstehen, inwieweit für den jeweiligen Elternteil sich die Zahlung des Kindergeldes als steuerliche Rückvergütung oder als sozialstaatliche Zuwendung darstellt. Die Zahlung des Kindergeldes dient - wie dargestellt - letztlich der Deckung des Bedarfs des Kindes durch die Freistellung des Existenzminimums des Kindes von der Besteuerung; kann der barunterhaltspflichtige Elternteil diesen allein nicht leisten, ist es gerechtfertigt, sowohl den steuerlichen Vergütungsanteil als auch den etwaigen sozialen Förderanteil des Kindergeldes dem Kind - zumindest mittelbar - zukommen zu lassen. Mit der Zweckbestimmung des Kindergeldes zur Sicherstellung des Existenzminimums des Kindes ist aber ein sachlicher Grund für eine ungleiche Anrechnung des Kindergeldes bei den (einerseits betreuenden, andererseits barunterhaltspflichtigen) Elternteilen gegeben (OLG Düsseldorf FamRZ 2001, 1096, 1097; Schwonberg a. a. O. S. 314; im Ergebnis auch Graba a. a. O. S. 252 sowie Becker, § 1612 b Abs. 5 BGB n. F. - Ein Virus, FamRZ 2001, 1266).

Zwar verbleibt dem betreuenden Elternteil das hälftige Kindergeld in voller Höhe, wohingegen dem barunterhaltspflichtigen Elternteil dieses nicht bzw. lediglich anteilig verbleibt, soweit er den Unterhalt nicht in Höhe von 135 % des Regelbetrages zahlen kann. Diese ungleiche Behandlung der Eltern ist aber sachlich gerechtfertigt. Mit seiner Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes durch die persönliche Pflege und Erziehung des Kindes beizutragen, erfüllt der betreuende Elternteil seine Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums des Kindes vollständig. Ist dagegen der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund seiner Einkommensverhältnisse nicht in der Lage, den Barunterhalt gleichwertig, das heißt ebenfalls das materielle Existenzminimum des Kindes in Form von Barunterhalt zu gewährleisten, muss er auch den ihm zustehenden Kindergeldanteil hierfür einsetzen (s. auch Heger a. a. O.). Bar- und Betreuungsunterhalt sind insoweit gleichwertig, beide Eltern haben jeweils den ihnen zukommenden Teil des Existenzminimums des Kindes sicherzustellen.

Bedenken an der Charakterisierung der gesetzlichen Neuregelung als "Existenzminimum" ergeben sich auch nicht daraus, daß nach dem Unterhaltsvorschußgesetz nach wie vor nur der Regelbetrag abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu zahlen ist. Diese Anrechnung beruht allein auf fiskalischen Gründen (Gerhardt in: Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 3. Aufl. 2001, 6. Kap. Rn. 147 a; DIJUF-Rechtsgutachten JAmt 2001, 180). Dies mag einen Bruch im System darstellen, ändert aber nichts an der Zulässigkeit der gesetzgeberischen Absicht, den Anspruch des Kindes gegenüber den Eltern auf das Existenzminimum durch die Neuregelung zu § 1612 b Abs. 5 BGB zu erhöhen.

Eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist auch nicht darin zu sehen, dass barunterhaltspflichtige Eltern bis zu einem bereinigten monatlichen Nettoeinkommen von 4.300,00 DM jeweils denselben Zahlbetrag - unabhängig von der Höhe ihres Einkommens - zu leisten haben. Zwar ist darin eine relative Ungleichbehandlung durch die stärkere Belastung finanzschwächerer Unterhaltsschuldner gegenüber finanzstärkeren durch den Unterhalt enthalten. Diese liegt aber in der Natur der Sache und ist daher nicht zu beanstanden. Das primäre Ziel der Regelung, die Sicherung des Existenzminimums des Kindes, stellt einen sachlichen Grund dar, Unterhaltsschuldner unterschiedlicher Einkommensgruppen hinsichtlich der Höhe des Mindestunterhaltes gleich zu behandeln. Im Übrigen stellen sich insoweit die Interessen des Kindes als höherrangiger gegenüber denjenigen des Unterhaltsschuldners an einer möglichst ausgewogenen Behandlung mit etwas besserverdienenden Unterhaltsschuldnern dar. Das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners selbst wird jedenfalls durch die Wahrung dessen notwendigen Selbstbehalts gewährleistet (zum Ganzen OLG Düsseldorf a. a. O.; Schwonberg a. a. O. S. 395).

Zuletzt kann auch kein Verstoß gegen Art. 6 Grundgesetz (Schutz der Familie) bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK (Achtung der Familie) i. V. m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG festgestellt werden.

Bedenken können nicht damit begründet werden, daß durch die Nichtanrechnung des Kindergeldes der Unterhaltspflichtige die Kosten des Umganges aus seinen verbleibenden Einkünften, damit möglicherweise auch - sofern ihm nur dieser verbleibt - aus seinem Selbstbehalt aufzubringen hat.

Das steuerfreie Existenzminimum des Kindes umfasst nicht nur den sachlichen, vielmehr auch den Betreuungs- und Erziehungsbedarf. Mit der Gewährung des Kinderfreibetrages bzw. der Zahlung des Kindergeldes wird also nicht nur der allgemeine Lebensbedarf des Kindes abgedeckt, vielmehr soll hierdurch auch der notwendigen Betreuung und Erziehung des Kindes Rechnung getragen werden und auch insoweit eine Entlastung der Eltern erfolgen. Da hiernach die hälftige Anrechnung des Kindergeldes auch der Entlastung des Unterhaltspflichtigen hinsichtlich der Kosten des Umganges dienen soll, wird es nach der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung als gerechtfertigt angesehen, ihm aus diesem Grunde die entstehenden Umgangskosten nicht zusätzlich einkommensmindernd bei der Leistungsfähigkeit anrechnen zu lassen (vgl. nur BGH FamRZ 1995, 215).

Die mit der Neuregelung des § 1612 b Abs. 5 BGB danach insoweit gegebenenfalls verbundene Belastung des Barunterhaltspflichtigen ist aber als nachrangig zu dem gesetzgeberischen Ziel der Existenzsicherung zu betrachten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dem Betreuungs-/Erziehungsbedarf nicht die vorrangige Zweckbestimmung bei der steuerrechtlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes zukommt (eingehend Schwonberg a. a. O. S. 395). Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Betreuungs- und Erziehungsbedarf auf beide Elternteile ungleich verteilt ist und daher dem barunterhaltspflichtigen Elternteil naturgemäß ein geringerer Anteil des insoweit anfallenden Aufwandes zugute zu halten ist, da seine Kontakte mit dem Kind in aller Regel in erheblich geringerem Umfange als auf Seiten des betreuenden und erziehenden Elternteils stattfinden werden. Jedenfalls aber stellt sich die Sicherung des Existenzminimums des Kindes als höherrangiger gegenüber einer Entlastung des Unterhaltspflichtigen von den Kosten des Umganges dar, weshalb ein Verstoß gegen den Schutzzweck des Art. 6 GG nicht festgestellt werden kann (so auch OLG Düsseldorf a. a. O. S. 1098; im Ergebnis auch Schwonberg a. a. O.).

Im Übrigen ist der Aufwand für die Kosten des Umganges in erheblichem Umfang von den persönlichen Verhältnissen abhängig; ein in örtlicher Nähe lebender barunterhaltspflichtiger Elternteil wird naturgemäß nur in geringer, möglicherweise überhaupt keine Umgangskosten haben. Es ist aber nicht Aufgabe des Gesetzgebers, jegliche finanzielle familiäre Belastung, wie sie durch die Erziehung und Betreuung von Kindern entsteht, in vollem Umfange auszugleichen (Becker a.a.O.; Schwonberg a. a. O. S. 393 m. w. N.).

Nach alledem stellt sich die in § 1612 b Abs. 5 BGB getroffene gesetzliche Neuregelung als verfassungsgemäß dar (so auch OLG Düsseldorf a. a. O.; OLG Celle JAmt 2001, 368; OLG Hamm JAmt 2001, 368; Graba a. a. O.; Schwonberg a. a. O.; i. E. auch Becker sowie Heger, jeweils a. a. O. ; a. A. AG Kamenz FamRZ 2001, 1094 ff).

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1 ZPO, 17 Abs. 1 und Abs. 4 GKG.

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