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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.07.2002
Aktenzeichen: 9 WF 100/02
Rechtsgebiete: EGZPO, ZPO, BGB


Vorschriften:

EGZPO § 26 Nr. 10
ZPO § 113 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 118
ZPO § 118 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 568 Abs. 1 Satz 1 n.F.
ZPO § 643
BGB § 1573
BGB § 1573 Abs. 1
BGB § 1573 Abs. 2
BGB § 1574 Abs. 1, Abs. 2
BGB § 1579 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 100/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 10. Juni 2002 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 22. Mai 2002 durch

die Richterin am Oberlandesgericht... als Einzelrichterin

am 10. Juli 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 22. Mai 2002 abgeändert:

Der Antragsgegnerin wird Prozesskostenhilfe für den von ihr beabsichtigten Antrag auf Ehegattenunterhalt bewilligt.

Zur Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwältin ... in ... beigeordnet.

Gründe:

Zur Entscheidung über die Beschwerde ist gemäß §§ 26 Nr. 10 EGZPO, 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO n.F. der Einzelrichter berufen.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte Beschwerde der Antragsgegnerin ist form- und fristgerecht eingelegt worden und hat auch in der Sache Erfolg.

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg, da die Antragsgegnerin den geltend gemachten Unterhaltsanspruch gemäß § 1579 Nr. 6 BGB verwirkt habe. Zur weiteren Begründung hat es auf den Inhalt des Beschlusses vom 22.5.2002 im Parallelverfahren 31 F 488/99 betreffend den Trennungsunterhalt und damit im Ergebnis auf die in diesem Verfahren durchgeführte Beweisaufnahme verwiesen.

Die Antragsgegnerin begehrt vom Antragsteller nach Rechtskraft der Scheidung Unterhalt gemäß § 1573 Abs. 1 BGB bzw. aus § 1573 Abs. 2 BGB.

Dies setzt voraus, dass der bedürftige Ehegatte nicht in der Lage ist, eine angemessene Berufstätigkeit im Sinne des § 1574 Abs. 1, Abs. 2 BGB zu finden bzw. die Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zum vollen Unterhalt, wie er sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen darstellt, nicht ausreichen.

Da jeder Ehegatte nach der Scheidung grundsätzlich verpflichtet ist für sich selbst zu sorgen (§ 1569 BGB), sind an die Erwerbsbemühungen der Antragsgegnerin hohe Anforderungen zu stellen. Die Antragsgegnerin hat bisher nicht dargelegt, dass sie sich in ausreichendem Umfang um eine angemessene Tätigkeit bemüht hat, wie sie sie während der Ehe ausgeübt hat. Die Antragsgegner hat zwar vereinzelte Bewerbungen behauptet, aber nur eine einzige konkrete Bewerbung vorgelegt. Darüber hinaus fehlt es an der Vorlage tatsächlicher Bewerbungen, sodass auch die Ernsthaftigkeit ihrer Bewerbungen bisher nicht nachgeprüft werden kann. Der Antragsgegnerin ist deshalb bei der Frage der Erfolgsaussicht ihres Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt derzeit ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit vorzuwerfen und ihr ist ein fiktives Einkommen anzusetzen. Dieses ist der Höhe nach mit 2.000 bis 2.100 DM anzunehmen, da jedenfalls aus dem bei den Akten befindlichen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 1998 ersichtlich ist, dass die Beklagte im Rahmen ihrer während der Ehe ausgeübten Erwerbstätigkeit kein höheres Nettoeinkommen erzielt hat und der Senat in der Regel ein Einkommen in dieser Höhe als erzielbar ansieht.

Auch bei Zugrundelegung eines fiktiven Einkommens von 2.100 DM ist dieses aber nicht bedarfsdeckend.

Der Bedarf der Antragsgegnerin richtet sich hierbei grundsätzlich nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Diese waren von der Berufstätigkeit beider Ehepartner geprägt, wobei der Antragsteller eindeutig höheres Einkommen erzielt hat. Ferner waren die ehelichen Lebensverhältnisse von dem Wohnen im Hausgrundstück des dem Antragsteller zu Alleineigentum gehörenden Hauses geprägt.

Die Höhe dieses Wohnvorteils ist derzeit nicht festzustellen, da die Parteien, insbesondere die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klägerin nicht zur Größe, zum Alter und zum Bauzustand des von den Eheleuten bewohnten Hausgrundstücks vorgetragen hat. Des Weiteren wären gegebenenfalls auch hierauf entfallende Belastungen - insbesondere Kreditverbindlichkeiten - in Abzug zu bringen, sowie die verbrauchsunabhängigen Kosten. Da dies im Hauptsacheverfahren weiter zu klären ist, hat der Senat davon abgesehen, den Prozesskostenhilfeanspruch der Klägerin betreffend die Höhe des von ihr geltend gemachten Unterhaltsanspruchs teilweise zu versagen.

Ebenso wird das Amtsgericht im Rahmen der ihm von § 643 ZPO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen haben, die aktuellen Einkommensverhältnisse des Antragstellers festzustellen, um in der Hauptsache die genaue Höhe des Unterhaltsanspruchs feststellen zu können.

Dagegen war die Prozesskostenhilfe nicht etwa deshalb zu versagen, weil dieser Anspruch dem Grunde nach bereits verwirkt ist.

Soweit das Amtsgericht im Verfahren 31 F 488/99 - Trennungsunterhalt - im Rahmen der beantragten Prozesskostenhilfe eine Beweisaufnahme zu dem von dem Antragsteller und dortigen Beklagten vorgetragenen Verwirkungsgründen durchgeführt hat, hat das Amtsgericht unzulässigerweise eine Beweisanordnung in das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren vorverlagert.

Gemäß § 118 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 ZPO dürfen Zeugen und Sachverständige im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren grundsätzlich nicht vernommen werden. Damit will der Gesetzgeber vermeiden, dass im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren die Beweisaufnahme der Hauptsache vorweg genommen wird. Das Prozesskostenhilfeverfahren soll den gerichtlichen Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG erfordert, nicht selbst leisten, sondern zugänglich machen. Nur ganz ausnahmsweise, nur dann, wenn auf andere Weise nicht geklärt werden kann, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig ist, gestattet das Gesetz gemäß § 118 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 ZPO u. a. die Vernehmung eines Sachverständigen. Diese Ausnahme ist vorliegend jedoch nicht einschlägig. Dabei ist zu beachten, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, abgesehen vom Erfordernis der so genannten Prozessarmut des Antragstellers und fehlender Mutwilligkeit seines Rechtsschutzziels, nur hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung voraussetzt, die keineswegs volle Beweisführung erfordert, sondern, und auch das nur auf Verlangen des Gerichts - § 113 Abs. 2 Satz 1 ZPO -, glaubhaft zu machen ist. Rechtfertigt aber das gegebenenfalls glaubhaft gemachte Vorbringen des Antragstellers die Annahme der hinreichenden Erfolgsaussicht der von ihm beabsichtigten Rechtsverfolgung, dann ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

So liegt es aber hier. Denn die Klägerin hat einen dem Grunde nach bestehenden Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gemäß § 1573 BGB dargelegt, und auch unter Berücksichtigung des ihr gegebenenfalls fiktiv anzurechnenden Einkommens besteht hinreichende Erfolgsaussicht auf einen Unterhaltsanspruch wegen des wesentlich höheren Einkommens des Antragstellers und gegebenenfalls der Berücksichtigung eines Wohnvorteils.

Damit hat die Antragsgegnerin aber einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt in der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausreichenden Weise dargelegt. Daraus wiederum folgt, dass die Verfahrensweise des Amtsgerichts durch § 118 ZPO nicht gedeckt war, weil sie auf eine unzulässige Vorverlagerung der dem Hauptverfahren vorzubehaltenden Beweisaufnahme in das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren hinausläuft.

Dies muss hier umso mehr gelten, als das Amtsgericht nicht zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen Beweis erhoben hat, sondern zu den Einwendungen des Antragstellers, für die dieser darlegungs- und beweispflichtig ist. Die Berücksichtigung der vom Beklagten eingewandten Verwirkung des Unterhaltsanspruchs bereits im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens wäre also nur dann in Betracht gekommen, wenn der Sachvortrag hierzu unstreitig wäre.

Soweit das Amtsgericht für seine im Hauptsacheverfahren zu treffende Entscheidung die Einwendung der Verwirkung zu berücksichtigen hat, wird es im Übrigen eine umfassende Billigkeitsabwägung vorzunehmen haben. Dies insbesondere unter Berücksichtigung der fast 30 Jahre währenden Ehe der Parteien und des Umstandes, dass die ehrenrührigen Äußerungen der Antragsgegnerin von dieser in einem relativ kurzen Zeitraum nach der Trennung der Parteien erfolgt sind und hierzu wird es den Vortrag der Beklagten, ihre psychische Verfassung zum damaligen Zeitpunkt betreffend, abzuwägen haben. Hierbei wird das Amtsgericht auch zu erwägen haben, inwieweit die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs zeitlich zu begrenzen ist. Soweit das Amtsgericht hierbei eine Verwirkung aus § 1579 Nr. 6 BGB annehmen wollte, wäre darüber hinaus zu berücksichtigen, dass eine Verwirkung eines Unterhaltsanspruchs nur insoweit in Betracht kommt, als dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihm liegendes Fehlverhalten zur Last zu legen ist. Hieran könnte es schon deshalb fehlen, weil nach den im Parallelverfahren vorgetragenen Umständen, die zur Trennung der Eheleute geführt haben, nach dem dort nicht bestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin der Antragsteller schon seit mehreren Jahren außereheliche Verhältnisse hatte und dies auch der Grund für die von ihm herbeigeführte Trennung war.

Ende der Entscheidung

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