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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2003
Aktenzeichen: 9 WF 177/03
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG


Vorschriften:

ZPO § 620 S. 1
ZPO § 620 a
ZPO § 620 b
ZPO § 620 b Abs. 2
ZPO § 620 c
ZPO § 620 c S. 1
ZPO § 620 c S. 2
ZPO § 620 d
ZPO § 620 e
ZPO § 620 f
ZPO § 620 g
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 g Satz 2
BGB § 70 Abs. 1 Satz 3
BGB § 1631 b
BGB § 1631 b Satz 1
BGB § 1666
BGB § 1696
BGB § 1800
BGB § 1900
BGB § 1915
BGB § 1915 Abs. 1
FGG §§ 70 ff.
FGG § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 177/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

betreffend das minderjährige Kind C... S..., geb. am ... 1988, wohnhaft: ..., derzeitiger Aufenthalt: Kinder- und Jugendpsychiatrie, ... Kliniken GmbH, ...,

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Kindesmutter und Beschwerdeführerin vom 18. September 2003 gegen den die familiengerichtliche Genehmigung der Unterbringung betreffenden Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 11. September 2003 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 29. September 2003

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird verworfen.

Die Kosten folgen der Hauptsache.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Das betroffene Kind leidet an insulinpflichtiger Diabetes mellitus. Im Jahre 2001 wurde zusätzlich der Verdacht auf Magersucht bekannt. Seit etwa Mitte des Jahres 2002 hat die Tochter mindestens 10 kg an Körpergewicht abgenommen. Im März 2003 wurden seitens der behandelnden Ärztin Dr. O... die Wiegedaten (Körpergewicht) des betroffenen Kindes im Verhältnis zu Alter und Größe als schon lebensbedrohlich eingeschätzt. Des Weiteren zeigte sich ein Entwicklungsstillstand bei der Tochter sowie eine nicht altersgerechte Nahrungsaufnahme.

Mit den Beschlüssen vom 3. bzw. 18. Juni 2003 hat das Amtsgericht Neuruppin im Wege der einstweiligen Anordnung der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht der Gesundheitsfürsorge für die betroffene Tochter entzogen und die Pflegschaft zu Gunsten des Jugendamtes Landkreis ... angeordnet. Dabei hat das Amtsgericht ausgeführt, die Kindesmutter habe keine ausreichenden Maßnahmen getroffen, um den gesundheitlichen Bedrohungen für die Tochter entgegenzuwirken. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden der Kindesmutter hat der Senat mit Beschluss vom 4. August 2003 (Az.: 9 WF 117/03 und 9 WF 118/03) zurückgewiesen.

Nachdem im Folgenden allenfalls eine Stabilisierung des Gewichtes erreicht werden konnte, forderte das Jugendamt von der Kindesmutter die Einlieferung des betroffenen Kindes in die Kinder- und Jugendpsychiatrie der ... Kliniken in ..., dem derzeitigen Aufenthaltsort der Tochter. Gleichwohl brachte die Kindesmutter die Tochter in dem Uni-Klinikum ... am 11. September 2003 unter. Mittels polizeilicher Gewalt wurde das betroffene Kind sodann auf Veranlassung des Jugendamtes am 12. September 2003 nach Neuruppin in die Kinder- und Jugendpsychiatrie der ... Kliniken GmbH überführt.

Auf Antrag des Jugendamtes hat das Amtsgericht - Familiengericht - Neuruppin im Wege der einstweiligen Anordnung unter dem 11. September 2003 die geschlossene Unterbringung des betroffenen Kindes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der ... Kliniken GmbH in ... für die Dauer von sechs Wochen zur Untersuchung des Gesundheitszustandes, zur Diagnostizierung, medizinischen Heilbehandlung sowie zur therapeutischen Begleitung familienrechtlich genehmigt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unzulässig.

1.

Die Statthaftigkeit der eingelegten sofortigen Beschwerde folgt zwar grundsätzlich aus § 621 g Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 620 c S. 1 ZPO. Das Amtsgericht - Familiengericht - hat im Wege der einstweiligen Anordnung die geschlossene Unterbringung des betroffenen Kindes familiengerichtlich genehmigt. Die Genehmigung durch das Familiengericht gem. § 1631 b BGB unterfällt den das kindliche Sorgerecht betreffenden Familiensachen des § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl. 2003 § 621 Rn. 33a), weshalb für die Anfechtung darauf beruhender einstweiliger Anordnungen nach § 621 g S. 2 ZPO die Regelungen der §§ 620 a bis 620 g ZPO entsprechende Anwendung finden.

Nach §§ 621 g S. 2, 620 S. 1 ZPO kommt eine Anfechtung aber nur dann in Betracht, wenn die angefochtene Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erlassen worden ist; im Übrigen besteht Unanfechtbarkeit, §§ 621 g S. 2, 620 c S. 2 ZPO. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist aber ohne mündliche Verhandlung erfolgt, bislang ist lediglich das betroffene Kind durch das Amtsgericht in der Unterbringungsstätte angehört worden. Damit ist eine Anfechtung der getroffenen Maßnahme ausgeschlossen, der Beschwerdeführerin steht allein die Möglichkeit offen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gem. § 620 b Abs. 2 ZPO zu beantragen.

2.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

a.

Zunächst bestehende Bedenken an der funktionellen Zuständigkeit des Amtsgerichts - Familiengerichts - zu der Erteilung der familiengerichtliche Genehmigung gemäß § 1631 b BGB.

Eine Unterbringung des Kindes nach § 1631 b Satz 1 BGB, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur mit Genehmigung des Familiengerichts zulässig. Die grundsätzlichen Voraussetzungen dieser Norm liegen vor, gerade die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung stellt einen Fall der Freiheitsentziehung dar.

Nach dem an sich eindeutigen Wortlaut des § 1631 b BGB besteht für die Erteilung der Genehmigung die Zuständigkeit des Familiengerichts. Bedenken an der Zuständigkeit des Familiengerichts ergeben sich aber aus dem Umstand, dass zu Gunsten des betroffenen Kindes auf Grund der vorangegangenen Entscheidungen des Amtsgerichts über das Sorgerecht das Jugendamt vorläufig als Pfleger bestellt ist.

§ 1631 b BGB gilt primär für die Unterbringung eines Kindes durch die Eltern oder den sorgeberechtigten Elternteil, daneben wegen der Verweisungsvorschriften der §§ 1800 BGB bzw. 1915 Abs. 1 BGB entsprechend auch für die Unterbringung eines Kindes durch den Vormund, sofern Vormundschaft besteht, bzw. durch den Pfleger, sofern Pflegschaft besteht. Schwierigkeiten bereitet insoweit die Berücksichtigung der für die Unterbringung geltenden Verfahrensvorschriften der §§ 70 ff. FGG. Dort findet sich eine Differenzierung zwischen Mündel betreffende Unterbringungsmaßnahmen nach den §§ 1631 b, 1800, 1900 BGB in § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a FGG und Unterbringungsmaßnahmen außerhalb von Vormundschaft und Pflegschaft in § 70 Abs. 1 Satz 3 BGB. Schon aus dieser Unterscheidung wird erkennbar, dass in Fällen, in denen eine Vormundschaft oder Pflegschaft besteht und § 1631 b BGB lediglich über die Verweisungsvorschriften der §§ 1800, 1915 BGB Anwendung findet, nicht das Familiengericht, sondern das Vormundschaftsgericht zuständig sein soll (OLG Hamburg, MDR 1999, 164; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl. 2003, § 621, Rn. 33 a). Dies entspricht auch der Begründung des dem § 1631 b BGB in heutiger Form zu Grunde liegenden Gesetzentwurfes zum Kindschaftsrechtsreformgesetz. Aus dem Gesetzgebungsverfahren ergibt sich, dass bei Unterbringungsverfahren, die mit einer Maßnahme nach § 1666 BGB in Zusammenhang stehen, wegen des Sachzusammenhangs beider Entscheidungen eine einheitliche Zuständigkeit - und zwar die des Familiengerichts - begründet werden soll (BT-Drucksache 13/4899, S. 159 f.). Hieraus ist zu schlussfolgern, dass das Familiengericht für die Entscheidung nach § 1631 b BGB nur insoweit zuständig ist, als es sich um eine "isolierte" Entscheidung handelt, d. h. diese Vorschrift nicht nur auf Grund der vorgenannten Verweisungsvorschriften der §§ 1800 oder 1915 BGB anzuwenden ist. Erfasst werden also diejenigen Fälle, in denen entweder die alleinsorgeberechtigten Eltern den Antrag auf Genehmigung stellen oder in denen der Antrag zwar von dritter Seite gestellt wird, aber die alleinige Sorgeberechtigung der Eltern (noch) fortbesteht. Besteht dagegen eine Vormundschaft oder Pflegschaft, so ist das Vormundschaftsgericht funktionell für die Erteilung der Genehmigung zuständig.

Von dieser grundsätzlichen Trennung zwischen Familien- und Vormundschaftsgericht dürfte auch nicht dann abzuweichen sein, wenn - wie es vorliegend der Fall ist - die Vormundschaft oder Pflegschaft durch eine familiengerichtliche Entscheidung nach § 1666 BGB ausgelöst worden ist (so aber Wille, § 1631 b BGB in der amtsgerichtlichen Praxis, ZFJ 2002, 85, 89). Zwar ist nicht zu verkennen, dass das Amtsgericht auf Grund des ausgesprochenen Sorgerechtsentzuges nach § 1666 BGB weiter in das Verfahren einbezogen ist, insbesondere wegen § 1696 BGB Überwachungsaufgaben besitzt. Weitergehende, über die Anordnung der Vormundschaft oder Pflegschaft (§ 1697 BGB) hinausgehende Kompetenzen folgen daraus für das Familiengericht aber nicht; das Handeln des Vormundes oder Pflegers ist nach seiner Bestellung durch das Familiengericht allein der vormundschaftsgerichtlichen Überprüfung oder Genehmigung ausgesetzt. Eine weitergehende Differenzierung danach, ob das Amtsgericht wegen der Nähe der vorangegangenen Entscheidung zum Sorgerecht auch noch für zeitlich spätere Entscheidungen nach § 1631 b BGB zuständig ist, würde weitergehenden Streit darüber aufwerfen, bis wann von einem solchen zeitlichen Zusammenhang ausgegangen werden kann und damit dem Zweck des Gesetzgebers, das Verfahren zu vereinfachen, widersprechen. Klarer erscheint es daher, dem Familiengericht die funktionelle Zuständigkeit zur Genehmigung nach § 1631 b BGB nur insofern zuzuweisen, als noch keine vorangegangene Entscheidung über die Bestellung eines Vormundes oder Pflegers für das betroffene Kind vorliegt (so i. E. wohl auch OLG Hamburg a. a. O.).

b.

Unabhängig von den vorstehend geäußerten Bedenken an der funktionellen Zuständigkeit dürfte das Amtsgericht darüber hinaus zu Unrecht über den Unterbringungsort entschieden haben. Das Familien- oder Vormundschaftsgericht genehmigt lediglich die Unterbringung als solche; die Unterbringung selbst erfolgt dagegen durch den Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts (Weinreich/Klein, Kompaktkommentar Familienrecht, 2002, § 1631 b, Rn. 4). Die Auswahlentscheidung der jeweiligen Einrichtung, in der das Kind untergebracht werden soll, obliegt den Eltern oder dem Vormund bzw. Pfleger (BayObLG, FamRZ 1992, 105, 106; Palandt/Diederichsen, BGB, 62. Aufl. 2003, § 1631 b, Rn. 8).

Gleichwohl wird - zumindest durch das als Pfleger insbesondere für das Recht der Gesundheitsfürsorge bestellte Jugendamt - zu prüfen sein, ob die Unterbringung des betroffenen Kindes in der Jugendpsychiatrie der ... Kliniken in ... dem Wohl des betroffenen Kindes tatsächlich am besten entspricht, dies angesichts der Notwendigkeit einer nicht allein psychiatrisch psychologischen, sondern vielmehr unter Berücksichtigung der Diabetes und weiteren gesundheitlichen Einschränkungen einer umfassenderen Untersuchung und Betreuung des betroffenen Kindes.

3.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 621 g S. 2, 620 g ZPO, 30 Abs. 2, 131 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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