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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 13.12.2006
Aktenzeichen: 9 WF 314/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 569 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 620 c Satz 1
BGB § 1671 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 314/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

betreffend das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das minderjährige Kind K... P..., geb. am ... 1999,

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 28. September 2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 8. September 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Werr als Einzelrichterin

am 13. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Der Beschwerdewert wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe:

Die nach § 620 c Satz 1 ZPO zulässige, insbesondere gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den nach mündlicher Verhandlung erlassenen Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 8. September 2006, mit dem dem Kindesvater im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das betroffene Kind übertragen wurde, führt in der Sache nicht zum Erfolg. Unter Berücksichtigung der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat das Amtsgericht nach derzeitigem Stand mit zutreffenden Gründen dem Antragsgegner das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter vorläufig übertragen.

Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 BGB ist bei gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, die nicht nur vorübergehend voneinander getrennt leben, die elterliche Sorge - oder Teile hiervon - einem Elternteil allein zu übertragen, wenn bei widerstreitenden Anträgen hierzu zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der gesetzlichen Konzeption kein Regel-AusnahmeVerhältnis in dem Sinne besteht, dass eine Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" in Betracht kommen sollte (BGH NJW 2000, 203, m.w.N.). Danach ist zu prüfen, inwieweit beide Elternteile uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen (BVerfG FamRZ 1982, 1179). Das Kindeswohl hat sich dabei an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindungen des Kindes an seine Eltern und gegebenenfalls seine Geschwister sowie am geäußerten Willen des Kindes zu orientieren (BGH FamRZ 1990, 392).

Die dargestellten Grundsätze gelten uneingeschränkt auch, soweit es nur um Teilbereiche der elterlichen Sorge geht. Im besonderen Maß trifft dies auf das - im vorliegenden Fall streitige - Aufenthaltsbestimmungsrecht zu, da es sich bei dieser Entscheidung über den künftigen Lebensmittelpunkt des Kindes um eine Angelegenheit von erheblicher Tragweite handelt. Auch soweit die Eltern lediglich die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts begehren, ist die Entscheidung an den dargestellten Grundsätzen im Rahmen der summarischen Prüfung des einstweiligen Anordnungsverfahrens zu messen (vgl. hierzu insgesamt Brandenburgisches OLG, NJWE-FER 2001, 230).

Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts hat zu erfolgen, da es an der Kooperationsbereitschaft der Kindeseltern hinsichtlich der Frage des Lebensmittelpunktes des Kindes fehlt. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass zukünftig die Aussicht auf eine (erneute) Einigung der Eltern hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung besteht.

Wie das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt hat, bietet der Kontinuitätsgrundsatz, also die Frage, welcher Elternteil in der Vergangenheit die größeren Erziehungsanteile innegehabt hat, keine geeignete Entscheidungsgrundlage. Nach diesem Grundsatz, der auf der Erfahrung beruht, dass die Fortdauer familiärer und sozialer Bindungen wichtig für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung des heranwachsenden Menschen ist, empfiehlt sich eine Sorgerechtsübertragung auf denjenigen Elternteil, der die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität des Erziehungsverhältnisses und seiner äußeren Umstände gewährleisten kann (OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 1511; Oelkers in: Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 3. Aufl., S. 296). Aufgrund der ganztägigen Berufstätigkeit beider Eltern wurde das betroffene Kind im hier zu beurteilenden Fall bereits in der Vergangenheit teilweise in einem Kindergarten, nun in Schule und Hort betreut, wohin es morgens jeweils von einem Elternteil gebracht und nachmittags von der es anschließend betreuenden Großmutter väterlicherseits oder einer Tante abgeholt wurde, bis es schließlich nach Beendigung der Berufstätigkeit der Eltern in deren Haushalt zurückkehrte. Dabei war jedenfalls in der Vergangenheit ein größerer Erziehungsanteil eines Elternteils nicht feststellbar. Wenn sich die Kindeseltern nun - ersichtlich vor dem Hintergrund des laufenden Verfahrens - bemüht haben, beiderseits die Zeiten ihrer Berufstätigkeit den Bedürfnissen des Kindes stärker anzupassen, so ändert dies zunächst einmal an dem Erfordernis der teilweisen Betreuung K... durch Dritte in Schule und Hort nichts. Einzig die Abholung des Kindes im Verlauf des nachmittags durch einen Elternteil anstelle eines anderen Familienangehörigen hätte ermöglicht werden können. Sofern dies nach dem vom Kindesvater bestrittenen Vorbringen der Antragstellerin im Rahmen des Beschwerdeverfahrens dennoch nicht geschehen ist, liegt in diesem Umstand aber im Verhältnis der Situation zuvor für das betroffene Kind noch keine Verschlechterung; die stundenweise Versorgung im Haushalt der Großmutter war es auch bisher gewohnt. Ganz abgesehen davon, vermag dieser Aspekt nicht zu einer anderweitigen Beurteilung des Kontinuitätsgrundsatzes zu führen.

Demgegenüber kann der Kontinuitätsgrundsatz nicht losgelöst davon betrachtet werden, dass dem Kind möglichst die vertraute Umgebung erhalten bleiben soll. Neben den Erziehungsanteilen der Eltern kommt gerade diesem Gesichtspunkt eine große Bedeutung zu. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang den bis zur Trennung als Familienheim genutzten Haushalt des Kindesvaters aufgrund seines baulichen Zustands als einem Kind unzuträglich darstellt, ist ihr zunächst einmal vorzuhalten, dass sie die dortigen Verhältnisse nach eigenem Bekunden für sich selbst und K... längere Zeit über hingenommen hat, also offenkundig für nicht so gravierend erachtete, wie sie dies nun gewertet wissen will. Nach der speziell auf die Wohnsituation bezogenen Stellungnahme des Jugendamtes vom 30. August 2006 ist indes davon auszugehen, dass dort räumlich sicherlich keine optimalen, jedoch auch keine das Kindeswohl gefährdenden Zustände herrschen. Dennoch wird der Kindesvater gehalten sein, im Hinblick auf die Förderung der weiteren schulischen Entwicklung K... für einen solchen baulichen Zustand Sorge zu tragen, der es dem Kind ermöglicht, etwa in geordnetem Rahmen seine Hausaufgaben zu erledigen. Augenblicklich ist allerdings für das gerade eingeschulte Mädchen noch keine zwingende Notwendigkeit beispielsweise für das Vorhandenseins eines eigenen Schreibtisches ersichtlich.

Dass die offenkundig vorhandenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kindesvaters aktuell Auswirkungen auf die Wohnsituation haben, ist nicht feststellbar. Die Sperre der Strom- und Wasserversorgung wurde nach der Mitteilung der Versorgungsbetriebe bereits im August 2006 wieder aufgehoben. Die schon in der Vergangenheit praktizierte Beheizung der Wohnräume mittels eines Radiators mag zwar unwirtschaftlich sein, beeinflusst die Wohnqualität als solche aber nicht. Ebenso wenig kann dem Begehren einer Gläubigerin der Immobilie auf Unterwerfung der Antragstellerin als Miteigentümerin unter die sofortige Zwangsvollstreckung entnommen werden, dass Vollstreckungsmaßnahmen - insbesondere solche mit einer Räumung verbundenen - unmittelbar bevorstehen. Zusammenfassend lässt sich also auch im Hinblick auf die Wohnsituation feststellen, dass für das betroffene Kind keine Veränderung eingetreten ist.

Bei der Beurteilung des so genannten Förderungsgrundsatzes, bei dem die Frage im Mittelpunkt steht, welcher Elternteil in der Zukunft besser in der Lage sein wird, das Kind zu fördern, darf zum einen nicht übersehen werden, dass es sich bei der angefochtenen Entscheidung lediglich um eine Übergangsregelung für den relativ kurzen Zeitraum bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache handelt und zum anderen auch die Berufstätigkeit der Kindesmutter eine Betreuung K... ohne Zuhilfenahme Dritter nicht in vollem Umfang gestattet. Für die summarische Prüfung im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens kann deshalb auf dem Förderungsgrundsatz nicht die ausschlaggebende Bedeutung zukommen.

Ähnliches gilt für die Frage der Bindungstoleranz. Hierunter versteht man die Fähigkeit der Eltern, bei einem Streit um das Sorgerecht, den spannungsfreien Kontakt zum anderen Elternteil zuzulassen (Brandenburgisches OLG NJWE-FER 2001, 230). Insoweit ist zwar zum Nachteil K... zu verzeichnen, dass die Kindeseltern offenkundig die Umsetzung der getroffenen vorläufigen Umgangsregelung nicht in vollem Umfang gelungen ist, wie auch der jüngsten Stellungnahme des Jugendamtes entnommen werden kann. Nicht als erwiesen angesehen werden kann hingegen der Vortrag der Kindesmutter, dass dies auf einer Verweigerungshaltung des Vaters zurückzuführen ist, zumal sie selber einräumt, dass regelmäßig Umgänge stattgefunden haben. Die Tatsache, dass in der Vergangenheit wechselseitig - hinsichtlich der Kindesmutter etwa im Hinblick auf die Herausgabe K... am 20.8.2006 - Schwierigkeiten aufgetreten sind, spricht dafür, dass augenblicklich beide Kindeseltern nicht in der Lage sind, im Interesse des Kindes die erforderliche Bindungstoleranz aufzuweisen. Demgegenüber kann im Hinblick auf das Kindeswohl nur begrüßt werden, wenn es den Eltern nun gelungen ist, erneut Umgangsmodalitäten zu vereinbaren.

Schließlich lässt einzig der Wille des Kindes, wie er bei der Anhörung durch die Amtsrichterin zum Ausdruck kam, eine gewisse Tendenz zugunsten des Kindesvaters erkennen, die allerdings im Hinblick auf das Alter K... und die vorstehend erwähnten Kriterien im gegenwärtigen Verfahrensstand nicht überbewertet werden sollte.

Vor diesem Hintergrund, in Anbetracht der getroffenen vorläufigen Umgangsvereinbarung und im Hinblick darauf, dass es sich lediglich um eine einstweilige Anordnung für eine überschaubare Zeitspanne handelt, erscheint die Entscheidung des Amtsgerichts, durch die dem betroffenen Kind derzeit die gewohnten Umstände erhalten bleiben und insbesondere ein eventueller mehrfacher Wechsel seines Lebensmittelpunktes vermieden werden soll, nicht zu beanstanden. Sofern sich - wie vorliegend - ohne Sachverständigengutachten nicht entscheiden lässt, welche Sorgerechtsregelung dem Kindeswohl am besten entspricht, so gebietet es das Interesse des Kindes bis zur Entscheidung in der Hauptsache es bei demjenigen Elternteil zu belassen, bei dem es sich derzeit befindet (Brandenburgisches OLG FamRZ 1998, 1249).

Ende der Entscheidung

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