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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 09.01.2008
Aktenzeichen: 9 WF 353/07 (PKH)
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2 | |
ZPO § 567 ff. | |
ZPO § 124 Nr. 2, 2. Alternative | |
ZPO § 120 Abs. 4 Satz 2 | |
ZPO § 329 Abs. 2 | |
ZPO § 172 Abs. 1 | |
ZPO § 578 ff. | |
ZPO § 124 Nr. 2 | |
ZPO § 571 Abs. 2 Satz 1 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
9 WF 353/07 (PKH)
In dem Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren
hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Werr als Vorsitzende, die Richterin am Oberlandesgericht Rohrbach-Rödding und den Richter am Oberlandesgericht Götsche am 9. Januar 2008 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 3.9.2007 - Aktenzeichen 32 F 132/05 - aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Antragstellerin war mit Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 28.6.2005 ratenfreie Prozesskostenhilfe für die Scheidungssache und die Folgesache Versorgungsausgleich bewilligt worden. Sie wurde im Hauptsacheverfahren und im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Rechtsanwalt L... vertreten, der ihr durch Beschluss vom 8.3.2007 beigeordnet wurde.
Mit Schreiben vom 16.4.2007 forderte das Amtsgericht die Antragstellerin auf, etwaige Veränderungen ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen. Ein Zugangsnachweis für dieses Schreiben fehlt. Mit Verfügung vom 24.7.2007 ließ der Rechtspfleger des Amtsgerichts Oranienburg der Antragstellerin das Formular "ZP 51" (Frist 2 Wochen) zustellen. Gemäß Zustellungsurkunde ist der Antragstellerin ein Schreiben des Gerichts vom 24.7.2007 am 27.7.2007 persönlich übergeben worden. Nachdem kein Eingang zu verzeichnen war, erließ der Rechtspfleger unter dem 3.9.2007 einen Beschluss, mit dem die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin aufgehoben wurde, da diese trotz Erinnerung keine Erklärung über ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben habe. Der Beschluss wurde Rechtsanwalt L... zur Kenntnisnahme übersandt.
Mit am 21.9.2007 eingegangenem Schriftsatz legte die Antragstellerin, vertreten durch Rechtsanwalt L..., sofortige Beschwerde ein und erklärte, dass sich an ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zwischenzeitlich keine Änderung erheben habe. Sie erhalte weiterhin Leistungen nach dem SGB II. Mit am 24.9.2007 eingegangenem Schriftsatz legte sie einen entsprechenden Bescheid des Landkreises O... vom 11.9.2007 vor.
Die Antragstellerin behauptet, eine gerichtliche Aufforderung zur Erklärung über ihre derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erhalten zu haben. Sie ist der Ansicht, diese hätte ihrem Verfahrensbevollmächtigten zugestellt werden müssen. Außerdem reiche die Nachholung der geforderten Erklärung im Beschwerdeverfahren aus.
Das Amtsgericht hat unter dem 2.11.2007 der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO. Insbesondere ist die Notfrist von einen Monat (§ 127 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingehalten worden. Es fehlt zwar ein Zustellungsnachweis für den angefochtenen Beschluss, die sofortige Beschwerde ist jedoch innerhalb eines Monats seit Datum des Beschlusses eingegangen und somit in jedem Fall rechtzeitig.
Das Rechtsmittel ist auch begründet. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann gemäß § 124 Nr. 2, 2. Alternative ZPO aufgehoben werden, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO über die Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse nicht abgegeben hat. Dies setzt voraus, dass die begünstigte Partei zunächst zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung aufgefordert worden ist. Da die Erklärung nur "auf Verlangen des Gerichts" abgegeben werden muss, ist eine ausdrückliche Aufforderung unter Fristsetzung erforderlich (Baumbach/Hartmann, ZPO, 66. Auflage, § 120 Rn. 29; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Auflage, § 120 Rz. 28; jeweils mit weiteren Nachweisen). Da die Aufforderung eine Fristbestimmung beinhaltet, bedarf sie der förmlichen Zustellung, § 329 Abs. 2 ZPO. Hier ist der Antragstellerin das Aufforderungsschreiben vom 16.4.2007 nicht förmlich zugestellt worden. Auch der bestrittene Zugang kann damit nicht nachgewiesen werden. Zugestellt worden ist der Antragstellerin allerdings ein weiteres Schreiben vom 24.7.2007, wie die ordnungsgemäße Zustellungsurkunde beweist (§ 418 ZPO). Der Inhalt des Schreibens ergibt sich aus der Verfügung des Rechtspflegers vom 24.7.2007. Darin ist zwar nicht der Wortlaut aufgenommen worden, jedoch die Angabe "ZP 51". Dabei handelt es sich um ein Formular, welches die notwendigen Aufforderungen über die abzugebende Erklärung gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO enthält.
Von einer näheren Darstellung kann allerdings abgesehen werden, weil die Zustellung an die Antragstellerin persönlich nicht ausreicht. Der Senat schließt sich nunmehr unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Entscheidung vom 3.3.2004, FamRZ 2005, 47) der inzwischen auch vom 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vertretenen Auffassung an, wonach eine Zustellung an den früheren Prozessbevollmächtigten zu erfolgen hat (Entscheidung vom 27.3.2007 zum Aktenzeichen 10 WF 187/07; zitiert nach juris; so auch: BAG, Entscheidung vom 19.7.2006 zum Aktenzeichen 3 AZB 18/06; zitiert nach juris; a. A. OLG München FamRZ 1993, 580; OLG Koblenz, FamRZ 2005, 531; Zöller/Philippi, a.a.O., § 120 Rz. 28). Nach § 172 Abs. 1 ZPO hat die Zustellung an den "für den Rechtszug bestellten" Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Ob der Prozessbevollmächtigte des Hauptverfahrens zugleich auch stets für das Prozesskostenhilfe-Verfahren bevollmächtigt ist (was im Fall erfolgter Beiordnung der Fall sein dürfte), braucht hier nicht allgemein entschieden zu werden. Hat ein Rechtsanwalt - wie hier - den durch den Prozesskostenhilfe-Beschluss Begünstigten bereits im Antragsverfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertreten, so ist er für dieses Verfahren jedenfalls bevollmächtigt. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass zu einem anhängigen Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahren auch das sich gegebenenfalls erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens anschließende Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren gehört und beide als im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO zum selben Rechtszug gehörig anzusehen sind. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe bezieht sich hier auf das gesamte erstinstanzliche Hauptsacheverfahren. Wenn die Bewilligung, und sei es erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, nachträglich aufgehoben wird, wirkt sich dies auf die Kostentragungspflicht für das erstinstanzliche Verfahren aus. Es ist demnach davon auszugehen, dass das Prüfungsverfahren mit dem Ausgangsverfahren auf PKH-Bewilligung so eng verbunden ist, dass die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts auch das nachfolgende Prüfungsverfahren umfasst. Zu berücksichtigen ist bei dieser Bewertung, dass nach allgemeiner Ansicht sogar für die Erhebung einer Wiederaufnahmeklage gemäß §§ 578 ff. ZPO die im Vorprozess erteilte Vollmacht als ausreichend anzusehen ist, sodass Zustellungen an die früheren Prozessbevollmächtigten zu richten sind (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 585 Rz. 7; Baumbach, a.a.O. § 172 Rz. 28). Das Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren stellt sich lediglich als Fortsetzung des Prozesskostenhilfeverfahrens über die Instanzbeendigung hinaus dar. Dass sowohl das Bewilligungsverfahren als auch das Prüfungsverfahren Justizverwaltungsangelegenheiten betreffen, ändert an dieser Würdigung nichts. Jedenfalls sind die Verfahren den Vorschriften der ZPO unterworfen, sodass § 172 ZPO ohne weiteres anwendbar ist.
Da eine förmliche Zustellung der Erklärungsaufforderung nach § 120 Abs. 4 ZPO an den Prozessbevollmächtigten fehlt und der Zustellungsmangel erst durch Übersendung des Beschlusses vom 3.9.2007 geheilt worden ist, war die innerhalb der Beschwerdefrist eingegangene Erklärung über das Fortbestehen der wirtschaftlichen Verhältnisse, die der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zugrunde lagen, rechtzeitig und eine Aufhebung des Bewilligungsbeschlusses damit unzulässig.
Die Aufhebung wäre aber auch dann unzulässig gewesen, wenn die Aufforderung mit Fristsetzung dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ordnungsgemäß zugestellt worden wäre. Denn die im Beschwerdeverfahren nachgereichte Erklärung, aus der sich ergibt, dass keine Änderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen eingetreten sind, hätte auch dann Berücksichtigung finden müssen, obwohl die Antragstellerin für die verspätete Abgabe der Erklärung keine nachvollziehbare Entschuldigung vorgebracht hat. Zwar hat § 124 Nr. 2 ZPO Sanktionscharakter; nach allgemeinen Grundsätzen des Beschwerdeverfahrens ist es der Partei jedoch nicht verwehrt, in II. Instanz Tatsachen vorzubringen, auf die sie sich zuvor nicht berufen hatte. Weder handelt es sich bei der gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzten Frist um eine Ausschlussfrist, noch werden die allgemeinen Grundsätze des Beschwerdeverfahrens, insbesondere § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO dadurch eingeschränkt, dass es sich um ein Justizverwaltungsverfahren handelt, welches die Sanktionierung nachlässigen Verhaltens durch Aufhebung einer früheren Bewilligung ermöglicht. Die Beschwerde kann nach allgemeinen Grundsätzen auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. "Neu" sind Tatsachen nicht nur, wenn sie erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entstanden sind, sondern wenn sie erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht werden (vgl.: Zöller, a.a.O., § 531 Rz. 22; Baumbach, a.a.O., § 531 Rz. 12; BGH, NJW 1989, 718; NJW 1998, 2977). Im Beschwerdeverfahren gilt insoweit für neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nichts anderes als im Berufungsverfahren. Es entspricht deshalb der inzwischen überwiegenden Ansicht, dass die Nachholung der zunächst versäumten Erklärung in II. Instanz auch dann zu deren Berücksichtigung führen muss, wenn für die Versäumung keine Entschuldigung vorgebracht wird (Baumbach, a.a.O. § 120 Rz. 29 anders aber wohl: § 124 Rz. 39; Zöller; a.a.O, § 124 Rz. 10 a; Münchener Kommentar zur ZPO/Motzer, 3. Auflage, § 124 Rz. 12; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 2. Auflage, § 124 Rz. 16; Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Senat für Familiensachen, FamRZ 1996, 806; OLG - NL 2005, 208). Der Senat, der früher teilweise eine abweichende Auffassung vertreten hat (etwa: FamRZ 2005, 47), hält nicht mehr daran fest, dass der Sanktionscharakter des §§ 124 Nr. 2 ZPO es gebietet, nachgereichte Erklärungen nur bei hinreichender Entschuldigung zu berücksichtigen. Denn der Sanktionscharakter der Vorschrift, der unzweifelhaft vorhanden ist, bezieht sich ausdrücklich auf die Nichtabgabe einer Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO und nicht auf die Nichteinhaltung einer gesetzten Frist. Für eine vom allgemeinen Beschwerderecht abweichende Sanktionierung wäre aber eine ausdrückliche Sanktionierung der Fristversäumnis erforderlich gewesen. Die Aufhebung der Bewilligung wäre im vorliegenden Fall ausschließlich auf die Nichteinhaltung einer Frist gestützt. Da die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung eine kostenrechtliche Maßnahme und keine Strafe darstellt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Fristversäumung zur Aufhebung führen soll.
Auch der Gesichtspunkt der Kausalität des Fehlverhaltens des Begünstigten spricht für eine Auslegung im oben dargestellten Sinn. Grundsätzlich ist bei den weiteren Möglichkeiten der Aufhebung der Bewilligung nach § 124 ZPO jeweils zu prüfen, ob die unrichtige Darstellung des Streitverhältnisses, die falschen Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Nichtabgabe einer Erklärung auch kausal für die begünstigende Entscheidung geworden sind. In den Fällen, in denen sich auch bei rechtzeitiger und vollständiger zutreffender Angabe der Tatsachen keine Änderung im Hinblick auf die getroffene Bewilligungsentscheidung (sei es im Hinblick auf die Bewilligung als solche, sei es im Hinblick auf die angeordnete Ratenzahlung) ergeben hätte, kommt eine Sanktion nicht in Betracht (vgl. Zöller, a.a.O., § 124 Rz. 5 a; Baumbach a.a.O., § 124 Rz. 32, 37). In den Fällen, in denen nachträglich eine Erklärung abgegeben wird, aus der sich ergibt, dass eine Aufhebung aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geboten war, liegt keine Kausalität für eine fehlerhafte Entscheidung vor.
Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet, § 127 Abs. 4 ZPO.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt trotz Vorliegens der Gründe gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht in Betracht, weil die allein beschwerte Staatskasse nicht beschwerdebefugt ist (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 127, Rz. 27; OLG Oldenburg, FamRZ 2004, 170).
Ende der Entscheidung
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