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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: 9 WF 76/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, UVG


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 732
ZPO § 767
ZPO § 768
BGB § 187 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2
BGB § 197
BGB § 198
BGB § 201 S. 1
BGB § 204
BGB § 209 Abs. 2 Ziff. 5
BGB § 218 Abs. 2
BGB § 242
UVG § 7 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 76/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die Beschwerde des Antragstellers vom 18. April 2001 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Guben vom 21. März 2001, soweit darin der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen worden ist, durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Landgericht ... und den Richter am Amtsgericht ...

am 17. Mai 2001

beschlossen:

Tenor:

In Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird dem Kläger insgesamt ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Niemann in Lübben zu den Bedingungen einer in Guben ansässigen Rechtsanwältin bewilligt.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache vollen Erfolg im Sinne von § 114 ZPO.

Zu Recht hat das Amtsgericht zunächst festgestellt, dass die übergeleiteten Ansprüche für die Zeit vor dem 1. Mai 1995 nicht verjährt sind. Unterhaltsansprüche verjähren nach § 197 BGB in vier Jahren. Dies gilt auch für die Vollstreckungsverjährung, § 218 Abs. 2 BGB, mit Ausnahme der zum Zeitpunkt der Titulierung bereits fälligen Beträge, für die eine 30jährige Verjährungsfrist (§ 218 Abs. 1 BGB) gilt (vgl. auch OLG Stuttgart, FamRZ 1999, 859).

Danach gilt für die vor Mai 1995 streitgegenständlichen Unterhaltsansprüche (Ansprüche vom 24. März 1995 bis 30. April 1995) die lange, 30jährige und danach bislang nicht abgelaufene Verjährungsfrist, da diese Ansprüche zur Zeit der Titulierung - der Beschluss des Amtsgerichts Guben zum Aktenzeichen 23 H 68/95 datiert auf den 3. April 1995 - bereits fällig waren.

Für die nach April 1995 fällig gewordenen Ansprüche gilt dagegen die grundsätzliche Verjährungsfrist von 4 Jahren. Der Lauf dieser Verjährungsfrist ist auch nicht aufgrund § 204 BGB (Hemmung aus familiären Gründen) gehemmt, da diese Vorschrift nicht eingreift, sofern der Anspruch kraft Gesetzes auf einen Dritten übergeht (OLG Düsseldorf, FamRZ 1981, 308; AG Iserlohn MDR 1961, 53; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001 § 204 Rn. 1; Soergel-Niedenführ, BGB, 13. Aufl. 2000 § 204 Rn. 1; Erman-Hefermehl, BGB, 10. Aufl. 2000 § 204 Rn. 3). Da das beklagte Land aus § 7 Abs. 1 UVG gegen den Antragsteller vorgeht, wirkt die Hemmungsvorschrift des § 204 BGB nicht zugunsten des beklagten Landes. Für die nach 1996 entstandenen Ansprüche ist damit die 4jährige Verjährungsfrist - wie das Amtsgericht insoweit zutreffend festgestellt hat - noch nicht abgelaufen.

Zu Unrecht hat das Amtsgericht allerdings angenommen, dass hinsichtlich der für den Zeitraum des Jahres 1996 (1. Januar bis 31. Dezember 1996) übergeleiteten Ansprüche, welche an sich gem. §§ 197, 198, 201 S. 1 BGB i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 31. Dezember 2000 verjährt sind, eine Unterbrechung der Verjährung eingetreten ist, da die im Oktober 2000 durch die Antragsgegnerin beantragte Titelumschreibung keine unterbrechende Wirkung i. S. v. § 209 Abs. 2 Ziff. 5 BGB - der Beschluss enthält insoweit einen Schreibfehler und bezieht sich auf Ziffer 9 - entfalten konnte. Unter die Vollstreckungsmaßnahmen im Sinne des § 209 Abs. 2 Ziff. 5 BGB fallen nur solche, die eine Tätigkeit eines Vollstreckungsorganes betreffen und einen auf Vollstreckung gerichteten Willen des Gläubigers eindeutig erkennen lassen (BGHZ 93, 287, 298; KG JW 1938, 45). Der Antrag auf Titelumschreibung stellt keine solche Vollstreckungsmaßnahme dar, da er seinerseits Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vollstreckung ist (AG Bad Seckingen FamRZ 1995, 1221, 1222 f; Soergel-Niedenführ a.a.O.). Gleiches gilt für die Zustellung des zu vollstreckenden Titels (und damit auch des umgeschriebenen Titels); diese ist ebenfalls keine eigene Vollstreckungshandlung, vielmehr Zulässigkeitsvoraussetzung der Zwangsvollstreckung (BGHZ 122, 287, 294; Soergel-Niedenführ a.a.O.). Damit können weder der Antrag auf Titelumschreibung selbst noch die Anhörungen des Antragstellers zum Titelumschreibungsverfahren im Oktober 2000 bzw. die Inkenntnissetzung des Antragstellers im Dezember 2000 über die erfolgte Umschreibung unterbrechende Wirkung entfalten. Die im Jahre 1996 entstandenen Ansprüche sind damit mit Ablauf des Jahres 2000 verjährt; auch insoweit besitzt die beabsichtigte Klage daher Aussicht auf Erfolg.

Im Übrigen sind sämtliche Ansprüche auch verwirkt, soweit sie vor Oktober 1999 entstanden sind.

Rückständiger Unterhalt unterliegt der Verwirkung, sofern sich seine Geltendmachung unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung (Verwirkung) als unzulässig darstellt, wenn also besondere Zeit- und Umstandsmomente erfüllt sind, § 242 BGB (BGHZ 84, 280, 282). Da eine Verjährung von Kindesunterhaltsansprüchen bis zur Volljährigkeit wegen Hemmung (§ 204 BGB) nicht in Betracht kommt, sind an das Zeitmoment keine großen Anforderungen zu stellen (BGH FamRZ 1988, 370, 372; OLG Düsseldorf NJWE-FER 2001, 69). Dies folgt aus dem Umstand, daß von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden kann, daß er sich zeitnah um die Durchsetzung seines Anspruches bemüht. Tut er dies nicht, erweckt sein Verhalten in aller Regel den Eindruck, er sei nicht bedürftig. Darüber hinaus ist zu beachten, daß Unterhaltsansprüche zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen können, die auch die Leistungsfähigkeit für den laufenden Unterhalt gefährden. Je nach dem kommt daher eine Verwirkung (frühestens) nach einem Jahr, spätestens aber nach drei Jahren in Betracht.

Das Umstandsmoment erfordert besondere Umstände, aufgrund derer sich der Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten kann, daß der Berechtigte sein Recht nicht mehr geltend macht (BGH FamRZ 1988, 370, 372). Sieht ein Unterhaltsgläubiger von der zeitnahen Durchsetzung seiner Ansprüche ab, erweckt sein Verhalten regelmäßig den Eindruck, er sei in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig. Diese Grundsätze gelten auch, soweit es rechtshängige oder - wie es hier der Fall ist - titulierte Forderungen betrifft. Es gibt keinen Rechtssatz dahin, daß solche Forderungen nicht der Verwirkung unterliegen (OLG Schleswig NJWE-FER 2000, 27; i. E. auch OLG Düsseldorf NJWE-FER 2001, 69, 70). Gerade in Fällen titulierter Forderungen kann aufgrund des Absehens des Gläubigers von der zeitnahen Durchsetzung seiner Ansprüche nach Treu und Glauben der Eindruck der Nichtgeltendmachung erweckt werden, da die Durchsetzung titulierter Forderungen jedenfalls in der Regel näher liegt als bei nicht titulierten Forderungen (BGH NJWE-FER 1999, 269; OLG Frankfurt FamRZ 1999, 1163; a. A. OLG Stuttgart FamRZ 1999, 859).

Von der Geltendmachung der zurückliegenden Ansprüche durch die Antragsgegnerin hat der Antragsteller erstmals im Rahmen seiner Anhörung im innerhalb des Titelumschreibungsverfahrens im Oktober 2000 Kenntnis erlangt. Da die Antragsgegnerin hiernach über einen Zeitraum von etwa 5 1/2 Jahren - der Titel wurde im April 1995 erstellt - mit Ausnahme bloßer Informationen des Antragstellers über die Leistung von Unterhaltsvorschüssen keinerlei Anstrengungen unternommen hat, die entstandenen Ansprüche durchzusetzen, durfte der Antragsteller darauf vertrauen, dass die rückständigen Ansprüche, sofern diese bereits über ein Jahr zurückliegen, nicht geltend gemacht werden. Dies gilt - wie aufgezeigt - gerade deshalb, weil die Forderungen tituliert und ihre Durchsetzung daher auch aus Sicht des Antragstellers näher als bei den nicht titulierten Forderungen lag. Schon aus diesem Grunde sind alle Ansprüche, die bis September 1999 entstanden sind, verwirkt. Insoweit kann dahinstehen, ob die vom Antragsteller behauptete, ihm erteilte Auskunft von Mitarbeiterinnen eines unzuständigen Jugendamtes darüber, aufgrund seiner Einkommensverhältnisse seien die übergegangenen Ansprüche nicht zurückzuzahlen, ebenfalls geeignet ist, das Umstandsmoment für einen Verwirkungseinwand zu erfüllen.

Im Übrigen hat die beabsichtigte Klage auch Aussicht auf Erfolg, soweit der Antragsteller den Einwand fehlender Leistungsfähigkeit erhebt. Streitgegenstand der Klage nach § 767 ZPO ist die Vernichtung der Vollstreckbarkeit des Titels, nicht aber die materielle Richtigkeit des Titels selbst. Der Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit berührt die Vollstreckbarkeit des Titels an sich nicht. Mit diesem Einwand werden hier aber zugleich die Voraussetzungen des Anspruchsüberganges auf die Antragsgegnerin wegen der für § 7 Abs. 1 UnterhVG erforderlichen sozialhilferechtlichen Vergleichsberechnung, welche die Antragsgegnerin darzulegen hat (zu diesem Problemkreis vgl. OLG Brandenburg NJWE-FER 2001, 8), verneint. Zwar sind Einwendungen gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel entweder im Wege des Klauselerinnerungsverfahrens gem. § 732 ZPO oder mit der (auf Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung aufgrund erteilter Vollstreckungsklausel gerichteten) Klage nach § 768 ZPO (vgl. auch Zöller-Stöber, ZPO, 22. Aufl. 2001 § 732 Rn. 12 sowie Zöller-Herget a. a. O. § 768 Rn. 2) geltend zu machen. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass bei mangelnder sozialhilferechtlicher Leistungsfähigkeit des Antragstellers und der damit verbundenen fortbestehenden Forderungsinhaberschaft der minderjährigen Tochter des Antragstellers die Unterhaltsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden könnten, sei es wegen Erfüllung, sei es wegen Verwirkung nach § 242 BGB (vgl. auch BGH FamRZ 2000, 223 sowie - zu § 91 Abs. 2 BSHG BGH FamRZ 1999, 847). Diese Einwendungen kann der Antragsteller daher auch im Rahmen der Klage nach § 767 ZPO ausnahmsweise geltend machen.

Ende der Entscheidung

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