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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 18.09.2008
Aktenzeichen: Verg W 13/08
Rechtsgebiete: BbgRettG, VwVfGBbg, GWB, StVO, BGB


Vorschriften:

BbgRettG § 2 Abs. 1
BbgRettG § 2 Abs. 1 Nr. 1
BbgRettG § 3 Abs. 2
BbgRettG § 5
BbgRettG § 5 Abs. 1
BbgRettG § 10
BbgRettG § 10 Abs. 1
BbgRettG § 11 Abs. 1
VwVfGBbg § 9
VwVfGBbg § 54
GWB §§ 97 ff.
GWB § 97 Abs. 1
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 99
GWB § 99 Abs. 1
GWB § 100
GWB §§ 102 ff.
GWB §§ 107 ff.
GWB § 107 Abs. 3
GWB § 107 Abs. 3 S. 1
GWB § 118 Abs. 1 S. 3
GWB § 118 Abs. 2 S. 2
GWB § 118 Abs. 2 S. 3
GWB § 124
StVO § 35 Abs. 5 a
StVO § 38
StVO § 38 Abs. 1
BGB § 121
BGB § 613a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor: Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 20. August 2008 (VK 22/08) bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern, wird zurückgewiesen.

Der Antragstellerin wird aufgegeben, sich binnen 2 Wochen zu erklären, ob die sofortige Beschwerde zurückgenommen wird.

Gründe: I.

Mit nationaler Bekanntmachung vom 4.6.2007 veröffentlichte der Auftraggeber im Ausschreibungsblatt für die Bundesländer Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern seine Absicht, ab dem 1.1.2009, befristet auf fünf Jahre, rettungsdienstliche Leistungen im Landkreis ... auf Interessenten gemäß § 5 Abs. 1 BbgRettG im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages zu übertragen.

Der Auftraggeber teilte den Auftrag in vier Lose entsprechend den Standorten der Rettungswachen. Er benannte die im Rahmen einer Interessenbekundung bis zum 8.6.2007 einzureichenden Unterlagen. Der Auftraggeber wies darauf hin, dass die rettungsdienstlichen Leistungen im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages entsprechend § 54 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Brandenburg (VwVfGBbg) übertragen werden würden, den Verfahrensbeteiligten zum Schutz ihrer Rechte der Verwaltungsrechtsweg offen stehe, nicht beabsichtigt sei, eine Dienstleistung zu beschaffen und dementsprechend ein öffentlicher Auftrag nicht erteilt werden solle. Als Schlusstermin für die Einreichung von Angeboten bestimmte der Auftraggeber den 18.7.2007. Wertungskriterien gab er nicht bekannt.

Die Antragstellerin bekundete ihr Interesse an den zu übertragenden Leistungen. Der Auftraggeber übersandte daraufhin der Antragstellerin die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes zur Neuvergabe rettungsdienstlicher Leistungen im Landkreis .... Die Antragstellerin reichte mit Datum vom 17.7.2007 ihr Angebot für die Lose 1 - 4 ein.

Der Auftraggeber teilte der Antragstellerin im Rahmen eines am 30.8.2007 mit ihr geführten Bietergespräches mit, dass er ihre Angebote betreffend die Lose 1, 3 und 4 von der Wertung ausschließe, da sie insoweit die Unterlagen unter Verstoß gegen die Wettbewerbsbedingungen unzulässig ergänzt habe.

Mit weiterem Schreiben vom 31.8.2007 teilte der Auftraggeber den Bietern mit, dass er ab dem 8.9.2007 in die Angebotswertung eintreten und er die Kriterien Nutzwertanalyse (45 %), Preis (45 %) und Bietergespräch (10 %) der Angebotswertung zugrunde legen werde.

Mit Schreiben vom 18.2.2008 wandte sich die Antragstellerin an den Auftraggeber. Sie habe erfahren, dass das Personalkonzept des Bieters Wertungsgrundlage sein solle. Ihr Angebot solle eine deutlichen Punkteabzug erhalten haben, weil sie angeblich Regelungen über den Arbeitsschutz sowie tarifliche Regelungen nicht berücksichtigt habe. Dies rüge sie - sollte dies zutreffend sein - vorsorglich als vergaberechtswidrig. Zudem könne für die Wertung der Angebote allein der Preis maßgeblich sein. Soweit nach dem Schlusstermin andere Kriterien mitgeteilt worden seien, könnten diese nicht herangezogen werden. Die Bewertung des Personalkonzeptes könne auch deshalb nicht Gegenstand der Auswertung sein, weil der Auftraggeber angegeben habe, als weiteres Kriterium eine Nutzwertanalyse in Ansatz zu bringen. Ein Personalkonzept könne darin nicht eingebunden werden.

Der Auftraggeber wies das Vorbringen der Antragstellerin mit Schreiben vom 7.3.2008 zurück. Er führte unter anderem aus, rettungsdienstliche Leistungen würden nicht dem Vergaberecht unterliegen. Es handle sich insoweit nicht um einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 GWB. Da es sich um ein formloses Verwaltungsverfahren handele, sei der Auftraggeber nicht verpflichtet, eine Auswahl nur nach dem Kriterium Preis zu treffen.

Der Auftraggeber teilte der Antragstellerin nach mehrfacher Verlängerung der Bindefrist mit Schreiben vom 4.7.2008 mit, dass der Kreistag des Landkreises ... auf seiner Sitzung am 3.7.2008 beschlossen habe, die Durchführung des Rettungsdienstes für das Los 2 nicht auf die Antragstellerin, sondern auf die P. GmbH durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages am 21.7.2008 zu übertragen. Die Bewerbung der Antragstellerin sei nicht die wirtschaftlichste, insbesondere im Hinblick auf den Nutzwert.

Die Antragstellerin hat sodann am 18.7.2008 bei der Vergabekammer des Landes Brandenburg einen Nachprüfungsantrag gestellt. Sie hat gemeint, der Rechtsweg zu den Vergabekammern gemäß §§ 107 ff. GWB sei eröffnet. Bei der Übertragung von Rettungsdiensten handele es sich um zu beschaffende Dienstleistungen im Sinne von § 97 I GWB. Deren Vergabe unterliege nach nationalem Recht grundsätzlich der Nachprüfung gemäß §§ 102 ff. GWB. Eine Rügeverpflichtung habe nicht bestanden, da der Auftraggeber ein förmliches Verfahren nicht durchgeführt habe. In der Sache selbst hat die Antragstellerin beanstandet, dass der Auftraggeber kein förmliches Vergabeverfahren durchgeführt habe. Er sei zudem nicht befugt, nach Angebotsabgabe Wertungskriterien festzulegen oder abzuändern, so dass alleiniges Wertungskriterium nur der Preis sein könne.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. gegen den Auftraggeber das Nachprüfungsverfahren gemäß §§ 107 ff. GWB einzuleiten,

2. durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die Vergabe von Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes für den Zeitraum vom 1.1.2009 bis zum 31.12.2013 im Gebiet des Auftraggebers unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer nur im Wege eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens vergeben werden,

3. hilfsweise festzustellen, dass die Antragstellerin in eigenen Rechten verletzt ist,

4. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war,

5. Akteneinsicht.

Der Auftraggeber hat beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Der Auftraggeber hat darauf verwiesen, dass die - jedenfalls bis in die jüngste Zeit - einhellige obergerichtliche Rechtsprechung in der Übertragung rettungsdienstlicher Leistungen keinen den §§ 97 ff. GWB unterfallenden Tatbestand sehe. § 10 I BbgRettG vom 14.7.2008 definiere Aufgaben des Rettungsdienstes, die auf Dritte übertragen werden können, als Vollzugsaufgaben und ordne sie dem hoheitlichen Bereich zu. Damit sei sie dem Vergaberecht entzogen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag durch den angefochtenen Beschluss verworfen. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, die Übertragung rettungsdienstlicher Aufgaben nach dem Gesetz über den Rettungsdienst im Land Brandenburg (BbgRettG) unterfalle nicht dem förmlichen Vergaberecht. Die Notfallrettung und der qualifizierte Krankentransport seien nach der Ausgestaltung des BbgRettG nicht als öffentlicher Auftrag im Sinne von § 99 GWB einzuordnen. Die Leistungserbringer würden hoheitlich tätig. Durch die am 18.7.2008 in Kraft getretene Neufassung des BbgRettG sei die rechtliche Gestaltung und Organisation des bodengebundenen Rettungsdienstes beibehalten worden.

Nach Art. 55 EGV i.V.m. Art. 45 EGV fänden auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedsstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien, die Regelungen des Kapitel 3 des EGV keine Anwendung. Diese Ausnahme erfasse auch die Richtlinie 2004/18/EG.

Nach den o.g. Normen erstrecke sich die Dienstleistungsfreiheit nicht auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien. Allerdings müsse sich die Ausnahmeregelung auf solche Tätigkeiten beschränken, die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellten.

Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport erfüllten diese Voraussetzungen. Die Durchführung des Rettungsdienstes sei Maßnahme der Gesundheitsvorsorge und der Gefahrenabwehr, § 2 I BbgRettG. Sie betreffe damit einen Kernbereich hoheitlichen Handelns. Der Rettungsdienst sei in die Erfüllung dieser hoheitlichen Aufgaben direkt einbezogen.

Zutreffend werde in der Rechtsprechung insoweit auf die Sonderrechte der Rettungsdienste nach §§ 35 V a, 38 I StVO verwiesen, auf die auch in §§ 2 I Nr. 1, 3 II BbgRettG vorgesehene Befugnis zur Durchführung von Notfallrettungsmaßnahmen, als auch auf die Tatsache, dass im Einzelfall durch die Rettungsdienste vor Ort selbst einzuschätzen sei, ob ein Notfall vorliege und der vorgefundene Sachverhalt den Einsatz ihrer hoheitlichen Befugnisse und Sonderrechte rechtfertige.

Damit seien im Sinne von § 10 BbgRettG beteiligte Dritte nicht nur mit einer "helfenden und vorbereitenden Rolle", d.h. mit einer bloßen Hilfstätigkeit betraut. Allein ihnen obliege die praktische Durchführung der Einsätze der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransportes. Sie besäßen nach der Ausgestaltung des BbgRettG mehr Befugnisse als jede andere Privatperson und verfügten für ihre Entscheidung im Einzelfall über eine originäre Entscheidungsbefugnis. Sie seien bei der Wahrnehmung von Aufgaben des Rettungsdienstes somit mit denselben hoheitlichen Befugnissen ausgestattet, die dem Träger des Rettungsdienstes zukämen, sofern er diese Aufgabe selbst durchführte.

Allein die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik Deutschland durch die Europäische Kommission betreffend die Vergabe rettungsdienstlicher Leistungen in den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Niedersachsen hindere eine Entscheidung der Vergabekammer mit o.g. Erwägungen nicht. Dies gelte ebenso für die Entscheidung des OLG Dresden, die Beschwerde hinsichtlich der Vergabe von Notfallrettungs- und Krankentransportleistungen nach dem Sächsischen Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG), Az.: WVerg 3/08 und 4/08 dem BGH zur Entscheidung vorzulegen.

Selbst wenn man mit der Antragstellerin davon ausgehen wollte, dass die Übertragung rettungsdienstlicher Leistungen nach dem BbgRettG dem Vergaberecht unterfalle, sei der Nachprüfungsantrag auch deshalb unzulässig, weil die Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit aus § 107 III GWB nicht genügt habe.

Die Antragstellerin habe die von ihr geltend gemachten Vergaberechtsfehler nicht unverzüglich i.S.v. § 107 III GWB in der erforderlichen Weise gerügt. Für die Antragstellerin habe unter Zugrundelegung eines materiellen Verständnisses des für den Rechtsschutz maßgeblichen Begriffs des Vergabeverfahrens grundsätzlich eine Rügeobliegenheit bestanden.

Die Tatsache, dass statt eines förmlichen Ausschreibungsverfahrens ein Vergabeverfahren nach § 9 VwVfGBbg durchgeführt wurde, mache den Vorgang nicht zu einer de-facto-Vergabe, sondern stelle ihrerseits einen Vergabefehler dar.

Eine Rügeobliegenheit könne frühestens mit dem Begehen eines Vergabeverstoßes entstehen. Gerügt werden könne ein Verhalten des öffentlichen Auftraggebers erst dann, wenn dadurch ein Wille geäußert werde, der Rechtswirkungen entfalten könne.

Das sei hier, soweit die Antragstellerin die mangelnde Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens beanstande, die Veröffentlichung des Auftraggebers vom 4.6.2007, rettungsdienstliche Leistungen im Landkreis ... im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages auf Interessenten gemäß § 5 BbgRettG zu übertragen. Bereits hier habe der Auftraggeber darauf hingewiesen, dass er nicht beabsichtige, eine Dienstleistung zu beschaffen und dementsprechend einen öffentlichen Auftrag zu erteilen. Diese Vorgehensweise des Auftraggebers habe die Antragstellerin vor Einreichen ihres Nachprüfungsantrages nicht gegenüber dem Auftraggeber gerügt.

Die Festlegung der Wertungskriterien Nutzwertanalyse (45 %), Preis (45 %) und Bietergespräch (10 %) habe der Auftraggeber der Antragstellerin mit Schreiben vom 31.8.2007 mitgeteilt. Diese Vorgehensweise habe die Antragstellerin erstmalig mit Schreiben vom 18.2.2008 als vergaberechtswidrig gerügt, mehr als fünf Monate nach Kenntnis. Die von der Rechtsprechung unter Heranziehung von § 121 BGB im Einzelfall eingeräumte Frist von zwei Wochen sei eine Höchstfrist. Die im Februar 2008 angebrachte Rüge der Antragstellerin sei damit nicht mehr unverzüglich i.S.v. § 121 BGB gewesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Entscheidung der Vergabekammer stehe im Widerspruch zur in jüngster Vergangenheit ergangenen vergaberechtlichen Rechtsprechung.

Die Vergabe der ausgeschriebenen Rettungsdienstleistungen und Krankentransportleistungen unterfalle dem Vergaberecht. Der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts erschließe sich aus den Vorschriften der §§ 99 und 100 GWB. Dabei sei rechtlich unerheblich, ob es sich bei dem abzuschließenden vorgesehenen Vertrag um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne der §§ 54 ff. VwVfG oder um einen zivilrechtlichen Vertrag handele.

Sämtliche der vorgenannten Voraussetzungen seien hier erfüllt. Ein Ausnahmetatbestand, der die Anwendung von Vergaberecht ausnahmsweise ausschließe, liege nicht vor. Die Rechtsmeinung, die Wahrnehmung rettungsdienstlicher Aufgaben sei unmittelbar der hoheitlichen Betätigung des Staates zuzurechnen mit der Folge, dass die Bereichsausnahme nach Art. 55 EGV in Verbindung mit Art. 45 EGV gegeben sei - so für das Rettungsgesetz NRW OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5.4.2006 - VII-Verg 7/06 -, sei unrichtig. Die EU-Kommission habe bereits mit seinem wenige Tage nach dem o.a. Beschluss des OLG Düsseldorf an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Aufforderungsschreiben gemäß Art. 266 EGV vom 10.4.2006 - Aktenzeichen: SG (2006) D 201642 - festgestellt, dass es sich bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen in jedem Fall um marktgängige Leistungen handele, für die die o.a. Bereichsausnahme nicht einschlägig sei. Das OLG Dresden haben in seinen Beschlüssen vom 4.7.2008 - WVerg 3/08 und 4/08 - entschieden, dass es sich bei der Vergabe der Leistungen der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports um marktgängige Dienstleistungen handele, die ausnahmslos dem EU-Vergaberecht unterlägen.

Die gegenteilige Auffassung der Vergabekammer, der Rettungsdienst sei eine öffentliche Aufgabe der Gesundheitsvorsorge und Gefahrenabwehr und von daher nicht am Markt zu vergeben, überzeuge nicht. Dass Rettungsdienst- und Krankentransportleistungen jedenfalls heute marktgängige Dienstleistungen darstellten, sei in der neueren vergaberechtlichen Rechtsprechung mehrfach entschieden worden.

Aus den Bestimmungen des Gesetzes über den Rettungsdienst im Land Brandenburg (BbgRettG) ergebe sich jedenfalls nicht, dass Rettungsdienst- und Krankentransportleistungen dem Vergaberecht nicht unterliegen sollten.

Zu einem anderen Ergebnis zwängen auch nicht die Ausführungen der Vergabekammer, dass die Organisation des Rettungsdienstes und die Anforderungen an die Beteiligung Dritter im Gesetz geregelt sei und die Träger des Rettungsdienstes die Kosten der Aufgabenerfüllung zu tragen hätten, die sie über Gebühren refinanzierten. Das sei gleichermaßen beispielsweise im Bereich der Abfallentsorgung der Fall.

Auch der Hinweis der Vergabekammer darauf, dass Sonderrechte der Rettungsdienste nach der StVO, hier nach §§ 35 V a, 38 I StVO hätten, verfange nicht. Bereits für die Krankentransportleistungen sei dies nicht der Fall. Zudem sei Art. 55 EGV i.V.m. Art. 45 I EGV als Ausnahme vom Grundprinzip der Dienstleistungsfreiheit so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränke, was zur Wahrung der Interessen, deren Schutz diese Bestimmung den Mitgliedstaaten erlaube, unbedingt erforderlich sei. Eine Ausweitung der in den Art. 45 und 55 EGV gestatteten Ausnahme auf einen Beruf als Ganzes sei nicht gerechtfertigt, wenn die Tätigkeiten, die gegebenenfalls mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien, einen abtrennbaren Teil der betreffenden Berufstätigkeit insgesamt darstellten. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei die Herausnahme der gesamten Leistungen, die Gegenstand der hier in Rede stehenden Ausschreibung des Auftraggebers seien, also einschließlich des Krankentransportes, nicht zu rechtfertigen.

Für den Bereich der Rettungsdienstleistungen könne nicht auf die Sonderrechte nach §§ 35 V a, 38 StVO verwiesen werden, um eine hoheitliche Gewaltausübung der in den Rettungsdienst eingebundenen Privaten zu rechtfertigen.

Der Rechtsprechung des EuGH lasse sich zudem entnehmen, dass im Rahmen von Art. 45 EGV ein eigenverantwortliches und autonomes Handeln zur Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt erforderlich sei. Unterliege der Handelnde demgegenüber einer umfangreichen und weitgehenden Kontrolle und Weisungen, sei die Tätigkeit bereits deshalb nicht als Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt zu qualifizieren.

Hier seien die Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH an das Vorliegen einer Bereichsausnahme nicht erfüllt. Im Übrigen sei in der verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nach dem Verfassungsgrundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes, der in Art. 20 III GG niedergelegt sei, nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsnorm erfolgen könne. Denn mit der Gewährung von Hoheitsbefugnissen untrennbar verbunden sei die Befugnis, in Grundrechte einzugreifen. Es hätte mithin einer gesetzlichen Grundlage bedurft, wenn mit der Einbindung privater Unternehmen in den Rettungsdienst eine Beleihung hätte verbunden sein sollen. Das Rettungsdienstgesetz im Land Brandenburg enthalte aber gerade keine Regelung, nach der es zulässig wäre, den in den Rettungsdienst eingebundenen Dritten Hoheitsrechte zu übertragen. Daraus folge bereits, dass der Auftraggeber durch die Beauftragung eines Privaten gerade nicht Hoheitsbefugnisse auf Rettungsunternehmer übertragen könne. Zudem sei in § 5 I BbgRettG ausdrücklich normiert, dass Dritte nur mit der "Durchführung" des Rettungsdienstes betraut werden. Sie handelten nach Absatz 2 dieser Vorschrift nur "nach den Anweisungen des Trägers des Rettungsdienstes" . Auch aus § 11 I BbgRettG werde deutlich, dass Dritte nur am Rettungsdienst "beteiligt" würden.

Die Verwerfung des Nachprüfungsantrages sei ferner mit der Rechtsprechung des Senates im Beschluss vom 9.9.2004 - Verg W 9/04 - unvereinbar. Danach sei für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages nicht entscheidend, ob die Anwendbarkeit der Vorschriften des Vergabeverfahrens nach den Regelungen der §§ 97 ff. GWB tatsächlich gegeben sei oder nicht. Entscheidend für die Frage der Zulässigkeit sei allein, dass die Antragstellerin die Anwendbarkeit dieser Vorschriften behaupte. Ob diese Vorschriften tatsächlich anwendbar seien, sei eine Frage der Begründetheit des Nachprüfungsantrages.

Der Nachprüfungsantrag sei auch nicht mit Blick auf die Regelung in § 107 III GWB nicht unzulässig. Denn eine Rügeverpflichtung bestehe nur, wenn ein förmliches Vergabeverfahren durch den Auftraggeber durchgeführt werde. Sei das nicht der Fall, bestünden Rügeverpflichtungen nicht. Bei einer anderen Sichtweise würde eine nicht gerechtfertigte einseitige Belastung der Privaten bei gleichzeitiger Privilegierung des öffentlichen Auftraggebers bewirkt. Dass das vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sei, ergebe sich bereits aus dem Gesetz. Denn seinem Wortlaut nach sei § 107 III GWB auf Verstöße im (förmlichen) Vergabeverfahren bezogen und beschränkt. § 107 III GWB enthalte zudem nach dem gesetzgeberischen Grundgedanken eine auf Treu und Glauben basierende Präklusionsregel, die der der Einleitung unnötiger Nachprüfungsverfahren durch Spekulation mit Vergabefehlern entgegenwirken solle. Diese Basis sei naturgemäß nicht einseitig, sondern beidseitig angelegt. Sie könne nur gegeben sein, wenn der öffentliche Auftraggeber gerade durch die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens einen Tatbestand geschaffen habe, der ihn erst dazu berechtige, auf eine Wahrung der Rügeobliegenheit durch die Bieter zu vertrauen. Fehle es daran, würde es einen nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch darstellen, den Bieter an der Rügeobliegenheit festzuhalten, während der öffentliche Auftraggeber durch die Einleitung eines nicht förmlichen Vergabeverfahrens einen besonders schwerwiegenden Vergaberechtsverstoß begangen habe, der dann letztendlich wegen der fehlenden Anstoßfunktion, die die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens erst bewirke, sanktionslos bleiben würde.

Im Übrigen habe sie, die Antragstellerin, mit Schreiben vom 18.2.2008 eine entsprechende Verfahrensrüge erhoben.

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Sie, die Antragstellerin, werde in eigenen Rechten verletzt.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die Entscheidung der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 20.8.2008 abzuändern und dem Auftraggeber aufzugeben, dass die Vergabe von Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes für den Zeitraum vom 1.1.2009 bis zum 31.12.2013 im Gebiet des Auftraggebers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats nur im Wege eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens vergeben werden,

2. hilfsweise die Rechtssache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Frage vorzulegen, ob die Übertragung von Leistungen des Rettungsdienstes und des Krankentransports auf private Leistungserbringer dem Vergaberecht unterliegt,

3. hilfsweise festzustellen, dass die Antragstellerin in eigenen Rechten verletzt ist,

4. gemäß § 118 I 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zu einer Entscheidung durch das Oberlandesgericht zu verlängern.

Der Auftraggeber ist der Auffassung, das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens gebiete eine Verwerfung des Antrages nach § 118 I 3 GWB.

Hinsichtlich der Erfolgsaussichten verweist der Auftraggeber darauf, dass nach praktisch einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung die Übertragung rettungsdienstlicher Leistungen nicht den §§ 97 ff. GWB unterfalle. § 10 I BbgRettG vom 14.7.2007 definiere die Aufgaben des Rettungsdienstes, die auf Dritte übertragen werden könnten, als Vollzugsaufgaben und ordne sie dem hoheitlichen Bereich zu. Der Auftraggeber meint, damit seien sie dem Vergaberecht entzogen. Auch das Verwaltungsgericht Potsdam habe im Beschluss vom 14.8.2008 (10 L 342/08) zu Recht erkannt, dass das vorliegend zu beurteilende, vom Auftraggeber durchgeführte Verwaltungsverfahren zur Übertragung rettungsdienstlicher Aufgaben nicht den §§ 97 ff. GWB unterfalle.

II.

Der im gegenwärtigen Stadium des Beschwerdeverfahrens allein zu bescheidende Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde (§ 118 I 3 GWB) hat keinen Erfolg. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 118 I 3 GWB sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu berücksichtigen (§ 118 II GWB). Ergibt sich im Rahmen der summarischen Prüfung, dass die Beschwerde nicht erfolgversprechend ist, ist der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen, ohne dass es einer Interessenabwägung nach § 118 II 2 GWB bedarf (ständige Rechtsprechung des Senates, vgl. z.B. Beschluss vom 21.4.2006, Verg W 1/06; so auch OLG Düsseldorf in ständiger Rechtsprechung, vgl. Beschluss vom 24.9.2002, Verg 48/02; OLG Naumburg, vgl. Beschluss vom 15.7.2008, 1 Verg 5/08). Das ist hier der Fall.

1. Die sofortige Beschwerde hat nach vorläufiger Prüfung jedenfalls im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg, weil der Senat mit der Vergabekammer aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung darin übereinstimmt, dass es sich bei der ausgeschriebenen Leistung nicht um einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 I GWB handelt, so dass das Nachprüfungsverfahren nach den §§ 102 ff. GWB nicht eröffnet ist. Dabei kann dahinstehen, ob dieser Grund den Nachprüfungsantrag unzulässig macht, wie die Vergabekammer angenommen hat oder unbegründet, wie der Senat in einem Fall angenommen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 9.9.2004, Verg W 9/04).

a) Ausgehend von der Rechtsprechung des OLG Celle (vgl. Beschluss vom 12.11.1999, 13 Verg 7/99), des OLG Naumburg (Beschluss vom 19.10.2000, 1 Verg 9/00) sowie des BayObLG (Beschluss vom 28.5.2003, Verg 7/03), der sich der Senat bereits im Beschluss vom 9.9.2004 (Verg W 9/04) angeschlossen hat, handelt es sich nach der unveränderten Ansicht des Senates bei der ausgeschriebenen Rettungsdienstleistung nicht um einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 99 I GWB, so dass zum einen das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet ist, zum anderen der Auftraggeber nicht verpflichtet war, ein förmliches Vergabeverfahren gemäß §§ 97 ff. GWB durchzuführen. So hat auch das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 5.4.2006 (Verg 7/06) auf Grund einer vergleichbaren Rechtslage in Nordrhein-Westfalen entschieden.

b) Allerdings hat das OLG Dresden mit Beschlüssen vom 4.7.2008 (WVerg 3/08 und WVerg 4/08) zwei Verfahren dem BGH zur Entscheidung vorgelegt, weil es beabsichtigt, von der bisher einhelligen Rechtsprechung der genannten Oberlandesgerichte, insbesondere der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 5.4.2006, abzuweichen.

c) Der erkennende Senat sieht auch unter Berücksichtigung dieser Entscheidungen - ebenso wie der Vergabesenat des OLG Naumburg (vgl. Beschluss vom 15.7.2008, 1 Verg 5/08) - keinen Anlass, seine Rechtsprechung zu ändern. Der Senat sieht sich damit auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die bei vergleichbarer Rechtslage die Übertragung der Durchführung des Rettungsdienstes nicht als entgeltlichen Vertrag über die Beschaffung einer Marktleistung, der unter die Vorschriften des Vergaberechts fällt, ansehen (vgl. BayVGH, Urteil vom 19.1.2004, 21 B 00.2569; Niedersächsiches OVG, Urteil vom 24.4.2008, 11 LB 266/07). Dementsprechend hat auch bereits das Verwaltungsgericht Potsdam hinsichtlich des identischen Vorhabens des Auftraggebers in einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren entschieden (Beschluss vom 14.8.2008, 10 L 342/08). Der verfahrensgegenständliche Auftrag wird auch von der Bereichsausnahme der Art. 54, 45 EGV erfasst (so auch OLG Naumburg, Beschluss vom 15.7.2008, a.a.O.). Anderes ergibt sich nicht aus den in der Beschwerdebegründung von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des EuGH.

2. Selbst wenn der Senat aber entgegen den vorstehenden Ausführungen annehmen würde, dass die vom Auftraggeber beabsichtigte Vergabe der Rettungsdienstleistungen ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 99 I GWB wäre, könnte die sofortige Beschwerde keinen Erfolg haben. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag jedenfalls deshalb zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit aus § 107 III 1 GWB nicht genügt hat.

a) Zu Recht ist die Vergabekammer davon ausgegangen, dass für die Antragstellerin die Rügeobliegenheit aus § 107 III 1 GWB bestand. Dem steht nicht entgegen, dass der Auftraggeber kein förmliches Vergabeverfahren im Sinne der §§ 97 ff. GWB durchgeführt hat.

aa) Eine Rüge ist als entbehrlich angesehen worden, wenn ein geregeltes Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrages überhaupt nicht durchgeführt worden ist (BayObLG, Beschluss vom 22.1.2002, Verg 18/01, NZBau 2002, 397; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.1.2005, VII-Verg 93/04, NZBau 2005, 484). Sie ist außerdem als entbehrlich angesehen worden, wenn ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung zwar eingeleitet worden ist, der potentielle Auftragnehmer aber nicht zu den für das Verhandlungsverfahren ausgewählten Bietern zählt (OLG Celle, Beschluss vom 8.12.2005, 13 Verg 2/05, NZBau 2006, 197). In diesen Fällen sind die potentiellen Bieter aber bereits nicht an einem geregelten Vergabeverfahren beteiligt, so dass sie jedenfalls keine aus der Beteiligung an einem geregelten Verfahren sich ergebenden Pflichten und Obliegenheiten treffen können.

bb) Die Antragstellerin war hier jedoch an einem geregelten Verfahren zur Vergabe eines Auftrages beteiligt. Aus dieser Verfahrensbeteiligung kann sie zum einen entsprechende Rechte ableiten und auch die Verletzung subjektiver Rechte gemäß § 97 VII GWB geltend machen. Dem entspricht es jedoch auf der anderen Seite, ihr aus dieser Verfahrensbeteiligung auch entsprechende Pflichten sowie hier die Rügeobliegenheit gemäß § 107 III 1 GWB aufzuerlegen.

cc) Dem hält die Antragstellerin erfolglos entgegen, dass es an einem intensivierten Pflichtenverhältnis zwischen ihr und dem Auftraggeber fehle, das regelmäßig erst durch ein förmliches Vergabeverfahren begründet werde.

Eine de-facto-Vergabe im eigentlichen Sinne kann nur dann angenommen werden, wenn ein Auftrag ohne jedes rechtlich geregelte Verfahren durchgeführt wird. Will der Auftraggeber demgegenüber einen öffentlichen Auftrag zwar nicht in einem Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. GWB, jedoch nach entsprechender Bekanntmachung in einem anderen Verfahren vergeben, das den am Verfahren Beteiligten entsprechende Verfahrensrechte und -positionen einräumt, liegt ein geregeltes formelles Verfahren zur Vergabe eines Auftrages vor, das nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten begründet.

dd) Das ist hier der Fall und gilt um so mehr, als der Auftraggeber zwar kein Vergabeverfahren im Sinne der §§ 97 ff. GWB durchgeführt hat, weil er rechtlich davon ausgegangen ist, keinen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 99 GWB vergeben zu wollen, er aber sogar ausdrücklich in seiner Bekanntmachung darauf hingewiesen hat. Er hat jedoch ein Verwaltungsverfahren i.S.v. § 9 VwVfGBbg zur Vergabe der Rettungsdienstleistungen eingeleitet und durchgeführt. An diesem Verwaltungsverfahren zur Vergabe des Auftrages hat der Auftraggeber die Antragstellerin beteiligt. Das begründete für die Antragstellerin zum einen entsprechende Verfahrensrechte, zum anderen aber auch die entsprechenden Verfahrenspflichten und -obliegenheiten. War die Antragstellerin der Auffassung, die aus der Bekanntmachung zur beabsichtigten Übertragung rettungsdienstlicher Leistungen ersichtliche Auffassung des Auftraggebers, keinen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 99 GWB zu vergeben und deshalb das Verfahren nach § 9 VwVfGBbg zu beschreiten, sei falsch, war sie auf Grund der ihr eingeräumten Position als Verfahrensbeteiligter gehalten, die Wahl der falschen Verfahrensart zur Vergabe des Auftrages, nämlich eines Verwaltungsverfahrens gemäß § 9 VwVfGBbg statt eines Vergabeverfahrens gemäß §§ 97 ff. GWB, rechtzeitig gemäß § 107 III 1 GWB zu rügen, wenn sie daraus Rechte herleiten wollte.

ee) Die von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang zur Stützung ihrer abweichenden Rechtsauffassung zitierten Entscheidungen der Vergabesenate sind nicht einschlägig.

Der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 25.1.2005 (VII-Verg 93/04) lag ein anderer Sachverhalt zugrunde. Dort hatte der Auftraggeber nämlich überhaupt kein geregeltes Verfahren zur Vergabe des Auftrages durchgeführt, sondern wollte den Auftrag direkt einem Unternehmen nach vorherigen Verhandlungen ausschließlich mit diesem einen Unternehmen erteilen. Die Antragstellerin dieses Verfahrens erfuhr zufällig erst durch ein ihr zugeleitetes anonymes Schreiben vom Vertragsschluss und war demzufolge auch nicht an einem Verfahren zur Vergabe dieses Auftrags beteiligt.

Der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 19.7.2006 (VII-Verg 26/06) lag ebenfalls ein nicht vergleichbarer Fall zugrunde. Zwar forderte die Auftraggeberin in diesem Fall insgesamt fünf Unternehmen, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene des Verfahrens auf, ein Angebot für Wäschedienstleistungen abzugeben, so dass die dortige Antragstellerin sich mit ihrem Angebot an einem materiellen Vergabeverfahren beteiligte. Dahinstehen kann, ob bereits dieser Umstand ein verfahrensrechtliches Sonderverhältnis mit daraus erwachsenden Pflichten und Obliegenheiten begründet. Jedenfalls führte im vorliegenden Streitfall der Auftraggeber ein geregeltes Verfahren zur Vergabe eines Auftrages, nämlich ein Verwaltungsverfahren gemäß § 9 VwVfGBbg durch. Die Entscheidungen des OLG Dresden vom 4.7.2008 (WVerg 3/08 und WVerg 4/08) geben für den Standpunkt der Antragstellerin nichts her. Das OLG Dresden konnte und hat dahinstehen lassen, ob eine Rügeobliegenheit bestand, weil die Antragstellerin der dortigen Verfahren sie jedenfalls rechtzeitig erfüllt hätte.

b) Die Antragstellerin hat nicht bzw. nicht rechtzeitig die von ihr geltend gemachten Vergabefehler gerügt.

aa) Die Rügefrist des § 107 III 1 GWB beginnt, wenn dem Bieter diejenigen Tatsachen bekannt sind, aus denen sich ein tatsächlicher oder vermeintlicher Verstoß gegen Vergabevorschriften ergibt. Für die Entstehung der Rügeobliegenheit ist außerdem eine zumindest laienhafte rechtliche Wertung des Bieters erforderlich, dass die betreffenden Punkte rechtlich zu beanstanden sind. Die Rügeobliegenheit besteht nicht erst von dem Zeitpunkt an, in dem der Bieter Kenntnis von einem völlig zweifelsfreien und in jeder Beziehung nachweisbaren Verstoß gegen Vergabevorschriften erlangt; ausreichend ist vielmehr das Wissen um einen Sachverhalt, der aus subjektiver Sicht des Bieters den Schluss auf einen Vergaberechtsverstoß erlaubt und der es bei vernünftiger Betrachtung als gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden. Eine positive Kenntnis i.S.d. § 107 III 1 GWB wird regelmäßig auch dann angenommen, wenn sich ein redlich Denkender nicht der Überzeugung verschließen würde, die der rechtlichen Würdigung der tatsächlichen Umstände zu Grunde liegt. Nach diesen Maßstäben kann im Rahmen des § 107 III 1 GWB von einer Kenntnis des Verstoßes grundsätzlich nur gesprochen werden, wenn dem Bieter einerseits die den Verstoß begründenden Tatsachen bekannt sind und andererseits diese Tatsachen bei objektiver Wertung aus der Sicht des Bieters so offensichtlich einen Mangel des Vergabeverfahrens darstellen, dass der Bieter sich dieser Überzeugung schlechterdings nicht verschließen kann (vgl. Beschluss des Senates vom 27.7.2007, Verg W 5/07; OLG Naumburg, Beschluss vom 14.12.2004, 1 Verg 17/04, Rn. 62 ff. - zitiert nach Juris).

bb) Die unterlassene Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens gemäß §§ 97 ff. GWB hat die Antragstellerin vor Stellung des Nachprüfungsantrages seit der nationalen Bekanntmachung des Auftraggebers vom 4.6.2007 im Ausschreibungsblatt für die Bundesländer Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern überhaupt nicht gerügt. Sie hat diese Fehler auch nicht im Schreiben vom 18.2.2008 gerügt, wie sie mit der Beschwerdebegründung geltend macht. Die Antragstellerin hat auch nicht dargelegt, dass die Rüge entbehrlich wäre. Dies ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.

cc) Die nachträgliche Festlegung von Wertungskriterien sowie deren Gewichtung hat der Auftraggeber bereits mit Schreiben vom 31.8.2007 mitgeteilt. Dennoch hat die Antragstellerin erst mit Schreiben vom 18.2.2008 fast ein halbes Jahr später eine Rüge erhoben, die die Bekanntmachung von Wertungskriterien nach Angebotsabgabe beanstandet. Die Antragstellerin hat dies als erheblichen Verstoß gegen das Transparenzgebot angesehen. Der Auftraggeber dürfe nach Bekanntgabe der Zuschlagskriterien diese nicht mehr aufheben, ändern oder ergänzen und bei der Wertung der Angebote nicht von ihnen abweichen, da er sonst tragende Grundsätze des Vergabeverfahrens - die Selbstbindung des Auftraggebers und den Vertrauensschutz für die Teilnehmer am Wettbewerb sowie das Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot verstoßen würde. Da der Auftraggeber keine Wertungskriterien in der Bekanntmachung der Ausschreibung am 4.6.2007 angegeben habe, sei allein zulässiges Wertungskriterium der Preis. Letztlich macht die Antragstellerin geltend, allein auf diese Weise werde der Manipulation des Auftraggebers bei der Wertung der Angebote wirksam begegnet, die möglich wäre, wenn der Auftraggeber nachträglich nicht bekannt gegebene Kriterien in die Wertung einbeziehen dürfte. Vor diesem Hintergrund steht für den Senat fest, dass die Antragstellerin bereits mit der Bekanntgabe der nachträglich bestimmten Wertungskriterien durch den Auftraggeber am 31.8.2007, also deutlich nach dem Schlusstermin zur Abgabe der Angebote am 18.7.2007, nach deren Kenntnis und sogar einen Tag nach Durchführung eines Bietergespräches mit der Antragstellerin auch Kenntnis von dem Vergaberechtsverstoß hatte. Denn es lag auf der Hand, dass durch erst zu diesem späten Zeitpunkt und in Kenntnis der Angebote vom Auftraggeber festgelegte Wertungskriterien das Wertungsergebnis manipuliert werden konnte. Eine jedenfalls von der Antragstellerin in der Laiensphäre vollzogene Wertung musste deshalb zu dem Ergebnis führen, dass dies nicht in Ordnung und mithin fehlerhaft ist. Die danach mit der Bekanntgabe der nachträglich festgelegten Wertungskriterien einsetzende Rügefrist von höchstens zwei Wochen hat die Antragstellerin bei weitem überschritten. Sie ist deshalb mit dieser Rüge präkludiert.

dd) Da hier ein Rügeerfordernis besteht, kommt es auf die Frage nicht an, ob angesichts des erheblichen Zeitablaufs die Antragstellerin das Nachprüfungsrecht verwirkt hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.6.2008, 15 Verg 3/08).

c) Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung kann auch im Hinblick auf deren Hilfsantrag, die Rechtssache dem BGH zur Entscheidung über die Frage vorzulegen, ob die Übertragung von Leistungen des Rettungsdienstes und des Krankentransports auf private Leistungserbringer dem Vergaberecht unterliegt, keinen Erfolg haben.

Bei Zugrundelegung der hier dargelegten Rechtsauffassung des Senates kommt eine Divergenzvorlage gemäß § 124 GWB nicht in Betracht, weil der Senat damit nicht von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des BGH in einer Vergabesache abweichen will. Die Vorlageentscheidungen des OLG Dresden vom 4.7.2008 (WVerg 3/08 und WVerg 4/08) sind keine Entscheidungen in der Hauptsache. Damit ist in der Hauptsache noch nicht entschieden, sondern lediglich die Zuständigkeit des BGH für die Entscheidung in der Sache begründet worden.

d) Selbst wenn der Senat seine Rechtsansicht zur hoheitlichen Ausgestaltung des Rettungsdienstes im Land Brandenburg im Laufe des Hauptverfahrens ändern sollte oder es für erforderlich halten sollte, das Verfahren bis zur Entscheidung des BGH auszusetzen, könnte der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg haben. Denn die damit verbundene Verlängerung des Hauptsacheverfahrens hätte in jedem Fall zur Folge, dass eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht rechtzeitig vor Beginn der im streitgegenständlichen Auftrag vorgesehenen Leistungszeit ergehen könnte. Im Rahmen der Entscheidung nach § 118 II 3 GWB muss deshalb das Interesse der Allgemeinheit an möglichst effektivem Rechtsschutz abgewogen werden. In diesem Fall überwiegen eindeutig die Interessen der Allgemeinheit an einer Sicherung des Rettungsdienstes über den 31.12.2008 hinaus.

Die bisherigen Verträge über Rettungsdienstleistungen auf dem Gebiet des Landkreises ... enden zum 31.12.2008, so dass sich der Auftraggeber zu Recht gezwungen sieht, die Erfüllung der ihm kraft Gesetzes obliegenden Aufgaben des bodengebundenen Rettungsdienstes ab dem 1.1.2009 sicherzustellen. Er hat schlüssig und überzeugend dargelegt, dass in Anbetracht der Kürze der noch verbleibenden Zeit bereits jetzt Vorkehrungen getroffen werden müssen, um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch eine unzureichende Funktion des Rettungsdienstes zu verhindern. In diesem Zusammenhang erscheint es auch ohne weiteres nachvollziehbar, dass der neue Leistungserbringer schon vor Beginn des Vertragszeitraumes sachlich und personell disponieren muss. Dies betrifft insbesondere den zu klärenden Personalübergang nach § 613a BGB, die Übergabe der Rettungswache sowie die Übernahme von Rettungsfahrzeugen und anderen medizinischen Ausrüstungen.

Die Sicherung eines flächendeckend funktionierenden Rettungsdienstes hat für den Senat Priorität. Das Risiko, dass wegen des Rechtsbehelfes der Antragstellerin im Landkreis ... ab dem 1.1.2009 kein voll funktionstüchtiger Rettungsdienst mehr besteht, kann nicht in Kauf genommen werden. Abgesehen von der existenziellen Bedeutung, welche die Notfallrettung für die Bevölkerung hat, besteht auch ein gesetzliches Gebot gemäß § 2 I BbgRettG, den Rettungsdienst ohne Unterbrechung weiterzuführen. Daher kann eine Zuschlagserteilung an den neuen Leistungserbringer nicht bis zur Entscheidung des BGH aufgeschoben werden. Das gilt auch für das berechtigte Interesse der Antragstellerin an möglichst effektivem Rechtsschutz. Bei notwendigen Maßnahmen der Gefahrenabwehr wie der Notfallrettung überwiegt das Interesse der Allgemeinheit das Rechtsschutzinteresse eines unterlegenen Bieters auch dann, wenn dies zur Folge hat, dass der Bieter nach Erteilung des Zuschlags allenfalls Schadensersatzansprüche (§ 126 S. 2 GWB) geltend machen kann.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Sie ergeht zusammen mit der Hauptsacheentscheidung.

Ende der Entscheidung

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