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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.08.2006
Aktenzeichen: Verg W 7/05 (1)
Rechtsgebiete: BGB, GWB, RVG, BRAGO


Vorschriften:

BGB § 247
GWB § 115 Abs. 2 Satz 2
GWB § 115 Abs. 2 Satz 3
GWB § 116
GWB § 118
GWB § 118 I 3
GWB § 121
GWB § 124 Abs. 1
GWB § 124 Abs. 2
RVG § 15 Abs. 2
RVG § 16
RVG § 17
RVG § 17 Nr. 4
RVG § 18
RVG § 19
RVG § 19 Abs. 1 Nr. 11
RVG § 19 Abs. 1 Nr. 16
BRAGO § 65a Satz 2
BRAGO § 65a Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

Verg W 7/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Kostenfestsetzungsverfahren

betreffend das Vergabenachprüfungsverfahren (Beschwerdeverfahren)

betreffend die Betriebsführung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung für einen kommunalen Zweckverband im Land Brandenburg,

hat der Vergabesenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. König, den Richter am Oberlandesgericht Kuhlig und die Richterin am Oberlandesgericht Eberhard

am 08.08.2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Erinnerung der Antragstellerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. April 2006 (Verg W 7/05) dahin abgeändert, dass die Antragstellerin an Kosten des Beschwerdeverfahrens 96.495,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab dem 6. Januar 2006 an den Auftraggeber zu erstatten hat.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin hatte die Nachprüfung einer Vergabeentscheidung des Auftraggebers beantragt. Den Nachprüfungsantrag verwarf die Vergabekammer durch Beschluss vom 25.4.2005 als unzulässig. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Der Senat verlängerte durch Beschluss vom 24.5.2005 auf den Antrag der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer bis zur Entscheidung über die Beschwerde. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wies der Senat durch Beschluss vom 30.8.2005 mit der Maßgabe zurück, dass der Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen wird. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen erlegte er der Antragstellerin auf. Den Wert für das Beschwerdeverfahren setzte der Senat auf 7,4 Mio. € fest.

Der Auftraggeber hat die Festsetzung von Kosten in Höhe von 140.231,93 € beantragt, ausgehend davon, dass für das Beschwerdeverfahren eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV sowie eine gesonderte 2,3-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3300 VV für das Verfahren gemäß § 118 GWB angefallen sei.

Der Rechtspfleger hat die die von der Antragstellerin dem Auftraggeber zu erstattenden Kosten durch Beschluss vom 10.4.2006 antragsgemäß auf 140.231,93 € festgesetzt. Hiergegen hat die Antragstellerin Erinnerung eingelegt. Sie ist der Auffassung, die 1,6-fache Gebühr für das Beschwerdeverfahren sei auf die 2,3-fache Gebühr für das Verfahren gemäß § 118 GWB anzurechnen. Es seien daher nur 96.495,75 € festzusetzen.

Der Rechtspfleger hat der Erinnerung durch Beschluss vom 8.5.2006 nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Erinnerung (§§ 11 II RpflG, 569 ZPO) hat in der Sache Erfolg. Außergerichtliche Kosten des Auftraggebers sind nur in Höhe von 96.495,75 € entstanden und erstattungsfähig. Im Rahmen der Kostenfestsetzung im Beschwerdeverfahren ist als Verfahrensgebühr für das Verfahren nach § 118 I 3 GWB lediglich eine 0,7-fache Verfahrensgebühr anzusetzen (im Anschluß an OLG Naumburg, Beschluss vom 26.6.2006, 1 Verg 7/05; OLG Dresden, Beschluss vom 10.6.2005, WVerg 13/04; KG NZBau 2005, 358/359).

1. Der Senat nimmt mit der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung verschiedene Angelegenheiten an (KG NZBau 2005, 358/359; OLG Dresden Beschluss vom 10.6.2005, WVerg 13/04; OLG Naumburg Beschluss vom 26.6.2006 1 Verg 7/05; offen gelassen von BayObLG Beschluss vom 19.1.2006, Verg 22/04).

Das OLG Naumburg hat dazu ausgeführt:

"Zwar werden die genannten Verfahren nicht ausdrücklich im Katalog der §§ 16 bis 19 RVG aufgeführt, in dem der Gesetzgeber beispielhaft aufgeführt hat, welche Angelegenheiten er als einheitlich und welche als verschiedene Angelegenheiten i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG ansieht.

Das Verfahren nach § 118 GWB entzieht sich auch einer klaren Einordnung nach diesen Vorschriften: In Betracht käme eine Analogie zu § 17 Nr. 4 RVG, wonach Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gegenüber dem Hauptsacheverfahren getrennte Verfahren sind. Die dort aufgeführten Verfahren können jedoch isoliert vom Hauptsacheverfahren eingeleitet werden, anders als das Verfahren nach § 118 GWB, welches die Erhebung der sofortigen Beschwerde in der Hauptsache voraussetzt. Erwägenswert wäre u.U. auch eine analoge Anwendung des Rechtsgedankens aus § 19 Abs. 1 Nrn. 11 und 16 RVG, wonach unselbständige einstweilige Maßnahmen kostenrechtlich als Bestandteil des Hauptsacheverfahrens behandelt werden (vgl. BayObLG, Beschluss v. 19. Januar 2006, Verg 22/04). Diese Auffassung vertrat die Rechtsprechung nach alter Rechtslage vor Änderung der Kostenvorschriften ganz überwiegend (vgl. Weyand, ibr-online-Komm. Vergaberecht, Stand 27.4.2006, § 118 GWB, Ziff. 27.5.1 m.w.N.).

Dem gegenüber behandeln die Bestimmungen des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (KV, Anlage 1 z. GKG) und des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV, Anlage 1 z. RVG) das Hauptsacheverfahren nach § 116 GWB und das Eilverfahren nach § 118 GWB (gleiches gilt für das Eilverfahren nach § 121 GWB) als verschiedene Verfahren. So enthält das Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz neben den Kostenregelungen zum Verfahren nach § 116 GWB (KV Nr. 1220 bis 1223) auch gesonderte Kostenregelungen zu den Eilverfahren nach § 118 GWB bzw. § 121 GWB (KV Nr. 1640 und 1641). Im Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sind getrennte Gebührensätze (VV Nr. 3200 bis 3203 und VV Nr. 3300 und 3301) ausgewiesen. Während das Verfahren nach § 116 GWB in diesen Regelungen jeweils zutreffend als besonderes zweitinstanzliches Verfahren bewertet und bezeichnet wird, sollen die Verfahren nach § 118 GWB bzw. 121 GWB aus kostenrechtlicher Sicht besondere erstinstanzliche Verfahren sein. Unabhängig davon, ob dieser Einschätzung zu folgen ist, zeigt sich auch hierin der gesetzgeberische Wille einer gesonderten kostenrechtlichen Betrachtung der Verfahren nach § 118 GWB bzw. nach § 121 GWB gegenüber dem Hauptsacheverfahren."

Dem schließt sich der Senat an.

2. Die Verfahrensgebühr für das Beschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. GWB ist mangels entsprechender Anrechnungsregel nicht auf die Verfahrensgebühr im Eilverfahren nach § 118 GWB anzurechnen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.4.2005, VII Verg 42/04 = IBR 2005, 445 m. Anm. Müller-Stoy; OLG Rostock, Beschluss vom 28.7.2005, 17 Verg 9/05; OLG Naumburg, a.a.O.; a.A. BayObLG, a.a.O; OLG Dresden, Beschluss vom 10.6.2005, WVerg 13/04).

3. Die Gebührenansätze Nr. 3300 und 3301 VV RVG sind jedoch berichtigend dahin auszulegen, dass nach Nr. 3300 lediglich eine 0,7-fache Gebühr anfällt (ebenso KG, Beschluss vom 14.2.2005, 2 Verg 13/04 und 14/04 - VergabeR 2005, 402 = NZBau 2005, 358 = ZfBR 2005, 419; ebenso: Trautner VergabeR 2005, 405; a.A. Schons AnwBl. 2005, 367).

Das OLG Naumburg (a.a.O.) hat dazu ausgeführt:

"Zwischen den Gebührensätzen nach VV RVG Nr. 3200 und Nr. 3300 besteht nach ihrem Wortlaut ein erheblicher Wertungswiderspruch.

Es ist sachlich nicht zu rechtfertigen, dass ein Eilverfahren, welches lediglich eine summarische Prüfung der Evidenz einer fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels und eine Interessenabwägung zum Gegenstand hat und auf eine vorläufige Entscheidung gerichtet ist, einen um mehr als 40 % höheren Gebührensatz auslöst als das Hauptsacheverfahren, in dem u.U. eine Vielzahl von Rügen im Detail geprüft und abschließend, in den Fällen des § 124 Abs. 1 GWB sogar mit Bindungswirkung über das konkrete Nachprüfungsverfahren hinaus beschieden werden müssen. Diese Charakteristik trifft trotz der im Übrigen bestehenden Unterschiede zwischen den Verfahren nach §§ 118 und 121 GWB einerseits und den Rechtsbehelfsverfahren nach §§ 115 Abs. 2 Satz 2 und 115 Abs. 2 Satz 3 GWB andererseits auf alle in VV RVG Nr. 3300 erfassten Verfahren zu (ebenso KG Berlin a.a.O.: "... es wäre ganz fernliegend ---"; BayObLG, a.a.O.: "... ist das Ergebnis unter mehreren Aspekten ungereimt ..."). Dem Umstand, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts in einem Eilverfahren zusätzlichen Arbeitsaufwand erfordert und unter erheblichem Zeitdruck steht, ist bereits durch die Einordnung als besondere, vom Hauptsacheverfahren verschiedene Angelegenheit Rechnung getragen worden.

Dem entspricht, dass das Kostenrecht sowohl für die gerichtlichen Gebühren als auch für die Rechtsanwaltsvergütung für keine andere vergleichbare Verfahrenssituation im Verhältnis von Hauptsacheverfahren und einstweiligem Rechtsschutz eine Höherbewertung des vorläufigen Verfahrens kennt. Im Gegenteil: Das Gerichtskostengesetz beinhaltet im Vergleich der Gebühren für das Verfahren nach § 116 GWB einen höheren Gebührensatz (KV 1220: 4,0 Gebühren), als für das Verfahren nach § 118 GWB oder § 121 GWB (KV Nr. 1640: 3,0 Gebühren).

Schließlich hat das Bayerische Oberste Landesgericht in seiner oben mehrfach zitierten Entscheidung zutreffend darauf verwiesen, dass es widersprüchlich erscheint, dass sich das Kostenrisiko des um Nachprüfung nachsuchenden Bieters vor allem dadurch deutlich erhöhen soll, dass ihm ein effektiver vergaberechtlicher Primärrechtsschutz gewährt wird, wozu die Bundesrepublik nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gerade verpflichtet ist.

Eine Korrektur dieses Wertungswiderspruches über eine unterschiedliche Festsetzung des Kostenwerts ist nicht eröffnet (vgl. BayObLG, a.a.O.). Der Wertungswiderspruch ist durch berichtigende Auslegung der Vorschrift zu beseitigen.

Entscheidend hierfür ist, dass aus der Gesetzesbegründung ganz offensichtlich hervorgeht, dass es sich bei der Angabe der Gebührensätze in VV RVG Nr. 3300 (und 3301) um ein Versehen handelt.

Nach dem Inhalt der Gesetzesbegründung strebte der Gesetzgeber eine Gebührenerhöhung gegenüber der bisher geltenden Regelung des § 65a Satz 2 und 3 BRAGO um 30 % (mit Aufrundung) an (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 215 linke Spalte). Der vorzitierten (alten) Kostenvorschrift lag noch eine Bewertung von Hauptsache- und Eilverfahren als einheitliche Angelegenheit mit zwingender Anrechnung der Verfahrensgebühr der Hauptsache zugrunde, so dass der Gebührensatz faktisch 0,5-Gebühren betrug. Unter Berücksichtigung einer 30%-igen Anhebung und anschließenden Aufrundung ergibt sich der Gebührensatz von 0,7 Gebühren."

Auch diesen Ausführungen, die hier ebenfalls zutreffen, schließt sich der Senat an.

4. Die von der Antragstellerin an den Auftraggeber danach zu erstattenden Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Vergabesenat in Höhe von 96.495,75 € berechnen sich wie folgt:

Gegenstandswert: 7.400.000 €

1. Beschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. GWB

 Verfahrensgebühr Nr. 3200 VV RVG 1,6 37.913,60 €
Terminsgebühr Nr. 3202 VV RVG 1,2 28.435,20 €
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Zwischensumme 66.368,80 €
Umsatzsteuer 16 % 10.619,00 €
Insgesamt 76.987,80

2. Antrag nach § 118 I 3 GWB

 Verfahrensgebühr Nr. 3300 VV RVG 0,7 16.587,20 €
Auslagenpauschale 20,00 €
Zwischensumme 16.607,20 €
Umsatzsteuer 16 % 2.657,15 €
Insgesamt 19.264,35 €
 96.252,15 €

Wegen der Bindung des Senates an den Antrag der Antragstellerin hat er dementsprechend die von ihr an den Auftraggeber zu erstattenden Kosten auf 96.495,75 € festgesetzt.

III.

Eine Vorlage an den BGH gemäß § 124 II GWB kam nicht in Betracht, weil die Vorlagepflicht nicht Entscheidungen über die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung des Rechtspflegers erfasst.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 11 IV RPflG, § 19 I 2 Nr. 5 RVG).

Ende der Entscheidung

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