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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 09.11.2004
Aktenzeichen: 1 ABR 11/02 (A)
Rechtsgebiete: BRAGO
Vorschriften:
BRAGO § 8 Abs. 1 | |
BRAGO § 8 Abs. 2 |
BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS
1 ABR 11/02 (A)
In dem Beschlussverfahren
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts am 9. November 2004 beschlossen:
Tenor:
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für die Rechtsbeschwerdeinstanz auf 613.550,26 Euro festgesetzt.
Gründe:
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats hat die Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit im zu Grunde liegenden Beschlussverfahren zum Zwecke der Gebührenberechnung beantragt. Gegenstand des Verfahrens war die An fechtung des Spruchs einer Einigungsstelle wegen Überdotierung des von dieser be schlossenen Sozialplans. Der vom Senat festgesetzte Wert entspricht dem feststehen den Wert des hier vorliegenden vermögensrechtlichen Gegenstands der Anwaltstätig keit.
1. Nach der Vorschrift des § 8 Abs. 1 BRAGO, die für den vorliegenden Antrag gemäß § 61 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 716, 788) weiterhin maßgeblich ist, be stimmt sich der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren nach den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wertvorschriften.
Im Beschlussverfahren nach § 2a ArbGG werden gem. § 12 Abs. 5 ArbGG (aF) gerichtliche Kosten nicht erhoben. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Beschlussverfahren ist deshalb nach der Auffangvorschrift des § 8 Abs. 2 BRAGO zu berechnen (BAG 14. Februar 1996 - 7 ABR 25/95 - AP BetrVG 1972 § 76a Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 76, zu B II 2 c der Gründe; GK-ArbGG/Wenzel Stand Dezember 2002 § 12 Rn. 95, 263 mwN; Germelmann in Germelmann/-Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 12 Rn. 135; Vetter NZA 1986, 182).
2. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BRAGO sind für die Berechnung des Gegenstands werts der anwaltlichen Tätigkeit bestimmte Regelungen der Kostenordnung sinngemäß heranzuziehen, soweit sie einschlägig sind. Ergibt sich aus ihnen der Gegenstandswert nicht, ist § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO anzuwenden.
Für Beschlussverfahren ergibt sich der Gegenstandswert aus den in § 8 Abs. 2 Satz 1 BRAGO in Bezug genommenen Vorschriften der Kostenordnung nicht. Es kommt deshalb stets § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO zur Anwendung.
3. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz BRAGO ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen, wenn er nicht "feststeht". Ein feststehender Wert bindet die Gerichte.
Kommt es auf billiges Ermessen an, weil der Gegenstandswert nicht feststeht, so ist der maßgebliche Wert bei vermögensrechtlichen Gegenständen nach Halbsatz 2 der Bestimmung in erster Linie zu schätzen; dies folgt aus einem Umkehrschluss, den der Wortlaut gebietet. Erst wenn entweder für eine Schätzung genügende tatsächliche Anhaltspunkte fehlen oder es sich um einen nichtvermögensrechtlichen Gegenstand handelt, ist der Gegenstandswert auf 4.000,00 Euro, nach Lage des Falles auch niedriger oder höher anzusetzen, jedoch nicht über 500.000,00 Euro hinaus, § 8 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO aE.
4. § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO unterscheidet erst im 2. Halbsatz ausdrücklich zwischen vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Gegenständen. Die Vorschrift stellt dabei eine Anleitung für die Ausübung des billigen Ermessens nach Halbsatz 1 dar. Voraussetzung für ihre Anwendung ist dementsprechend, dass der Gegenstandswert überhaupt nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. Das ist nach § 8 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz BRAGO nur der Fall, wenn er nicht bereits "feststeht". Dieser Aufbau des Gesetzes legt den Schluss nahe, dass ein Gegenstandswert, der iSv. § 8 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz BRAGO feststeht, sowohl für vermögensrechtliche als auch für nichtvermögensrechtliche Gegenstände maßgeblich ist.
Eine solche Schlussfolgerung ist jedoch nicht gerechtfertigt. Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit ist bei nichtvermögensrechtlichen Gegenständen vielmehr stets nach § 8 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO zu bestimmen. Unabhängig von der Frage, ob der Wert eines nichtvermögensrechtlichen Gegenstands im Sinne dieser Vorschrift überhaupt feststehen kann, würde andernfalls übersehen, dass § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO für den Bereich der anwaltlichen Gebühren den Vorschriften des § 12 GKG und § 30 KostO entspricht. Diese sehen für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten ausschließlich ein § 8 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO entsprechendes Verfahren vor; § 30 Abs. 1 KostO kennt einen "feststehenden" Wert ausdrücklich nur im Zusammenhang mit vermögensrechtlichen Angelegenheiten. § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO hat demgegenüber die in § 12 GKG und § 30 KostO deutlich getrennte und in verschiedene Absätze aufgeteilte Wertberechnung nach vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Gegenständen textlich in einem (Ab)Satz zusammengefasst. Es ist sachlich nicht gerechtfertigt und würde zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen, hieraus im Falle der anwaltlichen Gebührenberechnung bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten eine im Vergleich zur Ermittlung der Gerichts- und Notargebühren grundlegend andere Methode abzuleiten.
5. Sowohl der Wert eines vermögensrechtlichen Gegenstands, der nicht feststeht, als auch der Wert eines nichtvermögensrechtlichen Gegenstands sind damit nach billigem Ermessen zu bestimmen (so zu Recht Landesarbeitsgericht Hamburg 4. August 1992 - 2 Ta 6/92 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 18, zu II 2 b cc der Gründe). Bei Ausübung dieses Ermessens kann sich die gesetzliche Unterscheidung zwischen den beiden Gegenständen erneut auswirken.
a) Bei vermögensrechtlichen Gegenständen ist billiges Ermessen, falls möglich, anhand einer auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhenden Schätzung auszuüben. Die Wertfestsetzung ist in diesem Fall nicht auf einen Höchstbetrag begrenzt. Fehlt es dagegen an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Schätzung, ist auch bei vermögensrechtlichen Gegenständen unter Beachtung der Höchstgrenze von 500.000,00 Euro nach § 8 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO zu verfahren.
b) Bei nichtvermögensrechtlichen Gegenständen ist das billige Ermessen unabhängig von tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Schätzung stets gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO auszuüben; der Höchstwert des Gegenstandswerts ist auch dabei auf 500.000,00 Euro begrenzt.
6. Im zu Grunde liegenden Fall war der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit vermögensrechtlicher Art.
a) Von einem vermögensrechtlichen Gegenstand ist auszugehen, wenn mit dem Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Anwalts bezieht, vornehmlich wirtschaftliche Zwecke verfolgt werden. Vermögensrechtlich ist der Gegenstand der Tätigkeit insbesondere, wenn diese auf die Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen gerichtet ist, die auf Geld oder geldwerte Leistungen gerichtet sind (vgl. BAG 22. Mai 1989 - 5 AZB 8/89 - AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 14 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 28; Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 85 Rn. 5; GK-ArbGG/Wenzel Stand Dezember 2002 § 12 Rn. 181; GK-ArbGG/Vossen Stand August 2001 § 85 Rn. 10). Dabei ist nicht erforderlich, dass diese Ansprüche aus einem vermögensrechtlichen Grundverhältnis entspringen, ausschlaggebend ist der Rechtscharakter des Anspruchs selbst (GK-ArbGG/Wenzel aaO).
Danach sind zwar die Gegenstände der anwaltlichen Tätigkeit im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren dann nichtvermögensrechtlicher Art, wenn es vornehmlich um Fragen der Teilhabe des Betriebsrats an der Gestaltung des betrieblichen Geschehens geht. Die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte hat keinen vermögensrechtlichen Charakter. Gleichwohl sind vermögensrechtliche Gegenstände nicht ausgeschlossen. Dies gilt etwa für den Streit um die Erstattung von Schulungsgebühren oder sonstiger Kosten der Betriebsratstätigkeit nach § 40 Abs. 1 BetrVG (vgl. GK-ArbGG/Wenzel Stand Dezember 2002 § 12 Rn. 266).
b) Das Anliegen der Arbeitgeberin im zu Grunde liegenden Fall war vermögensrechtlicher Art. Das von ihr mit der Anfechtung des Spruchs der Einigungsstelle verfolgte Interesse war die Beseitigung der für sie unakzeptablen Belastung durch das Volumen des beschlossenen Sozialplans. Die Arbeitgeberin hatte nach ihrem eigenen Vorbringen der Einigungsstelle zuletzt Sozialplanregelungen vorgeschlagen, die zu einem Gesamtvolumen von 2 Mio. DM geführt hätten. Einen ihrem Vorschlag entsprechenden Beschluss der Einigungsstelle hätte sie akzeptiert. Der von der Einigungsstelle statt dessen beschlossene Sozialplan führte zu einem Gesamtvolumen von 3,2 Mio. DM.
Das Interesse der Arbeitgeberin war folglich wirtschaftlicher Art. Es ging nicht um das Bestehen von Beteiligungsrechten des Betriebsrats, sondern allein um den angemessenen finanziellen Umfang des Sozialplans. Die auf die Verteidigung des Sozialplans gerichtete Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hatte dementsprechend einen vermögensrechtlichen Gegenstand.
7. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit steht hier im Sinne von § 8 Abs. 2, 1. Halbsatz BRAGO fest. Zwar greifen keine besonderen Wertvorschriften ein. Der Gegenstandswert steht aber auch dann fest, wenn er sich aus seinem gesetzlichen Begriff in § 7 BRAGO ableiten lässt (Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert BRAGO 15. Aufl. § 8 Rn. 23; Riedel/Sußbauer BRAGO 8. Aufl. § 8 Rn. 44). Danach besteht er in dem Wert, "den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat". Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit war das zwischen den Beteiligten durch den Sozialplan entstandene Rechtsverhältnis. Das von der Arbeitgeberin mit dessen gerichtlicher Anfechtung verfolgte wirtschaftliche Interesse war die Beseitigung der Mehrbelastung von 1,2 Mio. DM. Diesem Interesse entspricht damit der Wert des Verfahrensgegenstands. Ist zwischen den Betriebsparteien das Volumen eines Sozialplans umstritten und streiten sie ausschließlich über dieses, errechnet sich der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit nach der Differenz der vorgeschlagenen Volumina (BAG 14. Februar 1996 - 7 ABR 25/95 - AP BetrVG 1972 § 76a Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 76, zu B II 2 c der Gründe).
Der Wert war von 1,2 Mio. DM auf den entsprechenden Euro-Betrag umzurechnen. Die Kappungsgrenze des § 8 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BRAGO ist nicht maßgeblich. Bei vermögensrechtlichen Gegenständen greift sie allenfalls ein, wenn deren Wert nicht feststeht.
Ende der Entscheidung
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