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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 28.03.2000
Aktenzeichen: 1 ABR 17/99
Rechtsgebiete: BetrVG
Vorschriften:
BetrVG § 95 Abs. 3 Satz 1 | |
BetrVG § 99 |
Werden einem Arbeitnehmer - zB durch Freistellung während der Kündigungsfrist - die bisherigen Arbeitsaufgaben entzogen, ohne daß neue Tätigkeiten an deren Stelle treten, liegt keine Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vor.
Aktenzeichen: 1 ABR 17/99 Bundesarbeitsgericht 1. Senat Beschluß vom 28. März 2000 - 1 ABR 17/99 -
I. Arbeitsgericht Offenbach - 1 BV 16/97 - Beschluß vom 4. Dezember 1997
II. Landesarbeitsgericht Hessisches - 4 TaBV 65/98 - Beschluß vom 2. Februar 1999
1 ABR 17/99 4 TaBV 65/98
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS
Verkündet am 28. März 2000
Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In dem Beschlußverfahren
mit den Beteiligten
1.
Antragsteller, Beschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer,
2.
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Anhörung vom 28. März 2000 durch den Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Wißmann, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Rost und Hauck sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Federlin und Berg beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 2. Februar 1999 - 4 TaBV 65/98 - wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen !
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Freistellung (Suspendierung) von gekündigten Arbeitnehmern während der laufenden Kündigungsfrist eine nach § 99 iVm. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Versetzung ist.
Die Beteiligte zu 2 (Arbeitgeberin) ist die deutsche Niederlassung einer holländischen Luftfahrtgesellschaft. Der Beteiligte zu 1 (Betriebsrat) ist der für die Betriebe Frankfurt am Main, K und N (Hauptsitz) der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat.
Im Zuge der Übertragung des Bereichs Abfertigung/Operations am Frankfurter Flughafen auf die Frankfurter Flughafen AG (FAG) zum 1. Januar 1997 hat die Arbeitgeberin eine Reihe von betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmern wegen Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeitsleistung freigestellt.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Freistellungen seien Versetzungen iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG, bei denen er nach § 99 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht habe. Die Suspendierung von Arbeitnehmern - aus welchen Gründen auch immer - sei eine mitbestimmungspflichtige Veränderung des Arbeitsbereichs. Da schon der teilweise Entzug von Arbeitsaufgaben als Versetzung zu werten sei, sei die völlige Freistellung als die umfassendste Änderung des Arbeitsbereichs mitbestimmungspflichtig. Für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats spreche auch der Zweck der Mitbestimmung nach § 99 BetrVG, da sich durch den völligen Entzug der Arbeitsaufgaben eines Arbeitnehmers Belastungen für die übrigen Arbeitnehmer ergeben könnten.
Der Betriebsrat hat, soweit für die Rechtsbeschwerde von Interesse, beantragt
festzustellen, daß die Freistellung von Arbeitnehmern des Betriebes von ihrer bisherigen Tätigkeit während einer laufenden Kündigungsfrist und bis zu deren Ablauf der Mitbestimmung des Betriebsrats als Versetzung nach § 99 BetrVG iVm. § 95 Abs. 3 BetrVG unterliegt.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag des Betriebsrat abzuweisen.
Sie hat gemeint, bei den in Frage stehenden Freistellungen von Mitarbeitern während der Kündigungsfrist handele es sich nicht um mitbestimmungspflichtige Versetzungen. Den freigestellten Arbeitnehmern werde kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen, in dem sie ihre Arbeitsleistungen zu erbringen hätten.
Das Arbeitsgericht hat den ursprünglich gestellten Antrag, die Freistellung bestimmter Arbeitnehmer rückgängig zu machen, abgewiesen. Die Beschwerde des Betriebsrats, mit der er nur noch den Feststellungsantrag verfolgte, hatte beim Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betriebsrat weiter die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts. Die Arbeitgeberin bittet um Zurückweisung des Antrags.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat den noch streitigen Feststellungsantrag zu Recht abgewiesen.
Soweit das Landesarbeitsgericht ausgeführt hat, bei Freistellungen - jedenfalls wenn es um solche während des Laufs einer Kündigungsfrist geht - handele es sich nicht um mitbestimmungspflichtige Versetzungen, da nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 BetrVG eine mitbestimmungspflichtige Versetzung nur gegeben sei, wenn dem Arbeitnehmer neben dem Entzug des bisherigen Arbeitsbereichs ein anderer, neuer Arbeitsbereich zugewiesen werde, begegnet das keinen rechtlichen Bedenken.
I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Antrag zulässig ist.
1. Soweit der Betriebsrat im Beschwerdeverfahren seinen Antrag ausgewechselt und nur noch die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der Freistellung der betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer beantragt hat, handelt es sich um eine zulässige Antragsänderung. Nach § 87 Abs. 2 Satz 3 iVm. § 81 Abs. 3 ArbGG kann im Beschlußverfahren der Antrag noch in der Beschwerdeinstanz geändert werden. Eine solche Änderung liegt vor, wenn - wie hier - der Streitgegenstand eines anhängigen Verfahrens ausgetauscht wird (BAG 19. Februar 1991 - 1 ABR 36/90 - BAGE 67, 236, zu B I 3 der Gründe). Diese Antragsänderung ist zulässig (Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 87 Rn. 27), weil die Arbeitgeberin der Antragsänderung durch ihren Zurückweisungsantrag zugestimmt hat (§ 81 Abs. 3 Satz 2 ArbGG) und die Antragsänderung auch in der Beschwerdeinstanz noch als sachdienlich anzusehen ist (§ 81 Abs. 3 Satz 1 ArbGG).
2. Der Antrag des Betriebsrats ist dahin zu verstehen - wie im Termin zur Anhörung der Beteiligten klargestellt worden ist -, daß er lediglich solche Freistellungen erfaßt, bei denen die Arbeitnehmer auch von der Verpflichtung entbunden werden, sich im Betrieb einzufinden.
3. Das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) ist gegeben.
Streiten die Betriebsparteien über den Bestand, den Inhalt oder den Umfang eines Mitbestimmungsrechts, so kann dieser Streit nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im Wege eines allgemeinen Feststellungsverfahrens geklärt werden (Senatsbeschluß 21. September 1999 - 1 ABR 40/98 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, mwN). Das erforderliche Rechtsschutzinteresse liegt vor. Der Betriebsrat kann die Frage, ob bei personellen Einzelmaßnahmen im Sinne von § 99 BetrVG ein Beteiligungsrecht besteht, auch losgelöst vom Einzelfall klären lassen, wenn eine konkrete Maßnahme zwar abgeschlossen ist, aber für die Zukunft mit ähnlichen Streitfällen gerechnet werden muß (BAG 29. Februar 2000 - 1 ABR 5/99 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; 1. August 1989 - 1 ABR 51/88 - AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 17 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 16, zu B I 1 der Gründe). Unabhängig von dem konkreten Fall soll geklärt werden, ob solche Maßnahmen, die in gleicher Weise wieder auftreten können, als personelle Einzelmaßnahmen dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG unterliegen oder nicht (BAG 19. Februar 1991 - 1 ABR 36/90 - aaO, zu B I 5 b der Gründe). So verhält es sich hier. Die Beteiligten streiten generell und nicht bezogen allein auf die bisherigen Fälle darüber, ob dem Betriebsrat bei Freistellungen während der Kündigungsfrist ein Mitbestimmungsrecht bei Versetzungen im Sinne von §§ 99, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zusteht.
II. Der Betriebsrat hat bei den Freistellungen (Suspendierungen) der streitigen Art kein Mitbestimmungsrecht, da diese keine Versetzungen im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sind.
1. Nach § 99 Abs. 1 BetrVG bedarf in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Mitarbeitern die Versetzung von Arbeitnehmern der Zustimmung des Betriebsrats.
Eine Versetzung erfordert nach der Definition des § 95 Abs. 3 BetrVG die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die entweder voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs in diesem Sinne liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird, so daß der Gegenstand der nunmehr geforderten Arbeitsleistung, der Inhalt der Arbeitsaufgabe, ein anderer wird und sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert (BAG 19. Februar 1991 - 1 ABR 36/90 - aaO, zu B II 2 der Gründe). Maßgebend ist, daß sich die Tätigkeiten des Arbeitnehmers vor und nach der Maßnahme so von einander unterscheiden, daß die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere angesehen werden muß (zuletzt BAG 29. Februar 2000 - 1 ABR 5/99 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu B II 2 a der Gründe; Senatsbeschluß 22. April 1997 - 1 ABR 84/96 - AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 14 = EzA BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 2, zu B I 2 der Gründe). Ob ein anderer Tätigkeitsbereich zugewiesen worden ist, beurteilt sich ausschließlich nach den tatsächlichen Verhältnissen im Betrieb.
Als Versetzung mitbestimmungspflichtig ist somit die tatsächliche Beschäftigung in einem anderen Bereich, also die Zuweisung einer anderen Tätigkeit (BAG 30. September 1993 - 2 AZR 283/93 - BAGE 74, 291, zu B I 2 der Gründe). Eine erhebliche Veränderung des Arbeitsbereichs kann sich dabei auch dadurch ergeben, daß eine neue Teilfunktion übertragen oder ein Teil der bisher wahrgenommenen Funktion entzogen wird (BAG 2. April 1996 - 1 AZR 743/95 - AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 34 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 29). Zwar müssen dabei die neu übertragene oder die entzogene Tätigkeit nicht unbedingt überwiegen; maßgeblich ist jedoch, daß sie der Gesamttätigkeit ein solches Gepräge geben, daß nach ihrem Hinzutreten bzw. ihrem Wegfall insgesamt von einer anderen Tätigkeit ausgegangen werden kann. Eine Änderung in der Art der Beschäftigung ist aber dann keine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Versetzung, wenn der Arbeitgeber auf Grund seines Weisungsrechts einem Arbeitnehmer bei im übrigen gleichbleibender Tätigkeit einen Teil seiner Aufgaben entzieht, ohne daß dadurch ein neuer Arbeitsbereich entsteht (BAG 2 April 1996 - 1 AZR 743/95 - aaO).
2. Nach diesen Grundsätzen ist bei der Freistellung für die Dauer der Kündigungsfrist eine mitbestimmungspflichtige Versetzung im Sinne von §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht gegeben.
Dabei ist maßgeblich darauf abzustellen, daß eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die "Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs" erfordert und eine Versetzung daher nicht vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer - wie hier - bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeit freigestellt wird, ohne daß ihm ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen würde (BAG 22. Januar 1998 - 2 AZR 267/97 - AP BGB § 174 Nr. 11 = EzA BGB § 174 Nr. 13, zu III 4 b der Gründe). Wie der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden hat (BAG 22. Januar 1998 - 2 AZR 267/97 - aaO), fehlt bei der Freistellung für die Dauer der Kündigungsfrist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, da dem Arbeitnehmer gerade keine andere Tätigkeit zugewiesen, sondern lediglich der bisherige Arbeitsbereich mangels Beschäftigungsmöglichkeit ersatzlos entzogen wird.
Soweit der Senat die Herausnahme von Arbeitnehmern aus dem Schichtplan einer Betriebseinheit bzw. den Entzug der bisher wahrgenommenen Aufgabe als mitbestimmungspflichtige Versetzung angesehen hat, erfordert das keine andere Beurteilung. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs war zu bejahen, weil der betroffene Arbeitnehmer einer anderen Einheit zugewiesen worden war (BAG 2. November 1993 - 1 ABR 36/93 - BAGE 75, 24, zu B II 1 der Gründe).
Dementsprechend wird auch im Schrifttum ausgehend von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG überwiegend angenommen, daß die Suspendierung keine mitbestimmungspflichtige Versetzung ist (Sibben NZA 1998, 1266, mwN; Hoß/Lohr BB 1998, 2575, 2580, mwN; Küttner/Reinecke Personalbuch 1998 Versetzung Rn. 18; Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 19. Aufl. § 99 Rn. 105; Kraft GK-BetrVG, 6. Aufl. § 99 Rn. 66; ErfK/Hanau/Kania, § 99 BetrVG Rn. 14; Stege/Weinspach BetrVG 8. Aufl. §§ 99 - 101 Rn. 155; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 99 Rn. 48; ebenso von Hoyningen-Huene NZA 1993, 145, 148; aA Kittner in Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 6. Aufl. § 99 Rn. 107; ders. in AiB 1997, 474). Der abweichenden Meinung kann angesichts des Wortlauts von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht gefolgt werden (Sibben, aaO).
Allerdings dient das Mitbestimmungsrecht bei Versetzungen auch dem Schutz der Belange der Belegschaft, zu welcher der betroffene Arbeitnehmer bisher gehört hat. Es ist nicht zu verkennen, daß die übrigen Arbeitnehmer durch die Freistellungen unter Umständen zusätzlich belastet werden. Hiermit allein kann jedoch angesichts der deutlichen Regelung im Betriebsverfassungsgesetz das Vorliegen einer Versetzung nicht begründet werden. Derartige Belastungen können sich in vielerlei Zusammenhängen ergeben, wie beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers auf Grund einer Arbeitnehmerkündigung oder eines Aufhebungsvertrages, sowie bei der Freistellung von der Arbeitspflicht im Falle des Urlaubs. Zum Schutz vor diesen Belastungen sieht das Gesetz indessen keine Beteiligungsrechte vor.
Daß der Entzug des Arbeitsbereichs allein, ohne Zuweisung eines anderen Tätigkeitsbereichs, vom Betriebsverfassungsgesetz nicht als hinreichend gewichtig angesehen wird, um ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auszulösen, wird besonders deutlich bei der Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen. Nach § 102 BetrVG ist der Betriebsrat im Rahmen der beabsichtigten Kündigung eines Arbeitnehmers, die den Entzug des Arbeitsbereichs in seiner Gesamtheit zur Folge hat, lediglich anzuhören; er hat jedoch nicht, wie nach § 99 BetrVG, Zustimmungsverweigerungsrechte, welche die Interessen der übrigen Arbeitnehmer schützen sollen.
Ende der Entscheidung
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