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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 29.02.2000
Aktenzeichen: 1 ABR 5/99
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 95 Abs. 3
BetrVG § 99
Leitsätze:

Die Umsetzung einer Altenpflegekraft für mehr als einen Monat von einer Station auf eine andere in einem in mehrere Stationen gegliederten Seniorenheim ist jedenfalls dann eine Versetzung iSv. § 95 Abs. 3 BetrVG, wenn die einzelnen Stationen organisatorisch eigenständig sind.

Aktenzeichen: 1 ABR 5/99 Bundesarbeitsgericht 1. Senat Beschluß vom 29. Februar 2000 - 1 ABR 5/99 -

I. Arbeitsgericht Dortmund - 2 (3) BV 79/97 - Beschluß vom 2. Juni 1998

II. Landesarbeitsgericht Hamm - 13 TaBV 87/98 - Beschluß vom 15. Dezember 1998


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

1 ABR 5/99 13 TaBV 87/98

Verkündet am 29. Februar 2000

Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Beschlußverfahren

mit den Beteiligten

1.

Antragsteller, Beschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer,

2.

hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Anhörung vom 29. Februar 2000 durch den Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Wißmann, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Rost und Hauck sowie die ehrenamtlichen Richter Bayer und Prof. Dr. Wohlgemuth beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Dezember 1998 -13 TaBV 87/98 - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Dortmund vom 2. Juni 1998 - 2 (3) BV 73/97 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, daß dem Betriebsrat bei der Versetzung einer Pflegefachkraft innerhalb eines Seniorenheimes der Arbeitgeberin von einer Station (Wohnbereich) auf eine andere Station für die Dauer von mehr als einem Monat ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 99 BetrVG zusteht.

Von Rechts wegen!

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine mitbestimmungspflichtige Versetzung vorliegt, wenn der Arbeitgeber anordnet, daß eine auf einer bestimmten Station eines Seniorenheims tätige Pflegefachkraft künftig auf einer anderen Station desselben Seniorenheims arbeiten soll.

Antragsteller ist der im Betrieb der Arbeitgeberin gebildete, aus 11 Mitgliedern bestehende Betriebsrat. Die Arbeitgeberin betreibt in Dortmund sieben Seniorenheime, die jeweils in mehrere Stationen gegliedert sind. Jede Station hat eine Stationsleitung, die den Pflegedienstplan aufstellt und der Heimleitung zur Genehmigung vorlegt.

Anlaß für das Beschlußverfahren war eine von der Arbeitgeberin angeordnete Änderung des Einsatzes der Arbeitnehmerin Me. Frau Me. ist seit Juni 1995 als examinierte Altenpflegerin in dem Seniorenheim Dortmund-M. der Arbeitgeberin beschäftigt. Sie war zunächst auf der Station 2 tätig. Seit dem Jahre 1997 setzte die Arbeitgeberin sie auf der Station 1 ein. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt.

In dem Altenpflegeheim in Dortmund-M. bestehen vier Stationen und eine Tagespflegestation. Jede Station umfaßt einen Wohnbereich und einen Pflegebereich. Die Anzahl der Pflegekräfte pro Station orientiert sich an der Zahl der zu betreuenden Personen und an dem Grad ihrer Pflegebedürftigkeit. In den einzelnen Stationen befinden sich jeweils Bewohner verschiedener Pflegestufen.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Zuweisung einer pflegerischen Tätigkeit auf einer anderen Station für die Dauer von mehr als einem Monat sei eine mitbestimmungspflichtige Versetzung. Die neue Station sei ein anderer Arbeitsbereich. Zwar ändere sich die Arbeitsaufgabe der Altenpflegerin nicht. Die Art und Weise der Tätigkeit der Pflegekraft sei aber an den Bedürfnissen der jeweiligen Bewohner einer Station ausgerichtet. Werde eine Pflegekraft auf einer anderen Station eingesetzt, so müsse sie sich, ähnlich wie bei einer Neueinstellung, erst einmal mit allen Bewohnern der anderen Station bekanntmachen und das für die Tätigkeit erforderliche Vertrauensverhältnis zu den Bewohnern aufbauen.

Der Betriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Relevanz - beantragt festzustellen, daß ihm bei der Versetzung einer Pflegefachkraft innerhalb eines Seniorenheimes der Arbeitgeberin von einer Station (Wohnbereich) auf eine andere Station ein Mitbestimmungsrecht gem. § 99 BetrVG zusteht.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Einsatz einer Pflegefachkraft auf einer anderen als der bisherigen Station desselben Seniorenheimes sei keine Versetzung. Die Umsetzung führe nicht zur einer Änderung des Arbeitsbereichs. Die einzelnen Stationen eines Seniorenheimes seien keine eigenständigen betrieblichen Einheiten, der Wechsel von einer Station zu einer anderen stelle also keine Herausnahme aus einer betrieblichen Einheit dar. Die Arbeitsaufgabe der Altenpflegerin bleibe bei einem Wechsel der Station gleich.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Feststellungsantrag weiter. Die Arbeitgeberin bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat Erfolg. Zu Unrecht haben die Vorinstanzen seinen Antrag abgewiesen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Weisung der Arbeitgeberin, eine auf einer Station tätige Pflegekraft solle künftig auf einer anderen Station desselben Seniorenheimes als Pflegekraft arbeiten, sei keine mitbestimmungspflichtige Versetzung. Es werde kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen. Die neue Tätigkeit sei in den Augen eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters keine andere als die zuvor ausgeübte, die Arbeitsaufgabe sei nicht geprägt von der Einbindung in eine bestimmte Station. Zwar müßten bei einem Wechsel auf eine andere Station die Beziehungen zu den betreuten Bewohnern neu aufgebaut werden, dennoch sei das Gesamtbild der Tätigkeit nach dem Wechsel der Station kein anderes als vor dem Wechsel. Dem folgt der Senat nicht.

II. Der zulässige Antrag des Betriebsrats ist begründet. Dem Betriebsrat steht das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht zu.

1. Der Antrag ist zulässig.

In der mündlichen Anhörung vor dem Senat hat der Betriebsrat klargestellt, daß der Antrag nur solche Umsetzungen von Pflegekräften von einer Station auf eine andere zum Gegenstand hat, die die Dauer eines Monats überschreiten.

Für diesen Antrag ist das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Es entspricht ständiger Senatsrechtsprechung, daß der Streit der Betriebspartner über Bestand, Inhalt und Umfang eines Mitbestimmungsrechts im Wege eines allgemeinen Feststellungsverfahrens geklärt werden kann (Senatsbeschluß 21. September 1999 - 1 ABR 40/98 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Dies gilt auch für das Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG, weil in diesem Rahmen - jenseits von einem konkreten Einzelfall - die Frage geklärt wird, ob eine Maßnahme, die in gleicher Weise im Betrieb häufiger auftritt, als personelle Einzelmaßnahme dem Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG unterliegt oder nicht (Senatsbeschluß 19. Februar 1991 - 1 ABR 36/90 - BAGE 67, 236, zu B I 5 b der Gründe). Die Arbeitgeberin hat in der Vergangenheit Stationswechsel von Pflegekräften durchgeführt, ohne den Betriebsrat zu informieren, und bestreitet das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG weiterhin.

2. Der Antrag des Betriebsrats hat in der Sache Erfolg.

Bei der Umsetzung einer Pflegekraft innerhalb eines Seniorenheims der Arbeitgeberin von einer Station auf eine andere mit der Dauer von mehr als einem Monat handelt es sich um eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, die dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG unterliegt. In der Umsetzung auf eine andere Station des Seniorenheims liegt aufgrund der Veränderungen durch die Zuweisung der Arbeit in einer anderen Betriebseinheit mit anderen Heimbewohnern, Vorgesetzten und Kollegen die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, auch wenn im übrigen die Tätigkeit gleichbleibt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats liegt die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs dann vor, wenn dem Arbeitnehmer ein neuer Tätigkeitsbereich übertragen wird, so daß der Gegenstand der nunmehr geforderten Arbeitsleistung ein anderer wird und sich das Gesamtbild der Tätigkeit ändert (Senatsbeschluß 23. November 1993 - 1 ABR 38/93 - BAGE 75, 97, zu B 1 a der Gründe). Dabei kommt es darauf an, ob sich die Tätigkeiten vor und nach der Zuweisung so voneinander unterscheiden, daß die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere angesehen werden kann (Senatsbeschluß 22. April 1997 - 1 ABR 84/96 - AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 14 = EzA BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 2, zu B I 2 der Gründe).

Der Begriff des Arbeitsbereichs wird in § 81 BetrVG durch die Aufgabe und Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes umschrieben. Welche Arbeitsbereiche in einem Betrieb vorhanden sind, ergibt sich aus der jeweils geltenden Organisation des Betriebs (Senatsbeschluß 22. April 1997 - 1 ABR 84/96 - aaO). Arbeitsbereich ist danach der konkrete Arbeitsplatz und seine Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht (Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 241 Rn. 21, mwN). Allerdings stellt nicht jede diesbezügliche Änderung eine mitbestimmungspflichtige Versetzung dar; die Veränderung muß vielmehr so erheblich sein, daß ein vom bisherigen zu unterscheidender Arbeitsbereich vorliegt.

Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs ist etwa anzunehmen, wenn der Arbeitsort sich ändert, der Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und einer anderen zugewiesen wird oder sich die Umstände ändern, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Letzteres gilt dann, wenn die Arbeitsumstände für den Arbeitsbereich so bestimmend sind, daß bei ihrer Änderung das Gesamtbild der Tätigkeit ein anderes wird (st. Rspr., vgl. Senatsbeschlüsse 22. April 1997 - 1 ABR 84/96 - aaO, zu B I 2 der Gründe; 23. November 1993 - 1 ABR 38/93 - BAGE 75, 97, zu B 1 a der Gründe; 2. November 1993 - 1 ABR 36/93 - BAGE 75, 24, zu B II 1 der Gründe). Neben dem räumlichen Bezug und der Arbeitsaufgabe wird der Arbeitsbereich uU durch weitere Elemente gekennzeichnet, die sich insbesondere aus der mit der Aufgabe verbundenen Verantwortung, besonderen Belastungsfaktoren, der Einbindung in eine bestimmte betriebliche Einheit oder Gruppe und der Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Personen ergeben können (Senatsbeschluß 22. April 1997 - 1 ABR 84/96 - aaO, zu B I 3 a der Gründe).

b) Nach diesen Grundsätzen liegt im Wechsel von einer Pflegestation der Arbeitgeberin auf eine andere die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs.

Zwar ist in der hiermit verbundenen räumlichen Verlagerung des Arbeitsplatzes allein nicht schon die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs zu sehen. Innerbetriebliche Umsetzungen, also die Weisung, auf einem anderen Arbeitsplatz zu arbeiten im Sinne der konkreten Stelle, an der die Arbeit zu leisten ist, haben idR eine räumliche Veränderung zum Gegenstand; eine geringfügige räumliche Verlegung des bisherigen Arbeitsplatzes ist jedoch noch keine Versetzung (Senatsbeschluß 10. April 1984 - 1 ABR 67/82 - AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 8, zu B 5 der Gründe).

Auch die Art der Arbeitsaufgabe - Pflege der Heimbewohner nach dem jeweiligen Pflegebedarf - bleibt im wesentlichen gleich. Dennoch verändert sich das Gesamtbild der Tätigkeit, denn der Wechsel findet zwischen eigenständigen betrieblichen Einheiten statt. Die Stationen sind auf Dauer angelegte organisatorische Gliederungen; ihre Eigenständigkeit kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Dienstpläne von der Stationsleitung aufgestellt werden und lediglich noch der Genehmigung durch die Heimleitung bedürfen. Wird ein Arbeitnehmer auf einer anderen Station eingesetzt als vorher, so muß er mit einer anderen Stationsleitung, also anderen Vorgesetzten sowie mit anderen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten. Er wird in eine andere betriebliche Einheit eingegliedert, seine organisatorische Stellung ändert sich.

Die Umstände der Arbeitsleistung ändern sich außerdem dadurch, daß die von der Umsetzung betroffene Pflegekraft nunmehr andere Heimbewohner zu betreuen und sich auf diese einzustellen hat. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Tätigkeit einer Pflegekraft in einem Seniorenheim, der Pflege und Betreuung von älteren Menschen, kommt diesem Umstand maßgebende Bedeutung zu. Die Aufgabe von Altenpflegekräften allgemein ist die selbständige und eigenverantwortliche Betreuung und Pflege alter Menschen. Ihr Ziel ist es, den alten Menschen in seiner Persönlichkeit zu stärken, ihm Lebenshilfen im persönlichen Bereich zu geben und dabei zu helfen, seine körperliche, geistige und seelische Gesundheit so gut und so lange wie möglich zu erhalten. Dabei ist es besonders wichtig, aufgrund von Pflegeplanung und Pflegedokumentation den Tageslauf des alten Menschen zu strukturieren und spezielle Angebote für den einzelnen Menschen zu entwickeln (vgl. Blätter zur Berufskunde Altenpfleger/in 2-IV A 13 6. Aufl. 1998 S 4 ff., 10 f.). Je nach den individuellen Besonderheiten und Eigenschaften der zu betreuenden Heimbewohner ergeben sich dabei besondere Anforderungen an die Arbeit. Diese Ausrichtung an den unterschiedlichen Bedürfnissen der einzelnen Heimbewohner prägt die Tätigkeit um so mehr, als sich in einem Seniorenheim die zu betreuenden und zu pflegenden Menschen im allgemeinen für längere Zeit aufhalten, erheblich länger als zB in einem Krankenhaus. Das Gesamtbild der Tätigkeit einer Altenpflegekraft wird somit ganz wesentlich von den zu betreuenden Heimbewohnern und deren jeweiliger Pflegebedürftigkeit bestimmt. Bei der Umsetzung von einer Station auf eine andere tritt daher eine wesentliche Änderung des Gesamtbilds der Tätigkeit der Pflegekraft ein, die als Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs iSv. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG anzusehen ist.

c) Da sich der Antrag des Betriebsrats nur auf solche Umsetzungen bezieht, die die Dauer von einem Monat überschreiten, betrifft er nach der Definition des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG Versetzungen im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne.



Ende der Entscheidung

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