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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.06.2009
Aktenzeichen: 1 AZR 215/08
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 77 Abs. 6
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

Hinweise des Senats: Parallelverfahren Senat 23. Juni 2009 - 1 AZR 214/08 -

1 AZR 215/08

Verkündet am 23. Juni 2009

In Sachen

hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2009 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt, die Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft und Linsenmaier sowie die ehrenamtlichen Richter Wisskirchen und Dr. Klebe für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Januar 2008 - 7 Sa 643/07 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine in der Vergangenheit aufgrund einer Betriebsvereinbarung gezahlte Prämie.

Die Beklagte stellt in ihren Betrieben in J mit ca. 135 Arbeitnehmern sowie in B mit ca. 95 Arbeitnehmern Wellpappe her. Für beide Betriebe sind Betriebsräte errichtet, die einen Gesamtbetriebsrat gebildet haben.

Der Klägerin ist seit dem 22. März 1990 als Maschinenarbeiterin im Betrieb B beschäftigt. In ihrem Arbeitsvertrag vom 21. März 1990 heißt es ua.:

"Prämiengruppe: IV - KV ...

Die jeweilige Leistungsprämie kommt aus berechnungstechnischen Gründen im jeweiligen Folgemonat zur Auszahlung."

Die Beklagte wendet auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer die Tarifverträge der Papier erzeugenden Industrie an. Nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien im Revisionsverfahren war und ist die Beklagte Mitglied im Arbeitgeberverband der Papier erzeugenden Industrie von D und Umgebung e.V., D. Dieser gehört zur Vereinigung der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie (VAP). Der von ihm und den anderen Arbeitgeberverbänden geschlossene Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Papierindustrie in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin vom 7. Februar 1997 in der Fassung vom 15. Januar 2001 (MTV) enthält in § 17 unter der Überschrift "Leistungslohn" ua. folgende Regelungen:

"2. Prämien

2.1.1 Arbeiten, die sich zur Vergabe im Akkord nicht eignen, können in Prämienarbeit vergeben werden.

2.1.2 Zweck der Prämie ist es, bessere Ergebnisse an Menge und Güte und die Einsparung von Material, Energie, Roh-, Halb- und Hilfsstoffen zu erreichen.

2.1.3 Die Tarifpartner halten solche Prämien für empfehlenswert.

2.2.1 Die Prämienbedingungen und die Prämiensätze sowie die Abgrenzung des an den Prämiensystemen zu beteiligenden Personenkreises werden zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat vereinbart - § 87 BetrVG.

...

2.3.1.1 Bei den Produktionsprämien - das sind solche Prämien, die unmittelbar an die Produktion (nach Menge und Güte) gekoppelt sind - ist auszugehen von einer bestimmten Leistung von Mensch und Maschine, die zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat als normal vereinbart wird.

2.3.1.2 Der Kreis der Arbeitnehmer, der die Produktion unmittelbar erarbeitet hat, ist in der Prämienvereinbarung nach den betrieblichen Verhältnissen abzugrenzen.

2.3.2 Bei anderen Mengenleistungsprämien, Nutzungsprämien (Stillstandsverringerung) und kombinierten Prämien, die eines der vorstehenden Merkmale enthalten, ist auszugehen von einem zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat vereinbarten normalen Arbeits- und Leistungsergebnis.

2.3.3 Die in den Ziffern 2.3.1.1 und 2.3.2 genannten Prämien sind so zu bemessen, dass bei Überschreitung der vereinbarten Leistung der Arbeitnehmer innerhalb eines betrieblich in der Prämienvereinbarung festzulegenden Abrechnungszeitraumes einen durchschnittlichen Prämienverdienst erzielt, der mindestens 10 % des tariflichen Zeitstundenlohnes oder des Arbeitswertlohnes beträgt.

2.3.4 Vor Überschreitung der vereinbarten Leistung besteht kein Anspruch auf Prämie.

..."

Am 16. Dezember 1975 wurde "zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat der Firma C GmbH, Papier- und Wellpappenfabriken" eine "Betriebsvereinbarung zur Leistungsentlohnung" (BV 1975) geschlossen. Unterzeichnet ist sie von der "Geschäftsleitung" und dem "Betriebsrat". Nach ihrem Einleitungssatz "umfasst" sie "die Bereiche Papierfabrik, Wellpappenwerk, Papierverarbeitung und das Wellpappenwerk N". Die BV 1975 enthält ua. folgende Regelungen:

"A. Allgemeine Bestimmungen

I. Begründung der Neuregelung

...

Durch die Betriebsabläufe und durch die Personalsituation ist die Beibehaltung der TeilAkkordentlohnung in der Abtlg. Wellpappe und im Werk N nicht mehr vertretbar.

II. Entlohnungsgrundsätze

1. Bemessungsgrundlage der Prämie können gem. Mtv, Mengen-, Güte- und Sparleistungen sowie Kombinationen davon sein.

2. Die jeweilige Prämienart ist zwischen den Vertragsparteien für jeden einzelnen Teilbereich zu vereinbaren.

3. In den einzelnen Prämienbereichen werden Bezugsleistungen festgelegt.

...

V. Prämienbereiche

... Für jeden Prämienbereich ist eine besondere Prämienregelung zu vereinbaren.

VI. Leistungsprämien

...

4. Prämienfähige Stunden

a) Prämienfähig sind alle Arbeitsstunden, in denen die Prämienberechtigten an der Erarbeitung der Ist-Leistung mitgewirkt haben, die der Ermittlung des Leistungsergebnisgrades zugrunde gelegen haben

...

5. Prämienhöhe

a) Die Höhe der Prämie richtet sich nach dem erreichten Leistungsergebnisgrad, der Prämiengruppe, dem Gütegrad und den prämienfähigen Stunden.

b) Der Prämienbetrag ist in D-pf. je Stunde ist der Prämientabelle zu entnehmen.

Die Prämie beträgt derzeit mindestens 10 % des tariflichen Zeitstundenlohnes bei Erreichen der vereinbarten Bezugsleistung.

...

VIII. Kündigung

1. Diese Rahmen-Betriebsvereinbarung einschl. Anlage 1 - 3 oder Teile derselben können mit 3-monatiger Frist zum Ende eines Halbjahres gekündigt werden.

..."

Die BV 1975 wurde zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt gekündigt. Am 12. Januar 1989 wurde "zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat" eine Vereinbarung (BV 1989) geschlossen, nach deren Nr. 1 "die Rahmenbetriebsvereinbarung zur Leistungsentlohnung vom 16.12.1975 ... rückwirkend wieder in Kraft gesetzt" wird und nach deren Nr. 3 ab dem 1. Januar 1989 "die als Anlage beiliegende Prämiengeldtabelle" (Prämiengeldtabelle 1989) gilt. Die BV 1989 und die Prämiengeldtabelle 1989 sind von der "Geschäftsleitung" und vom "Betriebsrat" unterzeichnet. Für den Betriebsrat unterschrieb S L. Dieser war zum damaligen Zeitpunkt sowohl Vorsitzender des Betriebsrats für J als auch des Gesamtbetriebsrats. Eine Prämiengeldtabelle wurde letztmals am 25. Mai 2004 mit Wirkung ab 1. Mai 2004 vereinbart (Prämiengeldtabelle 2004). Diese Prämiengeldtabelle 2004 ist von der "Geschäftsleitung" der Beklagten und vom "Gesamtbetriebsrat" in Gestalt von S L unterzeichnet. Sie unterscheidet zwischen vier Prämiengruppen. Die Prämiengruppe I sieht ausgehend von 12,43 Euro pro Stunde bei 100 % eine Prämie von 1,24 Euro, ab 121 % eine solche von 1,50 Euro vor; die Prämiengruppe IV reicht ausgehend von 10,37 Euro pro Stunde von 1,04 Euro bis 1,25 Euro.

Am 28. September 2005 kündigte die Beklagte mit drei gleichlautenden Schreiben an die Betriebsräte J und B sowie an den Gesamtbetriebsrat die BV 1975 nebst aller Prämiengeldtabellen, einschließlich der Tabelle vom 25. Mai 2004, zum 31. Dezember 2005. Am 22. November 2005 leitete sie dem Betriebsrat B den Entwurf einer neuen Betriebsvereinbarung zu, der ab dem 1. Januar 2006 eine Erhöhung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Entgeltausgleich sowie eine von der individuellen Eingruppierung abhängige, auf künftige Tariflohnerhöhungen ganz oder teilweise anrechenbare "freiwillige außertarifliche Zulage" zwischen 1,24 Euro pro Stunde in der Lohngruppe I und 1,04 Euro pro Stunde in der Lohngruppe IV vorsah. Der Betriebsrat B lehnte dies ab. Für den Betrieb J schloss die Beklagte mit dem dortigen Betriebsrat am 24. März 2006 eine Betriebsvereinbarung, nach der die Wochenarbeitszeit ab dem 1. April 2006 bei vollem Entgeltausgleich auf 40 Stunden angehoben und eine freiwillige außertarifliche, ganz oder teilweise anrechenbare Zulage zwischen 0,56 Euro und 0,47 Euro pro Stunde vereinbart wurde.

Die Beklagte bezahlte der Klägerin bis einschließlich Dezember 2005 eine Prämie von zuletzt 1,16 Euro pro tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde. Ab Januar 2006 zahlte sie ihr ebenso wie den anderen Arbeitnehmern des Betriebs B keine Prämie mehr. Die Klägerin leistete in der Zeit von Januar 2006 bis September 2006 insgesamt 1.271,00 Arbeitsstunden.

Die Klägerin hat mit der Klage für die Zeit von Januar bis September 2006 die Zahlung der Prämie von je 1,16 Euro pro Stunde in Höhe von insgesamt 1.474,36 Euro brutto verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch folge aus der BV 1975 in Verbindung mit der zuletzt maßgeblichen Prämiengeldtabelle 2004. Die BV 1975 entfalte Nachwirkung, da es sich um eine teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung handele und die Beklagte, wie ihr Angebot einer neuen Betriebsvereinbarung zeige, die Zahlung der Leistungsprämie nicht vollständig habe beenden, sondern lediglich die Verteilungsgrundsätze habe ändern wollen. Im Übrigen habe sie nach ihrem Arbeitsvertrag vom 21. März 1990 auch einen individualrechtlichen Anspruch auf die Prämie.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.474,36 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 175,74 Euro brutto seit dem 1. Februar 2006, aus 193,43 Euro brutto seit dem 1. März 2006, aus 222,72 Euro brutto seit dem 1. April 2006, aus 152,25 Euro brutto seit dem 1. Mai 2006, aus 162,98 Euro brutto seit dem 1. Juni 2006, aus 111,65 Euro brutto seit dem 1. Juli 2006, aus 188,50 Euro brutto seit dem 1. August 2006, aus 172,84 Euro brutto seit dem 1. September 2006 und aus 94,25 Euro brutto seit dem 1. Oktober 2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, zur Zahlung der Prämie nicht verpflichtet zu sein. Die BV 1975 entfalte keine Nachwirkung. Die Kündigung sei erfolgt, um die Zahlung der Leistungsprämie vollständig zu beenden. Zum Abschluss der BV 1975 hatte die Beklagte erstinstanzlich vorgetragen, "in Bezug sowohl auf die grundlegende Betriebsvereinbarung als auch auf sämtliche in den Folgejahren abgeschlossenen ergänzenden Vereinbarungen zum Thema Prämie" sei "definitiv nicht klar, welcher Betriebsrat jeweils die entsprechenden Vereinbarungen mit abgeschlossen hat. ... Alle Vereinbarungen" seien "in K abgeschlossen und jeweils vom Betriebsratsvorsitzenden des Betriebes K unterzeichnet worden. Der Betriebsrat in B" habe "zu keinem Zeitpunkt selbst eine Betriebsvereinbarung zum Thema Prämie abgeschlossen oder auch nur mit unterzeichnet. Die letzte Prämiengeldtabelle" habe "Herr L, der seit etlichen Jahren Betriebsratsvorsitzender in K ist und damals gleichzeitig Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats war, offensichtlich für den Gesamtbetriebsrat unterzeichnet, während alle anderen Unterlagen lediglich für den 'Betriebsrat' unterzeichnet worden" seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die vom Landesarbeitsgericht zur Abweisung der Klage gegebene Begründung ist rechtsfehlerhaft. Aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen ist dem Senat eine abschließende Sachentscheidung nicht möglich.

I. Mit der Begründung, die gekündigte BV 1975 wirke mangels eines Mitbestimmungsrechts nicht nach, durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bezweckte die Beklagte mit der Kündigung der BV 1975 eine mitbestimmungspflichtige Änderung des bisherigen betrieblichen Entlohnungsgrundsatzes.

1. Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung deren Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies betrifft die Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung, darunter insbesondere diejenigen nach § 87 Abs. 1 BetrVG (BAG 23. Januar 2008 - 1 ABR 82/06 - Rn. 23, AP BetrVG 1972 § 87 Leistungslohn Nr. 9). Dazu gehören die Fälle des § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG.

a) Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG betrifft insbesondere die Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, das betriebliche Lohngefüge angemessen und durchsichtig zu gestalten und die betriebliche Lohn- und Verteilungsgerechtigkeit zu wahren. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen (BAG 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 - Rn. 15 mwN, BAGE 117, 130). Die betriebliche Lohngestaltung betrifft die Festlegung abstrakter Kriterien zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers, die dieser zur Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder sonst mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt erbringt (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 59/04 - Rn. 25 mwN, BAGE 117, 337). Zu den Entlohnungsgrundsätzen gehört auch die Frage, ob und in welchem Umfang im Zeit-, im Akkord- oder im Prämienlohn gearbeitet werden soll (vgl. BAG 16. Dezember 1986 - 1 ABR 26/85 - zu B I 1 a der Gründe, BAGE 54, 46; Fitting 24. Aufl. § 87 Rn. 426). Mitbestimmungspflichtig ist nicht nur die Aufstellung sondern auch die Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze durch den Arbeitgeber. Dabei kommt es für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgte (BAG 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 - Rn. 16 mwN, aaO.). Eine Gesamtvergütung lässt sich regelmäßig nicht in mehrere voneinander unabhängige Bestandteile aufspalten. Vielmehr bildet ihre Gesamtheit die Vergütungsordnung, bei deren Aufstellung und Veränderung der Betriebsrat mitzubestimmen hat. Die Vergütungsstruktur wird regelmäßig auch dann geändert, wenn nur einer von mehreren Bestandteilen, aus denen sich die Gesamtvergütung zusammensetzt, gestrichen, erhöht oder vermindert wird (BAG 26. August 2008 - 1 AZR 354/07 - Rn. 21 mwN, AP BetrVG 1972 § 87 Nr. 15 = EzA BetrVG 2001 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 16). Freiwillige übertarifliche Leistungen, die ein tarifgebundener Arbeitgeber erbringt, kann dieser allerdings mitbestimmungsfrei beseitigen, wenn er sie vollständig einstellt und dementsprechend kein Gestaltungsspielraum verbleibt. Der Arbeitgeber kann mit Mitteln des Betriebsverfassungsrechts nicht gezwungen werden, eine freiwillige Leistung länger zu erbringen, als er aufgrund der in der Betriebsvereinbarung eingegangenen Bindung verpflichtet ist (BAG 23. Januar 2008 - 1 ABR 82/06 - Rn. 25, AP BetrVG 1972 § 87 Leistungslohn Nr. 9). Sieht ein Tarifvertrag neben dem Zeitund dem Akkordlohn auch Prämienlohn als gleichberechtigte Lohnform vor, handelt es sich bei dem unter Mitbestimmung des Betriebsrats eingeführten Prämienlohn regelmäßig nicht um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers, sondern um den tariflich geschuldeten Lohn (BAG 16. Dezember 1986 - 1 ABR 26/85 - zu B II 2 der Gründe, aaO.).

b) Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG betrifft die Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze sowie anderer vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte einschließlich des Geldfaktors. Akkord- und Prämiensätze sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre Höhe proportional der Leistung des Arbeitnehmers ist und sich deshalb jede Änderung der Arbeitsleistung unmittelbar auf die Höhe des gezahlten Entgelts auswirkt. Dazu bedarf es der Ermittlung einer Normalleistung, die zur tatsächlichen Leistung des Arbeitnehmers in Bezug gesetzt wird (BAG 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - zu B II 1 a der Gründe, BAGE 97, 379). Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, dass die von den Arbeitnehmern erwartete Zusatzleistung sachgerecht bewertet wird und in einem angemessenen Verhältnis zu dem erzielbaren Mehrverdienst steht. Darüber hinaus soll vermieden werden, dass Leistungsanreize geschaffen werden, die zu einer Überforderung der Arbeitnehmer führen. Deshalb erstreckt sich dieses Mitbestimmungsrecht auch auf den Geldfaktor (BAG 15. Mai 2001 - 1 ABR 39/00 - zu B II 1 a der Gründe mwN, aaO.).

2. Hiernach unterfiel die von der Beklagten mit der Kündigung der BV 1975, der BV 1989 sowie der Prämiengeldtabelle angestrebte Änderung der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dagegen ist § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG nicht einschlägig.

a) Mit der Kündigung ging es der Arbeitgeberin darum, die Prämienentlohnung zu beseitigen, die bis dahin in der durch die BV 1989 wieder in Kraft gesetzten BV 1975 vorgesehen war. Sie wollte die bisherige Kombination von Zeit- und Prämienlohn durch einen reinen Zeitlohn ersetzen und damit die Entlohnungsgrundsätze im Betrieb B ändern. Zu dieser Änderung bedurfte sie gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Entgegen der Auffassung der Beklagten ging es nicht etwa um die vollständige Streichung einer freiwilligen übertariflichen Leistung. Vielmehr sind im MTV Zeit-, Akkord- und Prämienlohn als gleichberechtigte Lohnformen vorgesehen. Demzufolge war die in der BV 1975 geregelte Prämienentlohnung mitbestimmungsrechtlich keine freiwillige übertarifliche Leistung. Allerdings spricht nach dem bisherigen Vorbringen der Parteien einiges dafür, dass die BV 1975 bereits vor ihrer Kündigung nicht mehr angewandt wurde. So fehlt es bislang an jeglichem Vorbringen zu den in den einzelnen Prämienbereichen festgelegten Bezugsleistungen. Auch hat die Klägerin keinerlei Vortrag zu ihren nach der BV 1975 für die Prämienhöhe maßgeblichen Leistungen gehalten, sondern unterschiedslos für den gesamten streitbefangenen Zeitraum den niedrigsten in der Prämiengeldtabelle 2004 für ihre Lohngruppe vorgesehenen Betrag eingeklagt. Auch wenn somit möglicherweise die betriebliche Praxis schon längere Zeit nicht mehr der BV 1975 entsprach, ergibt sich daraus nicht, dass deren normative Wirkung bereits vor dem Jahr 2005 geendet hätte. Auch die Beklagte behauptet dies nicht, sondern beruft sich ausschließlich auf die von ihr zum 31. Dezember 2005 ausgesprochene Kündigung.

b) Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestand allerdings nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Die Beklagte hat nicht etwa die Prämiensätze neu festgesetzt, sondern will die Lohnform der Prämienentlohnung völlig beseitigen. Dieser Tatbestand unterfällt ausschließlich § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

II. Aufgrund der fehlerhaften Rechtsanwendung ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht etwa iSv. § 561 ZPO aus anderem Grunde als richtig dar. Ebenso wenig kann der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO selbst entscheiden. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind hierfür nicht ausreichend. Die Sache war daher gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Die Klage kann nicht schon mit der Erwägung abgewiesen werden, die BV 1989, durch welche die - im Übrigen wohl ohnehin nachwirkende - gekündigte BV 1975 rückwirkend wieder in Kraft gesetzt wurde, sei nicht von den für den Betrieb B zuständigen Betriebsparteien geschlossen worden.

a) Allerdings kann auch nicht ohne Weiteres von der Zuständigkeit des die Betriebsvereinbarung schließenden Organs ausgegangen werden. Zwar ist dies nach der Rechtsprechung des Senats im Urteilsverfahren grundsätzlich der Fall, wenn von keiner Partei bestritten wird, dass eine Betriebsvereinbarung auf Betriebsratsseite vom zuständigen Organ vereinbart wurde und sich Zweifel insoweit auch nicht aufdrängen (vgl. 20. Februar 2001 - 1 AZR 233/00 - zu I 3 der Gründe, BAGE 97, 44; 6. November 2007 - 1 AZR 826/06 - Rn. 14, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 35 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 19).

b) Vorliegend sind aber derartige Zweifel durchaus angezeigt. Es ist hier völlig unklar, wer auf Seiten des Betriebsrats die BV 1975 unterzeichnet hat. Bei der BV 1989 steht zwar fest, dass diese von S L unterzeichnet wurde. Hier ist aber unklar, ob er die Unterschrift in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Betriebsrats J oder in seiner Eigenschaft als Gesamtbetriebsratsvorsitzender leistete. Ebenso ist unaufgeklärt, ob ggf. der Gesamtbetriebsrat eine originäre Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG in Anspruch nahm oder ob er von den Betriebsräten J und B nach § 50 Abs. 2 Satz 1 BetrVG beauftragt war. Auch hat die Beklagte bereits erstinstanzlich vorgetragen, es sei unklar, von wem die Betriebsvereinbarungen auf Betriebsratsseite abgeschlossen wurden. Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung den Parteien Gelegenheit zu geben haben, hierzu vorzutragen.

2. Ebenso wenig kann die Klage mit der Begründung abgewiesen werden, die BV 1975 und die BV 1989 verstießen gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Zwar enthält der MTV - in der Fassung vom 15. Januar 2001 - in seinem § 17.2 eine Regelung über Prämien. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG findet aber nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG keine Anwendung, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Dies ist hier der Fall. Nach § 17.2.2.1 MTV werden "die Prämienbedingungen und die Prämiensätze sowie die Abgrenzung des an den Prämiensystemen zu beteiligenden Personenkreises ... zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat vereinbart - § 87 BetrVG." Das Landesarbeitsgericht wird allerdings nach der Zurückverweisung für den Fall, dass die Betriebsvereinbarungen von den zuständigen Betriebsparteien geschlossen wurden, auch zu prüfen haben, ob es bereits 1975 und 1989 eine entsprechende Tariföffnungsklausel gab oder ob ein etwaiger Verstoß gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zu einem späteren Zeitpunkt wirksam geheilt wurde.

3. Schließlich wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die nach der BV erforderlichen Voraussetzungen für einen Prämienanspruch der Klägerin erfüllt sind. Die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen eine solche Beurteilung nicht.

4. Der Klage kann nicht etwa mit der Begründung entsprochen werden, der Klägerin stehe nach dem Arbeitsvertrag vom 21. März 1990 ein eigenständiger individualrechtlicher Anspruch auf die Prämie zu. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Durch den Arbeitsvertrag sollte nicht konstitutiv ein selbständiger Anspruch begründet werden.

Ende der Entscheidung

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