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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.01.2005
Aktenzeichen: 1 AZR 657/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 9 Abs. 3
GG Art. 20 Abs. 3
Eine Polizeigewerkschaft darf in Dienstgebäuden der Polizei keine Unterschriftenlisten auslegen, mit denen beim Publikum um Unterstützung der Forderung nach einer Vermehrung der Planstellen für Polizeibeamte geworben wird. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Betätigungsfreiheit der Koalitionen muss insoweit gegenüber dem durch Art. 20 Abs. 3 GG garantierten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

1 AZR 657/03

Verkündet am 25. Januar 2005

In Sachen

hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2005 durch den Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Prof. Dr. Wißmann, die Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft und Linsenmaier sowie die ehrenamtlichen Richter Rösch und Brunner für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. November 2003 - 10 Sa 1186/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land in den Dienstgebäuden der Polizei Unterschriftenaktionen der klagenden Gewerkschaft dulden muss, mit denen beim Publikum um Unterstützung der Forderung nach einer Vermehrung der Planstellen für Polizeibeamte geworben wird.

Die Klägerin veranstaltete im Herbst 2002 in Nordrhein-Westfalen unter dem Motto "5000 Plus" eine landesweite Unterschriftenaktion. Mit einem Flugblatt warb sie unter Hinweis auf mehr als sieben Millionen geleistete Überstunden für die Einstellung von 5.000 neuen Polizeibediensteten. In einer mit dem Emblem der Klägerin versehenen "Eintragungsliste" heißt es: "Die unterzeichneten Eintragungsberechtigten begehren die Befassung des Landtages mit dem folgenden Gegenstand der politischen Willensbildung: Sicherung und Ausbau der inneren Sicherheit durch Einstellungen in den Polizeidienst statt Personalabbau!" Die Unterschriftenliste sieht die Angabe der Namen, Vornamen, Geburtsdaten und Anschriften der Unterzeichner vor. Die Klägerin führte die Aktion nicht nur auf Straßen und Plätzen durch, sondern legte Flugblätter und Unterschriftenlisten auch im öffentlich zugänglichen Bereich von Polizeidienststellen aus. Am 2. Dezember 2002 sandte das Innenministerium des beklagten Landes ein Schreiben an die Polizeibehörden und -einrichtungen. In ihm heißt es:

"Unterschriftenlisten von berufsständischen Vertretungen im Polizeibereich

Ich weise darauf hin, dass Listen von berufsständischen Vertretungen, auf denen die Bevölkerung durch Unterschriften ihre Unterstützung zur Erhöhung der Planstellen für Polizeivollzugskräfte des Landes Nordrhein-Westfalen zum Ausdruck bringen soll, nicht in Polizeidienstgebäuden ausgelegt werden dürfen.

Gleichfalls ist es nicht statthaft, dass Bedienstete der Polizeibehörden und -einrichtungen solche Listen während der Dienstzeit verteilen."

Die Klägerin hat mit der Klage die Aufhebung des "Erlasses" vom 2. Dezember 2002 begehrt. Dieser verletze sie in ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit und in ihren Rechten aus Art. 17 GG.

Die Klägerin hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, den Erlass vom 2. Dezember 2002 betreffend die Auslegung der Unterschriftenlisten von berufsständischen Vereinigungen im Polizeibereich aufzuheben.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Runderlass vom 2. Dezember 2002 habe lediglich der Klarstellung der Rechtslage gedient. Das beklagte Land müsse es nicht dulden, dass in den Gebäuden der Polizei die Besucher mit Flugblättern und Unterschriftenlisten der Klägerin konfrontiert würden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin den Klageantrag weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Das beklagte Land muss die Auslegung von Unterschriftenlisten, mit denen die Klägerin beim Publikum um Unterstützung ihrer Forderung nach einer Vermehrung der Planstellen bei der Polizei wirbt, in Polizeidienststellen nicht dulden.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Gemäß § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG, § 17a Abs. 5 GVG hatte der Senat nicht zu prüfen, ob der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zulässig ist. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dies bejaht und in der Hauptsache entschieden.

Hieran ist der Senat gebunden (vgl. BAG 9. Juli 1996 5 AZB 6/96 - AP GVG § 17a Nr. 24 = EzA ArbGG 1979 § 65 Nr. 3, zu II der Gründe; 21. August 1996 - 5 AZR 1011/94 - AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 42 = EzA ArbGG 1979 § 73 Nr. 2, zu II 1 a der Gründe). Allerdings gilt § 17a Abs. 5 GVG dann ausnahmsweise nicht, wenn entgegen § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG über die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht vorab entschieden wurde (vgl. etwa BAG 8. Juni 1999 - 3 AZR 136/98 - BAGE 92, 1, 3, zu A der Gründe). Dies setzt aber voraus, dass eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hat. Das war hier nicht der Fall. Das beklagte Land hatte zwar in der Klageerwiderung vorgetragen, falls Dienstvorgesetzte in Polizeibehörden einzelnen Vollzugsbeamten die Auslegung von Eintragungslisten untersagen sollten, seien für den Rechtsschutz gegen diese beamtenrechtlichen Maßnahmen wohl die Verwaltungsgerichte zuständig; daher sei in vorliegendem Verfahren die "Passivlegitimation" des beklagten Landes fraglich. Um eine Rüge der Zulässigkeit des Rechtswegs handelte es sich dabei jedoch nicht. Das beklagte Land hat auch weder im Berufungs- noch im Revisionsverfahren Einwendungen dagegen erhoben, dass das Arbeitsgericht die Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG für zuständig erachtet hat.

2. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er bedarf allerdings der Auslegung.

a) Bei einem ausschließlich am Wortlaut orientierten Verständnis bestünden gegen die Zulässigkeit des Antrags erhebliche Bedenken. Dieser ist seinem bloßen Wortlaut nach auf die Verurteilung des beklagten Landes zur Aufhebung des Erlasses vom 2. Dezember 2002 gerichtet. Dabei erscheint bereits unklar, wie die Aufhebung des Erlasses erfolgen soll, handelt es sich doch bei dem Schreiben des Innenministeriums um den verwaltungsinternen Hinweis auf die nach dessen Auffassung ohnehin bestehende Rechtslage. Auch würde allein durch die Beseitigung dieses Schreibens die von der Klägerin erkennbar erstrebte Klärung der Rechtslage nicht herbeigeführt. Darüber hinaus können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Verwaltungsvorschriften, die keine rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und dessen subjektiv-öffentliche Rechte nicht unmittelbar berühren, nicht isoliert zum Streitgegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits gemacht werden; hierauf gerichtete Klagebegehren sind unstatthaft, gleichviel in welche Form sie gekleidet werden (vgl. BVerwG 26. Januar 1996 - 8 C 19.94 - BVerwGE 100, 262). Eine Verwaltungsvorschrift in diesem Sinn ist auch ein (Rund-) Erlass, der selbst keine unmittelbare Außenwirkung entfaltet, sondern durch den sich eine Behörde intern bindet (vgl. BVerwG 2. Februar 1995 - 2 C 19/94 - ZTR 1995, 332). Ob für ein arbeitsgerichtliches Verfahren insoweit etwas Anderes gelten kann als für den Verwaltungsrechtsstreit, erscheint zumindest zweifelhaft. Die Frage kann im Streitfall jedoch dahinstehen.

b) Ein ausschließlich am Wortlaut orientiertes Verständnis des Klageantrags würde dem von der Klägerin erkennbar verfolgten Rechtsschutzziel nicht gerecht. Ihr geht es in der Sache nicht darum, einen verwaltungsinternen Vorgang zu beseitigen. Sie will vielmehr erkennbar das ihr nach ihrer Auffassung zustehende Recht durchsetzen, in den Räumlichkeiten der Polizei beim dort verkehrenden Publikum um Unterschriften zu werben für ihre Forderung nach personeller Verstärkung der Polizei. Sie will mit der Klage erreichen, dass das beklagte Land sie künftig nicht mehr an der Durchführung derartiger Aktionen hindert, die im Schreiben vom 2. Dezember 2002 als unzulässig bezeichnet werden. Der Sache nach soll das beklagte Land verurteilt werden zu dulden, dass die Klägerin in Polizeidienststellen Unterschriftenlisten auslegt, mit denen beim Publikum um Unterstützung der an den Landesgesetzgeber gerichteten Forderungen nach einer Vermehrung der Stellen im Polizeidienst geworben wird. Dass ein solches Verständnis des Klageantrags dem Begehr der Klägerin entspricht, hat deren Verfahrensbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt. Die Beklagte hat hiergegen keine Einwendungen erhoben.

Bei diesem Verständnis erweist sich der Klageantrag als hinreichend bestimmt c) iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Mit ihm kann die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden. Auch wäre im Falle einer Verurteilung für das beklagte Land eindeutig erkennbar, was von ihm verlangt wird. Es müsste alles unterlassen, was die Klägerin an der Durchführung der Unterschriftenaktionen in den Polizeidienststellen hindert.

d) Auch an der Klagbarkeit des Anspruchs bestehen bei diesem Verständnis des Antrags keine Bedenken. Mit ihm wird nicht ein verwaltungsinterner Vorgang isoliert zum Verfahrensgegenstand gemacht. Vielmehr wird im (Außen-) Verhältnis zwischen dem beklagten Land und der Klägerin über deren Anspruch auf Durchführung der Unterschriftenaktionen in den Polizeidienststellen entschieden.

II. Wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend erkannt haben, ist die Klage unbegründet. Die Unterschriftenaktionen der Klägerin fallen zwar unter die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Betätigungsfreiheit der Koalitionen. Diese muss aber im Streitfall gegenüber dem ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsgut der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten. Auch Art. 17 GG rechtfertigt den Klageanspruch nicht.

1. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit begründet keinen Anspruch der Klägerin auf Durchführung der Unterschriftenaktionen in den Polizeidienststellen des beklagten Landes.

a) Art. 9 Abs. 3 GG schützt ua. die Freiheit der Koalitionen zu Betätigungen, die darauf gerichtet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Dabei fällt in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit nicht etwa nur das für die koalitionsmäßige Betätigung Unerlässliche. Der Schutz der koalitionsmäßigen Betätigung ist nicht auf einen Kernbereich beschränkt (BVerfG 14. November 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352, 359, zu B I 3 b der Gründe; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 30, 31, 40). Er geht auch über den Bereich der Tarifautonomie hinaus und umfasst nicht nur Aktivitäten, die der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge dienen (vgl. BVerfG 28. April 1976 - 1 BvR 71/73 - BVerfGE 42, 133, 138, zu B 1 der Gründe). Vielmehr gehört zu der geschützten Betätigungsfreiheit auch das Recht, im gesamten Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen die organisierten Gruppeninteressen gegenüber dem Staat und den politischen Parteien darzustellen und zu verfolgen (vgl. BVerfG 26. Mai 1970 - 2 BvR 664/65 - BVerfGE 28, 295, 304, zu B II 1 a der Gründe). Daher fallen unter sie auch Aktionen der Gewerkschaften, die nicht auf Mitgliederwerbung oder auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, sondern mit denen arbeits- oder wirtschaftspolitische Forderungen gegenüber Regierung oder Gesetzgeber vertreten werden sollen.

Die Betätigungsfreiheit der Koalitionen ist zwar vorbehaltlos gewährleistet, aber nicht schrankenlos (vgl. etwa BVerfG 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 - BVerfGE 94, 268, 284, zu C II 1 der Gründe). Sie unterliegt verfassungsimmanenten Begrenzungen, soweit sie mit anderen Rechtsgütern kollidiert, denen ebenfalls Verfassungsrang zukommt (vgl. ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 48). Zu den anderen Rechtsgütern gehören insbesondere Grundrechte Dritter. Auch Rechtsgüter wie der Betriebsfrieden oder der ungestörte Arbeitsgang sind geeignet, der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit Schranken zu ziehen (vgl. BVerfG 14. November 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352, 359, zu B I 3 b der Gründe). Gleiches gilt für objektive Wertentscheidungen des Grundgesetzes (vgl. etwa BVerfG 24. April 1996 - 1 BvR 712/86 - aaO, zu C II 2 der Gründe). Zu diesen gehört auch der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde und in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dieser verpflichtet den Staat und seine Bediensteten ua., bei ihrem Handeln die geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsnormen zu beachten (vgl. Herzog in Maunz/Dürig GG Art. 20 Abschnitt VI Rn. 33, 35; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann GG Art. 20 Rn. 84). Er findet seinen einfachgesetzlichen Ausdruck nicht zuletzt in den im Beamtenrechtsrahmengesetz sowie im Bundesbeamtengesetz und in den Beamtengesetzen der Länder normierten Pflichten des Beamten. Dieser hat seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen, bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen, sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten und der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (vgl. § 35 Abs. 1 BRRG, § 52 Abs. 1 Satz 2, § 54 Satz 2 und 3 BBG). Sein Verhalten muss sich allein an Sachrichtigkeit, Rechtstreue, Gerechtigkeit, Objektivität und dem Allgemeinwohl orientieren. Bei seiner dienstlichen Tätigkeit darf er Bürger nicht aus eigennützigen Gesichtspunkten bevorzugen oder benachteiligen (vgl. auch § 70 Satz 1 BBG). Damit korrespondiert die Verpflichtung des Dienstherrn, eine sachwidrige Beeinflussung des Verwaltungshandelns zu verhindern und bereits einen entsprechenden Anschein zu vermeiden. Auch darf bei den Bürgern nicht der Eindruck entstehen, staatliche Einrichtungen unterstützten außerhalb ihres gesetzlichen Auftrags bestimmte Partikularinteressen. Dies gilt sowohl für das Verhalten der staatlichen Bediensteten als auch für die Nutzung sächlicher Mittel. Die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen hat grundsätzlich im Rahmen ihres bestimmungsgemäßen Gebrauchs zu erfolgen.

Kollidiert die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit mit anderen geschützten Rechtspositionen muss im Wege der Abwägung praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütern hergestellt werden (vgl. ErfK/Dieterich Einl. GG Rn. 71 mwN). Bei Grundrechtskollisionen kann es in bestimmten Bereichen Sache des Gesetzgebers sein, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (vgl. BVerfG 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - BVerfGE 108, 282, 311, zu B II 6 b aa der Gründe). Wann dies der Fall ist, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen (BVerfG 24. September 2004, aaO). Beschränkungen der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit müssen nicht notwendig gesetzlich vorgesehen sein. Vielmehr haben, sofern es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt, Verwaltung und Gerichte die erforderliche Abwägung vornehmen. Die Abwägung ist mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verbunden. Für diese ist insbesondere von Bedeutung, in welchem Maße eine Gewerkschaft zur Verwirklichung ihrer koalitionsspezifischen Aufgaben auf bestimmte Orte oder Modalitäten der Betätigung angewiesen ist.

b) Hiernach unterfallen Aktionen der Klägerin, mit denen diese ihrer Forderung nach einer Stellenvermehrung im Polizeidienst Nachdruck verleihen will, der nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsfreiheit. Zwar geht es der Gewerkschaft dabei nicht um die Durchsetzung eines mit der Arbeitgeberseite abzuschließenden Tarifvertrags, sondern um öffentlichen politischen Druck auf den (Haushalts-) Gesetzgeber. Gleichwohl betrifft die Forderung die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen iSv. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG.

Die von der Klägerin gewählte Art der Betätigung kollidiert mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Durch die Auslegung von Unterschriftenlisten, mit denen beim Publikum in Polizeidienststellen um Unterstützung der Forderung nach einer personellen Verstärkung der Polizei geworben wird, kann für die Bürger, welche die Dienststellen aus den unterschiedlichsten Gründen - als Anzeigeerstatter, Beschuldigter, Zeuge etc. - aufsuchen, der Eindruck entstehen, dass sie den dort tätigen Beamten durch ihre Unterschrift einen Gefallen tun und dieser Umstand geeignet ist, das Verhalten der Polizeibeamten bewusst oder unbewusst zu beeinflussen. So wird ein Bürger, der längere Zeit in einer Polizeidienststelle warten muss, möglicherweise annehmen, seinem Anliegen werde eher und schneller entsprochen, wenn er durch Unterstützung der Forderung nach Neueinstellungen Verständnis für die personellen Nöte der Polizei zum Ausdruck bringe. Darauf, ob eine derartige Annahme im Einzelfall begründet ist, kommt es nicht an. Vielmehr muss der Dienstherr der Beamten bereits das Entstehen eines solchen Eindrucks nach Möglichkeit unterbinden. Darüber hinaus besteht auf Grund des Ortes der gewerkschaftlichen Aktion die Gefahr, dass diese den Anschein staatlicher Billigung erhält. Auch wenn auf den Unterschriftenlisten und Flugblättern deutlich wird, dass es sich um eine Aktion der Klägerin handelt, kann doch beim Publikum der Polizeidienststellen der Eindruck entstehen, der Dienstherr und Hausrechtsinhaber unterstütze durch seine Duldung die Aktion und die damit verfolgten Forderungen. Hierdurch wird der bestimmungsgemäße Gebrauch der polizeilichen Einrichtungen überschritten. Diese dienen der Erfüllung der Aufgaben, die der Polizei übertragen sind. Zu diesen Aufgaben gehört es nicht, politischen Forderungen der Klägerin nach einer Stellenvermehrung bei der Polizei Nachdruck zu verleihen.

Bei der daher gebotenen Abwägung zwischen den kollidierenden, sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Koalitionsfreiheit ergebenden Rechtsgütern muss im vorliegenden Fall die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften zurücktreten. Sie wird dadurch nicht übermäßig beschränkt. Anders als für eine effektive Mitgliederwerbung und -information (vgl. dazu Fitting § 2 Rn. 85 f. mwN) ist die Gewerkschaft nicht darauf angewiesen, ihre Aktionen in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers durchzuführen. Es geht nicht um ihre Präsenz in den Betrieben und die Ansprache der dortigen Beschäftigten. Vielmehr richtet sich die Aktion in erster Linie an die Öffentlichkeit. Diese kann die Klägerin ebenso gut auf öffentlichen Straßen und Plätzen erreichen. Auch wenn die Durchführung der Unterschriftenaktion in den Polizeidienststellen besonders erfolgreich sein sollte, ergäbe sich nichts Anderes. Vielmehr spräche ein derartiger Effekt gerade für eine Verquickung der gewerkschaftlichen Aktion mit den polizeilichen Dienstgeschäften, wegen derer die Bürger die Polizeidienststellen aufsuchen. Eben diese Verquickung widerspräche dem Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.

Keine entscheidende Rolle spielen dagegen - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - bei der Abwägung das Eigentumsrecht (Art. 14 GG) und das Hausrecht des beklagten Landes. Daher kann auch dahinstehen, ob und ggf. nach welchen Maßgaben sich der Staat gegenüber seinen Bürgern auf Individualgrundrechte berufen kann. Würde sich die Rechtsgüterkollision auf die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit einerseits und das Haus- und Eigentumsrecht des beklagten Landes andererseits beschränken, würde sich allerdings die Frage stellen, ob der Staat - jedenfalls solange keine "betrieblichen Störungen" auftreten - sein Hausrecht nicht angesichts des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG "grundrechtsfreundlich" ausüben und die Unterschriftenaktionen gestatten müsste. Es geht jedoch nicht um die Kollision der Grundrechte privater Rechtsträger, sondern darum, ob der Staat die räumliche und zeitliche Verknüpfung von politischen Forderungen der klagenden Gewerkschaft und der dienstlichen Tätigkeit der Polizei in seinen Einrichtungen gestatten darf.

2. Aus Art. 17 GG ergibt sich kein Anspruch der Klägerin, in den Gebäuden der Polizei Unterschriftenaktionen durchzuführen. Das hiernach gewährleistete Recht, sich einzeln oder gemeinschaftlich mit anderen schriftlich an die zuständigen Stellen und die Volksvertretung zu wenden, ist durch das auf diese Gebäude beschränkte Verbot nicht betroffen. Das Petitionsrecht des Art. 17 GG schützt den freien Zugang der Bürger zu den Volksvertretungen (vgl. BVerfG 15. Mai 1992 - 1 BvR 1553/90 - NJW 1992, 3033, zu II 2 a der Gründe). Dieses Zugangsrecht der Klägerin und ihrer Mitglieder wird nicht dadurch beseitigt oder eingeschränkt, dass Unterschriftenaktionen, mit denen für eine Petition geworben wird, nicht in den Polizeidienststellen durchgeführt werden dürfen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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