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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 06.11.2007
Aktenzeichen: 1 AZR 876/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 77 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

Hinweise des Senats: Parallelsachen Senat 6. November 2007 - 1 AZR 826/06 - (führend) und 1 AZR 955/06

1 AZR 876/06

Verkündet am 6. November 2007

In Sachen

hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2007 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt, die Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft und Linsenmaier sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Münzer und Brunner für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 21. September 2006 - 7 Sa 14/06 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2005 - 19 Ca 401/05 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Fahrtkostenzuschuss.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Januar 2002 als Qualitätskontrolleur beschäftigt. Rechtsvorgängerin der Beklagten war die Markt- und Kühlhallen Aktiengesellschaft (MUK AG). Deren Rechtsvorgängerin, die Gesellschaft für Markt- und Kühlhallen, und der "Betriebsrat vertreten durch den Vorsitzenden und stellv. Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats" hatten am 16. Januar 1974 eine Betriebsvereinbarung über zahlreiche verschiedene Gegenstände wie Arbeitskleidung, Arbeitsplatzwechsel, Dienstreisen, dienstliche Benutzung eines privaten PKW, Schichtarbeit, Essengeldzuschuss, Lohn- und Gehaltszahlung, Lohngruppen und Arbeitszeit (BV 1974) geschlossen. Nach Nr. 9 der BV 1974 kann diese "mit dreimonatiger Frist jeweils zum Quartalsultimo von beiden Seiten gekündigt werden, erstmals zum 31. Dezember 1976".

Mit einer sowohl von Vertretern der Gesellschaft als auch "für den Betriebsrat" unterzeichneten "Bekanntmachung" vom 20. März 1979 gab die Gesellschaft für Markt- und Kühlhallen den Mitarbeitern bekannt, dass sie "einer Anregung des Betriebsrats folgend" ab 1. April 1979 die Kontoführungsgebühr in Höhe von DM 2,50 pro Monat erstatte und ferner allen vollbeschäftigten Betriebsangehörigen, die für den Weg zur Arbeit ein Verkehrsmittel benutzen müssen, als Fahrgeldzuschuss den Betrag bezahle, um den die Monatskarte 2. Klasse für ein öffentliches Verkehrsmittel 50,00 DM übersteige. Am 29. Februar 1980 vereinbarten die Gesellschaft und der "Betriebsrat" einen "Nachtrag 1" zur BV 1974. Darin heißt es auszugsweise:

"In Ergänzung zur Betriebsvereinbarung vom 16. Januar 1974 wird hierdurch folgendes mit sofortiger Wirkung vereinbart:

...

Hinter Abschnitt 3 Dienstreisen wird folgender Abschnitt 3a eingefügt:

Entstehen einem Betriebsangehörigen für die Fahrt zum Arbeitsplatz bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels höhere Aufwendungen als der überwiegenden Anzahl seiner Mitarbeiter, so erhält er einen Fahrgeldzuschuss entsprechend der Bekanntmachung vom 20. 3. 1979, die dieser Betriebsvereinbarung beigefügt ist."

Der Kläger erhielt seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses einen monatlichen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von 25,56 Euro.

Mit gesonderten, gleich lautenden Schreiben vom 20. Dezember 2004 kündigte die Beklagte gegenüber dem Gesamtbetriebsrat und den örtlichen Betriebsräten sowohl die "Betriebsvereinbarung Fahrtkostenzuschuss" als auch die "Betriebsvereinbarung Kontoführungsgebühr" zum 31. März 2005. Ab dem 1. April 2005 zahlte sie keinen Fahrtkostenzuschuss mehr.

Der Kläger hat daraufhin die Zahlung des Fahrtkostenzuschusses für die Monate April bis November 2005 verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch folge aus der BV 1974 in der Fassung, die diese durch den Nachtrag vom 29. Februar 1980 erhalten habe (BV 1980). Die Regelung in Abschnitt 3a der BV 1980 über die Fahrtkosten sei durch die Kündigung nicht wirksam beseitigt worden. Die Kündigung sei zu unbestimmt; außerdem handele es sich um eine unzulässige Teilkündigung.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 204,48 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung des Klägers stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat seit dem 1. April 2005 keinen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung mehr. Die Beklagte hat die Regelung in Abschnitt 3a der BV 1980, die allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, zum 31. März 2005 wirksam gekündigt.

I. Die den Fahrtkostenanspruch begründende Regelung in Abschnitt 3a der BV 1980 war zunächst wirksam und bis zum 31. März 2005 in Kraft.

1. Der am 29. Februar 1980 vereinbarte Nachtrag ist eine Betriebsvereinbarung, durch welche die BV 1974 ergänzt und der Inhalt der Bekanntmachung vom 20. März 1979 Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung (BV 1980) wurde. Dabei konnte dahinstehen, ob die Bekanntmachung vom 20. März 1979 eine Betriebsvereinbarung oder eine Gesamtzusage darstellte. Jedenfalls war sie ab dem 29. Februar 1980 Teil der BV 1980 und von da an zumindest für die danach eingestellten Arbeitnehmer die ausschließliche Anspruchsgrundlage für den Fahrtkostenzuschuss. Zu diesen Arbeitnehmern gehört der Kläger.

2. Die BV 1980 genügt einschließlich des Abschnitts 3a den Formerfordernissen des § 77 Abs. 2 BetrVG. Die Bezugnahme auf die dem unterschriebenen Nachtrag vom 29. Februar 1980 beigefügte schriftliche Bekanntmachung vom 20. März 1979 ist ausreichend, da Irrtümer über Art und Ausmaß der in Bezug genommenen Regelung ausgeschlossen sind (vgl. BAG 22. August 2006 - 3 AZR 319/05 - AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 30 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 17, zu B II 1 b der Gründe).

3. Da die Zuständigkeit des Organs, das "für den Betriebsrat" sowohl die BV 1974 als auch die BV 1980 abgeschlossen hat, von keiner der Parteien bestritten worden ist und sich Zweifel insoweit nicht aufdrängen, kann von ihr - im Urteilsverfahren - ausgegangen werden (vgl. BAG 20. Februar 2001 - 1 AZR 233/00 - BAGE 97, 44, zu I 3 der Gründe). Offenbar hat jeweils der Gesamtbetriebsrat auf Grund eines ihm von den örtlichen Betriebsräten gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 BetrVG erteilten Mandats gehandelt.

4. Der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG steht der Wirksamkeit des Abschnitts 3a BV 1980 nicht entgegen.

aa) Allerdings bestehen wegen der dort vorgesehenen Regelungssperre erhebliche Bedenken gegen die Wirksamkeit weiter Teile der BV 1980. Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Jedenfalls nach dem Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche der in der BV 1980 geregelten Gegenstände bereits in dem vom Kläger vorgelegten Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Gesellschaft für Markt- und Kühlhallen Sitz Hamburg vom 8. März 1973 geregelt waren oder jedenfalls jetzt in dem von der Beklagten vorgelegten Unternehmensmanteltarifvertrag vom 30. Januar 2001 sowie dem Unternehmensentgelttarifvertrag vom 31. März 2004 geregelt sind. Bei der Berücksichtigung der von den Parteien vorgelegten Tarifverträge handelt es sich auch nicht etwa um die Verwertung eines in der Revision unbeachtlichen neuen Sachvortrags. Betriebsvereinbarungen sind revisibles Recht. Alle zu ihrer Gültigkeit und Auslegung erforderlichen Ermittlungen hat das Gericht im Rahmen des § 293 ZPO von Amts wegen durchzuführen (BAG 9. Dezember 1997 - 1 AZR 319/97 - BAGE 87, 234, zu II 1 c der Gründe mwN; 15. Mai 2007 - 1 ABR 32/06 - AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 30, zu B II 3 b bb der Gründe).

bb) Gleichwohl bedarf die Frage, welche Regelungen der BV 1980 wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam sind, keiner Entscheidung. Auch wenn dies bei einem erheblichen Teil der Fall sein dürfte, hat das nicht die Unwirksamkeit des Abschnitts 3a BV 1980 zur Folge. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bleibt im Falle der Teilnichtigkeit einzelner Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung der übrige Teil grundsätzlich wirksam, sofern er noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. Die Weitergeltung der von der Teilnichtigkeit nicht betroffenen Regelungen folgt aus dem Normencharakter einer Betriebsvereinbarung (vgl. 21. Januar 2003 - 1 ABR 9/02 - AP BetrVG 1972 § 21a Nr. 1 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 3, zu B III 2 a der Gründe; 22. März 2005 - 1 ABR 64/03 - BAGE 114, 162, zu B II 2 c ee (4) (b) der Gründe). Abschnitt 3a BV 1980 ist unabhängig von den übrigen Bestimmungen der Betriebsvereinbarung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung.

II. Die normative Geltung des Abschnitts 3a der BV 1980 endete auf Grund der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung am 31. März 2005. Die Kündigung war entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wirksam.

1. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 20. Dezember 2004 ausgesprochene Kündigung war fristgerecht. Die in Nr. 9 BV 1974 vorgesehene, auch für die BV 1980 maßgebliche Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende ist gewahrt.

2. Die Kündigung erfolgte gegenüber einem zuständigen Adressaten. Da die Beklagte die Kündigung sowohl gegenüber den Betriebsräten als auch gegenüber dem Gesamtbetriebsrat ausgesprochen hat, kommt es nicht auf die Frage an, wem gegenüber der Arbeitgeber eine vom Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG im Auftrag der örtlichen Betriebsräte geschlossene Betriebsvereinbarung zu kündigen hat (vgl. dazu Kreutz GK-BetrVG 8. Aufl. § 50 Rn. 68; Fitting 23. Aufl. § 50 Rn. 73).

3. Die Kündigungserklärung vom 20. Dezember 2004 war, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, hinreichend bestimmt. Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung muss im Interesse der Rechtssicherheit eindeutig sein (DKK-Berg BetrVG 10. Aufl. § 77 Rn. 53; WP/Preis BetrVG 3. Aufl. § 77 Rn. 40). Diesem Erfordernis genügt das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 20. Dezember 2004.

Zwar gab es keine "Betriebsvereinbarung Fahrtkostenzuschuss", auf die sich die Kündigungserklärung ihrem Wortlaut nach bezieht. Es konnte jedoch aus Sicht der Erklärungsempfänger keinen vernünftigen Zweifel daran geben, dass sich die Kündigung auf den Abschnitt 3a der BV 1980 bezog. Ein anderer Gegenstand der Kündigungserklärung kam nicht ernsthaft in Betracht.

4. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war die Kündigung nicht als Teilkündigung unwirksam. Zwar handelte es sich um eine solche. Eine Teilkündigung war aber zulässig.

a) Die Kündigungserklärung der Beklagten vom 20. Dezember 2004 war eine Teilkündigung. Sie bezog sich nicht auf die gesamte BV 1980, sondern nur auf deren Abschnitt 3a und damit nur auf einen der in der Betriebsvereinbarung geregelten Gegenstände. Dabei kann dahinstehen, wie viele der übrigen in der BV 1980 geregelten Gegenstände auf Grund tariflicher Regelungen wegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam oder durch die später abgeschlossenen Konzern- oder Gesamtbetriebsvereinbarungen wirksam abgelöst worden waren. Zumindest die "Kontoführungsgebühren" waren zum Zeitpunkt der Kündigung vom 20. Dezember 2004 noch Gegenstand der BV 1980.

b) Die von der Beklagten ausgesprochene Teilkündigung der BV 1980 war entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig.

aa) Die Zulässigkeit der Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung ist gesetzlich nicht geregelt. Daher können die Betriebsparteien eine entsprechende Vereinbarung treffen. Fehlt es hieran, ist die Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung regelmäßig zulässig, wenn der gekündigte Teil eine selbständige betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit betrifft.

(1) Das Betriebsverfassungsgesetz regelt nicht die Zulässigkeit der Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung. Es schließt weder eine solche Teilkündigung aus, noch enthält es Regelungen darüber, unter welchen Bedingungen sie zulässig ist. § 77 Abs. 5 BetrVG bestimmt lediglich, dass Betriebsvereinbarungen, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können. Zu der Frage, ob dies nur insgesamt oder auch teilweise möglich sein soll, verhält sich das Gesetz nicht.

(2) Aus § 77 Abs. 5 BetrVG ergibt sich, dass die Betriebsparteien Vereinbarungen über die Kündigung einer Betriebsvereinbarung treffen können. Dies betrifft nicht nur die Kündigungsfrist, sondern auch die Frage, ob eine Betriebsvereinbarung nur insgesamt oder auch teilweise kündbar sein soll. Die Betriebsparteien können daher regeln, dass eine Betriebsvereinbarung nur als Ganzes gekündigt werden kann. Ebenso können sie grundsätzlich bestimmen, dass Teile einer Betriebsvereinbarung, ggf. auch mit unterschiedlichen Fristen, separat gekündigt werden können. In diesem Fall muss allerdings der verbleibende Rest der Betriebsvereinbarung weiterhin eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellen. Erforderlichenfalls ist durch Auslegung der Betriebsvereinbarung zu ermitteln, ob und hinsichtlich welcher Regelungsgegenstände die Möglichkeit von Teilkündigungen vereinbart oder ausgeschlossen sein soll.

(3) Fehlt eine solche Regelung, bestimmt sich die Zulässigkeit einer Teilkündigung danach, ob sie das der Betriebsvereinbarung zugrunde liegende Ordnungsgefüge oder ein von den Betriebsparteien ausdrücklich vereinbartes Äquivalenzgefüge stört. Das folgt aus dem Charakter einer Betriebsvereinbarung. Diese bildet zum einen, wie vor allem an § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG deutlich wird, eine normative Ordnung, die wie ein Gesetz auf die Arbeitsverhältnisse der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer einwirkt und deren Arbeitsverhältnisse gestaltet. Zum andern ist sie Ergebnis einer zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geschlossenen Vereinbarung, deren Gegenstände aber nicht zwangsläufig in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen und jeweils für sich einen sinnvollen und in sich geschlossenen Regelungskomplex bilden können. Führt eine Teilkündigung als einseitige Ausübung eines Gestaltungsrechts einer Betriebspartei zu einer Störung des Ordnungs- und Äquivalenzgefüges, so ist sie unzulässig; andernfalls ist sie rechtlich nicht zu beanstanden.

(a) Die Störung des Ordnungsgefüges einer Betriebsvereinbarung ist mit einer Teilkündigung verbunden, wenn in der Betriebsvereinbarung nur ein Gegenstand geregelt ist, der aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen notwendig in ein und derselben Betriebsvereinbarung geregelt werden muss. Dagegen wird das Ordnungsgefüge nicht beeinträchtigt, wenn es sich um mehrere Regelungskomplexe handelt, die ebenso in mehreren gesonderten Betriebsvereinbarungen geregelt werden könnten und die lediglich - mehr oder weniger zufällig - in einer Betriebsvereinbarung zusammengefasst werden. Anzuknüpfen ist insoweit an die jeweils geregelte betriebsverfassungsrechtliche "Angelegenheit". Dieser ua. in § 50 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 77 Abs. 6, § 87 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BetrVG verwendete Begriff bezeichnet typischerweise jeweils den zu regelnden Gegenstand. Über ihn definieren sich ua. die Zuständigkeit des betriebsverfassungsrechtlichen Gremiums, die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung sowie der Regelungsauftrag einer Einigungsstelle. Über eine zu regelnde "Angelegenheit" kann eine Betriebsvereinbarung geschlossen werden. Mehrere zu regelnde Angelegenheiten können von den Betriebsparteien sowohl in mehreren gesonderten Betriebsvereinbarungen als auch in - urkundlich - nur einer Betriebsvereinbarung geregelt werden; zwingende gesetzliche Vorgaben fehlen. Es steht den Betriebsparteien frei, entweder mehrere gesonderte Betriebsvereinbarungen zu schließen oder mehrere selbständige Regelungen - etwa aus Gründen der Zweckmäßigkeit - in einer Urkunde zusammenzufassen. Die Zulässigkeit der Kündigung einer selbständigen Regelung hängt nicht von der mehr oder minder zufälligen äußerlichen Zusammenfassung mehrerer Regelungskomplexe in einer Urkunde ab. Maßgeblich ist vielmehr, ob es sich inhaltlich um die selbständige Regelung eine Angelegenheit handelt, die ebenso gut Gegenstand einer eigenständigen und gesonderten Betriebsvereinbarung sein könnte (vgl. BAG 19. März 1957 - 3 AZR 249/54 - BAGE 4, 6, zu 4 der Gründe; vgl. auch den amtlichen Leitsatz zu 17. April 1959 - 1 AZR 83/58 - BAGE 7, 340; DKK-Berg § 77 Rn. 55; Fitting § 77 Rn. 153; Kreutz GK-BetrVG § 77 Rn. 365; Richardi BetrVG 10. Aufl. § 77 Rn. 206).

(b) Eine Störung des Äquivalenzgefüges einer mehrere selbständige Regelungen zusammenfassenden Betriebsvereinbarung ist mit deren Teilkündigung - anders als bei Tarifverträgen und Arbeitsverträgen - in der Regel nicht verbunden.

(aa) Der Abschluss von Tarifverträgen und von Arbeitsverträgen ist regelmäßig das Ergebnis eines von der wechselseitigen Verhandlungsstärke und Kampfkraft der Vertragsparteien abhängigen Aushandelns von Leistung und Gegenleistung. Tarifverträge und Arbeitsverträge haben in der Regel Kompromisscharakter und sind gerade in ihrer Gesamtheit Ausdruck gegenseitigen Nachgebens. Durch Teilkündigungen von Tarifverträgen wird daher typischerweise deren Äquivalenzgefüge gestört; sie sind deshalb regelmäßig nur als Ganzes kündbar (vgl. BAG 3. Mai 2006 - 4 AZR 795/05 -AP TVG § 1 Kündigung Nr. 8 = EzA TVG § 1 Nr. 47, zu II 1 b bb der Gründe; 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - AP TVG § 1 Sozialplan Nr. 2 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 139, zu B IX 3 b aa (1) der Gründe). Ähnlich ist dies bei Teilkündigungen einzelner Vertragsbedingungen eines Arbeitsvertrags; auch diese sind grundsätzlich nicht zulässig (vgl. BAG 14. November 1990 - 5 AZR 509/89 - BAGE 66, 214, zu II 1 der Gründe).

(bb) Für Betriebsvereinbarungen über mehrere selbständige Angelegenheiten gilt dies nicht in gleicher Weise. Sie sind typischerweise keine auf den Ausgleich gegenseitiger Leistungspflichten angelegte Verträge. Die in ihnen geregelten Angelegenheiten stehen nicht zwingend in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis.

Betriebsvereinbarungen sind nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes nicht - wie Tarif- und Arbeitsverträge - auf das kompromisshafte Aushandeln von Leistung und Gegenleistung gerichtet. Sie dienen der gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG am Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zu orientierenden Ausgestaltung bestimmter Regelungsgegenstände. Zwar können die Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung über unterschiedliche Regelungsgegenstände eine Angelegenheit mit Rücksicht auf eine andere in bestimmter Weise gestalten. Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang und in welcher Weise das Betriebsverfassungsgesetz "Kompensationsgeschäfte" erlaubt oder verbietet. Ohne entsprechende Vereinbarungen der Betriebsparteien oder anderweitige hinreichend zuverlässige Anhaltspunkte kann in der Regel aber nicht angenommen werden, der Regelung mehrerer eigenständiger Angelegenheiten in einer Betriebsvereinbarung liege eine Einigung zugrunde, die nur insgesamt oder gar nicht Bestand haben solle. Vielmehr wird die Zusammenfassung der Regelung mehrerer selbständiger Angelegenheiten in einer Urkunde häufig auf äußeren, praktischen Gründen - etwa dem zufällig zeitgleichen Abschluss mehrerer Vereinbarungen oder dem Wunsch nach Übersichtlichkeit - beruhen. Besonders deutlich wird dies, wenn die Gegenstände in keinem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang zueinanderstehen.

Die Annahme, auch bei einer Betriebsvereinbarung über unterschiedliche Angelegenheiten handele es sich regelmäßig um ein Gesamtpaket, dessen einzelne Regelungsgegenstände ohne Störung des Äquivalenzgefüges keinem gesonderten Schicksal zugänglich sind, widerspräche der Rechtsprechung zur Teilnichtigkeit von Betriebsvereinbarungen. Nach dieser bleiben die übrigen Regelungen einer Betriebsvereinbarung aufrechterhalten, wenn einzelne Regelungen wegen nachfolgender tariflicher Regelungen nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unanwendbar geworden sind (vgl. BAG 22. März 2005 - 1 ABR 64/03 - BAGE 114, 162, zu B II 2 c ee (4) (b) der Gründe mwN). Damit wäre es kaum zu vereinbaren, wenn der Arbeitgeber in Fällen, in denen die Betriebsparteien mehrere freiwillige Leistungen mit unterschiedlichen Leistungszwecken urkundlich in einer Betriebsvereinbarung jeweils selbständig geregelt haben, gezwungen wäre, die gesamte Betriebsvereinbarung zu kündigen, obwohl er nur eine der freiwilligen Leistungen mitbestimmungsfrei einstellen will.

Die Zulässigkeit der Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung setzt daher neben der Selbständigkeit des Regelungskomplexes nicht zusätzlich den erkennbaren Willen der Betriebsparteien voraus, ein rechtlich eigenständiges Schicksal der Regelungskomplexe zu ermöglichen (im Ergebnis ebenso DKK-Berg § 77 Rn. 55; Fitting § 77 Rn. 153; aA Kreutz GK-BetrVG § 77 Rn. 365; Richardi § 77 Rn. 206). Vielmehr müssen umgekehrt Betriebsparteien, welche die Teilkündigung von selbständigen Regelungen zu unterschiedlichen Angelegenheiten in einer Betriebsvereinbarung verhindern wollen, dies in der Betriebsvereinbarung deutlich zum Ausdruck bringen. Soweit den Entscheidungen des Senats vom 17. April 1959 (- 1 AZR 83/58 - BAGE 7, 340) und vom 29. Mai 1964 (- 1 AZR 281/63 - BAGE 16, 58) etwas anderes entnommen werden kann, hält der Senat daran nicht fest. Er gerät damit nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts. Dieser hatte die Frage im Urteil vom 19. März 1957 (- 3 AZR 249/54 - BAGE 4, 6) offengelassen.

bb) Danach war die von der Beklagten mit Schreiben vom 20. Dezember 2004 ausgesprochene Teilkündigung des Abschnitts 3a BV 1980 wirksam.

(1) Die Betriebsparteien haben die Frage der Zulässigkeit einer Teilkündigung der BV 1980 nicht geregelt. Ein Ausschluss der Teilkündigung lässt sich nicht etwa der Nr. 9 der Betriebsvereinbarung entnehmen. Diese Bestimmung regelt die Kündigungsfrist. Zur Frage einer Teilkündigung verhält sie sich nicht.

(2) Die Regelung der Fahrtkostenerstattung in Abschnitt 3a BV 1980 war damit selbständig kündbar. Es handelt sich um die eigenständige, in sich vollständige und abgeschlossene Regelung einer gesondert regelbaren betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit. Dies zeigt schon der Umstand, dass die Regelung nicht von Anfang an Teil der BV 1974 war, sondern von 1979 bis 1980 selbständig angewandt und erst dann in die BV 1980 aufgenommen wurde. Durch ihre Kündigung wurden die noch verbliebenen Regelungen der BV 1980 nicht unklar, unvollständig oder sinnlos. Eine Störung des Äquivalenzgefüges ist nicht ersichtlich. Bei der Fahrtkostenerstattung handelte es sich um eine freiwillige Leistung der Beklagten. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit einem Entgegenkommen des Betriebsrats an anderer Stelle verbunden gewesen wäre, welches die Regelung als Teil eines Kompensationsgeschäfts erscheinen ließe.

III. Der Abschnitt 3a BV 1980 entfaltet keine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG. Zwar handelt es sich um eine teilmitbestimmte Regelung. Die Beklagte erstrebte mit der Kündigung jedoch den Wegfall sämtlicher Leistungen und nicht etwa eine Änderung des Verteilungsplans. In einem solchen Fall wirkt eine Betriebsvereinbarung über eine freiwillige Leistung nicht nach.

Ende der Entscheidung

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