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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.04.2007
Aktenzeichen: 10 AZR 110/06
Rechtsgebiete: MTV, SGB VII, SGB V


Vorschriften:

MTV § 8
MTV § 10
SGB VII § 45
SGB V § 44
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

Hinweise des Senats: Fortführung von BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167

10 AZR 110/06

Verkündet am 25. April 2007

In Sachen

hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Freitag, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Marquardt und den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Brühler sowie den ehrenamtlichen Richter Böhlo und die ehrenamtliche Richterin Trümner für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 21. Dezember 2005 - 2 Sa 544/05 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, tarifliche Ansprüche des Klägers auf Sonderzahlungen für das Jahr 2004 iHv. zwei Zwölfteln für die Zeit zu kürzen, in der der Kläger infolge eines Wegeunfalls Verletztengeld bezogen hat.

Der Kläger ist seit dem 1. April 2000 bei der Beklagten als Elektriker zu einem monatlichen Bruttogehalt von 2.255,00 Euro tätig.

Auf das Arbeitsverhältnis findet auf Grund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft vom 3. Juni 1997 (im Folgenden: MTV) Anwendung. Dieser regelt Sonderzahlungen in § 8 wie folgt:

"1. Alle Beschäftigten erhalten am 01. Dezember eines jeden Jahres zusätzlich 100 % der zu diesem Zeitpunkt vereinbarten Monatsvergütung (13. Monatsgehalt). Überstunden-, Leistungs- (§ 3 Abs. 3) und Erschwerniszulagen (§ 7 VTV) werden vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung in einer Betriebsvereinbarung nicht eingerechnet.

2. Alle Beschäftigten in dem Gebiet, in dem schon vor dem 03.10.1990 das Grundgesetz galt, erhalten ein zusätzliches Urlaubsgeld iHv. 100 % der nach dem Vergütungstarifvertrag vom 20.03.1996 zu zahlenden Vergütung gemäß § 4 (14. Monatsgehalt). Hinsichtlich der Zulagen gilt das in Abs. 1 Geregelte.

...

4. Bei Neueinstellungen ab dem 01.01.1997 wird den Beschäftigten abweichend von Abs. 1 bis 3 jeweils eine zusätzliche Vergütung gezahlt, die im ersten Beschäftigungsjahr 50 % des zu leistenden Monatsgehalts gem. Abs. 1 bis 3 entspricht. Die 13. und 14. Monatsvergütung steigt in jedem Beschäftigungsjahr jeweils um 10 %-Punkte bis zu einer Höhe von 100 % gem. Abs. 1 - 3.

5. Das Urlaubsgeld wird mit der Monatsvergütung für Juli ausgezahlt.

6. Ausscheidende oder neu eingestellte Beschäftigte sowie Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis ruht (Erziehungsurlaub, Wehrdienst) sowie bei unbezahltem Sonderurlaub und Krankengeldbezug, haben im Kalenderjahr für jeden vollen Monat, in dem sie gearbeitet haben, Anspruch auf 1/12 dieser Sonderzahlungen.

..."

§ 10 MTV regelt die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wie folgt:

"1. Im Falle einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit und bei Kuren erhalten die Beschäftigten die Vergütung für die Dauer von 6 Wochen fortgezahlt. ...

2. Beruht die Arbeitsunfähigkeit auf einem Betriebsunfall, so wird ein Zuschuß zum Krankengeld in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Nettovergütung und den Bruttobarleistungen der Krankenkasse, soweit diese auf Pflichtversicherungen beruhen, bis zu 26 Wochen gezahlt. Bei nicht krankenversicherungspflichtigen Beschäftigten wird der Zuschuß nach dem höchsten Krankengeldsatz für Pflichtversicherte der zuständigen Ortskrankenkasse berechnet.

..."

Nach einem Wegeunfall am 7. Oktober 2004 war der Kläger über das Ende des Jahres 2004 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete für sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Danach bezog der Kläger Verletztengeld. Einen Zuschuss zum Verletztengeld zahlte die Beklagte nicht, da die Bruttobarleistungen des Versicherungsträgers, der das Verletztengeld zahlte, nicht geringer als die Nettovergütung des Klägers waren. Die Beklagte kürzte die dem Kläger zustehende Sonderzahlung nach § 8 Nr. 1 MTV (13. Monatsgehalt) um 338,25 Euro brutto und den Anspruch auf die Sonderzahlung nach § 8 Nr. 2 MTV (14. Monatsgehalt) um 294,00 Euro brutto. Die Kürzung entspricht jeweils zwei Zwölfteln des vollen Anspruchs.

Der Kläger hält diese Kürzung für rechtswidrig. Er meint, der Bezug von Verletztengeld löse die Kürzung der Sonderzuwendung nach § 8 Nr. 6 MTV nicht aus. Nur die Monate, in denen der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbracht und keine Lohnersatzleistungen des Arbeitgebers bezogen habe, dürften zur Kürzung führen. Während des Bezugs von Verletztengeld bestehe jedoch grundsätzlich ein Anspruch auf einen Zuschuss zum "Krankengeld" (§ 10 Nr. 2 MTV). Unerheblich sei, dass er einen solchen Zuschuss tatsächlich nicht erhalten habe. Zudem beziehe sich § 8 Nr. 6 MTV nur auf das Krankengeld. Die Voraussetzungen des Krankengeldes seien in § 44 SGB V, die des Verletztengeldes dagegen in § 45 SGB VII geregelt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 632,25 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, § 8 Nr. 6 MTV erfasse auch Zeiträume, in denen ein Arbeitnehmer Verletztengeld beziehe. Der Begriff Krankengeld umfasse auch das Verletztengeld. Dies folge jedenfalls aus § 10 Nr. 2 MTV. Darin werde vom Krankengeld gesprochen, obwohl im Falle eines "Betriebsunfalls" Verletztengeld gezahlt werde. Die Kürzungsregelung in § 8 Nr. 6 MTV greife grundsätzlich für alle Zeiträume, in denen die Arbeitsleistung nicht erbracht und vom Arbeitgeber Lohnersatzleistungen nicht gewährt würden. Die Zuschussregelung zum Krankengeld in § 10 Nr. 2 MTV habe lediglich historische Bedeutung. Regelmäßig sei kein Zuschuss zu zahlen, da die Bruttobarleistungen des Sozialversicherungsträgers zumindest genauso hoch seien wie das Nettoentgelt des Arbeitnehmers.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf die ungekürzte Sonderzahlung.

I. Das Landesarbeitsgericht hat den MTV so ausgelegt, dass die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Sonderzahlungen nach § 8 Nr. 1 und 2 MTV um zwei Zwölftel zu kürzen. Zwar lasse der Wortlaut des § 8 Nr. 6 MTV nicht eindeutig erkennen, ob Verletztengeld als Krankengeld zu verstehen sei. Dies folge aber aus dem Zweck der Tarifnorm sowie dem tariflichen Gesamtzusammenhang. § 8 Nr. 6 MTV beschränke den Sonderzahlungsanspruch nach § 8 Nr. 1 und 2 MTV. Nur solange der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz verpflichtet sei, solle der Anspruch nicht gekürzt werden. Andere Zeiten führten zu einer Anspruchskürzung, also auch Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer Verletztengeld beziehe. Dies bestätige der tarifliche Gesamtzusammenhang. § 10 Nr. 2 MTV regele für den Fall eines Betriebsunfalls einen Anspruch auf einen Zuschuss zum Krankengeld. § 8 SGB VII spreche dagegen von einem Arbeitsunfall. Dieser führe auch nicht zu einem Anspruch auf Krankengeld, sondern zu einem solchen auf Verletztengeld. Daraus werde deutlich, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff des Krankengeldes als Oberbegriff verstanden hätten, der auch das Verletztengeld umfasse. Dagegen spreche nicht, dass § 10 Nr. 2 MTV Leistungen der Krankenkasse erwähne, denn die Träger der Krankenversicherung zahlten das Verletztengeld auf der Grundlage eines Auftrages der Träger der Sozialversicherung aus. Die so gewonnene Auslegung sei auf den Begriff des Krankengeldes in § 8 Nr. 6 MTV zu übertragen. Verwendeten Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff an mehreren Stellen, so sei davon auszugehen, dass sie diesem Begriff einen einheitlichen Bedeutungsinhalt zuweisen wollten.

II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis und in der Begründung stand. Der gem. § 4 Abs. 1 TVG kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbare MTV begründet keinen Anspruch auf die der Höhe nach unstreitige volle Sonderzahlung.

1. Nach § 8 Nr. 6 MTV haben Beschäftigte bei Krankengeldbezug nur für jeden vollen Monat, in dem sie gearbeitet haben, Anspruch auf ein Zwölftel der Sonderzahlung. Dies trifft auf den Kläger für die Monate November und Dezember 2004 nicht zu.

Im Laufe des Monats November 2004 endete die sechswöchige Entgeltfortzahlungspflicht des § 3 Abs. 1 EFZG, die mit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf Grund seines Wegeunfalls am 7. Oktober 2004 begann. Zugleich bezog der Kläger mit Ende der Entgeltfortzahlung durch die Beklagte Verletztengeld. Dieses ist als "Krankengeld" iSd. § 8 Nr. 6 MTV anzusehen.

2. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnormen.

Die Auslegung eines Tarifvertrags durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 15. Februar 2006 - 10 AZR 59/05 -AP BGB § 611 Croupier Nr. 26; 15. November 2006 - 10 AZR 736/05 - und - 10 AZR 769/05 -). Sie folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr. zB BAG 19. Januar 2000 - 4 AZR 814/98 - BAGE 93, 229, zu 3 a der Gründe).

a) Aus dem Wortlaut der Tarifnorm folgt nicht zweifelsfrei, dass die Tarifvertragsparteien die Verletztengeldzahlung nach einem Arbeitsunfall als Krankengeldbezug iSv. § 8 Nr. 6 MTV verstehen wollten. Die Krankengeldleistungen bei Arbeitsunfähigkeit sind in § 44 SGB V unter dem Oberbegriff "Krankengeld", das Verletztengeld ist in § 45 SGB VII unter "Geldleistungen während der Heilbehandlung und der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben" geregelt. Nach allgemeinem Sprachgebrauch werden unter dem Begriff Krankengeld Leistungen der Krankenkasse bei Arbeitsunfähigkeit verstanden (vgl. Wahrig Deutsches Wörterbuch 8. Aufl.; Duden Deutsches Universalwörterbuch 5. Aufl.). Das trifft auf das Verletztengeld nicht immer zu, das zwar bei Krankheit und damit einhergehender Arbeitsunfähigkeit zu zahlen ist, jedoch nur dann durch die Krankenversicherung, wenn der Unfallversicherungsträger diese beauftragt, die ihm obliegenden Leistungen zu erbringen (§ 189 SGB VII).

b) Der von den Tarifvertragsparteien mit § 8 Nr. 6 MTV verfolgte Zweck spricht aber dafür, Zeiten der Verletztengeldzahlung als Zeiten des Krankengeldbezugs bei der Berechnung der Ansprüche auf Sonderzahlungen nach § 8 Nr. 1 und 2 MTV anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Der Zweck einer tariflichen Leistung ist ebenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln. Er ergibt sich aus den in der Regelung normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen, die die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167; 24. März 1993 - 10 AZR 160/92 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 152 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 102).

aa) § 8 Nr. 6 MTV beschränkt den Anspruch auf die Sonderzahlungen nach § 8 Nr. 1 (13. Monatsgehalt) und Nr. 2 MTV (14. Monatsgehalt). Ein Anspruch auf Sonderzahlungen soll danach bei ausscheidenden und neu eingestellten Beschäftigten, Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis ruht, sowie bei unbezahltem Sonderurlaub und Krankengeldbezug grundsätzlich nur für jeden vollen Monat, in dem sie gearbeitet haben, in Höhe von einem Zwölftel der Sonderzahlungen entstehen. Der Sache nach handelt es sich, obwohl die Norm anspruchsbegründend formuliert ist, um eine Kürzungsvorschrift, die den nach § 8 Nr. 1 und 2 MTV bestehenden Anspruch auf die Sonderzahlungen beschränkt. Eine solche Regelung ist grundsätzlich zulässig; Tarifvertragsparteien können im Einzelnen bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen (BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167; 12. Juli 1995 - 10 AZR 511/94 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 182 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 129). Ein Anspruch auf Sonderzahlungen soll nach der tariflichen Regelung grundsätzlich nur für Zeiten der Beschäftigung oder des Bezugs von Lohnersatzleistungen, die ausschließlich der Arbeitgeber gewährt, entstehen.

bb) Auch der Vergleich mit den übrigen in § 8 Nr. 6 MTV aufgeführten Tatbeständen zeigt, dass Zeiten, in denen der Arbeitnehmer Verletztengeld nach § 45 SGB VII bezogen hat, den Anspruch mindern sollen.

(1) Erziehungsurlaub und Wehrdienst führen in aller Regel zu einer längeren Zeit des Ruhens des Arbeitsverhältnisses. Beim Ein- oder Austritt eines Arbeitnehmers besteht das Arbeitsverhältnis typischerweise nicht für alle Monate des Kalenderjahres. Fälle einer kürzeren Wehrübung sowie eines unbezahlten Sonderurlaubs sind einmalige oder jedenfalls nicht häufig wiederkehrende Tatbestände. Der Anspruch auf Krankengeldbezug bei Arbeitsunfähigkeit nach § 44 SGB V ruht nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, soweit und solange Versicherte Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFZG haben, so dass erst nach sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit eine Kürzung des Anspruchs auf die Sonderzahlungen nach § 8 Nr. 1 und 2 MTV erfolgt. Zeiten des Krankengeldbezugs sind oft mit einer längeren und durchgehenden Zeit ohne Anspruch auf Lohnersatzleistung gegen den Arbeitgeber verbunden. In § 8 Nr. 6 MTV geht es also in erster Linie um Fallgestaltungen, in denen über Monate weder Arbeitsleistung erbracht wird noch ein Anspruch auf Lohnersatzleistungen gegenüber dem Arbeitgeber besteht (BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167).

(2) Das trifft auch auf Zeiträume zu, in denen ein Arbeitnehmer Verletztengeld bezieht. Der Vergleich mit den Voraussetzungen des Krankengelds bestätigt dies. Der Anspruch auf Krankengeld setzt die bloße Arbeitsunfähigkeit bzw. stationäre Behandlung voraus (§ 44 Abs. 1 SGB V). Verletztengeld erhalten Versicherte, solange sie infolge eines Versicherungsfalls ua. arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung sind (§ 45 Abs. 1 SGB VII). Versicherungsfälle sind ua. Arbeitsunfälle (§ 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 SGB VII), zu denen auch Wegeunfälle gehören (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Beide Ansprüche werden grundsätzlich bis zu höchstens 78 Wochen gewährt (§ 48 Abs. 1 SGB V; § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB VII). Der Anspruch auf Krankengeld ruht ua., wenn der versicherte Arbeitnehmer Arbeitsentgelt bezieht (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V); auf das Verletztengeld wird beitragspflichtiges Arbeitsentgelt angerechnet (§ 52 Nr. 1 SGB VII), dazu gehört auch die Entgeltfortzahlung. In beiden Fällen leistet der Versicherungsträger so lange oder so weit nicht, wie der Arbeitgeber zur Entgelt(fort)zahlung verpflichtet ist. Das Krankengeld beträgt 70 % des Regelentgelts und darf 90 % des Nettoarbeitsentgelts nicht überschreiten (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V). Das Verletztengeld beträgt 80 % des Regelentgelts; die 90 %-Grenze des Krankengelds gilt nicht (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII). Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer Verletztengeld bezieht, unterscheiden sich von Zeiten des Krankengeldbezugs nur hinsichtlich des anspruchsbegründenden Ereignisses sowie in der Höhe. Beides rechtfertigt keine Unterschiede bei der Kürzung der tariflichen Sonderzahlungen.

cc) Auch der tarifliche Gesamtzusammenhang bestätigt dieses Auslegungsergebnis.

(1) Der MTV verwendet den Begriff des Krankengelds nicht nur in § 8 Nr. 6 MTV, sondern auch in § 10 Nr. 2 MTV. Diese Regelung bezieht sich entgegen ihrem Wortlaut nicht auf das Krankengeld nach § 44 SGB V, sondern auf das Verletztengeld nach § 45 SGB VII, denn der Zuschuss zum Krankengeld ist vom Arbeitgeber nur dann zu zahlen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einem Betriebsunfall beruht. Damit nehmen die Tarifvertragsparteien auf das nach dem SGB VII versicherte Risiko eines Arbeitsunfalls Bezug, das nicht einen Anspruch auf Krankengeld, sondern auf Verletztengeld auslöst.

Daneben haben die Tarifvertragsparteien in § 10 Nr. 3 MTV eine Öffnungsklausel vereinbart, wonach ein weitergehender Zuschuss zum Krankengeld in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden kann. Diese kann sich nur auf einen Zuschuss zum Krankengeld nach § 44 SGB V beziehen, denn das Nettoarbeitsentgelt im Falle eines Arbeitsunfalls ist bereits durch den in § 10 Nr. 2 MTV geregelten Zuschuss zum Verletztengeld gewährleistet. Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff des Krankengelds daher als Oberbegriff für jegliche sozialversicherungsrechtliche Lohnersatzleistung auf Grund eingetretener Arbeitsunfähigkeit verwandt, ohne im Einzelfall nach der Höhe und dem Träger der Leistung zu unterscheiden. Unerheblich ist, dass der Tarifvertrag auf Bruttobarleistungen der Krankenkasse abstellt. Es kann daher dahinstehen, ob der Unfallversicherungsträger im Einzelfall die Auszahlung des Verletztengelds nach § 189 SGB VII auf die Krankenkasse überträgt.

(2) Selbst wenn es zuträfe, wie der Kläger meint, dass der Zuschuss des Arbeitgebers eine Lohnersatzleistung sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat hat insofern zu § 8 Nr. 6 MTV bereits entschieden, dass ein Anspruch auf Sonderzahlungen grundsätzlich für Zeiten der Beschäftigung oder des Bezugs von Lohnersatzleistungen vom Arbeitgeber entstehen soll (31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167). Lohnersatzleistungen umfassen als Oberbegriff die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und den Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld (vgl. Küttner/Macher Personalbuch 2006 Stichwort Lohnersatzleistungen Rn. 1). Da allen Lohnersatzleistungen gemeinsam ist, dass sie den Ausfall des Arbeitsverdienstes in bestimmten sozialen Situationen ganz oder teilweise kompensieren sollen, dürfte auch der Zuschuss zum Krankengeld hierunter fallen. Diese isolierte Sichtweise würde aber übersehen, dass die Tarifvertragsparteien in § 8 Nr. 6 MTV bei den Zeiträumen des Krankengeldbezugs nicht danach unterschieden haben, ob ein Zuschuss zu zahlen ist oder nicht. Diese Zeiträume sollten vielmehr generell anspruchskürzend wirken. Der - geringe - Zuschuss des Arbeitgebers zur Erhaltung des vollen Nettoarbeitsentgelts ändert nichts an der Tatsache des Krankengeldbezugs. Unerheblich ist deshalb, ob in der Regel das Verletztengeld, das der Unfallversicherungsträger auszahlt, die Höhe des Nettoarbeitsentgelts des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers erreicht, so dass eine entsprechende Zuschusspflicht des Arbeitgebers nicht entsteht.

dd) Schließlich spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm für dieses Auslegungsergebnis.

(1) Der MTV vom 28. Mai 1993 (nachfolgend: MTV 1993) enthielt noch in der letzten Fassung vom 20. März 1996 eine Regelung zu den Sonderzahlungen, nach der Zeiten des Krankengeldbezugs einen Anspruch auf anteilige Sonderzahlungen begründen konnten. Der MTV 1993 lautete - soweit von Belang - wie folgt:

"§ 9

Sonderzahlungen

...

4. Ausscheidenden, neu eingestellten oder zeitweise nichttätigen Beschäftigten ... stehen so viele Zwölftel der Sonderzahlungen nach Abs. 1 und 3 ... zu, wie sie im Kalenderjahr volle Monate im Unternehmen gearbeitet, Leistungen nach den Bestimmungen des Lohnfortzahlungsgesetzes, Kinderkrankengeld gemäß § 45 SGB V zur Pflege erkrankter Kinder oder Leistungen gemäß § 12 erhalten haben bzw. Anspruch auf Zuschußzahlung im Krankheitsfall gehabt haben oder gehabt hätten, wenn durch die Höhe des zustehenden Krankengeldes der Anspruch nicht abgegolten worden wäre.

...

§ 12

Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall

...

3. Bei einer länger dauernden, nicht grob fahrlässig verschuldeten Krankheit oder einer Kur gemäß Ziff. 2 steht dem/der Beschäftigten nach Ablauf der 6. Woche ein Zuschuß in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der Nettovergütung und den Bruttobarleistungen der Krankenkasse zu, soweit diese auf Pflichtversicherungen beruhen, und zwar bis zum vollendeten 4. Jahr der Betriebszugehörigkeit ... bis zum vollendeten 8. Jahr der Betriebszugehörigkeit ...

...

Beruht die Arbeitsunfähigkeit auf einem Betriebsunfall, so wird ein Zuschuß bis zu 26 Wochen gezahlt.

..."

(2) Zeiträume, in denen Arbeitnehmer unter der Geltung des MTV 1993 Krankengeld bezogen, begründeten danach immer dann einen anteiligen Anspruch auf Sonderzahlungen, wenn der Arbeitgeber zur Zuschusszahlung nach § 12 MTV 1993 verpflichtet war. Dies war der Fall, wenn dem Krankengeldbezug entweder ein Betriebsunfall zu Grunde lag oder der Arbeitnehmer die erforderliche Betriebszugehörigkeit aufwies. Die Tarifvertragsparteien ließen dabei den bloßen Anspruch des Arbeitnehmers auf Zuschusszahlung ausreichen; unschädlich war, wenn der Anspruch nicht zum Tragen kam, weil bereits die sozialversicherungsrechtlichen Lohnersatzleistungen der Krankenkasse bzw. des Unfallversicherungsträgers den Nettolohnanspruch des Arbeitnehmers erreichten.

(3) Der MTV vom 3. Juni 1997 hat die rechtlichen Folgen des Krankengeldbezugs umgekehrt. Entsprechende Zeiträume wirken generell nicht mehr anspruchsbegründend, sondern anspruchskürzend. Die Tarifvertragsparteien haben nicht mehr danach unterschieden, ob der Arbeitgeber während des Krankengeldbezugs einen Zuschuss - zumindest dem Grunde nach - zahlen muss. Hierauf kam es den Tarifvertragsparteien bei der Neuregelung in § 8 Nr. 6 MTV ersichtlich nicht mehr an.

(4) Daneben bestätigt die Entstehungsgeschichte des § 8 Nr. 6 MTV, dass der darin verwendete Begriff des Krankengelds dem Inhalt nach demjenigen des § 10 Nr. 2 und Nr. 3 MTV gleichsteht. Die Vorgängerregelung in § 9 Nr. 4 MTV 1993 hatte noch ausdrücklich auf Leistungen nach § 12 MTV 1993 verwiesen und in diesem Zusammenhang auch das Krankengeld erwähnt. Die identische Bedeutung des Krankengelds bei der Regelung der Sonderzahlung einerseits und der Fortzahlung der Vergütung im Krankheitsfall andererseits war hierdurch unmittelbar vorgegeben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dieser Zusammenhang bei der Neuregelung aufgegeben werden sollte.

3. Mit diesem Inhalt verstößt § 8 Nr. 6 MTV auch nicht gegen § 4a EFZG. Ob dies in jedem Einzelfall des Anwendungsbereichs der tariflichen Kürzungsregelung gilt, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls im vorliegenden Fall bleibt die Kürzung hinter dem gesetzlich zulässigen Umfang zurück. Auch der Kläger hat keine diesbezüglichen Rügen erhoben.

Ende der Entscheidung

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