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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 12.06.2002
Aktenzeichen: 10 AZR 180/01
Rechtsgebiete: ZPO, KO
Vorschriften:
ZPO § 256 Abs. 1 | |
KO § 57 | |
KO § 59 Abs. 1 Nr. 1 |
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL
Verkündet am 12. Juni 2002
In Sachen
hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 12. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Freitag, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Marquardt, den ehrenamtlichen Richter Thiel und die ehrenamtliche Richterin Tirre für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 2000 - 9 Sa 1033/00 - wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die konkursrechtliche Einordnung einer Abfindung.
Der Kläger war seit 22. Oktober 1985 bei der E B M GmbH & Co. KG beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26. Februar zum 31. März 1993. Gegen die Kündigung hat sich der Kläger mit einer am 16. März 1993 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG setzte er den Rechtsstreit gegen den zum Konkursverwalter bestellten jetzigen Beklagten fort und nahm zusätzlich die p GmbH als Betriebsübernehmerin in Anspruch. Die p GmbH wurde ebenfalls durch den Beklagten vertreten.
Am 15. November 1993 erzielten der Kläger und der Beklagte in einem gerichtlich protokollierten Vergleich Einigkeit darüber, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung zum 31. März 1993 endete; gleichzeitig verpflichtete sich der Beklagte, an den Kläger für den Verlust seines sozialen Besitzstandes eine Abfindung in Höhe von 10.000,00 DM (brutto = netto) in analoger Anwendung von §§ 9, 10 KSchG zu zahlen. Der Kläger nahm ferner seine Klage gegen die p GmbH zurück.
Einen Antrag des Klägers, die Abfindungsforderung aus dem Vergleich gegen den Beklagten zu vollstrecken, lehnte der Gerichtsvollzieher mit Schreiben vom 3. Februar 2000 mit der Begründung ab, es handele sich nicht um eine Masseschuld, sondern um eine Konkursforderung.
Der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit gegen den Beklagten geltend gemacht, der Vergleich sei von dem Beklagten geschlossen worden, um das Risiko des Bestandsschutzprozesses ua. im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang auf die p GmbH zu vermeiden. Der Vergleich beruhe auf einer Rechtshandlung des Beklagten als Konkursverwalter, die ihren Grund nicht bereits in dem Rechtsverhältnis zwischen ihm, dem Kläger, und der Gemeinschuldnerin gehabt habe.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß ihm durch die Abfindung gemäß Ziff. 2 des arbeitsgerichtlichen Vergleiches vom 15. November 1993 eine Masseforderung gem. § 59 Abs. 1 KO zusteht.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Er hat die Ansicht vertreten, bei dem Abfindungsanspruch des Klägers handele es sich um eine Konkursforderung, da der Rechtsgrund dafür bereits zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung vorgelegen habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der sachlich-rechtlich den Abfindungsanspruch begründende Tatbestand sei nicht bereits bei Konkurseröffnung gegeben gewesen. Zwar sei die Kündigung des Arbeitsverhältnisses "conditio sine qua non" für den Abfindungsanspruch, jedoch könne nicht jede Ursache bereits als anspruchsbegründend aufgefaßt werden. Der anspruchsbegründende sachlich-rechtliche Tatbestand liege hier in einer erst nach Konkurseröffnung getroffenen Vereinbarung, durch die die Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung im beiderseitigen Interesse gerade offen geblieben sei. Die Abfindung sei bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht für den Verlust des Arbeitsplatzes trotz sozialwidriger Kündigung, sondern für den Verzicht auf die Fortführung des Rechtsstreits unter gleichzeitigem endgültigem Verlust des Arbeitsplatzes vereinbart worden. Dieser Abfindungszweck sei erst im Verlauf des Rechtsstreits nach Konkurseröffnung entstanden. Der Beklagte habe hierbei aktiv, ohne durch die Prozeßordnung gezwungen gewesen zu sein, den Prozeß durch ein Rechtsgeschäft beendet. Damit habe er die vor Konkurseröffnung erklärte Kündigung nicht bloß "abgewickelt", sondern darüber hinaus rechtsgestaltend einen neuen, ursprünglich nicht gegebenen Anspruchstatbestand geschaffen. Deshalb habe das Arbeitsgericht den Abfindungsanspruch zu Recht als Masseforderung eingeordnet.
II. Dem folgt der Senat sowohl im Ergebnis als auch weitgehend in der Begründung.
1. Die Klage ist zulässig. Obgleich der Kläger gegen die Ablehnung der Vollstreckung Erinnerung gem. § 766 Abs. 2 ZPO hätte einlegen können, ist das von § 256 Abs. 1 ZPO geforderte Feststellungsinteresse gegeben. Im allgemeinen ist zwar ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage zu verneinen, wenn der Kläger bereits einen vollstreckbaren Titel über die Klageforderung besitzt. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. So kann die Klage gem. § 256 ZPO zwar nicht mit dem Erinnerungsverfahren gem. § 766 ZPO verbunden werden, wohl aber neben dieses treten, wenn die Auslegung des Titels streitig ist oder Streit über die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zur Konkursmasse besteht (vgl. BGH 23. Mai 1962 - V ZR 187/60 - BGH-Wam 1962, 218; Zöller/Stöber ZPO 23. Aufl. § 766 Rn. 20 mwN). Für die Feststellung einer titulierten Forderung als Masseforderung gilt nichts anderes. Durch eine entsprechende Entscheidung des Prozeßgerichts wird dann im übrigen nicht nur für eine Zwangsvollstreckung mit Hilfe des Gerichtsvollziehers, sondern auch für andere Arten der Zwangsvollstreckung in die Konkursmasse Klarheit geschaffen.
2. Die Ansicht der Vorinstanzen, bei der von dem Beklagten in dem gerichtlichen Vergleich vom 15. November 1993 übernommenen Verpflichtung zur Abfindungszahlung handele es sich um eine Masseschuld iSv. § 57, § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Der Abschluß des Vergleichs durch den Beklagten war (auch) eine Prozeßhandlung (vgl. Zöller/Stöber aaO § 794 Rn. 3 mwN). Es ist konkursrechtlich anerkannt, daß Prozeßhandlungen des Konkursverwalters grundsätzlich Masseschulden gem. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO begründen (vgl. Kilger/KarstenSchmidt Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 59 KO Anm. 1 b; Kuhn-Uhlenbruck KO 11. Aufl. § 59 Rn. 5; zur entsprechenden Problematik unter der Geltung der InsO Eickmann in HK-InsO § 55 Rn. 4; Kübler/Prütting/Pape InsO § 55 Rn. 30; Smid InsO 2. Aufl. § 55 Rn. 8). Auch neue Verpflichtungen, die der Konkursverwalter in einem Vergleich übernimmt, sind Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO (vgl. Kilger/KarstenSchmidt aaO; Kuhn-Uhlenbruck aaO Rn. 5 d; für die InsO Nerlich/Römermann/Andres InsO § 55 Rn. 21; Smid aaO Rn. 9). Für eine vom Konkursverwalter in einem Prozeßvergleich zugesagte Abfindung gilt aus den vom Landesarbeitsgericht zutreffend dargelegten Gründen nichts anderes. Dies steht im Einklang mit der kündigungschutzrechtlichen Literatur. So nimmt etwa Fiebig (HaKo KSchG § 10 Rn. 30) eine Masseschuld nicht nur dann an, wenn der Insolvenzverwalter selbst kündigt und anschließend einen Abfindungsvergleich schließt, sondern auch dann, wenn der Abfindungsanspruch infolge einer sonstigen Handlung des Insolvenzverwalters entsteht. Nach Neef (HK KSchG 4. Aufl. § 10 Rn. 42) soll eine Masseverbindlichkeit sogar dann entstehen, wenn der Gemeinschuldner einen widerruflichen Abfindungsvergleich abgeschlossen hat, die Widerrufsfrist bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht abgelaufen ist und der Insolvenzverwalter den Widerruf unterläßt, weil dann der Insolvenzverwalter die Entscheidung treffe, den Vergleich nicht zu widerrufen. Kittner (Kittner/Däubler/Zwanziger Kündigungsschutzrecht 5. Aufl. § 10 KSchG Rn. 34) und Löwisch (KSchG 8. Aufl. § 10 Rn. 24) vertreten die Auffassung, auch die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gem. §§ 9, 10 KSchG gegen Abfindung begründe eine Masseverbindlichkeit, wenn der Insolvenzverwalter den Auflösungsantrag gestellt habe.
b) Demgegenüber vermögen die Angriffe der Revision nicht zu überzeugen.
aa) Daß eine vor Konkurseröffnung getroffene Abfindungsvereinbarung in einem (nicht mehr widerruflichen) außergerichtlichen Vergleich keine Masseforderung zu begründen vermag (vgl. BAG 6. Dezember 1984 - 2 AZR 348/81 - AP KO § 61 Nr. 14 = EzA KSchG nF § 9 Nr. 17), ist selbstverständlich, weil in diesem Fall nicht der Konkursverwalter gem. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO gehandelt hat.
bb) Auch daß hier die Zahlung der Abfindung "in analoger Anwendung von §§ 9, 10 KSchG" erfolgen sollte, ist ohne Bedeutung, wenn die gerichtliche Verurteilung zur Abfindungszahlung nach den genannten Vorschriften auf einen Auflösungsantrag des Konkursverwalters hin ebenfalls zu einer Masseverbindlichkeit führt. Selbst wenn aber insoweit Kittner und Löwisch (jew. aaO) nicht zu folgen wäre, ließe die genannte Formulierung des Vergleichs nicht den Schluß zu, der Abfindungsanspruch solle nur den Rang einer Konkursforderung haben. Diese verweist nämlich nicht für den Kläger erkennbar auf den Sachverhalt einer Kündigung vor Konkurseröffnung, sondern konnte und durfte vom Kläger als bloßer Hinweis auf die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Modalität der Zahlung verstanden werden (§§ 133, 157 BGB): Auch die Verurteilung des Konkursverwalters zur Zahlung einer Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG nach einer von ihm erklärten Kündigung begründet, wie dargelegt, eine Masseverbindlichkeit, und der Kläger konnte und durfte die Formulierung in dem Vergleich so verstehen, daß die zugesagte Abfindung wie eine solche durch Urteil festgesetzte Abfindung behandelt werden solle.
cc) Richtig ist zwar, daß hier bei Konkurseröffnung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien (möglicherweise) bestand, um dessen Fortführung oder Abwicklung es ging. Aus diesem Arbeitsverhältnis ergab sich aber ohne Handlung des Beklagten keine Abfindungsforderung des Klägers, denn der Kläger hatte weder vor noch nach Konkurseröffnung seinerseits einen Auflösungsantrag gem. § 9 Abs. 1 S 1 KSchG gestellt.
dd) Unzutreffend ist schließlich auch die Ansicht des Beklagten, im Fall der Einordnung des Abfindungsanspruchs als Masseverbindlichkeit sei der Konkursverwalter in derartigen Fällen stets gezwungen, den Kündigungsschutzprozeß ausurteilen zu lassen, um einer eigenen Haftung zu entgehen. Der Konkursverwalter muß lediglich klarstellen, ob er die ins Auge gefaßte Abfindung als Masseverbindlichkeit oder im Rang einer Konkursforderung befriedigen will, denn es ist den Parteien unbenommen, für die Abfindung einen Rangrücktritt auf den Rang einer Konkursforderung zu vereinbaren (vgl. BAG 21. September 1999 - 9 AZR 912/98 - AP SozPlKonkG § 1 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 105). Dies muß dann allerdings in dem Vergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen, was vorliegend nicht geschehen ist. Deshalb ist die hier vereinbarte Abfindung, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, als Masseverbindlichkeit iSv. § 57, § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO zu befriedigen.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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