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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 20.06.2007
Aktenzeichen: 10 AZR 379/06
Rechtsgebiete: GG, ArbGG, ZPO, Protokollerklärung
Vorschriften:
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2 | |
ArbGG § 72 Abs. 5 | |
ZPO § 547 Nr. 1, § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b | |
Protokollerklärung Nr. 1 zu Teil II G (Sozial- und Erziehungsdienst) der Anlage 1a zum BAT-O |
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL
Hinweise des Senats: 20. Juni 2007 - 10 AZR 375/06 - (führend), - 10 AZR 376/06 -, - 10 AZR 377/06 -, - 10 AZR 378/06 -, - 10 AZR 379/06 - (vorliegend), - 10 AZR 380/06 -, - 10 AZR 381/06 -
Verkündet am 20. Juni 2007
In Sachen
hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Freitag, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Marquardt, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Brühler sowie den ehrenamtlichen Richter Frese und die ehrenamtliche Richterin Feldmann für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Januar 2006 - 5 Sa 516/05 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Kammer 10 des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über eine Heimzulage.
Die Klägerin ist beim beklagten Land als pädagogische Mitarbeiterin im Landesbildungszentrum für Körperbehinderte in Halle (LBZ) beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist auf die Bestimmungen des ersten Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung Bezug genommen.
Die Klägerin erhielt zuletzt Vergütung nach VergGr. Vc Teil II G (Sozial- und Erziehungsdienst) der Anlage 1a zum BAT-O. Dieser Teil enthält die Protokollnotiz Nr. 1, in der eine Heimzulage vorgesehen ist.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre Tätigkeit erfülle die tariflichen Voraussetzungen für diese Zulage.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das beklagte Land ihr auch nach dem 1. Dezember 2002 eine Erschwernis-/Heimzulage nach der Protokollnotiz Nr. 1 zu Teil II G Sozial- und Erziehungsdienst der Anlage 1a zum BAT-O (B/TdL) in Höhe von 61,36 Euro monatlich zu zahlen sowie die nach diesem Zeitpunkt einbehaltenen bzw. mit ihrer Vergütung verrechneten Zulagebeträge zurückzuerstatten hat.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht in einem Heim oder einer vergleichbaren Einrichtung tätig, so dass ihr die Heimzulage nicht zustehe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2005 abgewiesen.
Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18. Juli 2005 zugestellt. Diese legten mit Schriftsatz vom 17. August 2005 Berufung ein. Die Berufung wurde der Kammer 5 des Landesarbeitsgerichts unter dem Aktenzeichen - 5 Sa 516/05 - zugeteilt. Diese Zuteilung erfolgte im Hinblick darauf, dass zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz bereits seit dem 15. April 2005 ein einstweiliges Verfügungsverfahren (- 5 (7) Sa 214/05 -) anhängig war, nach A III Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans für den richterlichen Dienst beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (GVPl.). Die Vorschriften A III Nr. 1 und 2 lauten:
"1. Für alle Berufungs- und Beschwerdeverfahren zwischen denselben Parteien/Beteiligten, in denen eine Kammer des Landesarbeitsgerichts bereits tätig war (Haupt- und Nebenverfahren bei Sa-, Ta- und TaBV-Sachen einschließlich zugehöriger Ha-Verfahren, insbesondere bei Restitutionsklagen, Zwangsvollstreckungsgegenklagen, Berufungen gegen Schlussurteile nach vorangegangenen Teilurteilen, Entscheidungen des Hauptprozesses nach vorausgegangenem Arrest oder einstweiliger Verfügung - auch auf Beschäftigung und nachfolgendem Kündigungsschutzprozess -, bei Endurteilen, nach Zwischenurteilen oder als Beschwerdeinstanz im Prozesskostenhilfeverfahren und im Verfahren zur Erlangung der Prozesskostenhilfe zwecks Durchführung der Berufung), ist diejenige Kammer zuständig, die in diesem Verfahren bereits tätig war.
2. Außerdem fallen alle neuen Berufungs- und Beschwerdeverfahren zwischen denselben Parteien/Beteiligten oder ihren Rechtsnachfolgern, zwischen denen im Zeitpunkt des Neueingangs noch ein anderes Verfahren anhängig ist, in die Zuständigkeit derjenigen Kammer, die mit der bereits anhängigen Sache befasst ist. Die Anhängigkeit eines Verfahrens endet im Fall einer instanzabschließenden Entscheidung mit ihrer Verkündung, ansonsten mit ihrer Zustellung."
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin gerügt, die Kammer 5 des Landesarbeitsgerichts sei für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig. Die ebenfalls am LBZ in gleicher Funktion wie die Klägerin beschäftigte Angestellte A habe gleichfalls die Zahlung der Heimzulage gerichtlich geltend gemacht. Die Berufung gegen das diese Klage abweisende Urteil sei am 16. November 2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am 18. Januar 2005 der Kammer 10 des Landesarbeitsgerichts zugeteilt worden (- 10 (11) Sa 745/04 -). Da es sich bei der vorliegenden Sache um eine Parallelsache im Sinne des Geschäftsverteilungsplans gehandelt habe, hätte sie - ebenso wie weitere Parallelsachen - nach A III Nr. 3 GVPl. der Kammer 10 zugeteilt werden müssen.
Diese Vorschrift lautet:
"Für Parallelsachen und Zusammenhangssachen ist insgesamt die Kammer zuständig, der nach der allgemeinen Zuweisung die erste der betreffenden Sachen zugefallen ist oder nach 1. oder 2. zufällt, soweit diese im Zeitpunkt des Eingangs der Parallel- oder Zusammenhangssachen noch anhängig ist. Die Anhängigkeit einer Sache endet im Fall einer instanzabschließenden Entscheidung mit ihrer Verkündung, im schriftlichen Verfahren mit ihrer Zustellung. Bei gleichzeitigem Eingang gilt B I entsprechend.
Parallel- und Zusammenhangssachen bei Berufungs- und Beschwerdeverfahren im o. g. Sinne (Ziff. 1) liegen vor bei
a) Identität auf Seiten einer Partei und
b) zumindest teilweiser Identität des Lebenssachverhalts, auf dem die Streitgegenstände beruhen.
Beispiele: Massenkündigungen wegen Betriebsschließung u. ä. oder aller Beteiligten an einer bestimmten Pflichtwidrigkeit, Massenänderungskündigungen zur Streichung von Zulagen, Ruhegeldklagen auf der Grundlage einer bestimmten Auslegung derselben Regelung der betrieblichen Versorgungsordnung, Feststellung des Eingreifens von § 613 a BGB aus Anlass einer Betriebsveräußerung, Lohnklagen aus Annahmeverzug auf der Grundlage desselben Ereignisses, Lohnklagen und Beschlussverfahren gemäß § 37 BetrVG, die dieselbe Schulungsveranstaltung gegen denselben Arbeitgeber betreffen.
...
Das Präsidium entscheidet bei Zweifeln darüber, ob die Voraussetzungen für die Annahme von Parallel- und Zusammenhangssachen vorliegen."
Eine instanzabschließende Entscheidung in der Sache A ./. Land Sachsen-Anhalt (- 10 (11) Sa 745/04 -) erging am 8. September 2005.
Die Kammer 5 des Landesarbeitsgerichts hat mit Urteil vom 18. Januar 2006 die Klage abgewiesen. Am gleichen Tage wurde das einstweilige Verfügungsverfahren durch Rücknahme erledigt.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Dabei rügt sie weiterhin die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der Senat hat hinsichtlich der geschäftsplanmäßigen Zuteilung der Sache eine Stellungnahme des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt eingeholt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung. Der von der Klägerin gerügte absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts gem. § 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG liegt vor.
I. Die Klägerin hat die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts innerhalb der Revisionsbegründungsfrist unter Darlegung der entsprechenden Tatsachen ordnungsgemäß iSv. § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ZPO erhoben.
II. Die Rüge ist auch begründet.
1. § 547 Nr. 1 ZPO erfasst auch diejenigen Fälle, in denen über die Rechtsstreitigkeit andere Richter entscheiden als die gesetzlich Berufenen (BAG 16. Mai 2002 - 8 AZR 412/01 - BAGE 101, 145 unter Bezugnahme auf BAG 22. März 2001 - 8 AZR 565/00 - AP GG Art. 101 Nr. 59 = EzA GG Art. 101 Nr. 5; 24. März 1998 - 9 AZR 172/97 - AP GVG § 21e Nr. 4 = EzA GVG § 21e Nr. 1; BGH 19. Oktober 1992 - II ZR 171/91 - NJW 1993, 600). Aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als dem Verbot der Entziehung des gesetzlichen Richters folgt, dass die Rechtsprechungsorgane nicht anders besetzt werden dürfen, als dies in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne vorgesehen ist. "Gesetzlicher Richter" bedeutet, dass sich der für die einzelne Sache zuständige Richter im Voraus eindeutig aus einer allgemeinen Regelung ergeben muss. Kennzeichen der Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist die normative, abstrakt-generelle Vorherbestimmung des jeweils für die Entscheidung zuständigen Richters (BAG 26. September 1996 - 8 AZR 126/95 - BAGE 84, 189, 194).
2. Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Entscheidung des Rechtsstreits durch die Kammer 5 des Landesarbeitsgerichts nicht gegeben. Nach den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans hätte der Rechtsstreit von der Kammer 5 an die Kammer 10 abgegeben werden müssen. Dies ist trotz Kenntnis der maßgeblichen Umstände unterblieben.
a) Die Zuteilung des Rechtsstreits an die Kammer 5 nach Eingang des Berufungsschriftsatzes vom 17. August 2005 erfolgte im Hinblick auf A III Nr. 2 GVPl., da zwischen den Parteien seit dem 15. April 2005 ein einstweiliges Verfügungsverfahren anhängig war. Bei dem Berufungsverfahren handelte es sich jedoch um eine Parallelsache zu der Sache A ./. Land Sachsen-Anhalt (- 10 (11) Sa 745/04 -) iSv. A III Nr. 3 GVPl. Beklagte Partei war in beiden Sachen das Land Sachsen-Anhalt. Streitgegenstand war der Anspruch auf Heimzulage auf Grund der Tätigkeit im Landesbildungszentrum für Körperbehinderte in Halle. Daran, dass es sich um Parallelsachen im Sinne des Geschäftsverteilungsplans handelte, hatten weder einer der beteiligten Kammervorsitzenden noch eine der Parteien Zweifel. Deshalb war nach A III Nr. 3 Satz 1 GVPl. für das Berufungsverfahren die Kammer 10 zuständig, da ihr die Sache A ./. Land Sachsen-Anhalt als erste der betreffenden Sachen durch Übernahmeerklärung vom 18. Januar 2005 zugefallen war und zum Zeitpunkt des Eingangs der Berufung bei der Kammer 5 im August 2005 noch anhängig war.
b) Der Geschäftsverteilungsplan lässt auch keinen - bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters ohnehin unzulässigen - Ermessensspielraum bei der Zuteilung zu. Er begründet nicht etwa alternativ eine Zuständigkeit der Kammer, in der zunächst ein einstweiliges Verfügungsverfahren zwischen den Parteien anhängig war oder der Kammer, der die erste der Parallelsachen zufiel, sondern weist eindeutig aus, dass Parallelsachen der Kammer zufallen sollen, der die erste der betreffenden Sachen zugefallen ist. Dies folgt schon daraus, dass nach dem Wortlaut des Geschäftsverteilungsplans in A III Nr. 3 eine Zuständigkeit dieser Kammer "insgesamt" für die betreffenden Parallelsachen begründet wird. Darunter müssen deshalb notwendigerweise alle Parallelsachen und damit auch diejenigen fallen, die unter dem Gesichtspunkt eines zunächst bei einer anderen Kammer anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahrens zugeteilt worden sind. Die Zusammenführung aller Parallelsachen in einer Kammer entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, der in der Gewährleistung einer prozessökonomischen Verfahrensweise liegt. Eine zufallsbedingte Begründung der Zuständigkeit, je nachdem, ob bereits ein Verfahren iSv. A III Nr. 1 oder 2 GVPl. zwischen den Parteien anhängig war oder nicht, kommt danach nicht in Betracht. Erfolgt eine solche, ist nach A III Nr. 3 die Sache unter dem Gesichtspunkt der Parallelsache an die zuständige Kammer abzugeben.
c) Die Regelungen des Geschäftsverteilungsplans sind auch nicht irrtümlich fehlerhaft gehandhabt worden (vgl. Albers in Baumbach/Lauterbach ZPO 64. Aufl. § 547 Rn. 4). Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben schon im Berufungsverfahren eingehend geltend gemacht, dass die Zuständigkeit der Kammer 5 nicht gegeben sei. Trotzdem wurde die Sache weder dem Vorsitzenden der Kammer 10 zur Übernahme vorgelegt noch das Präsidium zur Klärung der Zuständigkeit damit befasst.
3. Die Sache war an die Kammer 10 des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen, da nur dadurch der Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters geheilt werden kann (vgl. BAG 22. März 2001 - 8 AZR 565/00 - AP GG Art. 101 Nr. 59 = EzA GG Art. 101 Nr. 5).
Ende der Entscheidung
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