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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.07.2001
Aktenzeichen: 10 AZR 502/00
Rechtsgebiete: EFZG, BGB


Vorschriften:

EFZG § 4 a
BGB § 611 Anwesenheitsprämie
Gewährt der Arbeitgeber eine Anwesenheitsprämie für ein Quartal nur dann, wenn in diesem Zeitraum kein krankheitsbedingter Fehltag liegt, enthält diese Zusage die Kürzung einer Sondervergütung iS § 4 a EFZG. Dem Arbeitnehmer steht deshalb bei krankheitsbedingten Fehlzeiten ein der gesetzlichen Kürzungsmöglichkeit entsprechender, anteiliger Anspruch auf die Anwesenheitsprämie zu.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

10 AZR 502/00

Verkündet am 25. Juli 2001

In Sachen

hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Freitag, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Marquardt, die ehrenamtlichen Richter Ohl und Thiel für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. Juni 2000 - 5 Sa 591/00 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger trotz krankheitsbedingter Ausfallzeiten die Zahlung einer anteiligen Anwesenheitsprämie verlangen kann.

Der Kläger ist seit dem 20. November 1995 bei der Beklagten als Werkstatthelfer beschäftigt. Mindestens seit diesem Zeitpunkt zahlt die Beklagte an alle gewerblichen Arbeitnehmer pro Quartal, dessen Beginn vom jeweiligen Einstellungsdatum abhängt, eine freiwillige Sonderprämie in Höhe von 500,00 DM. Voraussetzung für die Zahlung ist, daß im vorausgegangenen Quartal uneingeschränkt Arbeitsleistungen erbracht wurden. Bei unentschuldigter Abwesenheit oder Zeiten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zahlt die Beklagte die Sonderprämie gar nicht, auch nicht anteilig.

Im Jahre 1999 war der Kläger vom 11. bis zum 19. Mai krank. Im Hinblick darauf, daß die Krankheit in das für den Kläger am 14. Mai 1999 endende zweite und das ab 15. Mai 1999 beginnende dritte Quartal hineinreichte, zahlte die Beklagte zunächst keine Prämie für beide Quartale, gewährte später jedoch 500,00 DM für das dritte Quartal. Im vierten Quartal, also in der Zeit vom 15. August bis zum 14. November 1999, erkrankte der Kläger wiederum an sieben Arbeitstagen, worauf er keine Prämie für diesen Zeitraum erhielt.

Der Kläger verlangt von der Beklagten für beide Quartale eine anteilige Sonderprämie. Er ist der Auffassung, die Beklagte sei nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung bzw. nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit § 4 a EFZG verpflichtet, die Prämie anteilig zu zahlen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 361,32 DM brutto zu zahlen zuzüglich 4 % Zinsen aus jeweils 180,66 DM seit dem 16. Mai und 16. November 1999.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, die von ihr freiwillig gewährte Prämie sei keine gemäß § 4 a EFZG im Krankheitsfall anteilig zu zahlende Sondervergütung. Eine Kürzungsvereinbarung liege nicht vor, da das Fehlen krankheitsbedingter Ausfallzeiten Tatbestandsvoraussetzung für die Entstehung des Anspruchs sei. Der Gesetzgeber habe mit dem Begriff "Sondervergütung" in § 4 a EFZG nicht alle denkbaren Formen von Prämien gemeint. Erfaßt seien nur solche Zahlungen, die zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt gezahlt würden, also kein Äquivalent für die eigentliche Arbeitsleistung darstellten. Da der Anspruch auf die Sondervergütung nur bei vollständiger Arbeitsleistung entstehe, stehe er mit dieser in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang. Es handele es sich daher um eine äquivalente Leistung. Der Zweck der Sonderleistung, nämlich eine Reduzierung von Fehlzeiten, könne nur mit einer "Alles-oder-Nichts"-Regelung erreicht werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung der anteiligen Anwesenheitsprämie in der geltend gemachten Höhe zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß die dem Kläger gemäß § 611 BGB in Verbindung mit der Prämienzusage zustehende Leistung eine Sondervergütung im Sinne des § 4 a EFZG sei. Der Begriff der Sondervergütung in dieser Vorschrift sei umfassend zu verstehen. Der Zweck der Vorschrift bestehe darin, die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit der anteiligen Kürzung von Sonderleistungen wegen krankheitsbedingter Fehltage gesetzlich zu normieren und etwaige Unklarheiten zu beseitigen. Auch bei Anwendung des § 4 a EFZG könne die Beklagte ihr verfolgtes Ziel brauchbar und zweckentsprechend erreichen. Die Prämie könne wegen der Fehltage des Klägers gekürzt, aber nicht gänzlich verweigert werden.

II. Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis und in der Begründung. Der Kläger hat einen der Höhe nach unstreitigen Anspruch auf die anteilige Prämie für die beiden Quartale im Jahr 1999, für die die Beklagte die Zahlung verweigert. Der Anspruch ist zutreffend nach den sich aus § 4 a EFZG ergebenden Kürzungsmöglichkeiten errechnet.

1. Der Anspruch des Klägers beruht dem Grunde nach auf der Zusage der Beklagten, viermal jährlich eine Prämie zu zahlen, wenn keine krankheitsbedingten oder unentschuldigten Fehlzeiten entstehen. Es kann dahinstehen, ob dieser Anspruch auf betrieblicher Übung oder dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beruht. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, daß der Kläger die Prämie erhalten hätte, wenn er nicht krank geworden wäre. Die Beklagte beruft sich nicht auf einen generellen Widerruf der Leistung, sondern nur darauf, daß deren Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien.

2. Die vom Kläger verlangte Anwesenheitsprämie fällt in den Anwendungsbereich des § 4 a EFZG.

a) Es handelt sich um eine Sondervergütung im Sinne dieser Vorschrift, da die Beklagte sie zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt. Mit der gesetzlichen Definition der Sondervergütung ist nur klargestellt, daß das laufende Arbeitsentgelt, dh. die versprochene Vergütung für bestimmte Zeitabschnitte oder die Vergütung für eine bestimmte Leistung innerhalb einer genau bemessenen Zeit von § 4 a EFZG nicht berührt wird (ErfK-Dörner EFZG § 4 a Rn. 6).

Unter den gesetzlichen Begriff der Sondervergütungen fallen auch Anwesenheitsprämien. Hierunter ist eine Geldleistung zu verstehen, mit deren Zusage dem Arbeitnehmer der Anreiz geboten wird, die Zahl seiner berechtigten oder unberechtigten Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu halten (ErfK-Dörner EFZG § 4 a Rn. 10). Eine derartige Leistung ist nicht an bestimmte Zahlungsmodalitäten gebunden, sondern sie kann als Prämie für jeden einzelnen Tag, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnimmt, gezahlt werden, als Einmalleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, zB am Jahresende oder - wie hier - viermal jährlich, bezogen auf den davor liegenden Dreimonatszeitraum.

b) Soweit die Beklagte die Ansicht vertritt, es handele sich nicht um eine Sondervergütung, sondern um laufendes Entgelt, übersieht sie, daß dann ein Anspruch des Klägers bereits aus § 3 EFZG bestünde, und eine Minderung oder ein Wegfall der Leistung auf Grund der Krankheit überhaupt nicht infrage käme.

c) Während das laufende Entgelt dem unabdingbaren Schutz des § 3 EFZG unterliegt, sind Sondervergütungen iSd. § 4 a EFZG grundsätzlich einer Kürzungsvereinbarung zugänglich. Eine solche Kürzungsvereinbarung ist auch der Ausgestaltung der Anwesenheitsprämie zu entnehmen, wie sie die Beklagte praktiziert. Der völlige Wegfall der Leistung im Falle eines Krankheitstages, bezogen auf einen Dreimonatszeitraum, ist eine Kürzung auf null. Dies wird schon daran deutlich, daß dasselbe Ergebnis erzielt würde, wenn die Beklagte jährlich 2.000,00 DM an Prämie zugesagt hätte, die sich um 500,00 DM vermindern würde, wenn ein Arbeitnehmer in einem Quartal einen Tag erkrankt. Eine Kürzung im Sinne des § 4 a EFZG liegt auch dann vor, wenn die Anspruchsvoraussetzungen so formuliert werden, daß dasselbe Ergebnis wie bei einer deutlich als solche benannten Kürzungsvereinbarung erzielt wird.

Diese Auslegung der Vorschrift entspricht dem Gesetzeszweck. Die Vorschrift wurde geschaffen, um die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Kürzung von Sondervergütungen aufzunehmen und hinsichtlich ihrer Zulässigkeit eindeutig zu regeln. Die Bestimmung soll Rechtssicherheit für Regelungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und einzelvertraglichen Vereinbarungen, auch in Form von Gesamtzusagen und betrieblicher Übung schaffen (BT-Drucks. 13/4612 S 11 und 16; ErfK-Dörner EFZG § 4 a Rn. 1). In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts waren vor der Gesetzesänderung 1996 Grundsätze über die Zulässigkeit der Kürzung von Sondervergütungen, welche die Anwesenheit des Arbeitnehmers fördern und honorieren sollen, aufgestellt worden. Ein völliger Wegfall einer die Anwesenheit steuernden Prämie im Fall kürzerer Krankheitszeiten wurde als unbillig und die Grenze der Vertragsfreiheit überschreitend erachtet (BAG 15. Februar 1990 - 6 AZR 381/88 - BAGE 64, 179; 26. Oktober 1994 - 10 AZR 482/93 - BAGE 78, 174; 6. Dezember 1995 - 10 AZR 123/95 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 186 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 68). Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, einerseits klarzustellen, daß eine Kürzung von Sondervergütungen auch für krankheitsbedingte Fehltage grundsätzlich zulässig ist, andererseits jedoch nicht unbeschränkt erfolgen kann. Es soll verhindert werden, daß bereits geringe krankheitsbedingte Fehlzeiten zu einer unangemessen hohen Kürzung oder sogar zum Wegfall der gesamten Sondervergütung führen (BT-Drucks. 13/4612 S 16). Ein völliger Wegfall der Leistung hätte einen Sanktionscharakter, der nicht mehr vom schutzwerten Interessenbereich des Arbeitgebers gedeckt wäre.

Diesem Zweck des Gesetzes widerspräche es, wenn durch Formulierung einer Anspruchsvoraussetzung dieselbe Rechtsfolge erreicht wird, die bei einer Formulierung als Kürzungsmöglichkeit gesetzlich verboten wäre (vgl. Gola Handkommentar EFZG 2. Aufl. S 186; aA Bauer/Lingemann BB 1996 Beilage 17 S 8, 14).

d) Mit einer solchen gesetzlich vorgesehenen Abwägung der beiderseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien werden keine verfassungsrechtlich relevanten Rechtspositionen der Beklagten aus Art. 2 oder 14 GG verletzt, da die ebenfalls grundgesetzlich geschützten sozialen Schutzbelange der einzelnen Arbeitnehmer mit den Interessen der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers in Einklang gebracht werden.

3. Die Beschränkung der Kürzung der Anwesenheitsprämie auf die in § 4 a EFZG normierten Grenzen führt auch nicht dazu, daß der durch die Beklagte verfolgte Zweck der Prämienzusage verfehlt würde. Die Beklagte möchte mit der Regelung Fehlzeiten reduzieren. Ihre Annahme, dies könne nur durch eine "Alles-oder-Nichts"-Regelung erreicht werden, trifft jedoch nur für den Fall zu, daß die Arbeitnehmer dadurch veranlaßt werden, eine Krankschreibung in einem Quartal überhaupt zu vermeiden. Tritt eine Krankheit jedoch ein und fällt dadurch der Anspruch insgesamt weg, besteht keine Veranlassung mehr, die Zahl der Fehltage möglichst kurz zu halten, wie dies bei einer anteiligen Kürzung der Fall wäre. Eine Ausschöpfung des Sechs-Wochen-Zeitraums der Entgeltfortzahlung wäre dann in gleichem Maße schädlich für den Anspruch auf die Anwesenheitsprämie wie eine eintägige Fehlzeit. Dies widerspräche gerade dem verfolgten Zweck der Anwesenheitsprämie.

III. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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