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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 20.03.2002
Aktenzeichen: 10 AZR 518/01
Rechtsgebiete: BAT
Vorschriften:
BAT Anlage 1 a - Protokollnotiz Nr. 1 zu Teil II Abschnitt G |
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL
Verkündet am 20. März 2002
In Sachen
hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Freitag, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Marquardt sowie die ehrenamtlichen Richter Bacher und Schlegel für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 18. Juli 2001 - 14 Sa 742/01 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über eine Heimzulage.
Die Beklagte betreibt im Rahmen von Angeboten der öffentlichen Erziehungshilfe ua. die soziale Einrichtung "Kinder- und Jugendhilfe Verbundhaus Königsallee". Dieser sind mehrere Außenstellen angegliedert, so auch Jugendwohngemeinschaften im Bereich "Betreute Wohnformen", in die Jugendliche und junge Erwachsene mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten aufgenommen werden, um sie sozialpädagogisch zu betreuen und zur sozialen Selbständigkeit zu erziehen.
Der seit 1986 beim Bezirksamt W tätige Kläger ist Sozialarbeiter. Sein Arbeitsverhältnis ist 1995 auf die Beklagte übergegangen. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) anwendbar. Der Kläger ist in VergGr. IV b des Teils II Abschn. G der Anlage 1 a zum BAT eingruppiert.
Er betreut zusammen mit einem weiteren Sozialarbeiter eine der Jugendwohngemeinschaften, in der sechs Jugendliche und ein junger Erwachsener untergebracht sind. Die vertraglich geschuldete Arbeitszeit von 38,5 Stunden hat er bedarfsgerecht einzusetzen. Dazu ist er in der Regel gemeinsam mit dem zweiten Betreuer von 14 bis 21 Uhr in der Wohngemeinschaft anwesend. Außerhalb dieser Zeiten nimmt er Termine bei Ämtern, Therapeuten uä. für die Jugendlichen wahr. Darüber hinaus muß er im Wechsel mit dem weiteren Betreuer in telefonischer Rufbereitschaft stehen.
Die betreuten Personen besuchen tagsüber die Schule bzw. eine Ausbildungsstätte. Sie bewohnen die Einrichtung durchweg für längere Zeit als ein Jahr. Zu den Aufgaben des Klägers gehört ua.
...
Auswahl und Aufnahme, Organisation des Einzugs
Hilfestellung zur eigenverantwortlichen Selbstorganisation und zur selbständigen Haushaltsführung
Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe und selbstverantwortlichem Handeln in verschiedenen Lebensbereichen
Außerschulische Bildung
Behandlung in speziellen Problemschwerpunkten
Arbeit mit ausländischen Jugendlichen
Methodische Gruppenarbeit und sozialtherapeutisches Arbeiten mit Einzelnen
Begleitung und Unterstützung bei Behörden und Gerichtsterminen sowie Vermittlung an Spezialbehörden
Beratung und Unterstützung beim Auszug.
Bis einschließlich Juli 2000 erhielt der Kläger die sog. Heimzulage gem. Protokollnotiz Nr. 1 des Teils II Abschnitt G der Anlage 1 a zum BAT.
Der Kläger ist der Auffassung, er erfülle auch für die Zeit ab August 2000 die Voraussetzungen der Heimzulage. Die Jugendwohngemeinschaft sei eine dem Erziehungs- oder Jugendwohnheim vergleichbare Einrichtung.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an ihn über den 31. Juli 2000 hinaus eine Heimzulage in Höhe von 120,00 DM brutto monatlich zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basisdiskontsatz der Deutschen Bundesbank ab dem jeweiligen Fälligkeitstag beginnend mit dem 15. November 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Jugendwohngemeinschaft sei eine Einrichtung des betreuten Einzelwohnens. Weder bestehe eine ununterbrochene Versorgung und Betreuung noch lägen die besonderen Belastungen wie für die in einem Heim tätigen Angestellten vor. Es finde insbesondere keine Betreuung rund um die Uhr statt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die begehrte Heimzulage verneint.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß der Kläger nicht in einem Heim im tariflichen Sinne tätig sei. Obwohl die Bewohner dort ihr "Zuhause" hätten, es sich also um eine Wohnung, einen Haushalt bzw. einen Ort handele, an dem jemand lebe und zu dem er eine gefühlsmäßige Bindung habe, handele es sich dennoch nicht um eine mit einem Heim vergleichbare Einrichtung. Es fehle eine vergleichbare Organisation mit der für ein Heim typischen Einbindung der Bewohner in gesetzte Ordnungen, zB eine Hausordnung. Die Bewohner versorgten sich nicht nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst, sondern die Selbstversorgung sei Grundregel des pädagogischen Konzepts beim betreuten Wohnen. Die wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten seien nicht mehr so gravierend, daß die Jugendlichen im Heim leben müßten. Deshalb reiche die sozialpädagogische Betreuung einschließlich der Hilfe und Beratung an durchschnittlich 7 Stunden täglich montags bis freitags aus. Im übrigen seien die Betreuer nur mit Problemen konfrontiert, die die Jugendlichen an sie herantrügen. Die Bewohner seien in höherem Maße auf sich selbst gestellt als in einem Wohnheim. Der Kläger sei zwar auch kontinuierlich psychisch belastet, weil das Zusammenleben dieses Personenkreises zu Problemen führe. Anknüpfungspunkt der tariflichen Zulage seien aber nur die Erschwernisse, die in einem Heim anfielen.
II. Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis und im wesentlichen in der Begründung. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Heimzulage gem. der Protokollnotiz Nr. 1 zu Teil II Abschnitt G der Anlage 1 a zum BAT.
1. Hierin heißt es,
"... Der Angestellte ... erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) eine Zulage in Höhe von 120,00 DM monatlich, wenn in dem Heim überwiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind. ..."
2. Der Kläger übt eine Tätigkeit als Angestellter im Sozial- und Erziehungsdienst im Sinne der Anlage 1 a zum BAT Teil II Abschnitt G aus, für die die Zahlung einer Heimzulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 in Betracht kommt.
3. Der Kläger ist aber in der von ihm betreuten Jugendwohngemeinschaft nicht in einem Heim im Sinne der Protokollnotiz Nr. 1 beschäftigt.
a) Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff "vergleichbare Einrichtung (Heim)" im Sinne der Protokollnotiz Nr. 1 nicht definiert. Was sie unter einem Heim verstehen, ist durch Auslegung des Tarifvertrages und der dazu vereinbarten Protokollnotizen zu ermitteln.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 20. April 1994 - 10 AZR 276/93 - AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11 mwN).
b) Zwar kann es sich bei der Jugendwohngemeinschaft um ein "Heim" nach allgemeinem Sprachgebrauch handeln, da die Jugendlichen dort zu Hause sind, wobei es unschädlich ist, daß sie die Wohnung täglich verlassen, um zur Schule oder zur Arbeit zu gehen (st. Rechtsprechung vgl. BAG 23. Februar 2000 - 10 AZR 82/99 - AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 26; 27. September 2000 - 10 AZR 640/99 - ZTR 2001, 177 mwN). Unstreitig gehören die dort lebenden Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen zu dem Personenkreis, der in der Protokollnotiz erfaßt ist, nämlich "Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten, die zum Zwecke der Erziehung bzw. Ausbildung" in der Einrichtung untergebracht sind. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch darauf hingewiesen, daß der Heimcharakter einer Wohnstätte nicht davon abhängt, daß die dort lebenden Bewohner im Sinne einer stationären Vollversorgung rund um die Uhr betreut werden (BAG 27. September 2000 - 10 AZR 640/99 - aaO).
c) Dem Landesarbeitsgericht ist auch weiterhin darin zu folgen, daß die Jugendwohngemeinschaft, in der der Kläger tätig ist, kein Heim im tariflichen Sinne ist.
aa) Zwar betreut der Kläger die Bewohner der Wohngemeinschaft zeitlich und fachlich wesentlich intensiver, als dies in dem vom Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 26. Mai 1993 (- 4 AZR 260/91 - AP AVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 4) entschiedenen Rechtsstreit der Fall war. In jener Einrichtung des betreuten Wohnens beriet ein Sozialarbeiter die in Einzelwohnungen untergebrachten Jugendlichen an lediglich fünf Stunden pro Woche. Die Tätigkeit des Klägers und seines Kollegen, die zusammen an 70 Stunden pro Woche in der Wohngemeinschaft tätig sind, geht weit darüber hinaus. Dadurch erhält die Einrichtung aber dennoch nicht den Charakter eines Heims im Sinne der Protokollerklärung Nr. 1.
bb) Die Tarifvertragsparteien haben in der Protokollnotiz nicht jede beliebige Wohnstätte zu einem "Heim" bestimmt, sondern nur eine solche, die mit einem Erziehungsheim oder einem Kinder- oder Jugendwohnheim vergleichbar ist. Damit haben sie ausgedrückt, daß darin ein Zweck verfolgt werden muß, der über die Zurverfügungstellung einer bloßen Unterkunft hinausgeht. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist unter einem "Heim" im tariflichen Sinne eine räumlich und organisatorisch zusammenhängende Einrichtung zu verstehen. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß eine - in der Regel größere - Zahl von Menschen dort lebt, die in eine nicht durch sie selbst gesetzte Ordnung eingebunden sind und die sich an Regeln halten müssen, die typischerweise durch eine Heimleitung festgesetzt werden. Das Erfordernis einer durch eine Leitung vorgegebenen Ordnung der Einrichtung folgt nicht nur aus der tariflich notwendigen Vergleichbarkeit mit einem Erziehungsheim, Kinder- oder Jugendwohnheim, sondern wird insbesondere auch durch den Zweck der Unterbringung bedingt. Erziehung, Ausbildung oder Pflege erfordern die Verwirklichung eines von der Leitung der Einrichtung vorgegebenen Konzepts, dessen Einhaltung organisatorisch sichergestellt werden soll. Eine Organisationsform, mit der im wesentlichen begleitete Selbsthilfe erreicht werden soll, vermag diese Voraussetzung nicht zu erfüllen.
Auch wenn - wie in dem am 27. September 2000 vom Senat entschiedenen Fall (- 10 AZR 640/99 - aaO) - der Heimcharakter nicht schon dadurch verloren geht, daß Bewohner in kleineren Einheiten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst versorgen und ihr Zusammenleben in begrenztem Maße teilweise selbst organisieren, müssen solche Einheiten jedenfalls in eine organisatorisch zusammenhängende Einrichtung eingebunden sein, um noch als Heim im Tarifsinn gelten zu können. Die in begrenztem Maße selbst zu setzenden Regeln finden ihre Grenze in der für die gesamte Einrichtung geltenden Ordnung. Befände sich die vom Kläger betreute Gruppe in einer Wohneinheit innerhalb eines Heims, so wäre sie weiteren Regeln als den selbstgesetzten unterworfen. Aus den unvermeidlichen Kontakten mit den übrigen Heimbewohnern könnten mehr und andere Konflikte entstehen als innerhalb der relativ überschaubaren Einheit der Jugendwohngemeinschaft. Die wechselseitige soziale Kontrolle von Heimbewohnern untereinander verbunden mit Kontrolle und Betreuung durch das Heimpersonal unterscheiden sich qualitativ von den Verhältnissen einer Wohngemeinschaft in einer separaten Wohnung. Auf diesen Unterschieden beruht gerade das Erziehungskonzept im vorliegenden Fall. Die betreuten Personen haben das Stadium der Heimunterbringung hinter sich. Sie sind für reif und fähig befunden worden, ihr Leben in höherem Maße selbst zu gestalten.
Im Urteil vom 27. September 2000 (- 10 AZR 640/99 - aaO) hat der Senat bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nur die überwiegende Tätigkeit im dort zu beurteilenden Wohnheim, in dem die überwiegende Zahl der betreuten Rehabilitanden wohnte und nicht eine Tätigkeit in den außerhalb des Wohnheims bestehenden Wohngruppen den Zulagenanspruch auslösen könne.
cc) Das Auslegungsergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Zulage. Zwar können sowohl für den Kläger als auch für die Jugendlichen durch das Zusammenleben in der Wohngemeinschaft auf engem Raum erhebliche psychische Belastungen und Konflikte entstehen. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Recht darauf hingewiesen, daß die begehrte Zulage nicht generell alle Erschwernisse ausgleichen soll, die mit der Betreuung von jungen Menschen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten einhergehen, sondern nur solche Erschwernisse, die die Tätigkeit in einem Heim im Tarifsinne mit sich bringt.
Es ist allein Sache der Tarifvertragsparteien, darüber zu befinden, ob es sinnvoll ist, eine Zulage an den Heimcharakter einer Wohnstätte zu binden. Sie entscheiden allein, ob und gegebenenfalls wie sie die außerhalb von Heimen entstehenden Belastungen und Erschwernisse in der Sozialarbeit ausgleichen wollen.
III. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Ende der Entscheidung
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