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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 22.01.1998
Aktenzeichen: 2 AZR 367/97
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 125
BGB § 133
BGB § 157
BGB § 242
ZPO § 233
Leitsätze:

1. Haben die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich vereinbart, daß dieser innerhalb einer bestimmten Frist durch Einreichung eines Schriftsatzes beim Gericht widerrufen werden kann, und teilt eine Partei der anderen vor Ablauf der Widerrufsfrist mit, sie sei mit dem Vergleich nicht einverstanden, ohne ihn rechtzeitig beim Gericht zu widerrufen, ist es dem Vertragspartner nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Bestandskraft des Vergleichs zu berufen.

2. Gegen die Versäumung der Vergleichswiderrufsfrist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des BAG; vgl. BAGE 29, 358 = AP Nr. 24 zu § 794 ZPO; Urteil vom 29. Juni 1978 - 2 AZR 88/78 - AP Nr. 26 zu § 794 ZPO).

Aktenzeichen: 2 AZR 367/97 Bundesarbeitsgericht 2. Senat Urteil vom 22. Januar 1998 - 2 AZR 367/97 -

I. Arbeitsgericht Mönchengladbach Urteil vom 18. Dezember 1996 - 5 Ca 1522/96 -

II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil vom 08. April 1997 - 6 Sa 120/97 -


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Ja Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Verspäteter Widerruf eines Vergleichs - Unbeachtlichkeit der Fristversäumung nach Treu und Glauben?

Gesetz: BGB §§ 125, 133, 157, 242; ZPO § 233

2 AZR 367/97 ------------- 6 Sa 120/97 Düsseldorf

Im Namen des Volkes! Verkündet am 22. Januar 1998

U r t e i l

Backes, Reg.-Hauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp,

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Etzel, die Richter Bröhl und Dr. Fischermeier sowie den ehrenamtlichen Richter Strümper und die ehrenamtliche Richterin Hayser für Recht erkannt:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. April 1997 - 6 Sa 120/97 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 18. Dezember 1996 - 5 Ca 1522/96 - wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten der Berufung und der Revision hat die Klägerin zu tragen.

Von Rechts wegen !

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin wurde von der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 25. März 1996 zum 1. April 1996 als Designerin gegen ein Monatsgehalt von 5.500,00 DM brutto eingestellt.

Noch während der vertraglich vorgesehenen Probezeit von sechs Monaten kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. September 1996 fristgerecht zum 31. Oktober 1996. Bei Ausspruch der Kündigung teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß sie schwanger sei.

Da die Beklagte auf ihrer Kündigung während der Probezeit beharrte, hat die Klägerin mit der am 14. Oktober 1996 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung unter Berufung auf das Kündigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz geltend gemacht und beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. September 1996 nicht aufgelöst worden ist.

Im Gütetermin vom 4. November 1996 schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach - Gerichtstag Neuss - folgenden Vergleich:

"1. Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund einer fristgerechten, betriebsbedingten Kündigung am 31. Oktober 1996 sein Ende gefunden hat.

2. Die Beklagte zahlt als Abfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG, 3 Ziff. 9 EStG einen Betrag von 4.000,00 DM brutto = netto.

3. Die Parteien sind sich darüber einig, daß der Urlaubsanspruch der Klägerin erfüllt ist und ebenfalls auch eventuelle Ansprüche auf Überstundenabgeltung.

4. Damit ist der Rechtsstreit - 5 Ca 1522/96 - erledigt.

5. Die Parteien behalten sich den Widerruf dieses Vergleichs durch Einreichung eines Schriftsatzes beim Arbeitsgericht Mönchengladbach bis zum 18. November 1996 vor."

Der vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin übermittelte Vergleichswiderruf ist beim Arbeitsgericht Mönchengladbach per Telefax am 20. November 1996 eingegangen. Gleichzeitig beantragte die Klägerin gegen die Versäumung der Vergleichswiderrufsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, ein an das Arbeitsgericht Mönchengladbach, Gerichtstag Neuss, Hammer Landstraße 3, 41460 Neuss, gerichteter Vergleichswiderruf vom 7. November 1996, der am 8. November 1996 bei der Post aufgegeben worden sei, sei am 20. November 1996 mit dem Vermerk "Empfänger unbekannt verzogen" zurückgekommen.

Die Klägerin hat nunmehr beantragt

festzustellen, daß der vorliegende Rechtsstreit nicht durch den Vergleich vom 4. November 1996 beendet wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihre gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts gerichtete Berufung hat die Klägerin damit begründet, die in dem Widerrufsschreiben vom 7. November 1996 gewählte Anschrift des Gerichtstages Neuss müsse sich das Arbeitsgericht Mönchengladbach als zutreffende Anschrift zurechnen lassen, denn es sei anerkannt, daß Gerichtsstelle auch der Ort eines sogenannten Gerichtstages sei.

Auf jeden Fall verstoße aber die Beklagte gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie sich auf die Versäumung der Widerrufsfrist berufe. Sie selbst habe ihren Prozeßbevollmächtigten bereits am 5. November 1996 per Telefaxschreiben darüber informiert, daß sie den Vergleich nicht akzeptiere. Noch in der Woche bis zum 8. November 1996 sei von ihrem Prozeßbevollmächtigten auch dem Personalleiter der Beklagten ihre Widerrufsentscheidung mitgeteilt worden. In einem weiteren Telefonat am 11. oder 12. November 1996 habe der Personalleiter sodann noch einmal ihren Prozeßbevollmächtigten nach den Gründen für die Widerrufsentscheidung befragt. Nachdem der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 15. November 1996 ihr Auseinandersetzungsvorschlag unterbreitet worden sei, habe der Personalleiter der Beklagten mit Telefonat vom 21. November 1996 die Originalbescheinigung über ihre attestierte Schwangerschaft mit der Begründung angefordert, daß er ohne Vorlage der Originalbescheinigung über ihren Vorschlag gemäß Schreiben vom 15. November 1996 nicht entscheiden könne. Die Beklagte sei mithin über ihre Widerrufsentscheidung vor Ablauf der Widerrufsfrist hinreichend in Kenntnis gesetzt worden.

Demgegenüber hat die Beklagte geltend gemacht, ein Widerruf des Vergleichs an die Anschrift des Gerichtstages in Neuss sei unstatthaft gewesen. Der Versuch der Klägerin, ihr eigenes Verschulden als Organisationsverschulden des Arbeitsgerichts Mönchengladbach darzustellen, müsse daher scheitern. Auch sei ihr - der Beklagten - kein Verstoß gegen Treu und Glauben vorzuwerfen, wenn sie sich auf die Rechtswirksamkeit des Vergleichs infolge der nicht gewahrten Widerrufsfrist berufe. Der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin habe ihrem Personalleiter, dem Zeugen H , vor Ablauf der Widerrufsfrist lediglich in Aussicht gestellt, den Widerruf des Vergleiches zu erklären. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem unmittelbar an sie gerichteten Schreiben der Klägerin vom 15. November 1996. Diesem sei zu entnehmen, daß die Klägerin nur wegen der Höhe der Abfindung eine Nachbesserung habe erreichen wollen.

Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen H in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts der Klage stattgegeben.

Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Revision ist begründet. Der Rechtsstreit über die Kündigung vom 25. September 1996 wurde durch den Vergleich vom 4. November 1996 beendet, weshalb das Arbeitsgericht die Klage mit Recht abgewiesen hat.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin könne zwar gegen die Versäumung der Vergleichswiderrufsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, der Beklagten sei es aber nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Bestandskraft des Vergleichs zu berufen. Für die Auslegung der Widerrufsklausel dahin, daß das Arbeitsgericht als Adressat der Widerrufserklärung ausschließlich zuständig sein und die gewählte Form nicht bloß der Beweissicherung habe dienen sollen, spreche zwar § 125 Satz 2 BGB. Letztlich könne die zutreffende Auslegung aber offenbleiben. Die Beklagte sei einerseits rechtzeitig davon in Kenntnis gesetzt worden, daß die Klägerin den Vergleich nicht akzeptiere und habe dies als verbindliche Widerrufserklärung verstanden. Andererseits dürfe bei ausschließlicher Zuständigkeit des Gerichts für die Entgegennahme des Vergleichswiderrufs die Beklagte im Hinblick auf die genannte Erklärung der Klägerin, den Vergleich nicht akzeptieren zu wollen, aus der auf einem Büroversehen beruhenden falschen Adressierung des Widerrufs nach Treu und Glauben keinen Vorteil ziehen, da zuvor bei ihr ein Vertrauen auf die Bestandskraft des Prozeßvergleichs nicht begründet worden sei.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis nicht. Die Revision rügt zu Recht, bei ausschließlicher Zuständigkeit des Arbeitsgerichts als Adressat des Vergleichswiderrufs hindere § 242 BGB die Beklagte nicht, die Klägerin an der Bestandskraft des Vergleichs festzuhalten, und der Revision ist auch darin beizupflichten, die Widerrufsklausel des Vergleichs sei in dem Sinne auszulegen, daß der Widerruf wirksam nur gegenüber dem Arbeitsgericht erfolgen konnte.

1. Bei der vorliegend in dem Vergleich verwendeten Widerrufsklausel handelt es sich um eine typische Klausel, deren Auslegung nicht nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, sondern uneingeschränkt von diesem selbst gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen ist (BAG Urteil vom 21. Februar 1991 - 2 AZR 458/90 - AP Nr. 41 zu § 794 ZPO, zu II 2 a der Gründe).

Gemäß §§ 133, 157 BGB sind Vereinbarungen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen; dabei ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille der Vertragsschließenden unter Beachtung der Begleitumstände zu erforschen.

Ausgehend vom Wortlaut ist zunächst festzuhalten, daß das Arbeitsgericht Mönchengladbach als Adressat der schriftsätzlichen Widerrufserklärung bestimmt war. Dort ging der Widerruf unstreitig erst am 20. November 1996, also verspätet, ein. Den Prozeßparteien stand es frei, selbst den Empfänger des Widerrufsschriftsatzes festzulegen. Angesichts der klaren Bestimmung des Adressaten ist für eine Auslegung dahin, der Widerruf könne wirksam auch gegenüber der Beklagten erfolgen, kein Raum. Wer eine hinsichtlich des Adressaten präzise festgelegte Regelung in erweiterndem Sinne verstanden wissen will, muß dies verdeutlichen (BAG, aaO, zu II 2 b der Gründe). Dies ist vorliegend nicht erfolgt und auch die Klägerin hat dazu nichts Konkretes vorgetragen.

Zudem spricht der gesamte Prozeßvortrag beider Parteien dafür, daß sie die Klausel übereinstimmend in dem Sinne verstanden haben, das Arbeitsgericht solle alleiniger Adressat der Widerrufserklärung sein, was auch der Üblichkeit entspricht (BAG, aaO, zu II 2 c der Gründe). Daß die Klägerin selbst die Klausel so verstanden hat, belegt nicht zuletzt ihr - keineswegs nur vorsorglicher - Wiedereinsetzungsantrag.

2. Konnte somit der Widerruf des Vergleichs nach übereinstimmendem Willen beider Parteien und eben auch aus der Sicht der Beklagten nicht rechtswirksam ihr gegenüber erfolgen, so konnte - logisch zwingend - die Beklagte entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts auch die Mitteilung, die Klägerin sei mit dem Vergleich nicht einverstanden und akzeptiere ihn nicht, keineswegs dahin verstehen, dies sei eine verbindliche Widerrufserklärung. Mitgeteilt war der Beklagten vielmehr dann nur die Absicht eines Vergleichswiderrufs. Mit Recht weist die Revision darauf hin, die Erklärung einer solchen Absicht könne bloße Taktik sein, um eventuell den Arbeitgeber zur Erhöhung der angebotenen Abfindung oder sonstigen "Nachbesserungen" des nur widerruflich vereinbarten Vergleiches zu veranlassen. Die Reaktionen der Beklagten zeigen, daß sie dies genau so verstanden hat. Allein die Tatsache, daß die Beklagte in Erfahrung zu bringen versuchte, bei welchen modifizierten Bedingungen die Klägerin gegebenenfalls zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits bereit wäre, beinhaltete keine Aussage dahin, auch die Beklagte betrachte den beim Arbeitsgericht vereinbarten Vergleich einschließlich der Widerrufsklausel als hinfällig. Die bloße Absicht der Klägerin zum Vergleichswiderruf stand einem Widerruf gegenüber dem Arbeitsgericht gerade nicht gleich, sondern war zukunftsoffen und beinhaltete damit auch die Möglichkeit einer Meinungsänderung der Klägerin. Der Beklagten ist es deshalb entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht verwehrt, sich auf die Bestandskraft des Vergleiches zu berufen. In der Regel läßt nicht einmal die Übermittlung der beglaubigten Abschrift eines Widerrufsschriftsatzes an den Prozeßgegner den zwingenden Schluß zu, der Vergleich solle in jedem Fall widerrufen werden (BAG, aaO, zu II 3 der Gründe); noch viel weniger gilt dies für die bloße Mitteilung der Absicht des Vergleichswiderrufs.

3. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts (BGHZ 61, 394; BAGE 29, 358 = AP Nr. 24 zu § 794 ZPO; BAG Urteil vom 29. Juni 1978 - 2 AZR 88/78 - AP Nr. 26 zu § 794 ZPO; vgl. dazu BVerfG Beschluß vom 6. März 1979 - 2 BvR 963/78 - AP Nr. 27 zu § 794 ZPO), von der das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist und die auch von der Klägerin in der Berufungsinstanz ausdrücklich (S. 5 der Berufungsbegründung) nicht in Zweifel gezogen wurde, kommt gegen die Versäumung einer Vergleichswiderrufsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO in Betracht. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Darauf, ob der Wiedereinsetzungsantrag von der Klägerin überhaupt noch zur Entscheidung gestellt wird und ob die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Falschadressierung des Widerrufsschriftsatzes vom 7. November 1996 auf einem der Klägerin zuzurechnenden Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten bzw. dessen Anwaltsgehilfin K beruht, kommt es deshalb nicht an. an.

Ende der Entscheidung

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