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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 24.06.2004
Aktenzeichen: 2 AZR 461/03
Rechtsgebiete: BGB, KSchG, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 130
KSchG § 4 Satz 1
KSchG § 4 Satz 7
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

2 AZR 461/03

Verkündet am 24. Juni 2004

In Sachen

pp.

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Rost, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bröhl und Dr. Eylert sowie die ehrenamtlichen Richter Rosendahl und Dr. Niebler für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20. Mai 2003 - 5 Sa 452/02 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und in diesem Zusammenhang insbesondere über die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats.

Die am 12. September 1952 geborene Klägerin war bei der Beklagten, die ein Bauunternehmen betreibt, bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. März 1975 als technische Angestellte für Kalkulation und Arbeitsvorbereitung in der Niederlassung Schwerin beschäftigt.

Vor dem Hintergrund der Strukturkrise in der Bauindustrie entschloss sich die Beklagte, vier ihrer insgesamt sieben Bauleiter und die Klägerin, die den Bauleitern zuarbeitete, zu entlassen.

Bei der Beklagten besteht ein neunköpfiger Betriebsrat. Am 3. November 1999 legte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende E., der seinen Arbeitsplatz in der Hauptverwaltung der Beklagten hatte, sein Betriebsratsamt nieder. Für ihn wurde Herr H. zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Herr H. arbeitete als gewerblicher Arbeitnehmer auf den Baustellen der Beklagten. Mit Schreiben vom 3. November 1999 teilte die frühere Betriebsratsvorsitzende En. der Beklagten deshalb mit:

"...

Kollegin R. ist berechtigt, sämtliche Post und Schreiben sowie Anhörungen und Informationen des Betriebsrates entgegenzunehmen, wenn die Kollegin En. abwesend ist."

Im Juli 2001 erklärte Frau En. ihren Rücktritt vom Betriebsratsvorsitz. Neuer Vorsitzender des Betriebsrats wurde Herr H. Zu seinem Stellvertreter wurde Herr S., ein auch auf den Baustellen tätiger gewerblicher Arbeitnehmer, gewählt. Am 22. September 2001 legte der Betriebsratsvorsitzende H. sein Amt nieder und schied aus dem Betriebsrat aus. Der stellvertretene Betriebsratsvorsitzende S. führte die Geschäfte des Betriebsrats bis zu dessen Neuwahl im Mai 2002 weiter.

Am 22. April 2002 nahm Frau R., die als kaufmännische Angestellte in der Niederlassung in Schwerin selbst tätig ist, um 16.15 Uhr das Anhörungsschreiben der Beklagten zur beabsichtigten ordentlichen betriebsbedingten Kündigung der Klägerin in Empfang. Nach Absprache mit Herrn S. lud Frau R. für den 25. April 2002 zu einer außerordentlichen Betriebsratssitzung ein, auf der ua. die Kündigung der Klägerin behandelt werden sollte. Die anwesenden sechs Betriebsratsmitglieder beschlossen in der Sitzung einstimmig, die beabsichtigte Kündigung der Klägerin "zur Kenntnis zu nehmen". Frau R. unterrichtete die Beklagte jedenfalls noch vor dem 29. April 2002 durch Übergabe eines Protokollauszugs von der außerordentlichen Betriebsratssitzung über den gefassten Betriebsratsbeschluss. In dem Auszug ist ua. ausgeführt:

"...

Teilnehmer: J. F., Ho. E., K. G., A. S., Reinhold F., M. R.

fehlte ohne Grund: B. B.

Feststellung der Beschlußfähigkeit:

Der Betriebsrat besteht aus 9 Betriebsratsmitgliedern, davon waren 7 Mitglieder eingeladen. 2 Mitglieder des Betriebsrates nicht so kurzfristig erreicht und 6 von 7 waren anwesend, d. h. der Betriebsrat ist beschlußfähig.

..."

Mit Schreiben vom 30. April 2002, der Klägerin am selben Tag um 9.45 Uhr durch einen Kurierdienst in den Hausbriefkasten eingelegt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien aus betriebsbedingten Gründen zum 30. November 2002. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin während ihres beantragten und genehmigten Urlaubs auf einer Auslandsreise.

Von den vier gekündigten Bauleitern wechselten später drei innerhalb des Firmenverbundes, dem die Beklagte angehört, zu anderen Unternehmen. Dort führten sie ihre alten Baustellen fort.

Mit der am 23. Mai 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewandt. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe ihre Kündigungsschutzklage rechtzeitig erhoben. Die Kündigung vom 30. April 2002 sei ihr erst mit ihrer Urlaubsrückkehr am 4. Mai 2002 wirksam zugegangen. Der Beklagten sei ihr Auslandsaufenthalt unstreitig bekannt gewesen. Sie, die Klägerin, habe mit einer Kündigung nicht rechnen müssen. Die Klägerin hat den Wegfall ihres Arbeitsplatzes bestritten und eine fehlerhafte Sozialauswahl gerügt. Sie hat weiter vorgetragen, der Betriebsrat sei fehlerhaft angehört worden. Die Beklagte habe ihn bewusst unvollständig und irreführend über die getroffene unternehmerische Entscheidung informiert; sie habe es unterlassen, den Betriebsrat über die geplante Unterbringung möglichst vieler Bauleiter im Firmenverbund zu unterrichten. Auch sei die Kündigung vor Abschluss des Beteiligungsverfahrens ausgesprochen worden. Die Anhörungsfrist habe erst mit Kenntnisnahme von der Kündigungsabsicht durch den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden S. am 25. April 2002 zu laufen begonnen. Die Übergabe der Unterlagen an Frau R. als einfaches Betriebsratsmitglied habe die Wochenfrist nicht wirksam in Gang setzen können. Frau R. sei weder zur Entgegennahme solcher Unterlagen wirksam bevollmächtigt gewesen, noch stehe fest, ob Herr S. überhaupt verhindert gewesen sei. Nach dem Ausscheiden der Betriebsratsvorsitzenden En. hätte der Beschluss vom 3. November 1999 vom Betriebsrat zumindest bekräftigt werden müssen. Durch die Mitteilung des Betriebsratsbeschlusses vom 25. April 2002 sei das Anhörungsverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen; wegen der im Protokollauszug dokumentierten Ladungsfehler habe die Beklagte ohne weiteres erkennen können, dass der Betriebsrat keinen wirksamen Beschluss habe fassen können.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30. April 2002 zum 30. November 2002 nicht beendet worden ist,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als technische Angestellte weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen: Die Kündigung gelte wegen der versäumten Klagefrist als sozial gerechtfertigt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Sie habe ihm die Kündigungsgründe vollständig mitgeteilt. Die Kündigung sei auch nicht vor Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgesprochen worden. Sie habe sich auf Grund der Mitteilung vom 3. November 1999 darauf verlassen dürfen, Frau R. sei zur Entgegennahme von Erklärungen für den Betriebsrat bevollmächtigt. Einer Erneuerung des Beschlusses habe es nicht bedurft. Schließlich habe Frau R. auch in der Vergangenheit vom Betriebsrat unbeanstandet Erklärungen für diesen entgegengenommen. Spätestens mit der Mitteilung des Betriebsratsbeschlusses vom 25. April 2002 sei das Anhörungsverfahren wirksam abgeschlossen gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

Die Kündigung vom 30. April 2002 hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin rechtswirksam zum 30. November 2002 beendet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Kündigungserklärung sei der Klägerin spätestens am Nachmittag des 30. April 2002 zugegangen. Sie gelte deshalb nach §§ 4, 7 KSchG als sozial gerechtfertigt.

Die Kündigung sei auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht bewusst falsch unterrichtet. Das Beteiligungsverfahren sei am 22. April 2002 durch Übergabe der Unterlagen an Frau R. wirksam eingeleitet worden. Der Betriebsrat könne durch einen Beschluss ein anderes Betriebsratsmitglied als den Vorsitzenden oder seinen Stellvertreter als Empfangzuständigen für Erklärungen des Arbeitgebers bestimmen. Der Mitteilung vom 3. November 1999 habe ein entsprechender Betriebsratsbeschluss zugrunde gelegen. Dies habe das Betriebsratsmitglied R. als Zeugin bestätigt. Selbst wenn der unstreitig über Jahre geübten Kommunikation zwischen Betriebsrat und der Beklagten kein entsprechender Betriebsratsbeschluss zugrunde gelegen habe, könne sich die Beklagte zumindest auf die Grundsätze der Duldungsvollmacht berufen. Das zuletzt als Vorsitzender amtierende Betriebratsmitglied S. habe die bisherige Handhabung während seiner Amtszeit nicht in Frage gestellt. Zwar sei das Beteiligungsverfahren mit der Mitteilung der Beschlusslage per Protokollauszug vom 25. April 2002 nicht abgeschlossen gewesen; die Beklagte hätte nämlich aus dem überreichten Protokollauszug unschwer erkennen können, dass der Beschluss offensichtlich fehlerhaft zustande gekommen sei. Im Hinblick auf die am 30. April 2002 erfolgte Übergabe der Kündigung an den Kurierdienst greife aber die Zustimmungsfiktion des § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ein.

B. Dem folgt der Senat im Ergebnis.

I. Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt die Kündigung vom 30. April 2002 gemäß § 4 Satz 1, § 7 KSchG aF als sozial gerechtfertigt.

1. Die Klägerin hat mit ihrer am 23. Mai 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage die 3-wöchige Klageerhebungsfrist (Senat 26. Juni 1986 - 2 AZR 358/85 - BAGE 52, 263) des § 4 Satz 1 KSchG aF versäumt. Die Versäumung dieser prozessualen Frist hat die materiell-rechtliche Wirkung, dass die soziale Rechtfertigung einer Kündigung nicht weiter überprüft werden kann und mögliche Mängel der Sozialwidrigkeit geheilt werden (v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 4 Rn. 83; ErfK/Ascheid 4. Aufl. § 4 KSchG Rn. 51).

2. Das Kündigungsschreiben ist am 30. April 2002 um 9.45 Uhr in den Briefkasten der Wohnung der Klägerin eingeworfen worden und ihr deshalb an diesem Tag noch zugegangen. Die Klägerin hätte deshalb spätestens am 21. Mai 2002 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben müssen.

a) Eine schriftliche Willenserklärung ist nach § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers bzw. eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen. Besteht für den Empfänger diese Möglichkeit unter den gewöhnlichen Verhältnissen, ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis nimmt oder ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände zunächst gehindert ist (Senat 16. Januar 1976 - 2 AZR 619/74 - AP BGB § 130 Nr. 7 = EzA BGB § 130 Nr. 5). Deshalb kann ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben dem Arbeitnehmer grundsätzlich selbst dann wirksam zugehen, wenn der Arbeitgeber die urlaubsbedingte Ortsabwesenheit seines Arbeitnehmers kennt (BAG 25. August 1978 - 2 AZR 693/76 -; 16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - BAGE 58, 9; 11. August 1988 - 2 AZR 11/88 - RzK I 2c Nr. 14; ErfK/Ascheid 4. Aufl. § 4 KSchG Rn. 41; KR-Friedrich 6. Aufl. § 4 KSchG Rn. 112).

b) Demnach ist das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 30. April 2002 der Klägerin trotz ihrer der Beklagten bekannten Urlaubsabwesenheit am selben Tag zugegangen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch nichts anderes nach den Grundsätzen aus der Entscheidung des Senats vom 7. November 2002 (- 2 AZR 475/01 - AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 19 = EzA BGB 2002 § 130 Nr. 1). In diesem Fall war die Kündigungserklärung nicht bereits durch den Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Arbeitnehmerin zugegangen, fWsondern war lediglich ein Benachrichtigungsschreiben der Post über eine niedergelegte Einschreibesendung in den Briefkasten gelangt.

Da die Klägerin keinen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 KSchG gestellt hat, gilt somit eine mögliche Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 7 KSchG aF als geheilt.

II. Die Kündigung ist auch nicht wegen mangelhafter Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach Satz 3 der Norm ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.

a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (beispielsweise 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209; 15. November 1995 - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; zuletzt 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01 - FA 2003, 317) und der einhelligen Auffassung in der Literatur (beispielsweise Fitting BetrVG 22. Aufl. § 102 Rn. 56; KR-Etzel 7. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 106 ff.), dass eine Kündigung nicht nur unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausführlich genug nachgekommen ist. Die Beteiligung des Betriebsrats dient in erster Linie dem Zweck, ihm Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorzubringen.

b) Nach gleichfalls ständiger Rechtsprechung des Senats (s. schon 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209; 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01 - FA 2003, 317), vollzieht sich die vor jeder vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung erforderliche Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG in zwei aufeinander folgenden Verfahrensabschnitten. Diese sind nach ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich voneinander abzugrenzen. So hat zunächst der Arbeitgeber unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG umschriebenen Erfordernisse das Anhörungsverfahren einzuleiten. Im Anschluss daran ist es Aufgabe des Betriebsrats, sich mit der beabsichtigten Kündigung zu befassen und darüber zu entscheiden, ob und wie er Stellung nehmen will. Die Trennung dieser beiden Verantwortungsbereiche ist wesentlich für die Entscheidung der Frage, wann eine Kündigung iSd. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG "ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochen" und deswegen unwirksam ist. Da im Regelungsbereich des § 102 BetrVG sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Betriebsrat Fehler unterlaufen können, ermöglicht diese Abgrenzung eine sachgerechte Lösung, wem im Einzelnen ein Fehler zuzurechnen ist. Nur wenn dem Arbeitgeber bei der ihm obliegenden Einleitung des Anhörungsverfahrens ein Fehler unterläuft, liegt darin eine Verletzung des § 102 Abs. 1 BetrVG mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung. Mängel, die im Verantwortungsbereich des Betriebsrats entstehen, führen hingegen grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung, auch wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung weiß oder erkennen kann, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. Solche Fehler gehen schon deshalb nicht zu Lasten des Arbeitgebers, weil der Arbeitgeber keine wirksamen rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf die Beschlussfassung des Betriebsrats hat (Senat 4. August 1975 und 16. Januar 2003 aaO).

2. In Anwendung dieser Grundsätze ist kein der Beklagten zurechenbarer Fehler im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG feststellbar.

a) Entgegen der Auffassung der Revision kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, sie habe den Betriebsrat bewusst unvollständig und irreführend über den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten der Klägerin und die dem zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung informiert.

aa) Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist subjektiv determiniert. An die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Anhörungsverfahren sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen, wie an seine Darlegungs- und Beweislast in einem Kündigungsschutzprozess. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat (st. Rspr. zuletzt Senat 6. November 2003 -2 AZR 690/02 - zur Veröffentlichung vorgesehen; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1). Dabei stellt allerdings eine aus Sicht des Arbeitgebers bewusst unrichtige oder unvollständige und dadurch irreführende Darstellung des Kündigungssachverhalts keine ordnungsgemäße Anhörung dar (Senat 31. Januar 1996 - 2 AZR 181/95 -; 31. August 1989 - 2 AZR 453/88 - AP LPVG Schleswig-Holstein § 77 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 75). Durch eine solche Darstellung verletzt der Arbeitgeber nicht nur die im Anhörungsverfahren geltende Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1, § 74 BetrVG, sondern er setzt den Betriebsrat auch außer Stande, sich ein zutreffendes Bild von den Gründen für die Kündigung zu machen (Senat 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - BAGE 78, 39).

bb) Die Beklagte hat dem Betriebsrat den aus ihrer Sicht bestehenden Kündigungssachverhalt umfassend und nicht irreführend und unvollständig mitgeteilt. Sie wollte das Arbeitsverhältnis der Klägerin kündigen, weil auf Grund eines Umsatzrückgangs und der im Zusammenhang damit beabsichtigten Entlassung von vier Bauleitern aus ihrer Sicht die Klägerin nicht mehr ausgelastet war und die noch anfallenden Tätigkeiten der Klägerin anderweitig verteilt werden sollten. Die unterbliebene Mitteilung ihrer Absicht, die zur Entlassung anstehenden - und auch tatsächlich gekündigten - Bauleiter anderweitig im Unternehmensverbund unterzubringen, führt im Hinblick auf den geltend gemachten Kündigungsgrund nicht zu einer unrichtigen oder bewusst irreführenden Information des Betriebsrats. Aus der Sicht der Beklagten war allein der mit dem rückläufigen Auftragsbestand und der Entlassung der Bauleiter einhergehende Rückgang des Arbeitsanfalls am Arbeitsplatz der Klägerin der maßgebliche Kündigungsgrund.

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann dahinstehen, ob die Beklagte das Anhörungsverfahren durch Übergabe des Anhörungsschreibens an das Betriebsratsmitglied R. am 22. April 2002 wirksam eingeleitet hatte und deshalb vor

Zugang des Kündigungsschreibens bei der Klägerin am 30. April 2002 die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG abgelaufen war. Auf jeden Fall war zum Zeitpunkt der Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kurierdienst am 29. April 2002 das Anhörungsverfahren auf Grund des Betriebsratsbeschlusses vom 25. April 2002 abgeschlossen.

aa) Mögliche Mängel bei der Beschlussfassung des Betriebsrats haben keine Auswirkungen auf die Ordnungsgemäßheit des Anhörungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 BetrVG (Senat 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209 und 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01 - FA 2003, 317). Fehler bei der Willensbildung des Betriebsrats - beispielsweise eine fehlerhafte Besetzung des Betriebsrats bei der Beschlussfassung, weil ein Betriebsratsmitglied nicht geladen oder ein Ersatzmitglied nicht nachgerückt war - berühren das Anhörungsverfahren grundsätzlich nicht. Sie führen insbesondere nicht zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung (so schon Senat 4. August 1975 aaO). Dies gilt vor allem deshalb, weil der Arbeitgeber sich nicht in die Amtsführung des Betriebsrats einmischen darf. Es ist Sache des Betriebsrats, ob und wie er im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG tätig wird. Der Arbeitgeber ist nicht befugt, den Betriebsrat anzuhalten, seine Stellungnahme zu einer beabsichtigten Kündigung auf Grund einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung abzugeben (Senat 4. August 1975 aaO).

bb) Der Betriebsrat braucht, wie § 102 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG zeigt, auf die Kündigungsmitteilung gar nicht zu reagieren. Die Folge der kraft gesetzlicher Fiktion eintretenden Zustimmung hat der Arbeitnehmer zu tragen. Erst recht muss deshalb der Arbeitnehmer den Rechtsnachteil tragen, der dadurch entsteht, dass der Betriebsrat als sein Repräsentant nur verfahrensfehlerhaft reagiert. Kann der Arbeitgeber aus der Mitteilung des Betriebsrats entnehmen, der Betriebsrat wünsche keine weitere Erörterung des Falles, seine Stellungnahme solle also abschließend sein, dann ist das Anhörungsverfahren beendet und der Arbeitgeber kann die Kündigung wirksam aussprechen (so schon Senat 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209). Vom Arbeitgeber in einem solchen Fall noch ein Abwarten bis zum Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG zu verlangen, wäre ein überflüssiger Formalismus. Der Arbeitgeber kann und muss hier nicht mehr damit rechnen, der Betriebsrat werde mehr als geschehen tun. Der Arbeitgeber kann demnach vor Fristablauf des § 102 Abs. 2 BetrVG auf Grund einer - wenn auch möglicherweise fehlerhaft zu Stande gekommenen - Stellungnahme des Betriebsrats regelmäßig die Kündigung zulässigerweise erklären (Senat 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209 und 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01 - FA 2003, 317). Solange der Arbeitgeber nicht mehr mit der Möglichkeit rechnen muss, der Betriebsrat werde noch eine weitere Stellungnahme abgeben, muss er die beabsichtigte Kündigung - längstens bis zum Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG - nicht zurückstellen.

cc) Der Grundsatz, dass Mängel bei der Willensbildung des Betriebsrats nicht dem Arbeitgeber anzulasten sind, gilt regelmäßig auch dann, wenn der Arbeitgeber weiß oder vermuten kann, dass das Verfahren im Betriebsrat fehlerhaft verlaufen ist. Auf diesen subjektiven Umstand kann es aus Gründen der Rechtssicherheit schon deshalb nicht ankommen, weil sonst die Gültigkeit des Anhörungsverfahrens von dem Zufall abhinge, welche Kenntnis der Arbeitgeber von den betriebsratsinternen Vorgängen hat. Wegen dieser Zufälligkeiten kann selbst unter besonderen Umständen, etwa bei Offensichtlichkeit des Verfahrensfehlers, dem Arbeitgeber die Fehlerhaftigkeit der Willensbildung des Betriebsrats nicht zugerechnet werden (so schon Senat 4. August 1975 - 2 AZR 266/74 - BAGE 27, 209). Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn der Arbeitgeber den Fehler bei der Willensbildung des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst bzw. beeinflusst hat.

dd) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der mögliche Fehler des Betriebsrats bei seiner Beschlussfassung (insbesondere die fehlende Einladung der zwei weiteren Betriebsratsmitglieder) allein der Sphäre des Betriebsrats zuzurechnen. Dass die Beklagte auf Grund der Übersendung des Protokolls der Betriebsratssitzung von diesem Fehler positiv Kenntnis erlangt hat, ist unbeachtlich. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Beklagte durch ihr unsachgemäßes Verhalten zu dieser fehlerhaften Beschlussfassung beigetragen hat, beispielsweise weil sie den Betriebsrat zu einer übereilten Stellungnahme und Beschlussfassung gedrängt hat. Schließlich ist es - was selbst die Revision einräumt - im Hinblick auf die vom Betriebsrat getroffene abschließende Stellungnahme in diesem Fall unbeachtlich, ob der Betriebsrat bereits mit Übergabe des Anhörungsschreibens an das Betriebsratsmitglied R. oder erst durch Kenntnis des stellvertretenden und amtierenden Betriebsratsvorsitzenden S. informiert gewesen ist. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 25. April 2002 hatte der amtierende Betriebsratsvorsitzende S. von der Kündigungsabsicht der Beklagten und den Kündigungsgründen hinreichende Kenntnis.

ee) Mit der Übersendung des Betriebsratsbeschlusses konnte die Beklagte weiter davon ausgehen, dass der Betriebsrat hinreichend zum Ausdruck gebracht hat, er wünsche keine weitere Erörterung der Angelegenheit mehr. Deshalb durfte die Beklagte auch im konkreten Fall von einer abschließenden Stellungnahme des Gremiums und vom Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgehen.

III. Da die Kündigung der Klägerin noch am 30. April 2002 zugegangen ist, ist die nach § 11 Abs. 2 des Arbeitsvertrags iVm. § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB einzuhaltende Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende gewahrt.

IV. Der als uneigentliche Hilfsantrag gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen.

V. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglos gebliebenen Revision zu tragen (§ 97 ZPO).

Ende der Entscheidung

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