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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 31.07.2007
Aktenzeichen: 3 AZN 326/07
Rechtsgebiete: GG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

GG Art. 103
ArbGG § 77
ZPO § 139
ZPO § 522 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS

3 AZN 326/07

In Sachen

hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 31. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. Januar 2007 - 3 Sa 1411/06 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I. Die Parteien streiten über eine Betriebsrentenanpassung. Der Kläger hat zunächst erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2005 Ruhegeld in Höhe von zusätzlich 1.397,16 Euro zu zahlen und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm ab Januar 2006 zusätzliches Ruhegeld in Höhe von monatlich mindestens 38,81 Euro brutto zu zahlen. Das Arbeitsgericht hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger 931,44 Euro brutto zu zahlen und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, ab dem 1. Januar 2006 zusätzliches Ruhegeld in Höhe von monatlich 38,81 Euro brutto an den Kläger zu zahlen. Es hat die weitergehende Klage abgewiesen. Dieses Urteil wurde den Parteien am 24. bzw. 25. August 2006 zugestellt.

Unter dem 28. August 2006, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 29. August 2006, hat der Kläger gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und in der Sache den Antrag angekündigt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn zusätzliches Ruhegeld für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003 in Höhe von 465,72 Euro brutto und ab dem 1. Januar 2006 monatlich 40,90 Euro brutto zu zahlen. Er hat die Berufung gleichzeitig begründet.

Der Beklagte hat gegen das Urteil unter dem 12. September 2006, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 14. September 2006, Berufung eingelegt. Diese Berufung wurde dem Kläger am 25. September 2006 zugestellt. Der Beklagte hat diese Berufung mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2006, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 19. Oktober 2006 und dem Kläger zugestellt am 21. Oktober 2006, begründet.

Nachdem der Kläger bereits mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2006, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 16. Oktober 2006, seine Berufung weiter begründet hatte, beantwortete er mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2006, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 25. Oktober 2006, die Berufungsbegründung des Beklagten und führte weiterhin aus:

"Der Antrag lautet unter Einbeziehung der Klägerberufung vom 28.08.2006:

1. Die Berufung der Beklagten vom 12.09.2006 wird zurückgewiesen.

2. Das Urteil des Arbeitsgerichts Herne ... wird abgeändert, soweit die Klage abgewiesen wurde.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zusätzliches Ruhegeld zu zahlen, und zwar für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2003 brutto 465,72 Euro und ab 01.01.2006 monatlich brutto 40,90 Euro."

In der Begründung setzte sich der Kläger mit der Berufung des Beklagten auseinander. Im Übrigen verwies er hinsichtlich der Bezifferung der Klageforderung ab 2006 auf die Klägerberufung vom 28. August 2006.

Mit dem anzufechtenden Teilurteil hat das Landesarbeitsgericht nach mündlicher Verhandlung die Berufung des Klägers wegen Nichterreichung der Berufungsgrenze nach § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG als unzulässig verworfen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die auf Divergenz, grundsätzliche Bedeutung und Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör gestützte Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Die Beschwerde hat Erfolg.

1. Die Beschwerde ist nicht bereits wegen § 77 ArbGG unstatthaft. Nach dieser Vorschrift findet gegen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts, mit denen die Berufung als unzulässig verworfen wird, die Rechtsbeschwerde nur statt, wenn das Landesarbeitsgericht sie in dem Beschluss zugelassen hat. Diese Regelung gilt jedoch nur, wenn das Landesarbeitsgericht nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO tatsächlich durch Beschluss entschieden hat. Hat es dagegen - was nach § 522 Abs. 1 ZPO möglich ist - durch Urteil entschieden, gelten die Regeln über die Revision und ihre Zulassung (vgl. Hauck in Hauck/Helml ArbGG 3. Aufl. § 77 Rn. 2 mwN). So liegt der Fall hier.

2. Soweit die Beschwerde auf Divergenz und grundsätzliche Bedeutung gestützt ist, entspricht die Begründung (§ 72a Abs. 3 ArbGG) allerdings nicht den gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen.

a) Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wegen Divergenz ist nur dann ordnungsgemäß begründet, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass das anzufechtende Urteil einen abstrakten, fallübergreifenden Rechtssatz aufgestellt hat, der im Widerspruch zu einem entsprechenden Rechtssatz aus einer Entscheidung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG abschließend aufgezählten Gerichte steht, und dass dieser Widerspruch entscheidungserheblich ist (vgl. dazu BAG 1. März 2005 - 9 AZN 29/05 - BAGE 114, 57; 14. April 2005 - 1 AZN 840/04 - BAGE 114, 200).

b) Wird eine Beschwerde auf grundsätzliche Bedeutung gestützt, ist in ihr ua. aufzuführen, welche fallübergreifende, abstrakte Interpretation von Rechtsbegriffen das Landesarbeitsgericht vorgenommen hat und dass diese nach Auffassung des Beschwerdeführers fehlerhaft ist (BAG 24. März 1993 - 4 AZN 5/93 - BAGE 73, 4).

c) Für beide Arten der Nichtzulassungsbeschwerde ist deshalb in der Begründung aufzuführen, von welchen fallübergreifenden, abstrakten Überlegungen das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist. Bezogen darauf ist dann die Divergenz bzw. die grundsätzliche Bedeutung darzulegen. Die Beschwerde führt nicht auf, von welchen abstrakten Rechtssätzen das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist, hinsichtlich derer sie Ansatzpunkte für eine Revisionszulassung sieht.

3. Die Beschwerde hat jedoch eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgezeigt (§ 72 Abs. 2 Nr. 3, § 72a Abs. 1 ArbGG, Art. 103 Abs. 1 GG). Dies führt zur Aufhebung des anzufechtenden Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht (§ 72a Abs. 7 ArbGG).

a) Die Beschwerde rügt sinngemäß, der Kläger sei durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts überrascht worden, weil er nicht auf die Unzulässigkeit der Berufung hingewiesen wurde. Wäre dies geschehen, hätte er argumentiert, dass eine Umdeutung seiner unzulässigen Berufung in eine zulässige Anschlussberufung in Betracht komme.

b) Mit diesem Angriff dringt die Beschwerde durch.

aa) Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine Entscheidung ohne entsprechenden Hinweis auf einen Gesichtspunkt gestützt wird, mit dem auch ein kundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielzahl von vertretbaren Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG 17. Februar 2004 - 1 BvR 2341/00 - DStRE 2004, 1050; BAG 31. August 2005 - 5 AZN 187/05 - AP ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 7 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 104). Zum Prozessverlauf gehören auch erteilte oder unterbliebene Hinweise. Kann deshalb ein Prozessbevollmächtigter damit rechnen, dass er auf einen entscheidungserheblichen Punkt hingewiesen wird, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn ein entsprechender Hinweis unterbleibt.

bb) Nach § 139 Abs. 3 ZPO hat das Gericht auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen. Dazu gehört auch die Frage der Zulässigkeit der Berufung (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hinzu kommt, dass auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen hat, hinzuweisen ist (§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nach beiden Vorschriften kann auch ein gewissenhafter Prozessbevollmächtigter, der - wie hier - ersichtlich Probleme bei der Zulässigkeit der Berufung übersehen hat, mit einem gerichtlichen Hinweis rechnen. Ein solcher liegt nahe.

An einem derartigen - dokumentierten (§ 139 Abs. 4 ZPO) - Hinweis fehlt es.

Die Frage der Zulässigkeit der Berufung war auch sonst nicht aufgeworfen.

cc) Der unterbliebene Hinweis ist auch entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landesarbeitsgericht auf den Hinweis die Berufung in eine gleichzeitig begründete Anschlussberufung umgedeutet hätte (vgl. dazu nunmehr BAG 12. Dezember 2006 - 3 AZR 716/05 -, zu I 1 b der Gründe). Der ggf. umzudeutende Schriftsatz des Klägers vom 24. Oktober 2006 ging am 25. Oktober 2006 und damit innerhalb der Frist zur Einlegung und Begründung der Anschlussberufung, nämlich innerhalb eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründung am 21. Oktober 2006 (§ 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG), und damit rechtzeitig (§ 524 Abs. 2 ZPO) ein. Die Anschlussberufung ist auch weder an eine Zulassung noch an die Erreichung der Berufungssumme gebunden (Reichold in Thomas/Putzo ZPO 28. Aufl. § 524 Rn. 17 mwN).

dd) Da der Rechtsstreit revisionsrechtlich bedeutsame Fragen nicht aufwirft, hat der Senat von der Zurückverweisungsmöglichkeit Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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