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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 15.12.1998
Aktenzeichen: 3 AZN 816/98
Rechtsgebiete: BetrAVG Hinterbliebenenversorgung, BGB Ergänzende Vertragsauslegung, ArbGG


Vorschriften:

BetrAVG § 1 Abs. 1 Hinterbliebenenversorgung
BetrAVG § 2 Abs. 1 Hinterbliebenenversorgung
BGB § 157 Ergänzende Vertragsauslegung
BGB § 242 Ergänzende Vertragsauslegung
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:

1. Anwartschaften auf eine Hinterbliebenenversorgung werden unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BetrAVG unverfallbar (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 24. Juni 1998 - 3 AZR 288/97 - betr. Invalidenrente).

2. Die Höhe der Hinterbliebenenrente ergibt sich aus der Versorgungsvereinbarung. Die Hinterbliebenen eines vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers haben Anspruch auf eine Teilrente, die beim Fehlen günstigerer Vereinbarungen nach § 2 Abs. 1 BetrAVG berechnet wird.

Aktenzeichen: 3 AZN 816/98 Bundesarbeitsgericht 3. Senat Beschluß vom 15. Dezember 1998 - 3 AZN 816/98 -

I. Arbeitsgericht Düsseldorf - 9 Ca 4755/97 - Urteil vom 15. Januar 1998

II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 11 Sa 285/98 - Urteil vom 29. Mai 1998


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Unverfallbarkeit einer Anwartschaft auf Hinterbliebenenver- sorgung

Gesetz: BetrAVG § 1 Abs. 1 Hinterbliebenenversorgung, § 2 Abs. 1; BGB §§ 157, 242 Ergänzende Vertragsauslegung; ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 2

3 AZN 816/98 11 Sa 285/98 Düsseldorf

Beschluß

In Sachen pp.

hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 15. Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Heither, die Richter Kremhelmer und Bepler sowie die ehrenamtlichen Richter Reissner und Schoden beschlossen:

1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 29. Mai 1998 - 11 Sa 285/98 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 121.397,48 DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Parteien streiten über die Höhe einer betrieblichen Witwen- und Waisenrente.

Der am 18. März 1944 geborene Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) und 3), Herr E , war vom 1. Oktober 1973 bis zum 31. Dezember 1991 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er verdiente zuletzt als Prokurist 200.000,00 DM brutto jährlich. Der am 10. November 1989 vereinbarte Arbeitsvertrag enthält zum Ruhegehalt folgende Bestimmungen:

"§ 6

Ruhegehaltsanspruch

Scheidet Herr E aus den Diensten der Gesellschaft aus, weil

a) er infolge Krankheit dauernd an der Ausübung der ihm übertragenen Arbeiten verhindert ist,

b) er das 60. Lebensjahr vollendet hat,

so hat er einen Anspruch auf Zahlung von Ruhegehalt.

§ 7

Ruhegehalt

1. Das Ruhegehalt errechnet sich wie folgt:

Bei Ausscheiden aus den Diensten der Gesellschaft infolge Erreichens der Altersgrenze gem. § 6 b) und dauernder Gesellschaftszugehörigkeit vom Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Vertrages bis zum Erreichen der Altersgrenze zahlt die Gesellschaft ein Ruhegehalt, das 60 % der zuletzt bezogenen festen Bezüge ausmacht. Das Ruhegehalt wird in gleichen monatlichen Teilbeträgen nachträglich gezahlt.

2.a) Sofern Herr E infolge dauernder, ihn an der Ausübung der Tätigkeit für die Gesellschaft hindernder Krankheit (Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung; festgestellt durch das Gutachten von zwei unabhängigen Vertrauensärzten) gem. § 6 a) aus den Diensten der Gesellschaft ausscheidet, wird der in Abs. 1 angegebene Prozentsatz für jedes Jahr, das Herr E früher aus den Diensten der Gesellschaft ausscheidet, um 5 %-Punkte gekürzt.

b) Herrn E steht mindestens der Betrag als Ruhegehalt zu, den er aus der Altersversorgungszusage der CARGOWAGGON Gesellschaft für Verwaltung, Vermietung und Bewirtschaftung von Eisenbahnwaggons mbH, Frankfurt, vom 5. Juli 1988 (Anlage I) erhalten hätte, wenn sein dortiges Beschäftigungsverhältnis nicht beendet worden wäre. Bemessungsgrundlage bleibt die dortige Regelung zu Ziff. 1 Satz 2.

3. Im Falle des Todes von Herrn E hat seine Ehefrau I Anspruch auf Zahlung einer Witwenpension von jährlich 60 % des Herrn E bei einem Ausscheiden gem. Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 zustehenden Ruhegehalts. ...

§ 8

Waisengeld

Im Falle des Todes von Herrn E erhalten dessen Kinder aus seiner Ehe mit Frau I , sofern sie das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ein Waisengeld in Höhe von jeweils 20 % des Herrn E nach vorstehenden Paragraphen zustehenden Ruhegehalts. Der Anspruch auf Waisengeld besteht auch dann, wenn die Witwe des Herrn E eine neue Ehe eingeht. Auf die Waisenrente werden Versorgungsbezüge, die den Kindern aus anderen Dienstverhältnissen ihres Vaters zustehen, angerechnet, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Hinsichtlich der Zahlungsweise und der erstmaligen Zahlung des Waisengeldes gilt die Regelung für das Witwengeld entsprechend."

Herr E verstarb am 29. Januar 1996.

Mit der Klage fordert die Klägerin zu 1) eine Witwenrente von monatlich 3.594,00 DM. Die Kläger zu 2) und 3) fordern eine Waisenrente von monatlich je 1.198,00 DM; die Klägerin zu 3) beschränkt ihre Forderung auf die Zeit bis Ende September 1997 (Vollendung des 21. Lebensjahres).

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klägerin zu 1) nur eine Witwenrente von monatlich 1.198,00 DM zugesprochen, den Klägern zu 2) und 3) eine Waisenrente von monatlich 399,33 DM brutto. Im übrigen wurden die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Kläger. Sie machen geltend, das Urteil weiche ab von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und beruhe auch auf diesen Abweichungen (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG).

II. Die Beschwerde der Kläger ist nicht begründet. Zwar weicht das Urteil von Rechtssätzen ab, die das Bundesarbeitsgericht in den von den Klägern genannten Rechtssätzen aufgestellt hat. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts beruht aber nicht auf diesen Abweichungen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, den Klägern stünden Ansprüche auf Witwen- und Waisenrenten aufgrund des Versorgungsvertrages zu. Dies ergebe sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Der Versorgungsvertrag enthalte für den Fall, daß der Arbeitnehmer während des aktiven Arbeitslebens versterbe, keine Regelung. Er sei ergänzend auszulegen.

Tatsächlich hatten die Hinterbliebenen bei Tod des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung. Diese Anwartschaft blieb trotz des Ausscheidens des Arbeitnehmers vor Eintritt des Versorgungsfalles erhalten. Auch Anwartschaften auf eine Hinterbliebenenversorgung werden unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BetrAVG unverfallbar. Die Unverfallbarkeit bezieht sich auf alle Leistungen der Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Das ergibt sich aus der von den Beschwerdeführern genannten Entscheidungen des Senats und ergänzend aus dem Urteil des Senats vom 24. Juni 1998 (- 3 AZR 288/97 -).

2. Im Arbeitsvertrag ist nicht ausdrücklich geregelt, wie hoch die Hinterbliebenenrenten für den Fall sind, daß der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses stirbt. Die Versorgungsvereinbarung betrifft die Höhe der Hinterbliebenenversorgung nur für den Fall, daß der Arbeitnehmer nach Erreichen der Altersgrenze verstirbt (§ 7 Nr. 3 mit Hinweis auf § 7 Nr. 1 des Vertrages). Außerdem wird die Höhe der Witwenpension für den Fall berechnet, daß der Arbeitnehmer nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit verstirbt (§ 7 Nr. 3 des Vertrages mit Verweisung auf § 7 Nr. 2 des Vertrages). Die Höhe der Witwen- und Waisenbezüge bei Tod während des laufenden Arbeitsverhältnisses läßt sich entgegen der Auffassung der Kläger dieser Regelung nicht entnehmen. Insoweit haben die Vorinstanzen zu Recht auf die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung zurückgegriffen. Nach den gut vertretbaren Erwägungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts soll die Klägerin 60 % dessen erhalten, was der Arbeitnehmer selbst als Invalidenrente erhalten hätte, wenn das Arbeitsverhältnis also nicht durch Tod, sondern durch Eintritt der Erwerbsunfähigkeit beendet worden wäre. Die Kläger können zu einem früheren Zeitpunkt die Rente verlangen. Die Beklagte muß länger zahlen. Die Kläger können auch nicht mehr verlangen, als dem Kläger selbst bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zustehen würde. Abzüge aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung erscheinen unter diesem Gesichtspunkt berechtigt.

3. Der verstorbene Herr E hätte bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit (statt des Todes) am 29. Januar 1996 und bis dahin fortbestehender Betriebszugehörigkeit eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von monatlich 3.333,33 DM verlangen können. Er verdiente zuletzt 200.000,00 DM jährlich. Die volle Altersrente betrug 60 % dieses Betrages. Dieser Prozentsatz ermäßigt sich für die am Alter von 60 Jahren fehlenden acht Jahre um jeweils 5 %-Punkte, das sind 40 %. Von 200.000,00 DM konnte der Kläger mithin nur 20 % Erwerbsunfähigkeitsrente fordern, das sind 40.000,00 DM jährlich oder 3.333,33 DM monatlich. Von diesem Betrag erhält die Klägerin 60 %, das sind 2.000,00 DM monatlich.

Bei dieser Berechnung wurde unterstellt, daß der Tod des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist. Da der verstorbene Arbeitnehmer vor Eintritt dieses Versorgungsverhältnisses das Arbeitsverhältnis beendet hat, muß der Anspruch der Klägerin auch um den Unverfallbarkeitsfaktor (0,5990 %) gekürzt werden. Dies ergibt den Betrag von 1.198,00 DM monatlich für die Klägerin zu 1). Entsprechend sind die Waisenrenten für die Kläger zu 2) und 3) zu berechnen.

4. Danach hat das Landesarbeitsgericht die Höhe der Hinterbliebenenrenten zutreffend berechnet. Soweit es für die Ermittlung der Höhe auf die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung zurückgegriffen hat, hat es keine Rechtssätze aufgestellt, die den angezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts widersprechen. Die Unklarheitenregel verhindert keine ergänzende Vertragsauslegung, soweit diese geboten ist.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 25 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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