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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 15.06.2004
Aktenzeichen: 3 AZR 403/03
Rechtsgebiete: Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost, Tarifvertrag über eine betriebliche Altersversorgung bei der Deutschen Telekom AG, Versorgungsordnung zum Tarifvertrag über eine betriebliche Altersversorgung bei der Deutschen Telekom AG


Vorschriften:

Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost § 46 Abs. 9
Tarifvertrag über eine betriebliche Altersversorgung bei der Deutschen Telekom AG § 1
Tarifvertrag über eine betriebliche Altersversorgung bei der Deutschen Telekom AG § 2
Versorgungsordnung zum Tarifvertrag über eine betriebliche Altersversorgung bei der Deutschen Telekom AG Ziff. 3.2.1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

3 AZR 403/03

Verkündet am 15. Juni 2004

In Sachen

hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Reinecke, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler und Breinlinger sowie die ehrenamtlichen Richter Oberhofer und Reissner

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 9. Juli 2003 - 5 Sa 459/02 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Beginn des Anspruchs der Klägerin auf Betriebsrentenzahlung.

Die Klägerin war bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis waren die für die Beklagte geltenden Tarifverträge anzuwenden. Die Klägerin hat nach § 2 iVm. § 1 des Tarifvertrages über eine betriebliche Altersversorgung bei der Deutschen Telekom AG einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung erworben. Nach Ziff. 3.2.1 Unterpunkt 3 der Anlage zu diesem Tarifvertrag Nr. 7 - Versorgungsordnung - (VO TV Nr. 7) erwirbt "der Arbeitnehmer ... im Erlebensfall Anspruch auf das Versorgungsguthaben ... als Invalidenleistung, wenn das Arbeitsverhältnis vor Erreichen der festen Altersgrenze endet und von da an Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung besteht."

Zum Ende eines Arbeitsverhältnisses wegen Erwerbsunfähigkeit bestimmt der einschlägige Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost vom 21. März 1961 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 57 vom 3. April 1998 (TV Ang):

"§ 46

Ende des Arbeitsverhältnisses

(9) Das Arbeitsverhältnis endet bei Zugang eines Bescheides der gesetzlichen Rentenversicherung, mit dem eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugesagt wird, mit Ablauf des Vormonats des ersten Zahlmonats laut Rentenbescheid. Gleiches gilt für eine Vollrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Angestellte hat seinen Arbeitgeber von der Zustellung eines Bescheides im vorstehenden Sinne unverzüglich zu unterrichten und den Bescheid unverzüglich vorzulegen."

Am 30. März 1998 beantragte die seit längerem arbeitsunfähige Klägerin Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese wurde ihr durch Bescheid vom 15. Januar 1999 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligt. Der Rentenbeginn wurde auf den 24. Juni 1998 festgesetzt. Weiter lautete der Rentenbescheid:

"Ab 01.03.99 werden monatlich 1.458,74 DM gezahlt.

Für die Zeit vom 24.06.98 bis 28.02.99 beträgt die Nachzahlung 12.008,79 DM."

Der Nachzahlungsbetrag wurde am 5. Februar 1999 unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen der Betriebskrankenkasse gegenüber der Klägerin weiter abgerechnet und ihr schließlich eine Restsumme am 11. Februar 1999 iHv. 2.917,48 DM überwiesen. Im März 1999 wurden sodann die laufenden Zahlungen der gesetzlichen Erwerbsunfähigkeitsrente aufgenommen.

Die Beklagte zahlte an die Klägerin die monatliche Betriebsrente iHv. 799,00 DM ab dem 1. Januar 1999.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Betriebsrente sei schon ab dem 24. Juni 1998 zu zahlen, da ihr Arbeitsverhältnis gem. § 46 Abs. 9 TVAng Ende Mai 1998 geendet habe. Sie hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.980,43 DM (2.546,45 Euro) sowie Zinsen iHv. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 2. Januar 2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Erster Zahlmonat laut Rentenbescheid sei der März 1999, so dass das Arbeitsverhältnis nach § 46 Abs. 9 TVAng erst zum 28. Februar 1999 beendet worden sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war erfolgreich. Mit der zugelassenen Revision strebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet. Für 1998 kann die Klägerin keine Betriebsrentenzahlungen von der Beklagten verlangen, da ihr Arbeitsverhältnis erst 1999 endete.

I. Nach Ziff. 3.2.1 VO TV Nr. 7 setzt der Versorgungsfall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus. Die Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung muss ab dem Ende ("von da an") des Arbeitsverhältnisses bestehen, um den Anspruch auf das Versorgungsguthaben als Invalidenleistung entstehen zu lassen.

II. Das Berufungsgericht hat den für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit maßgeblichen § 46 Abs. 9 TVAng dahin ausgelegt, dass schon dem Wortlaut nach der Begriff "Zahlmonat" nur der Monat sein könne, in dem die Zahlungen tatsächlich aufgenommen worden seien. Auf den Zeitpunkt der Entstehung des gesetzlichen Rentenanspruchs könne es dagegen schon aus Rechtsgründen nicht ankommen. Auch die von der Beklagten dargestellte jahrzehntelange Tarifpraxis spreche für eine solche Auslegung.

1. Im Ergebnis folgt der Senat der Auslegung des Landesarbeitsgerichts.

a) Die Auslegung der Normativbestimmungen eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst der Tarifwortlaut maßgeblich. Ist dieser nicht eindeutig, so ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei kann der tarifliche Gesamtzusammenhang Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden. Bei weiterhin bestehenden Zweifeln an den so gewonnenen Auslegungsergebnissen können die Arbeitsgerichte ohne Bindung an eine Reihenfolge Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages oder die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel ist die Tarifauslegung geboten, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 1. August 2001 - 4 AZR 810/98 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 178 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 124; 19. Januar 2000 - 4 AZR 814/98 - BAGE 93, 229).

b) Im Wortlaut des § 46 Abs. 9 TVAng fällt zunächst auf, dass das Ende des Arbeitsverhältnisses in jedem Fall den "Zugang eines Bescheides der gesetzlichen Rentenversicherung" voraussetzt. Da die Rückabwicklung von Arbeitsverhältnissen häufig zu praktischen Schwierigkeiten führt, liegt der Schluss nahe, dass die Tarifvertragsparteien auch mit der Neuregelung des § 46 Abs. 9 TVAng ab dem 1. Oktober 1997 einen Beendigungszeitpunkt im Auge hatten, der nicht vor dem Zugang des Bescheides liegt. Die Tarifvertragsparteien wussten um die praktischen Schwierigkeiten der Rückabwicklung, denn die bis 30. September 1997 gültige Regelung des § 51 Abs. 2 TVAng sah bei Erwerbsunfähigkeit ein Ende des Arbeitsverhältnisses vor "mit Ablauf des Monats, in dem der entsprechende Bescheid zugestellt wird".

c) Ist der Bescheid über die Erwerbsunfähigkeitsrente zugegangen, so endet nach § 46 Abs. 9 TVAng das Arbeitsverhältnis "mit Ablauf des Vormonats des ersten Zahlmonats laut Rentenbescheid". Das Kunstwort "Zahlmonat" wird weder definiert noch handelt es sich um einen eingeführten Begriff des Arbeitslebens oder der Alltagssprache.

Alltagssprachlich hat der "Zahlmonat" nur eine Entsprechung im "Zahltag", ein Zahljahr, eine Zahlwoche usw. gibt es alltagssprachlich nicht. "Zahltag" ist nicht der Tag, für den bezahlt wird, sondern an dem gezahlt wird, der zum Zahlen bestimmte Tag (Grimm Deutsches Wörterbuch 1956 Band 31; Brockhaus/Wahrig Deutsches Wörterbuch 1984 Sechster Band S. 799; Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Band 10 S. 4583). Entsprechend ist unter "Zahlmonat" der Monat zu verstehen, in dem erstmals gezahlt wird oder der erstmals zum Zahlen bestimmt ist, nicht jedoch der erste Monat, "für den" Rente gezahlt wird.

d) Auch der ungewöhnliche Wortlaut von § 46 Abs. 9 Satz 1 TVAng spricht gegen ein Auslegungsergebnis, "Zahlmonat" solle der erste Monat sein, für den Rente gezahlt wird. Hätten die Tarifvertragsparteien gewollt, dass das Arbeitsverhältnis mit oder vor dem Monat endet, für den zum ersten Mal Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt wird, hätten sie dies so in den Tarifvertrag geschrieben. Zum Beispiel heißt es in dem vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 31. Juli 2002 (- 7 AZR 118/01 - BAGE 102, 114, 117) behandelten Tarifvertrag, das Arbeitsverhältnis ende "vor dem Ende des Monats, ab dem der Arbeitnehmer eine unbefristete Rente ... erhält".

e) Gesetzliche Renten, gerade auch Erwerbsunfähigkeitsrenten, werden regelmäßig rückwirkend bewilligt. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass der Anspruch auf Betriebsrente nicht gleichzeitig mit der gesetzlichen Rente einsetzen muss (10. Dezember 2002 - 3 AZR 3/02 - AP BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 56 = EzA BetrAVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 26, zu II 2 b der Gründe; 9. Januar 1990 - 3 AZR 319/88 - AP BetrAVG § 1 Wartezeit Nr. 23 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 54). Dies spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien mit der Einfügung des § 46 Abs. 9 in den TVAng durch den 36. Änderungstarifvertrag vom September 1997 eher den Fall regeln wollten, dass der Rentenbescheid mit zeitlichem Vorlauf zur Rentenzahlung zugeht und so eine zwar seltene, jedoch vorstellbare Versorgungslücke verhindert wird.

2. Es kann dahinstehen, ob vorliegend unter "Zahlmonat" der Februar oder der März 1999 zu verstehen ist, da die Beklagte bereits mit dem Januar 1999 die Betriebsrentenzahlungen aufgenommen hat. Davor hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin jedenfalls nicht geendet, weshalb ihr Betriebsrentenansprüche für das Jahr 1998 nicht zustehen.



Ende der Entscheidung

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