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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: 3 AZR 426/06
Rechtsgebiete: TVG, DRK-TV-Ost
Vorschriften:
TVG § 4 Abs. 5 | |
DRK-TV-Ost § 64 |
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL
Verkündet am 29. Januar 2008
In Sachen
hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 29. Januar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Reinecke, die Richter am Bundesarbeitsgericht Kremhelmer und Dr. Zwanziger sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Schmidt und Schepers für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 9. März 2006 - 9 Sa 587/05 - aufgehoben.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 7. September 2005 - 1 Ca 2615/04 - wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Berechtigung des Beklagten, von dem Arbeitsentgelt der Klägerin Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung einzubehalten.
Die Klägerin war bei dem Beklagten vom 1. Februar 1991 bis zum 14. November 2005 als Angestellte beschäftigt. Sie ist Mitglied der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die ua. Rechtsnachfolgerin der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (hiernach ÖTV) ist. Der Beklagte gehört der Bundestarifgemeinschaft des Deutschen Roten Kreuzes (hiernach DRK), nicht aber der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände, an. Er ist zudem Mitglied der Zusatzversorgungskasse des Kommunalen Versorgungsverbandes Brandenburg.
Eine Regelung über die betriebliche Altersversorgung enthält § 64 des am 1. Juli 1992 zwischen der Gewerkschaft ÖTV und der Bundestarifgemeinschaft des DRK geschlossenen Tarifvertrages zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften Deutsches Rotes Kreuz - Ost (im Folgenden DRK-TV-Ost). Die Bestimmung lautet wie folgt:
"§ 64 Zusätzliche Altersversorgung
Der Mitarbeiter hat Anspruch auf Versicherung unter eigener Beteiligung zum Zwecke einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom 4. November 1966 (Versorgung-TV) bzw. des Tarifvertrages über die Versorgung der Arbeitnehmer kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom 6. März 1967 (Versorgung-TV-G) in der jeweils gültigen Fassung."
Der in Bezug genommene Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom 6. März 1967 (im Folgenden: VersTV-G) lautet in der Fassung vom 1. Juli 2000 auszugsweise wie folgt:
"§ 7 Aufwendungen für Pflichtversicherung bei der Zusatzversorgungseinrichtung
(1) Der Arbeitgeber hat eine monatliche Umlage in Höhe des von der Zusatzversorgungseinrichtung festgesetzten Satzes des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts (...) des Arbeitnehmers einschließlich des vom Arbeitnehmer zu zahlenden Beitrags an die Zusatzversorgungseinrichtung abzuführen. Bis zu einem Umlagesatz von 5,2 v.H. trägt der Arbeitgeber die Umlage allein; der darüber hinausgehende Finanzierungsbedarf wird zur Hälfte vom Arbeitgeber durch eine Umlage und zur Hälfte vom Arbeitnehmer durch einen Beitrag getragen. Den Beitrag des Arbeitnehmers behält der Arbeitgeber vom Arbeitsentgelt ein. ..."
Am 4. Juli 2001 kündigte die Bundestarifgemeinschaft des DRK den DRK-TV-Ost mit Wirkung zum 31. Dezember 2001. Zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages mit ver.di kam es in der Folgezeit nicht.
Am 1. März 2002 schloss ver.di mit der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände einen "Tarifvertrag über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes" (im Folgenden: ATV-K). Dieser Tarifvertrag wurde später durch zwei Änderungstarifverträge vom 31. Januar 2003 und vom 12. März 2003 modifiziert. Ua. wurde durch den Änderungstarifvertrag Nr. 1 im Zusammenhang mit der schrittweisen Angleichung der Einkommen Ost auf 100 % des Westniveaus vereinbart, dass die Beschäftigten in den neuen Ländern einen Eigenbeitrag zur Finanzierung der Zusatzversorgung leisten. Insoweit enthält der Tarifvertrag in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 2 ua. folgende Bestimmungen:
"§ 16 Umlagen
(1) Von der Zusatzversorgungseinrichtung festgesetzte monatliche Umlagen in Höhe eines bestimmten Vomhundertsatzes des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts der Beschäftigten (Umlagesatz) führt der Arbeitgeber - ggf. einschließlich des von der/dem Beschäftigten zu tragenden Umlage-Beitrags - an die Zusatzversorgungseinrichtung ab. Die Umlage-Beiträge der Beschäftigten behält der Arbeitgeber von deren Arbeitsentgelt ein. ...
§ 37 a Sonderregelungen für das Tarifgebiet Ost
(1) Bei Pflichtversicherten beträgt der Arbeitnehmerbeitrag zur Pflichtversicherung ab 1. Januar 2003 0,2 v.H. und ab dem 1. Januar 2004 0,5 v.H. des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts. Für jeden Prozentpunkt, um den der allgemeine Bemessungssatz Ost über den Bemessungssatz von 92,5 v.H. angehoben wird, erhöht sich zeitgleich der Arbeitnehmerbeitrag um 0,2 Prozentpunkte. Soweit die Anhebung des Bemessungssatzes Ost nicht in vollen Prozentpunkten erfolgt, erhöht sich der Arbeitnehmerbeitrag anteilig. Im Zeitpunkt des Erreichens eines Bemessungssatzes Ost von 97 v.H. steigt der Arbeitnehmerbeitrag auf den Höchstsatz von 2 v.H.
...
§ 39 In-Kraft-Treten
(1) Dieser Tarifvertrag tritt mit Wirkung vom 1. Januar 2001 in Kraft. ...
(3) Mit dem In-Kraft-Treten dieses Tarifvertrages tritt - unbeschadet des § 36 - der Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer kommunaler Verwaltungen und Betriebe (VersTV-G) vom 6. März 1967 außer Kraft.
..."
Für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. August 2005 behielt der Beklagte die jeweiligen Zusatzbeiträge vom Arbeitsentgelt der Klägerin ein und führte sie an die Zusatzversorgungskasse ab. Der Einbehalt betrug rechnerisch unstreitig 843,85 Euro.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei zum Abzug nicht berechtigt gewesen. Wegen der Kündigung des DRK-TV-Ost sei die Rechtslage auf dem Stand vom 31. Dezember 2001 eingefroren. Daher fänden die Bestimmungen des ATV-K auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung.
Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 843,85 Euro netto nebst Zinsen zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, § 64 DRK-TV-Ost wirke nach. Er sehe eine eigene Beteiligung der Mitarbeiter bei der Altersversorgung vor, ohne eine Höchstgrenze festzusetzen. Zudem fände kraft Verweisung auch der ATV-K auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Die Klägerin dringt mit ihrer Klage durch, da der Beklagte nicht berechtigt war, von ihrem Entgelt Beiträge für die betriebliche Altersversorgung einzubehalten. Der geltend gemachte Entgeltanspruch steht der Klägerin daher nach § 611 Abs. 1 BGB nebst den geltend gemachten Zinsen, die der Beklagte nach § 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB schuldet, zu.
I. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist § 64 des DRK-TV-Ost. Dieser Tarifvertrag galt bis zu seinem durch Kündigung herbeigeführten Ablauf am 31. Dezember 2001 kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Parteien für sie unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Nach seinem Ablauf Ende 2001 gelten seine Rechtsnormen für die Parteien im Wege der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Eine solche liegt nicht vor. Ein ersetzender Tarifvertrag zwischen ver.di und der Bundestarifgemeinschaft des DRK wurde nicht abgeschlossen. Der zwischen ver.di und der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände abgeschlossene ATV-K findet auf das Arbeitsverhältnis mangels Tarifgebundenheit des Beklagten keine unmittelbare Anwendung.
II. Aus der nur noch nachwirkenden Regelung kann der Beklagte kein Recht zum Einbehalt der Beiträge herleiten.
1. § 64 DRK-TV-Ost selbst begründet kein Recht für einen derartigen Einbehalt.
Soweit dort lediglich "unter eigener Beteiligung" ein Anspruch des Arbeitnehmers "auf Versicherung ... zum Zwecke einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung" begründet wird, ist damit noch keine eigene Rechtspflicht der Arbeitnehmer verbunden, sich an den Beiträgen für die betriebliche Altersversorgung zu beteiligen. Die dort genannten Rechte bestehen nämlich nur "nach Maßgabe" der näher bezeichneten weiteren Tarifverträge. Die Tarifvertragsparteien haben mit den Worten "unter eigener Beteiligung" lediglich klargestellt, dass es von ihrem Willen gedeckt ist, wenn in den in Bezug genommenen Tarifverträgen eigene Beiträge der Arbeitnehmer vorgesehen werden.
2. Ein Recht zum Einbehalt ergibt sich auch nicht deshalb, weil § 64 DRK-TV-Ost dynamisch auf die jeweils gültige Fassung der Versorgungstarifverträge der Kommunalen Arbeitnehmer verweist.
a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz VersTV-G trägt der Arbeitgeber die Umlage bis zu einem Umlagesatz von 5,2 vH allein. Diese Bestimmung galt bis zum Wirksamwerden der Kündigung des DRK-TV-Ost zum 31. Dezember 2001. Aus ihr ergab sich für den Beklagten, worüber Einigkeit besteht, kein Recht, Beiträge zur Zusatzversorgung vom Entgelt der Klägerin einzubehalten.
b) Ein solches Recht ergab sich auch nicht im Hinblick auf den erst im Jahre 2002 und damit nach dem Ablauf des DRK-TV-Ost während des Nachwirkungszeitraums abgeschlossenen ATV-K. Dieser Tarifvertrag wird von der dynamischen Verweisung im DRK-TV-Ost nicht erfasst, weil mit dem Beginn der Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG der bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Rechtszustand "eingefroren" wurde. Tritt ein Tarifvertrag, der dynamisch auf einen anderen verweist, in das Stadium der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG ein, so endet die Dynamik. Aus der dynamischen wird eine statische Verweisung auf den anderen Tarifvertrag in der Fassung, die er bei Ablauf des verweisenden Tarifvertrages hat. Das ergibt sich aus Folgendem:
Bei einer dynamischen Verweisung in einem Tarifvertrag auf eine andere tarifliche Regelung ist der verweisende Tarifvertrag selbst unvollständig. Er wird erst durch die in Bezug genommenen Regelungen vervollständigt. Diese sind der Sache nach Teil der Normen des verweisenden Tarifvertrages (Däubler/Bepler TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 824; Kempen/Zachert/Kempen Tarifvertragsgesetz 4. Aufl. § 4 Rn. 574). Die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG ist darauf beschränkt, bis zum Abschluss einer anderen Abmachung den bisherigen materiell-rechtlichen Zustand für das Arbeitsverhältnis beizubehalten (BAG 17. Mai 2000 - 4 AZR 363/99 - BAGE 94, 367, zu I 4 b der Gründe). Daher führt die Nachwirkung dazu, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag genauso wie der Bezug nehmende lediglich so weiter gilt, wie dieser bei seinem Ablauf galt (im Ergebnis wie hier: BAG 10. März 2004 - 4 AZR 140/03 - EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 36 und ständig; Däubler/Bepler § 4 Rn. 824; Däubler/Reim § 1 Rn. 189; Wiedemann/Thüsing 7. Aufl. § 1 TVG Rn. 232; Kempen/Zachert/Kempen aaO; Jacobs/Krause/Oetker Tarifvertragsrecht § 8 Rn. 41; aA Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I S. 873). Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag - wie hier - zum Zeitpunkt des Ablaufs keine zukünftigen Änderungen vorsah und erst später, im Nachwirkungszeitraum, abgeschlossene Tarifverträge zu einer Änderung führen.
Es ist deshalb entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts unerheblich, ob der in Bezug genommen Tarifvertrag noch in einer "gültigen Fassung" existiert. Die Bezugnahme wirkt wie eine wörtliche Übernahme der Regelung aus dem in Bezug genommenen Tarifvertrag in den verweisenden Tarifvertrag (Däubler/Reim § 1 Rn. 175). Mit Eintritt der Nachwirkung bleibt sie dort unabhängig von der weiteren Entwicklung des in Bezug genommenen Tarifvertrages "stehen". Bei einer Aufhebung des in Bezug genommenen Tarifvertrages besteht keine ausfüllungsbedürftige Lücke.
Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die Tarifvertragsparteien des DRK-TV-Ost eine dynamische Verweisung vereinbart haben. Der Geltungswille der Tarifvertragsparteien endet regelmäßig mit Ablauf des Tarifvertrages (vgl. Däubler/Bepler § 4 Rn. 824; Kempen/Zachert/Kempen aaO). Die Rechtswirkungen der Nachwirkung folgen aus dem Gesetz. Ob etwas anderes gilt, wenn dem verweisenden Tarifvertrag der Wille zu entnehmen ist, dass die Bezug nehmende Klausel auch dann als dynamische zu verstehen sein soll, wenn der Tarifvertrag abgelaufen ist, kann dahingestellt bleiben. Für einen derartigen - ungewöhnlichen - Willen gibt es hier keinen Anhaltspunkt.
III. Sonstige Gründe, die es dem Beklagten ermöglichen sollen, die Beiträge einzubehalten, macht er nicht geltend; solche Gründe sind auch nicht ersichtlich.
Ende der Entscheidung
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