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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 15.02.2006
Aktenzeichen: 4 AZR 4/05
Rechtsgebiete: BEngeltTV, Haustarifvertrag der Arbeitgeberin vom 12. Juni 2003


Vorschriften:

BEngeltTV § 10 und Protokollnotiz Nr. 6 Abs. 2
Haustarifvertrag der Arbeitgeberin vom 12. Juni 2003
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT

Im Namen des Volkes!

URTEIL

4 AZR 4/05

Verkündet am 15. Februar 2006

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bott und Dr. Wolter sowie die ehrenamtliche Richterin Scherweit-Müller und den ehrenamtlichen Richter Valentien für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 21. Oktober 2004 - 1 Sa 66/04 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 5. Februar 2004 - 1 Ca 3385/03 - wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab Juni 2003 die erhöhte Vergütung nach dem Entgelttarifvertrag für die chemische Industrie Schleswig-Holstein zu zahlen.

Der am 25. März 1943 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Januar 1976 als Anwendungstechniker beschäftigt. In dem die Einstellung bestätigenden Schreiben der Beklagten vom 24. November 1975 heißt es ua.:

"Ihre Einstufung erfolgt in T 5, und wir vereinbarten mit Ihnen ein Anfangsgehalt von brutto DM 2.200.-- monatlich.

Im übrigen kommen alle durch den Tarifverband fixierten Bedingungen zur Anwendung (Chemische Industrie und Kunststoffverarbeitung Schleswig-Holstein e.V.)."

Die Beklagte war weder zu Beginn des Arbeitsverhältnisses des Klägers noch zu einem späteren Zeitpunkt Mitglied des zuständigen Arbeitgeberverbandes. Das Arbeitsverhältnis ist in der Vergangenheit stets nach den Tarifverträgen für die chemische Industrie abgewickelt worden. Der Kläger wurde zuletzt nach der EntgeltGr. E13 vergütet.

Unter dem 20. Oktober 2000 schlossen die Parteien "auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes (AtG) und des Tarifvertrages der chemischen Industrie zur Förderung der Altersteilzeit" einen Vertrag über Altersteilzeit für die Zeit vom 1. Februar 2001 bis zum 31. März 2006. Seitdem erhält der Kläger monatlich 50 % des Gehalts eines Vollzeitbeschäftigten sowie Aufstockungsleistungen.

Zum 1. Juni 2003 wurde in der chemischen Industrie Schleswig-Holstein das Tarifgehalt für die EntgeltGr. E13 auf 3.920,00 Euro brutto monatlich erhöht. Am 12. Juni 2003 schloss die Beklagte mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie mit Wirkung zum 1. Juli 2003 "zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber tarifkonkurrierenden Unternehmen und zur Sicherung der Beschäftigung" einen Haustarifvertrag (HausTV). Dieser enthielt ua. die folgende Regelungen:

"§ 1 Geltungsbereich

Für die Arbeitnehmer ..., die unter den persönlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die chemische Industrie (MTV) fallen, finden mit Wirkung ab 01. Juli 2003 alle zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. / Chemie Nord Arbeitgeberverband für die chemische Industrie in Hamburg und Schleswig-Holstein und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Hauptvorstand Hannover / Landesbezirk Nord abgeschlossenen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung mit folgender Maßgabe:

§ 2 Arbeitszeit

1. Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt abweichend von § 2 I Ziffer 1 des Manteltarifvertrages für die chemische Industrie, ab 01. Juli 2003 bis einschließlich 30. Juni 2004, ausschließlich der Pausen 39,0 Stunden. ...

2. Die gleichzeitige Anwendung der Öffnungsklauseln § 2 I 3 MTV und § 10 des Entgelttarifvertrages für die chemische Industrie Deutschlands, sind mit der Maßgabe vereinbart, daß die um 4,0 % auf 39,0 Stunden pro Woche verlängerte Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich geleistet wird.

...

§ 3 Entgelte

1. Die Tariferhöhung für das Jahr 2003 wird für die tariflich bezahlten Mitarbeiter im Juli 2003 mit einer Einmalzahlung abgegolten und zwar für die Entgeltgruppen E 1 bis E 3 in Höhe von € 185,00

...

ab E 13 ohne Einmalzahlung.

...

2. Mit Wirkung vom 01. Juni 2004 steigen die bisherigen Entgelte für die Beschäftigten der Firma um 50 % der vereinbarten Tariferhöhungsprozente für die chemische Industrie Schleswig-Holstein.

§ 4 Besonderheiten

1. Die Jahresleistung gemäß dem entsprechenden Tarifvertrag Einmalzahlungen und Altersvorsorge für die chemische Industrie Deutschlands wird befristet auf das Jahr 2003 von 95 % auf 50 % eines tariflichen Monatsgehaltes reduziert. ... Diese Regelung gilt nicht für bereits abgeschlossene Altersteilzeitverträge.

...

§ 5 Schlußbestimmungen

...

2. Die Firma verpflichtet sich, unbefristet eingestellten Mitarbeitern bis zum 30. Juni 2004 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen."

Die Beklagte wandte diesen HausTV auf das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger an und gab deshalb die für die Zeit ab dem 1. Juni 2003 für die Arbeitnehmer der chemischen Industrie Schleswig-Holstein vereinbarte Erhöhung des Tarifgehalts an ihn nicht weiter.

Mit seiner Klage hat der Kläger diese höhere tarifliche Vergütung für den Zeitraum ab 1. Juni 2003 in der unstreitigen Höhe von 49,00 Euro monatlich verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf die Tariferhöhung ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag. An den HausTV sei er nicht gebunden, weil er nicht Mitglied der zuständigen Gewerkschaft sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 392,00 Euro brutto restliche Vergütung für die Monate Juni 2003 bis Januar 2004 zu zahlen nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 49,00 Euro seit dem 2. Juli 2003, 2. August 2003, 2. September 2003, 2. Oktober 2003, 2. November 2003, 2. Dezember 2003, 2. Januar 2004 und 2. Februar 2004,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab Februar 2004 monatlich weitere 49,00 Euro brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger zutreffend entsprechend den Regelungen im HausTV vergütet werde. Die Anwendbarkeit des HausTV ergebe sich aus dem Zweck der arbeitsvertraglichen Bezugnahme, die Beschäftigten unabhängig von der Gewerkschaftsmitgliedschaft gleichzustellen, und im Übrigen aus dem Grundsatz der Tarifeinheit.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist begründet.

I. Die Klage ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts begründet.

Dem Kläger steht die Tariferhöhung nach dem Entgelttarifvertrag für die chemische Industrie Schleswig-Holstein ab dem 1. Juli 2003 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem 31. März 2006 zu.

Auf das Arbeitsverhältnis finden auf Grund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme die jeweiligen Entgelttarifverträge für die chemische Industrie in SchleswigHolstein Anwendung. Es kann dahinstehen, ob auch der HausTV von dieser Bezugnahme erfasst wird. Jedenfalls gelten dessen Regelung über die Aussetzung bzw. Minderung der für die chemische Industrie in Schleswig-Holstein vereinbarten Tariferhöhungen nicht für das Altersteilzeitarbeitsverhältnis des Klägers.

1. Das Landesarbeitsgericht ist unter Bezugnahme auf die Begründung des Arbeitsgerichts zutreffend davon ausgegangen, dass auf Grund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme in dem Einstellungsschreiben der Beklagten vom 24. November 1975 die Tarifverträge für die chemische Industrie in ihrer jeweiligen Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Einstellungsschreibens und der sich daran anschließenden Vertragspraxis. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Arbeitsverhältnis stets nach den Tarifverträgen für die chemische Industrie abgewickelt worden. Der Kläger ist nach der Umstellung der Vergütungsgruppen auf die Entgeltgruppen E1 bis E13 auch entsprechend der jeweiligen tariflichen Vergütung nach der für ihn einschlägigen Entgeltgruppe E13 vergütet worden. Die sich hieraus ergebende Anwendbarkeit der einschlägigen Tarifverträge für die chemische Industrie in ihrer jeweiligen Fassung auf Grund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme ist von den Parteien in der Revision auch nicht mehr in Frage gestellt worden.

2. Auf Grund der arbeitsvertraglich begründeten Tarifgeltung auch des Entgelttarifvertrages für die chemische Industrie Schleswig-Holstein in der ab dem 1. Juni 2003 geltenden Fassung kann der Kläger auch die zu diesem Zeitpunkt wirksam gewordene Tariferhöhung verlangen. § 3 HausTV steht dem nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung soll zwar die Tariferhöhung nach dem Verbandstarifvertrag für das Jahr 2003 durch eine Ausgleichszahlung abgegolten und für die Zeit ab dem 1. Juni 2004 nur zu 50 % weitergegeben werden. Diese Regelung gilt aber nicht zu Lasten des Klägers. Dabei kann offen bleiben, ob der HausTV auf Grund der Klausel im Einstellungsschreiben Inhalt des Arbeitsvertrages der Parteien werden konnte. Mit dem HausTV vom 12. Juni 2003 konnte jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers in dessen bereits am 20. Oktober 2000 für die Zeit vom 1. Februar 2001 bis zum 31. März 2006 abgeschlossenes Altersteilzeitarbeitsverhältnis eingegriffen werden.

a) Das Landesarbeitsgericht hat im Sinne einer ergänzenden Vertragsauslegung die arbeitsvertragliche Bezugnahme dahin gehend ausgelegt, dass die einschlägigen Tarifverträge der chemischen Industrie einschließlich des abgeschlossenen HausTV anwendbar sein sollen. Ob das der Revision stand hält, kann offen bleiben, zumal das Landesarbeitsgericht für eine Festlegung des maßgeblichen Prüfungsmaßstabes keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat. Es hat nicht festgestellt, ob es sich bei dem Schreiben vom 24. November 1975 um eine typische Erklärung handelt, deren Auslegung in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüft werden kann, oder um eine individuelle Erklärung, deren Auslegung nur einer begrenzten Überprüfung zugänglich ist.

b) Die zeitweise Aussetzung und später nur verminderte Weitergabe der Tariferhöhung für die chemische Industrie Schleswig-Holstein ist jedenfalls auf das Altersteilzeitarbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar.

aa) Der HausTV ist nach seinem Wortlaut gemäß der Tariföffnungsklausel des § 10 des Bundesentgelttarifvertrages für die chemische Industrie (BEntgeltTV) abgeschlossen worden, die an sich für die von einer Zustimmung der Tarifvertragsparteien abhängigen Betriebsparteien geschaffen worden ist. Diese Bestimmung lautet im hier Wesentlichen:

"§ 10

Tariföffnungsklausel

Zur Sicherung der Beschäftigung und/oder zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland, insbesondere auch bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten, können Arbeitgeber und Betriebsrat mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien für Unternehmen und Betriebe durch befristete Betriebsvereinbarung bis zu 10 % von den bezirklichen Tarifentgeltsätzen abweichende niedrigere Entgeltsätze unter Beachtung des § 76 Absatz 6 BetrVG vereinbaren. ..."

Dass es sich beim HausTV um eine Regelung im Rahmen des § 10 BEntgeltTV handelt, die angesichts der fehlenden Tarifbindung der Beklagten bis zum 30. Juni 2003 in Form eines Haustarifvertrages statt einer unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die Tarifvertragsparteien stehenden Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, ergibt sich bereits aus dessen Einleitungssatz. Er spricht ausdrücklich die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung an und setzt in § 1 mit Wirkung zum 1. Juli 2003 auch alle vom Bundesarbeitgeberverband Chemie eV und der IG Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossenen Tarifverträge, also auch den BEntgeltTV, für die Beklagte in Kraft. Zugleich wird in § 2 Abs. 2 ausdrücklich auf die Anwendung der Öffnungsklauseln in § 2 I Abs. 3 MTV und § 10 BEntgeltTV mit einer nur die Arbeitszeit betreffenden Maßgabe verwiesen. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die Parteien des HausTV ihre Regelungen zur Absenkung der tariflichen Entgeltsätze in § 3 insgesamt § 10 BEntgeltTV unterstellt haben. Zu dieser Bestimmung ist aber eine Protokollnotiz Nr. 6 Abs. 2 vereinbart worden, die den folgenden Wortlaut hat:

"Die Anwendung der Tariföffnungsklausel darf nicht in bestehende Altersteilzeitarbeitsverhältnisse eingreifen."

Die Annahme, dass angesichts dessen die Entgeltabsenkung in § 3 HausTV in keinem Falle für Arbeitnehmer wie den Kläger gilt, die bei In-Kraft-Treten des HausTV bereits in einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis standen, wird durch die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 4 HausTV nicht in Frage gestellt. Die dortige Festlegung, dass die in § 4 HausTV vorgesehene Absenkung der Jahresleistung nicht für bereits abgeschlossene Altersteilzeitverträge gilt, bestätigt vielmehr das gefundene Auslegungsergebnis. § 10 BEntgeltTV gilt nur für Absenkungen des laufenden Entgelts, wie sie in § 3 HausTV vorgenommen werden, nicht für Jahresleistungen. Deshalb musste § 4 HausTV die Herausnahme der Altersteilzeitverträge aus der Absenkung der Jahresleistung ausdrücklich regeln, die sich für § 3 HausTV bereits aus der Inbezugnahme des § 10 BEntgeltTV ergibt.

bb) Das Auslegungsergebnis steht auch in Übereinstimmung mit dem erkennbaren Sinn und Zweck des HausTV. Der HausTV enthält ein aufeinander abgestimmtes Konzept zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, wenn mit diesen Regelungen nicht in bereits laufende Altersteilzeitarbeitsverhältnisse eingegriffen werden soll, in denen bereits der Beitrag der beteiligten Arbeitnehmer zur Beschäftigungssicherung festgelegt ist. Zudem profitieren kurz vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis stehende Arbeitnehmer in Altersteilzeit nicht mehr wesentlich von der mit dem HausTV angestrebten längerfristigen Absicherung der Beschäftigung.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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