Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.02.2000
Aktenzeichen: 4 AZR 422/99
Rechtsgebiete: Lohntarifvertrag f. d. Dachdeckerhandwerk


Vorschriften:

Lohntarifvertrag für das Dachdeckerhandwerk in Bayern vom 8. Juli 1997 § 1
Lohntarifvertrag für das Dachdeckerhandwerk in Bayern vom 8. Juli 1997 § 2 Anhang 1 u. 2
Leitsätze:

1. Der Lohntarifvertrag für das Dachdeckerhandwerk in Bayern vom 8. Juli 1997 enthält keine Tätigkeitsmerkmale für Facharbeiter mit bestandener Gesellenprüfung in einem anderen Beruf als demjenigen des Dachdeckers (hier: in demjenigen des Spenglers) und einer ihrem Beruf entsprechenden Tätigkeit.

2. Er enthält insoweit eine bewußte Regelungslücke, die nicht durch Heranziehung der Tätigkeitsmerkmale für Dachdecker in entsprechender Anwendung geschlossen werden darf.

Aktenzeichen: 4 AZR 422/99 Bundesarbeitsgericht 4. Senat Urteil vom 16. Februar 2000 - 4 AZR 422/99 -

I. Arbeitsgericht Würzburg - 10 Ca 3242/97 W - Urteil vom 17. Juni 1998

II. Landesarbeitsgericht Nürnberg - 7 Sa 738/98 - Urteil vom 8. Juni 1999


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! Urteil

4 AZR 422/99 7 Sa 738/98

Verkündet am 16. Februar 2000

Freitag, der Geschäftsstelle

In Sachen

Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,

pp.

Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Schliemann, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bott und Dr. Wolter sowie die ehrenamtlichen Richter Winterholler und von Dassel für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 8. Juni 1999 - 7 Sa 738/98 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 17. Juni 1998 - 10 Ca 3242/97 W - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Die Parteien streiten um die zutreffende Vergütung des Klägers und dabei insbesondere darüber, ob er in Lohngr. I des Lohntarifvertrages für das Dachdeckerhandwerk in Bayern vom 8. Juli 1997 (nachfolgend: LTV Dachdecker Bayern) eingruppiert ist.

Der am 15. Januar 1956 geborene Kläger verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung zum Spenglergesellen. Er steht seit dem 1. September 1972 in den Diensten der Beklagten, einem Betrieb des Dachdeckerhandwerks mit ca. 100 Arbeitnehmern. Der Kläger ist Mitglied der IG Bauen-Agrar-Umwelt, die Beklagte Mitglied der Dachdeckerinnung.

Die Beklagte unterhält in ihrem Betrieb eine Spenglerabteilung mit insgesamt 18 Arbeitnehmern, darunter dem Kläger, die von einem Spenglermeister geleitet wird. In dieser Abteilung verrichtet der von der Beklagten zum Vorarbeiter bestellte Kläger überwiegend Spenglerarbeiten.

Die Beklagte vergütet den Kläger nach den Lohntarifverträgen für gewerbliche Arbeitnehmer im Spenglerhandwerk etc. in Bayern, die zwischen dem Fachverband Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik Bayern und der Industriegewerkschaft Metall abgeschlossen wurden (nachfolgend: LTV-Spengler Bayern). Unter Anwendung des LTV-Spengler Bayern vergütete die Beklagte die Tätigkeit des Klägers in der Zeit von August 1997 bis April 1998 mit 25,82 DM brutto in der Stunde.

Der Kläger ist der Auffassung, der LTV-Spengler Bayern sei nicht anwendbar. Weder er noch die Beklagte seien Mitglied der Parteien dieses Tarifvertrages. Die Lohngruppe (LG) III a LTV Dachdecker Bayern erfordere nicht, daß die dort als Eingruppierungsvoraussetzung genannte bestandene Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk abgelegt worden sein müsse. In diese Lohngruppe seien auch Arbeitnehmer eingruppiert, die die Gesellenprüfung in einem anderen Beruf, zB demjenigen des Klempners, bestanden hätten, wenn diese im Dachdeckerhandwerk tätig seien. Entsprechendes gelte für die darauf aufbauenden LG II und I. Er erfülle auch ansonsten die Anforderungen der letztgenannten Lohngruppe. Daher stehe ihm als Vorarbeiter im Dachdeckerhandwerk der Tariflohn der LG I LTV Dachdecker Bayern zu, der in der Zeit von August 1997 bis April 1998 - dies ist unstreitig - 27,26 DM brutto betragen habe. Dementsprechend habe er Anspruch auf Nachzahlung von - rechnerisch unstreitig - 1.577,88 DM brutto und auf Vergütung nach LG I LTV Dachdecker Bayern ab 1. Mai 1998.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.577,88 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 15. Juni 1998 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 1. Mai 1998 entsprechend der Lohngr. I des Lohntarifvertrages für das Dachdeckerhandwerk in Bayern vom 8. Juli 1997 zu vergüten.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Eingruppierungsmerkmale der LG I bis III b LTV Dachdecker Bayern erforderten die bestandene Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk. Dies ergebe sich mit aller Deutlichkeit aus den Anforderungen der LG III b LTV Dachdecker Bayern für Dachdecker-Junggesellen. Dies seien Arbeitnehmer in den ersten 18 Monaten nach bestandener Gesellenprüfung, die im Dachdeckerhandwerk tätig seien und gemäß ihrer Berufsausbildung die einschlägigen Arbeiten fachgerecht nach Anweisung ausführten. Diese Anforderungen könne nur ein Junggeselle erfüllen, der die Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk bestanden habe. Auch die darauf aufbauenden Lohngruppen enthielten die Anforderung der bestandenen Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk.

In den meisten Betrieben, die dem Landesinnungsverband des Bayerischen Dachdeckerhandwerks angeschlossen seien, sei es üblich, daß eigene Spenglerabteilungen bestünden und deren Mitglieder nach den Spenglertarifverträgen entlohnt würden. Damit sei der Kläger besser gestellt als bei seiner Vergütung nach dem LTV Dachdecker Bayern, weil er danach lediglich in LG III c LTV Dachdecker Bayern - angelernter Facharbeiter - einzugruppieren sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach der LG I LTV Dachdecker Bayern. Seine Klage ist daher sowohl hinsichtlich des Zahlungs- als auch des Feststellungsantrages abzuweisen.

1. Zwischen den Parteien gilt gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend der LTV Dachdecker Bayern, abgeschlossen vom Landesinnungsverband für das Bayerische Dachdeckerhandwerk und der IG Bauen-Agrar-Umwelt, Landesverband Bayern. Die Voraussetzungen des § 1 LTV Dachdecker Bayern, der "räumlich" gilt für den "Freistaat Bayern" (Ziff. 1), "persönlich" für "alle Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben" (Ziff. 2) und "fachlich" für "alle Betriebe und selbständigen Betriebsabteilungen des Dachdeckerhandwerks" (Ziff. 3), sind sämtlich streitlos erfüllt.

2. Hinsichtlich der ab 1. Juli 1997 geltenden Tarifstundenlöhne verweist § 2 Abs. 2 LTV Dachdecker auf die diesem Tarifvertrag anhängende "Lohntafel", "die Bestandteil dieses Vertrages ist (Anhang 1)". Diese lautet:

Anhang 1

LOHNTAFEL

für das

Dachdeckerhandwerk in Bayern

gültig ab 01. Juli 1997

Unter Zugrundelegung einer regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, ausschließlich der Ruhepausen, von 39 Stunden, gelten folgende Lohnsätze:

Tariflohn ab 01.07.1997 DM I.

Dachdecker- Vorarbeiter (siehe Anhang) 27,26 II.

Dachdecker - Fachgeselle (ab dem 4. Beschäftigungsjahr), Kranführer (siehe Anhang) 25,59

III. a) Dachdecker-Geselle

Dies sind Arbeitnehmer nach bestandener Gesellenprüfung vom 19. Beschäftigungsmonat bis zum Ende des 3. Beschäftigungsjahres, die im Dachdeckerhandwerk tätig sind und die einschlägigen Arbeiten fachgerecht nach Anweisung ausführen. 23,67

b) Dachdecker-Geselle

Dies sind Arbeitnehmer in den ersten 18 Monaten nach bestandener Gesellenprüfung die im Dachdeckerhandwerk tätig sind und gemäß ihrer Berufsausbildung die einschlägigen Arbeiten fachgerecht nach Anweisung ausführen 21,50

c) Angelernter Facharbeiter (siehe Anhang) 23,43 IV.1.

Dachdeckerhelfer nach vollend. 18. Lebensjahr

a) ab 3. Jahr der Berufs- und Betriebszugehörigkeit 21,08

b) ab 3. Jahr der Berufszugehörigkeit zum Dachdeckerhandwerk 20,86

c) ab 5. Monat der Berufszugehörigkeit bis zum Ablauf von 2 Jahren 19,84

d) in den ersten 4 Monaten der Berufszugehörigkeit zum Dachdeckerhandwerk 18,77 IV.2.

Dachdeckerhelfer vor vollend. 18 Lebensjahr (85 % der Lohngruppe IV.1.d.) 15,95

Der in verschiedenen Tätigkeitsmerkmalen in Klammern genannte Anhang (Anhang 2 zum LTV Dachdecker Bayern) hat folgenden Wortlaut:

Anhang 2

zum TARIFVERTRAG

für das

Dachdeckerhandwerk in Bayern

vom 08. Juli 1997

Tätigkeitsmerkmale für nachstehende Berufsgruppen:

Dachdecker-Vorarbeiter

ist derjenige Arbeitnehmer, der die fachliche Voraussetzung des Dachdeckergesellen erfüllt und aufgrund seiner besonderen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen umfangreiche Baustellen verantwortlich ausführt und in organisatorischer Hinsicht ohne nähere Anweisung leitet, wobei ihm Arbeitnehmer anderer Lohngruppen nachgeordnet sind.

Zum Aufgabenbereich gehören:

Verhandeln mit Architekten über technische Details, Lösung von technischen Aufgaben mittleren Schwierigkeitsgrades, Anfertigen von Skizzen und von Details, Materialdisposition, das Erstellen von Aufmaßen zu Abrechnungen mit Skizzen.

Dachdecker-Fachgeselle

ist derjenige Arbeitnehmer, der mindestens 3 Jahre nach bestandener Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk tätig war und aufgrund seiner fachlichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen in der Lage ist, die einschlägigen Arbeiten in angemessener Zeit und nach Anweisung fachgerecht und einwandfrei sowie nach Plan auszuführen.

Er muß außerdem in der Lage sein, die ihm zugeteilten Arbeitnehmer sinnvoll einzusetzen. Zu seinen Aufgaben gehört auch das Anfertigen von Arbeitsberichten, aufgegliedert nach Einzelleistung oder entsprechend dem Leistungsverzeichnis.

Ein Dachdecker-Fachgeselle mit überdurchschnittlichen Leistungen kann im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen vom Arbeitgeber zum Dachdecker-Vorarbeiter ernannt werden.

Kranführer, die als solche arbeitsvertraglich für diese Tätigkeit eingestellt sind.

Angelernter Facharbeiter (Lohngruppe III c)

ist derjenige Arbeitnehmer, der sich in der Regel durch eine 6-jährige praktische Tätigkeit Kenntnisse und Fertigkeiten angeeignet hat, die einer einschlägigen Berufsausbildung im Dachdeckerhandwerk gleichzustellen ist.

Arbeitnehmer der Lohngruppe III c (angelernte Facharbeiter) die sich weiterbilden und ihren Gesellenbrief nachmachen, haben nach Bestehen der Prüfung Anspruch auf Eingruppierung in die Lohngruppe III a.

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf den Tarifstundenlohn der LG I LTV Dachdecker Bayern.

a) Der Kläger übt nicht die Tätigkeit eines "Dachdecker-Vorarbeiters" im Sinne dieser Lohngruppe aus. Die Tätigkeit als Vorarbeiter von nachgeordneten Arbeitnehmern, die Tätigkeiten außerhalb des Dachdeckerhandwerks ausführen, erfüllt nicht diese Anforderung. Darin folgt der Senat der Auslegung des Landesarbeitsgerichts.

aa) Für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages gelten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. zB Senat 10. März 1999 - 4 AZR 516/98 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 265 mwN auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

bb) Nach Wortlaut und Gesamtzusammenhang des LTV Dachdecker Bayern ist "Dachdecker-Vorarbeiter" nur ein Vorarbeiter, der die Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk bestanden hat.

(1) Das Tätigkeitsmerkmal des "Dachdecker-Vorarbeiters" haben die Tarifvertragsparteien in dem Anhang 2 zum LTV Dachdecker Bayern näher bestimmt. Die erste Voraussetzung dieses Tätigkeitsmerkmals beschreiben sie dahin, "Dachdecker-Vorarbeiter" sei "derjenige Arbeitnehmer, der die fachliche Voraussetzung des Dachdeckergesellen erfüllt". Dachdeckergeselle ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Arbeitnehmer, der die Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk bestanden hat.

(2) Der Gesamtzusammenhang des LTV Dachdecker Bayern bestätigt diese Auslegung. Den Begriff des "Dachdeckergesellen" haben die Tarifvertragsparteien auch in den LG III a und III b LTV Dachdecker Bayern verwandt, hier in der Schreibweise "Dachdecker-Geselle". Unter dem "Dachdecker-Gesellen" der LG III b LTV Dachdecker Bayern, die durch den LTV Dachdecker Bayern mit Wirkung vom 1. Juli 1997 neu in die Lohntafel "eingeführt" worden ist (§ 2 Abs. 4 LTV Dachdecker Bayern), verstehen die Tarifvertragsparteien "Arbeitnehmer in den ersten 18 Monaten nach bestandener Gesellenprüfung, die im Dachdeckerhandwerk tätig sind und gemäß ihrer Berufsausbildung die einschlägigen Arbeiten fachgerecht nach Anweisung ausführen". Diese Norm stellt zwar nicht ausdrücklich die Anforderung einer "Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk auf", worauf der Kläger verweist und daraus folgert, die Anforderung sei auch bei einer bestandenen Gesellenprüfung in einem anderen Beruf erfüllt, der Geselle müsse allerdings im Dachdeckerhandwerk tätig sein. Diese Auslegung ist jedoch nicht haltbar, wie gerade die Gesamtbetrachtung der Anforderungen für den Tarifstundenlohn der LG III b LTV Dachdecker Bayern zeigt. Ein Arbeitnehmer ist nur dann befähigt, in den ersten 18 Monaten nach bestandener Gesellenprüfung - und damit auch unmittelbar nach deren Ablegung - im Dachdeckerhandwerk "die einschlägigen Arbeiten fachgerecht nach Anweisung auszuführen", wenn er die Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk und nicht in einem anderen Beruf abgelegt hat, wie die Beklagte mit Recht geltend macht. Jede andere Auslegung bedarf der Anführung konstruierter Fallgestaltungen, an denen sich eine auf die regelmäßigen Sachverhalte des Arbeitslebens zugeschnittene Vergütungsordnung nicht orientiert.

Dementsprechend wird auch in LG III a LTV Dachdecker Bayern die bestandene Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk vorausgesetzt und für den Dachdeckergesellen nach 18monatiger Beschäftigung im Dachdeckerhandwerk ein höherer Tarifstundenlohn vereinbart.

Bestätigt wird diese Auslegung schließlich durch die Regelung im Anhang 2 für angelernte Facharbeiter. Danach ist angelernter Facharbeiter "derjenige Arbeitnehmer, der sich in der Regel durch eine 6jährige praktische Tätigkeit Kenntnisse und Fertigkeiten angeeignet hat, die einer einschlägigen Berufsausbildung im Dachdeckerhandwerk gleichzustellen ist". Der angelernte Facharbeiter der LG III c LTV Dachdecker Bayern muß danach im Beruf des Dachdeckers angelernt worden sein, denn nur dann kann er sich durch sechsjährige praktische Tätigkeit Kenntnisse und Fertigkeiten angeeignet haben, die "einer einschlägigen Berufsausbildung im Dachdeckerhandwerk" gleichzustellen sind. Wenn der LTV Dachdecker Bayern den Aufstieg dieser Arbeitnehmer in die LG III a LTV Dachdecker Bayern für den Fall vorsieht, daß diese "ihren Gesellenbrief nachmachen", dann kann damit nur der Gesellenbrief im Dachdeckerhandwerk gemeint sein.

cc) Da der Kläger nicht die Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk, sondern diejenige im Spenglerhandwerk abgelegt hat, steht ihm nicht kraft Tarifvertrages der Lohn der LG I LTV Dachdecker Bayern für "Dachdecker-Vorarbeiter" zu.

b) Der LTV-Dachdecker Bayern enthält entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine unbewußte Regelungslücke für Vorarbeiter anderer Berufe, die durch die entsprechende Heranziehung des Eingruppierungsmerkmals "Dachdecker-Vorarbeiter" der LG I LTV Dachdecker Bayern zu schließen ist.

aa) Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht allerdings darin, daß die Lohntafel des LTV Dachdecker Bayern bei den Vergütungsgruppen für Arbeitnehmer mit bestandener Gesellenprüfung lückenhaft ist. Denn sie enthält - von dem Tätigkeitsmerkmal der LG II LTV Dachdecker Bayern für Kranführer abgesehen - lediglich Tätigkeitsmerkmale für Arbeitnehmer mit bestandener Gesellenprüfung im Dachdeckerhandwerk, nicht hingegen für Arbeitnehmer mit bestandener Gesellenprüfung in anderen Berufen und entsprechender Tätigkeit. Der erste Teil des Relativsatzes der Tätigkeitsmerkmale der LG III a und III b LTV Dachdecker Bayern - "die im Dachdeckerhandwerk tätig sind" - im Anschluß an die Voraussetzung "Arbeitnehmer nach bestandener Gesellenprüfung" kann nur als konkret tätigkeitsbezogene Anforderung verstanden werden. Es reicht also nicht aus, daß der Geselle mit bestandener Gesellenprüfung zwar in einem Betrieb des Dachdeckerhandwerks arbeitet, dort aber Facharbeitertätigkeiten eines anderen Berufes ausführt. In letzterem Sinne verstanden wäre der Relativsatz überflüssig, denn er wiederholte nur, was § 1 Ziff. 3 LTV Dachdecker Bayern für die Geltung dieses Tarifvertrags in fachlicher Hinsicht ohnehin voraussetzt. Arbeitnehmer mit bestandener Gesellenprüfung in einem anderen Beruf als demjenigen des Dachdeckerhandwerks könnten daher nur in die Lohngruppen für angelernte Facharbeiter (LG III c LTV Dachdecker Bayern) und Dachdeckerhelfer (LG IV LTV Dachdecker Bayern) eingruppiert sein. Dies ist nur dann sachgerecht, wenn sie berufsfremd lediglich Helfertätigkeiten im Dachdeckerhandwerk ausführen, nicht hingegen, wenn sie qualifizierte Tätigkeiten ihres erlernten Berufs verrichten. Letztere lediglich mit Helferlohn zu vergüten, ist nicht der Wille der Tarifvertragsparteien, die regelmäßig eine vernünftige, sachgerechte Regelung treffen wollen.

bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei der Nichtregelung der Löhne für fachfremde Facharbeiter wie den Kläger im LTV Dachdecker Bayern nicht um eine unbewußte, ggf. der Ausfüllung zugängliche, sondern eine bewußte Regelungslücke. Eine bewußte Lücke (Nichtregelung) in normativen Bestimmungen in einem Tarifvertrag darf von den Gerichten für Arbeitssachen grundsätzlich nicht geschlossen werden, denn die Gestaltung von Tarifverträgen hat Art. 9 Abs. 3 GG allein den Tarifvertragsparteien zugewiesen (Senat 21. Oktober 1992 - 4 AZR 88/92 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 165, unter III 2 b cc aE mwN; Wank in Wiedemann TVG 6. Aufl. § 1 Rn. 815 mwN).

Die Lohntafel des LTV Dachdecker Bayern enthält keine Regelungen für Arbeiter mit einer in einem anderen Beruf bestandenen Gesellenprüfung, hier Spengler, und entsprechender Tätigkeit in Betrieben oder selbständigen Betriebsabteilungen des Dachdeckerhandwerks. Insoweit liegt eine bewußte Lücke vor. Dies ergibt sich daraus, daß dem persönlichen Geltungsbereich nach § 1 Ziff. 2 LTV Dachdecker Bayern alle nach dem SGB VI rentenversicherungspflichtigen "Arbeitnehmer" unterfallen, während die tarifvertraglich normierten Lohnregelungen nur Arbeiter mit Dachdeckertätigkeit und Kranführer erfassen und somit nur für einen Teil der vom persönlichen Geltungsbereich des LTV Dachdecker Bayern erfaßten Arbeiter Regelungen enthalten. Diese äußerst deutliche Diskrepanz zwischen persönlichem Geltungsbereich und der Beschränkung der tariflichen Inhaltsregelungen über Arbeitsentgelte für Arbeiter - vom Kranführer abgesehen - nur auf solche mit Dachdeckertätigkeiten innerhalb desselben Tarifwerkes kann angesichts dessen, daß im Dachdeckerhandwerk, zumindest in den größeren Betrieben, traditionell auch Handwerksgesellen bzw. Facharbeiter mit anderen handwerklichen Ausbildungsabschlüssen, zB Spengler, Zimmerer, Maurer, mit Tätigkeiten ihres Berufs beschäftigt werden, nur so verstanden werden, daß Tarifvertragsparteien für diese wissentlich keine Regelungen getroffen haben und deshalb eine bewußte Tariflücke vorliegt. Denn die berufsspezifische Beschäftigung fachfremder Handwerksgesellen und Facharbeiter war den Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung des LTV Dachdecker Bayern bekannt. Anders ist nicht schlüssig zu erklären, daß sie - vom Kranführer abgesehen (LG II LTV Dachdecker Bayern) - für alle Lohngruppen in den normierten Tätigkeitsmerkmalen jeweils die Verrichtung von Facharbeiter- bzw. Helfertätigkeiten des Dachdeckerhandwerks fordern. Dies macht deutlich, daß die Tarifvertragsparteien - aus welchen Gründen auch immer - für fachfremde Facharbeiter mit entsprechender Tätigkeit, wie zB Spengler, keine Lohnregelung treffen wollen (ebenso Müssig Tarif- und Arbeitsrecht im Dachdeckerhandwerk 2. Aufl. [Stand 1998] für die ähnlich gestaltete Lohngruppeneinteilung in § 21 des Rahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk - Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik - in der Bundesrepublik Deutschland vom 27. November 1990 in der Fassung vom 26. Juni 1998 Erl. zu § 21). Dementsprechend haben sie im Anhang 2 zum LTV Dachdeckerhandwerk Bayern ausdrücklich nur "Tätigkeitsmerkmale für nachstehende Berufsgruppen" vereinbart und gerade nicht für "die Arbeiter" - also alle Arbeiter - in Betrieben des Dachdeckerhandwerks.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück