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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 07.11.2001
Aktenzeichen: 4 AZR 663/00
Rechtsgebiete: MTV Einzelhandel


Vorschriften:

Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Einzelhandel im Lande Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1996 (MTV Einzelhandel) § 1 Abs. 2
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Einzelhandel im Lande Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1996 (MTV Einzelhandel) § 1 Abs. 3
Werden von einem Garten-Center gartenbauliche Erzeugnisse (zB Zier- und Grünpflanzen und -gehölze) angekauft und von diesem erst mehrere Monate später wieder verkauft, so ist dies kein Einzelhandel.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

4 AZR 663/00

Verkündet am 7. November 2001

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Schliemann, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bott und Dr. Friedrich, die ehrenamtlichen Richter Fieberg und Jürgens für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. August 2000 - 3 Sa 134/00 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche, die der Kläger auf allgemeinverbindliche Tarifverträge für den Einzelhandel im Lande Nordrhein-Westfalen stützt. Dabei geht der Streit der Parteien im wesentlichen darum, ob die Beklagte dem fachlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge unterfällt.

Der am 5. September 1962 geborene verheiratete Kläger ist gelernter Gärtner. Er steht seit dem 6. Mai 1991 in den Diensten der Beklagten, die acht Arbeitnehmer beschäftigt. Das monatliche Bruttogehalt des in der Baumschulabteilung beschäftigten Klägers betrug 1998 und 1999 3.000,00 DM bei einer Wochenarbeitszeit von 39,5 Stunden.

Die Beklagte, die Mitglied des Landesverbandes Gartenbau Westfalen-Lippe e.V. ist, betreibt nach den gewerberegisterlichen und handelsregisterlichen Eintragungen ein Garten-Center, dessen Gegenstand der Handel mit Pflanzen, Gehölzen, Gartenbedarf, Zubehörartikeln und ähnlichen Gegenständen ist, und übernimmt Gartengestaltungs- und ähnliche Geschäfte. Im einzelnen führt sie Baumschulpflanzen, Gemüsesamen und -pflanzen, Blumensamen und -zwiebeln, Topf-, Trocken- und Schnittblumen, Zimmerpflanzen, Gartengeräte und Keramik. Darüber hinaus verkauft sie Gartenbedarfsartikel wie Torf, Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel. In der Blumenabteilung handelt sie auch mit Zierbändern und Blumenschmuck. Schließlich wird ein Vertikutierer an Kunden vermietet. Die nach einer durchschnittlichen Umschlagsdauer von etwa vier Monaten von ihr verkauften gartenbaulichen Erzeugnisse zieht die Beklagte nicht selbst, sondern bezieht sie sämtlich von Dritten. Ob die Beklagte den überwiegenden Teil der gartenbaulichen Erzeugnisse von ihrer Muttergesellschaft F. M. VOF in den Niederlanden bezieht, wie die Beklagte behauptet, ist unter den Parteien streitig. Letzteres gilt auch für die im einzelnen von den Arbeitnehmern der Beklagten ausgeübten Tätigkeiten.

Der Kläger macht geltend, er habe über die von der Beklagten gewährten Leistungen hinausgehende Ansprüche auf Gehalt, vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers und zusätzliches Urlaubsgeld. Gegenstand seiner im Laufe des Rechtsstreits erweiterten Zahlungsklage sind - rechnerisch unstreitige - restliche Gehaltsansprüche für die Monate Februar 1998 bis Juni 1999, vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers ab Juni 1998 bis Juni 1999 und zusätzliches Urlaubsgeld für 1998.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis der Parteien unterfalle dem fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge für die Beschäftigten des Einzelhandels im Lande Nordrhein-Westfalen, da der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit der Beklagten im Handel mit Pflanzen liege. Auch seine Aufgabe in der Baumschulabteilung sei es, die in seiner Obhut befindlichen Pflanzen zu präsentieren und entsprechend zu verkaufen. Unzutreffend sei, daß er nur gärtnerische Leistungen erbringe.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.249,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Zustellung der Klage zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.250,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.500,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie falle nicht unter den Geltungsbereich der Tarifverträge für den Einzelhandel. Da sie ein Garten-Center betreibe, werde sie vom Geltungsbereich der Tarifverträge für Arbeitnehmer im Erwerbsgartenbau und in den Friedhofsgärtnereien erfaßt. Zwar treffe es zu, daß die Pflanzen, aus deren Verkauf sie 75 % ihres Umsatzes erziele, nicht von ihr selbst gezogen würden; zur Produktion gehöre ihrer Meinung nach aber auch der Erhalt von Pflanzen. Diese müßten als lebende Objekte erhalten werden, wozu das Düngen und Gießen, das Schneiden und das Entfernen vertrockneter Blätter und Blumen gehörten. Abgesehen davon beziehe sie die gärtnerischen Erzeugnisse zu 99 % von ihrer Muttergesellschaft aus den Niederlanden, die dort eine Baumschule betreibe. Soweit sie Pflanzen von der Muttergesellschaft beziehe und verkaufe, betreibe sie Urproduktion. Der Verkauf der Produkte geschehe im übrigen im Wege der Selbstbedienung; nur verschiedentlich würden Kunden beraten, was im Jahresdurchschnitt keine 10 % der Arbeitszeit in Anspruch nehme.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Mit Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen.

I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien fällt nicht unter den fachlichen Geltungsbereich der allgemeinverbindlichen Tarifverträge für den Einzelhandel im Lande Nordrhein-Westfalen, auf deren Vorschriften - Gehaltstarifvertrag vom 29. Juni 1998, Rahmentarifvertrag über vermögenswirksame Leistungen und Tarifvertrag über Sonderzahlungen, beide vom 20. September 1996 - der Kläger seine Ansprüche auf restliches Gehalt für die Monate Februar 1998 bis Juni 1999, auf den Arbeitgeberanteil zu den vermögenswirksamen Leistungen für die Monate Juni 1998 bis Juni 1999 und auf das zusätzliche tarifliche Urlaubsgeld für das Jahr 1998 stützt.

1. Das hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls angenommen und in seiner Hauptbegründung ausgeführt, Handel werde betrieben, wenn hauptamtlich Waren, an denen mit Ausnahme geringfügiger Veredlungs- und Pflegeleistungen keine grundsätzlichen produktionstechnischen Veränderungen vorgenommen würden, kollektiert und distribuiert würden, wobei als geringfügige Be- und Verarbeitung beispielsweise Sortieren und Abpacken gelte. Danach sei der Verkauf der von der Beklagten angekauften Pflanzen unterschiedlicher Art kein Handel, da während der durchschnittlich viermonatigen Verweildauer im Betrieb der Beklagten in nicht unerheblichem Umfang Pflegeleistungen vorgenommen werden müßten. Bezüglich des Verkaufs nichtpflanzlicher Fremdprodukte durch die Beklagte habe der Kläger nicht dargelegt, daß es sich hierbei um die überwiegende Geschäftstätigkeit der Beklagten handele.

2. Diese Ausführungen sind rechtsfehlerfrei.

a) Die eingangs genannten Tarifverträge nehmen hinsichtlich ihres Geltungsbereichs sämtlich auf § 1 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer im Einzelhandel im Lande Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1996, in Kraft getreten am 1. November 1996 und erstmalig kündbar zum 31. Dezember 1999, Bezug, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend festgestellt hat. Dieser lautet, soweit hier von Interesse:

...

(2) Der Tarifvertrag gilt für alle Unternehmen des Einzelhandels einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenbetriebe sowie für die von diesen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer. Die Mitglieder der vertragsschließenden Parteien sind tarifgebunden.

(3) Der Tarifvertrag gilt auch

a) in Versandunternehmen des Einzelhandels;

b) in Filialunternehmen des Einzelhandels, dazu gehören auch die Verkaufsstellen der Lebensmittelfilialbetriebe, ihre Hauptverwaltungen, Nebenbetriebe und Läger;

c) in Betrieben, deren Schwerpunkt im Einzelhandel liegt;

...

b) Bei dem Unternehmen der Beklagten handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um ein Unternehmen/einen Betrieb des Einzelhandels im Sinne der vorzitierten Bestimmungen. Denn dem Vortrag des Klägers ist nicht zu entnehmen, daß die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer der Beklagten auf Tätigkeiten im Einzelhandel fällt. Der An- und Verkauf eines breiten Sortiments gartenbaulicher Erzeugnisse (Pflanzen, Gehölze etc.) mit entsprechendem mehrmonatigem Pflegeaufwand ist kein Einzelhandel. Soweit die Beklagte andere Erzeugnisse an- und verkauft, ist vom Kläger nicht dargelegt, daß dies ihre überwiegende Geschäftstätigkeit ist.

aa) Handel im institutionellen Sinne umfaßt alle Institutionen, die Handel im funktionellen Sinne betreiben, dh. die hauptamtlich Waren, an denen mit Ausnahme geringfügiger Veredlungs- und Pflegeleistungen keine grundsätzlichen produktionstechnischen Veränderungen vorgenommen wurden, kollektieren und distribuieren. Als geringfügige Be- und Verarbeitung gelten zB Sortieren, Abpacken (Senat 26. August 1998 - 4 AZR 471/97 - BAGE 89, 324). Davon ist das Landesarbeitsgericht mit Recht ausgegangen.

Der An- und Verkauf gartenbaulicher Erzeugnisse ist jedenfalls dann kein Einzelhandel, wenn wegen der Länge der Umschlagsdauer die spezifisch gärtnerische Pflege dieser Erzeugnisse erforderlich ist. Dies ist bei der vom Landesarbeitsgericht festgestellten "durchschnittlichen Verweildauer der Pflanzen" im Betrieb der Beklagten von etwa vier Monaten der Fall. Die bei dieser Länge der Umschlagsdauer erforderlichen gärtnerischen Tätigkeiten überschreiten deutlich das Maß einer nur geringfügigen Warenpflege. Bei einer mehrmonatigen - hier: etwa viermonatigen - Umschlagsdauer müssen zB die individuellen Bedürfnisse der Pflanzen nach Standort, Temperatur, Licht und Bodenfeuchtigkeit berücksichtigt werden. Die bedarfsgerechte Pflege in dieser Zeit zB hinsichtlich Bewässerung, Düngung, Schnitt, Erkennen und Bekämpfung von Krankheiten - insbesondere auch durch vorschriftsmäßige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln - erfordert die ständige aufmerksame Beobachtung durch den Gärtner und dessen fachgerechtes Tätigwerden. Dessen Ausbildung umfaßt demgemäß auch die Pflanzenpflege bis zum Verkauf, ihre verkaufsfördernde Präsentation und den Verkauf selbst (Blätter zur Berufskunde 1-V A 102 Gärtner/Gärtnerin 8. Aufl. 1999 zu Ziff. 1.2.1 Gärtner Fachrichtung Baumschule, 1.2.6 Gärtner Fachrichtung Staudengärtnerei, 1.2.7 Gärtner Fachrichtung Zierpflanzenbau). Gärtnerisches Fachpersonal arbeitet dementsprechend nicht selten in Garten-Centern (Blätter zur Berufskunde aaO zu Ziff. 1.3). Die Besonderheiten des Handels mit gartenbaulichen Erzeugnissen finden vielfach in tariflichen Regelungen ihren Niederschlag, nach denen auch Betriebe, "die ausschließlich oder überwiegend gartenbauliche Erzeugnisse ... an- und verkaufen" zu den "Betrieben des Gartenbaues" rechnen (zB Rahmentarifvertrag für Angestellte in Gartenbaubetrieben in den Ländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Hessen vom 12. Juni 1998). Dies war auch bei dem Rahmentarifvertrag für Angestellte im Erwerbsgartenbau und in den Friedhofsgärtnereien in Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 1991 der Fall. Diese Betriebe werden in dem Manteltarifvertrag für diesen Tarifbereich vom 28. April 1994 nunmehr kurz als "Garten-Center" dessen fachlichem Geltungsbereich zugeordnet.

bb) Ein Garten-Center wie dasjenige der Beklagten, das ein umfangreiches breitgestreutes Sortiment gartenbaulicher Erzeugnisse führt, die es ankauft und nach einer durchschnittlichen Umschlagsdauer von mehreren - hier: vier - Monaten an Endabnehmer verkauft, betreibt nach alledem keinen Einzelhandel.

cc) Einzelhandel wird von der Beklagten somit nur insoweit betrieben, als diese andere als gartenbauliche Erzeugnisse verkauft, die sie zu diesem Zwecke ankauft.

Verfolgt ein Betrieb mehrere Geschäftszwecke (Mischbetrieb) kommt es nach der Rechtsprechung für seine fachliche Zuordnung im Tarifrecht darauf an, auf welche Geschäftstätigkeit die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer entfällt (Senat aaO mwN).

Daß auf den Handel mit nicht gartenbaulichen Erzeugnissen die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer der Beklagten entfällt, behauptet der Kläger selbst nicht. Darauf hat das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen. Dies greift der Kläger nicht an.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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