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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 22.10.2008
Aktenzeichen: 4 AZR 789/07
Rechtsgebiete: TVG, BMT-G II, Anlage 1 zum BMT-G II, BTV Nr. 4, TV-N Bayern


Vorschriften:

TVG § 1
TVG § 4
BMT-G II vom 31. Januar 1962 § 2
BMT-G II vom 31. Januar 1962 § 62
Anlage 1 zum BMT-G II § 28
BTV Nr. 4 vom 8. November 1962 § 15
TV-N Bayern vom 18. August 2006 § 22
TV-N Bayern vom 18. August 2006 § 24
Eine andere Abmachung iSd. § 4 Abs. 5 TVG, die die Rechtsnormen eines nachwirkenden Tarifvertrag ersetzen soll, kann auch schon vor Eintritt der Nachwirkung abgeschlossen werden. Die andere Abmachung muss allerdings von ihrem Regelungswillen darauf gerichtet sein, eine bestimmte bestehende Tarifregelung in Anbetracht ihrer bevorstehenden Beendigung und des darauf folgenden Eintritts der Nachwirkung abzuändern.
Im Namen des Volkes! URTEIL

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Creutzfeldt und Dr. Treber sowie die ehrenamtlichen Richter Hardebusch und Hess für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. September 2007 - 2 Sa 63/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf einen Lohnstandssicherungslohn und in diesem Zusammenhang über die Nachwirkung eines Tarifvertrages.

Der Kläger war seit November 1989 bei der Stadt M und nach der Ausgliederung der damals als Eigenbetrieb geführten Stadtwerke M bei der Beklagten als U-Bahn-Fahrer beschäftigt. Der zwischen der Stadt M und dem Kläger im Dezember 1989 geschlossene Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 2

Das Arbeitsverhältnis regelt sich nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) in ihrer jeweils geltenden Fassung bzw. nach den an deren Stelle tretenden tariflichen Bestimmungen. Daneben finden die für den Bereich der Stadtverwaltung München jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge Anwendung."

Für Arbeiter, die im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben beschäftigt sind, gilt nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (idF vom 31. Januar 2003; nachfolgend: BMT-G) der Tarifvertrag mit der Sondervereinbarung Anlage 1, die zugleich Bestandteil des Tarifvertrages ist. § 16 Anlage 1 BMT-G - "Sondervereinbarung gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BMT-G für Arbeiter im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben" - sieht für Arbeiter im Falle der Fahrdienstuntauglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine Lohnstandssicherung vor. Nach § 28 Anlage 1 BMT-G gilt diese Sondervereinbarung nicht im Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern (nachfolgend: KAV Bayern). Der zwischen der Gewerkschaft ÖTV, Bezirk Bayern (nunmehr ver.di, Landesbezirk Bayern) und dem KAV Bayern geschlossene Bezirkstarifvertrag Nr. 4 als "Sondervereinbarung gem. § 2 Buchst. a BMT-G" (nachfolgend: BTV Nr. 4) regelt in § 15 Abs. 1 eine Lohnstandssicherung für Arbeiter, die fahrdienstuntauglich werden und bis zum Eintritt der Fahrdienstuntauglichkeit länger als 15 Jahre bei demselben Nahverkehrsbetrieb, davon mindestens 10 Jahre im Fahrdienst, beschäftigt waren, wenn sie im Bereich desselben Arbeitgebers weiter beschäftigt werden. Der BTV Nr. 4 wurde von dem KAV Bayern mit Wirkung zum 30. Juni 2004 gekündigt.

Der Kläger war ab dem Monat April 2005 zunächst arbeitsunfähig und seit dem 9. Oktober 2005 fahrdienstuntauglich. Mit Wirkung vom 10. Oktober 2005 wurde er als Werkstättenfahrer im Schichtdienst eingesetzt und in eine niedrigere Entgeltgruppe eingruppiert. Seine Forderung auf Zahlung einer Lohnstandssicherung nach § 15 BTV Nr. 4 lehnte die Beklagte ab.

Am 18. August 2006 schlossen der KAV Bayern und die Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Bayern, einen Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Bayern - TV-N Bayern (nachfolgend: TV-N). Dort heißt es:

"§ 22 Ablösung bisheriger Tarifverträge

(1) Der TV-N ersetzt den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe - BMT-G II - vom 31. Januar 1962 sowie die diese Tarifverträge ergänzenden Tarifverträge der VKA.

(2) Mit Inkrafttreten des TV-N treten außer Kraft:

- der Bezirkstarifvertrag Nr. 4 zum BMT-G II vom 8. November 1962

...

§ 24 In-Kraft-Treten

(1) Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Januar 2007 in Kraft.

..."

Mit seiner Klage begehrt der Kläger für den Monat November 2005 eine Lohnstandssicherung nach § 15 BTV Nr. 4 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 179,13 Euro brutto. Er ist der Auffassung, der BTV Nr. 4 wirke seit dem 1. Juli 2004 nach. Dessen Nachwirkung sei auch nicht aufgrund des BMT-G ausgeschlossen. Eine "andere Abmachung" iSd. § 4 Abs. 5 TVG sei erst durch den Abschluss des TV-N erfolgt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Lohnstandssicherung für den Monat November 2005 iHv. 179,13 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2006 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. § 15 BTV Nr. 4 wirke nicht nach. Die Bestimmung sei ab dem 1. Juli 2004 durch die Regelungen des BMT-G als andere Abmachung iSd. § 4 Abs. 5 TVG ersetzt worden. Eine solche könne nicht erst dann geschlossen werden, wenn der andere Tarifvertrag bereits nachwirke. Die Geltung des BMT-G folge auch aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Januar 1962 (- 1 AZR 147/61 - BAGE 12, 194). Danach würden die von einem räumlich engeren Tarifvertrages erfassten Arbeitsverhältnisse nach dessen Ablauf von den Regelungen eines räumlich weiteren Tarifvertrages erfasst. Im Ergebnis entfalle die Nachwirkung des räumlich engeren Tarifvertrages.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der BTV Nr. 4 wirke nach und sei im November 2005 noch nicht durch eine andere Abmachung ersetzt worden. Eine andere Abmachung iSd. § 4 Abs. 5 TVG müsse grundsätzlich nach Eintritt der Nachwirkung geschlossen werden. Der BMT-G habe aber bereits vor Ablauf des BTV Nr. 4 gegolten. Die zeitliche Parallelität beider Tarifverträge spreche dagegen, dass der BMT-G den BTV Nr. 4 ersetze, nachdem dieser abgelaufen sei. Auch Sinn und Zweck von § 4 Abs. 5 TVG, Arbeitsverhältnisse nach Beendigung des Tarifvertrages bis zum Zustandekommen einer anderen tariflichen Ordnung mit dem von den Tarifvertragsparteien gewollten Inhalt bestehen zu lassen, sprächen für eine Nachwirkung des BTV Nr. 4.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in weiten Teilen der Begründung.

Die Klage ist begründet. Der nachwirkende BTV Nr. 4 fand bis zu dessen Ablösung durch den TV-N auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme Anwendung. Danach kann der Kläger für den Monat November 2005 von der Beklagten eine Lohnstandssicherung nach § 15 BTV Nr. 4 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 179,13 Euro brutto verlangen.

1. Der BTV Nr. 4 fand jedenfalls kraft der Bezugnahmeklausel in § 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis Anwendung.

2. Trotz Ablaufs des BTV Nr. 4 zum 1. Juli 2004 bestimmte sich das Arbeitsverhältnis im November 2005 weiter nach dessen nachwirkenden Regelungen.

a) Die Kündigung des BTV Nr. 4 hatte nicht zur Folge, dass der Tarifvertrag mit Ablauf des 30. Juni 2004 auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht mehr anzuwenden war. Die Bestimmungen des BTV Nr. 4 galten ab dem 1. Juli 2004 gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach wie vor unmittelbar und waren auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der konstitutiven Bezugnahme in § 2 des Arbeitsvertrages anzuwenden.

Die Nachwirkung des BTV Nr. 4 war durch die Tarifvertragsparteien weder ausdrücklich noch konkludent ausgeschlossen worden (aa). Der BMT-G war auch keine "andere Abmachung" iSd. § 4 Abs. 5 TVG, der die Nachwirkung des BTV Nr. 4 ab dem 1. Juli 2004 erst gar nicht eintreten ließ (bb). Schließlich bestand zwischen dem nachwirkenden BTV Nr. 4 und dem bereits zuvor abgeschlossenen und unverändert wirksamen BMT-G kein Konkurrenzverhältnis, welches zur Verdrängung des nachwirkenden Tarifvertrages führte (cc).

aa) Die Nachwirkung des BTV Nr. 4 wurde durch die Tarifvertragsparteien nicht ausgeschlossen.

(1) Die Tarifvertragsparteien können die Nachwirkung eines Tarifvertrages ausschließen. Das kann ausdrücklich durch eine entsprechende Vereinbarung im Tarifvertrag oder konkludent erfolgen (Senat 8. Oktober 1997 - 4 AZR 87/96 - BAGE 86, 366; 3. September 1986 - 5 AZR 319/85 - BAGE 53, 1) . Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Tarifvertrages zu ermitteln (Senat 8. Oktober 1997 - 4 AZR 87/96 - aaO.).

(2) Eine ausdrückliche Vereinbarung im Tarifvertrag, die die Nachwirkung ausschließt, liegt nicht vor.

Ein stillschweigender Ausschluss der Nachwirkung des BTV Nr. 4, etwa durch andere, sonst nicht erklärbare Vereinbarungen (dazu Senat 8. Oktober 1997 - 4 AZR 87/96 - BAGE 86, 366), ist gleichfalls nicht gegeben. Dem Tarifwerk sind Anhaltspunkte für einen solchen Regelungswillen der Tarifvertragparteien des BMT-G nicht zu entnehmen.

Nach § 62 Satz 1 BMT-G (in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) können die Mitgliedsverbände der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (nachfolgend: VKA) mit den Bezirksverbänden der Gewerkschaft ÖTV (in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung: Landesbezirke von ver.di) ua. Bezirkstarifverträge abschließen, soweit in diesem Tarifvertrag, dem BMT-G, eine Regelung nicht getroffen oder eine bezirkliche Regelung vorgesehen ist. Nach Satz 2 gilt das gleiche für die im BMT-G vorgesehenen Sondervereinbarungen, soweit und solange die Tarifvertragsparteien diese nicht selbst abschließen.

Die Tarifvertragsparteien haben im BTV Nr. 4 ein tarifliches Regelungssystem vereinbart, welches - in inhaltlicher Anlehnung an die Anlage 1 BMT-G - den besonderen Arbeitsbedingungen der Arbeiter im Betriebs- und Verkehrsdienst des Nahverkehrs Rechnung tragen soll (Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G Stand: April 2007 § 2 Erl. 1). Von dieser Notwendigkeit gingen bereits die Tarifvertragsparteien des BMT-G aus, weshalb sie die abweichenden Tarifregelungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BMT-G iVm. der Sondervereinbarung in der Anlage 1 BMT-G vereinbarten. Sie haben deshalb auch - solange und soweit sie selbst keine Regelungen getroffen haben - in § 62 Satz 2 BMT-G eine Öffnungsklausel für die von den Sondervereinbarungen nicht erfassten Beschäftigungsbereiche des § 2 Abs. 1 BMT-G geschaffen, damit von den Mitgliedsverbänden der VKA und den Bezirksverbänden der Gewerkschaft Lücken in den allgemeinen Regelungen zum Nahverkehr geschlossen werden können. Den nach § 62 BMT-G vereinbarten tariflichen Sonderregelungen die unmittelbare Geltung zu versagen, wenn ihre zwingende Wirkung entfällt, widerspräche der Zielsetzung des BMT-G und seiner Sonderregelungen, den Besonderheiten des Beschäftigungsbereichs durch eigene Tarifregelungen Rechnung zu tragen.

Durch den Eintritt der Nachwirkung für den gesamten BTV Nr. 4 ergeben sich auch keine unvollständigen oder widersprüchlichen Rechtslagen, die auf einen Willen der Tarifvertragsparteien schließen lassen, seine Nachwirkung auszuschließen.

(3) Die Tarifvertragsparteien des BMT-G haben auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Regelungen iSd. § 62 Satz 2 BMT-G nur für unmittelbar und zwingend geltende Tarifregelungen zuzulassen.

bb) Der BTV Nr. 4 ist nicht durch den BMT-G als "andere Abmachung" iSd. § 4 Abs. 5 TVG ersetzt worden.

(1) Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten nach Ablauf eines Tarifvertrages seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Das kann durch einen für beide Parteien geltenden Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder eine arbeitsvertragliche Regelung erfolgen. Mit der Nachwirkung soll im Interesse der Vertrags- und Tarifvertragsparteien eine Überbrückungsregelung geschaffen werden, die die zwischenzeitliche Bestimmung der bisher tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen nach anderen Regelungen entbehrlich macht. Diese Nachwirkung des abgelaufenen Tarifvertrages entfällt dann, wenn eine andere Abmachung getroffen wird und sie denselben Regelungsbereich erfasst (Senat 4. Juli 2007 - 4 AZR 439/06 - EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 40 mwN).

(2) Dazu ist es nicht in jedem Falle erforderlich, dass die andere Abmachung erst abgeschlossen wird, nachdem die Nachwirkung eingetreten ist. Soweit das Landesarbeitsgericht ausführt, die "andere Abmachung muss also grundsätzlich zeitlich nach dem abgelaufenen Tarifvertrag geschlossen worden sein", folgt der Senat dem nicht uneingeschränkt. Auch der Umstand einer zeitlichen "Parallelität beider Tarifverträge" spricht nicht stets gegen die Ersetzung des einen durch den anderen Tarifvertrag. Gleichwohl ist das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der BTV Nr. 4 nicht durch den BMT-G als andere Abmachung iSd. § 4 Abs. 5 tarifrechtlich abgelöst wurde.

(a) Die Ablösung einer nachwirkenden Tarifregelung kann unter besonderen Bedingungen wirksam auch schon vor dem Beginn der Nachwirkung vereinbart werden. § 4 Abs. 5 TVG schließt die Möglichkeit einer die Nachwirkung ablösenden auf den Ablösungszeitraum gerichteten Abmachung vor Ablauf des Tarifvertrages nicht in jedem Fall aus. Zwar spricht die gesetzliche Regelung davon, dass nach Ablauf des Tarifvertrages seine Rechtsnormen weitergelten, "bis" sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Das Gesetz geht also davon aus, dass die Nachwirkung zunächst eingetreten ist. Daraus ergibt sich aber nicht zwingend, dass eine ablösende Abmachung nicht auch schon im Voraus getroffen werden kann, wenn es ihr darum geht, für den unmittelbar bevorstehenden Nachwirkungszeitraum eine abweichende Regelung zu treffen, auch wenn es dadurch dazu kommt, dass ein Tarifvertrag nach seinem Ablauf überhaupt nicht nachwirkt iSv. § 4 Abs. 5 TVG (Senat 23. Februar 2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42 = EzA TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 2; 17. Januar 2006 - 9 AZR 41/05 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 40 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 33; 28. Juni 2007 - 6 AZR 851/06 - AP BAT § 15 Nr. 55; noch offen gelassen von BAG 14. Februar 1991 - 8 AZR 166/90 - BAGE 67, 222; Senat 28. Mai 1997 - 4 AZR 546/95 - BAGE 86, 43).

Maßgeblich ist, dass die Vereinbarung dahingehend auszulegen ist, dass sie die bevorstehende Nachwirkung eines beendeten Tarifvertrages beseitigen oder deren Eintritt verhindern soll (Senat 23. Februar 2005 - 4 AZR 186/04 - AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 42 = EzA TVG § 3 Verbandsaustritt Nr. 2). Die Abrede muss von ihrem Regelungswillen her darauf gerichtet sein, eine bestimmte bestehende Tarifregelung in Anbetracht ihrer bevorstehenden Beendigung und des darauf folgenden Eintritts der Nachwirkung abzuändern (so auch LAG Hamm 24. November 2005 - 8 Sa 1415/05 - FA 2006, 157 [LS]; Jacobs Anm. AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 34; Löwisch/Rieble TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 401: "für das absehbare Tarifende ... im Vorgriff"; wohl auch ErfK/Franzen 8. Aufl. § 4 TVG Rn. 64: "funktional zu verstehen"; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I S. 878; aA Kempen/Zachert/Kempen TVG 4. Aufl. § 4 TVG Rn. 565: "zeitlich später"). Allein aus dem Umstand, dass eine vor Eintritt der Nachwirkung geschlossene Vereinbarung dieselben oder ähnliche Regelungsbereiche betrifft und anders regelt als die vor der Nachwirkung stehende tarifliche Bestimmung kann demgegenüber nicht geschlossen werden, es sei eine andere Abmachung iSd. § 4 Abs. 5 TVG getroffen worden.

(b) Danach hatte der BMT-G den BTV Nr. 4 nicht abgelöst. Dem BMT-G kann schon nicht entnommen werden, dass er zumindest auch auf die Ablösung des BTV Nr. 4 gerichtet ist, wenn dieser abgelaufen sein wird. Anhaltspunkte für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, der zeitlich vor dem BTV Nr. 4 vereinbarte BMT-G solle die auf Grundlage des § 62 Satz 2 BMT-G getroffene bezirkliche Regelung im Falle der Nachwirkung ablösen, sind nicht ersichtlich.

Dagegen spricht auch der Zweck der Öffnungsklausel in § 62 Satz 1 und 2 BMT-G. Die Regelung in § 62 Satz 2 BMT-G verdeutlicht, dass die Tarifvertragsparteien den Geltungsanspruch gegenüber bezirklichen Regelungen insoweit zurückgenommen haben, als der BMT-G in den Anlagen 1 bis 10a nicht selbst Sondervereinbarungen für den gesamten personellen, fachlichen und räumlichen Geltungsbereich der in § 2 Abs. 1 BMT-G aufgeführten Beschäftigungsbereiche enthält. Den besonderen Gegebenheiten und Bedürfnissen wie den Bedingungen der Arbeiter im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben soll durch eigenständige bezirkliche Tarifregelungen Rechnung getragen werden, soweit dies nicht in der Anlage 1 geschehen ist. Diesem Anliegen widerspräche es, wenn bereits beim Eintritt der Nachwirkung des BTV Nr. 4 dessen Regelungen durch die allgemeinen Bestimmungen des BMT-G abgelöst würden. Dies soll - wie § 62 Satz 2 BMT-G zeigt - erst dann der Fall sein, wenn der BMT-G selbst Sondervereinbarungen für die betreffenden Arbeiter in den einschlägigen Bereichen iSd. § 2 Abs. 1 Satz 1 BMT-G getroffen hat.

Aus den vorgenannten Gründen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass lediglich die Normen des BTV Nr. 4 abgelöst würden, für die sich im BMT-G "entsprechende bzw. konkurrierende Regelungen" finden lassen, wie es die Beklagte meint. Die Tarifvertragsparteien des BTV Nr. 4 haben - wie auch die Tarifvertragsparteien des BMT-G in der Anlage 1 zu diesem Tarifvertrag - vor allem Regelungen über die Arbeitszeit und die Entgeltzuschläge getroffen, die die allgemeinen Vorschriften des BMT-G ergänzen oder teilweise ersetzen. Damit sollte insgesamt ein Regelungswerk geschaffen werden, das den besonderen Bedingungen des Verkehrsdienstes Rechnung tragen sollte.

Ohne nähere Anhaltspunkte auf einen entsprechenden Willen der Tarifvertragsparteien - etwa die Möglichkeit einer Teilkündigung - kann der BTV Nr. 4 nicht in nachwirkende und andere Normen, die durch den BMT-G abgelöst werden sollen, aufgespalten werden.

(c) Aus der Nachfolgeregelung des TV-N ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten kein anderer Wille der Tarifvertragsparteien. Allein der Umstand, dass der TV-N keine dem BTV Nr. 4 entsprechende Lohnstandssicherung bei Fahrdienstuntauglichkeit enthält, lässt keine Rückschlüsse auf die Nachwirkung des BTV Nr. 4, deren Ausschluss oder vorzeitige Beendigung zu. Tarifvertragsparteien können in nachfolgenden Tarifverträgen stets vom bis dahin geltenden Tarifniveau abweichende, auch es verschlechternde, Neuregelungen treffen. Die in § 22 Abs. 2 Fall 1 TV-N geregelte Ablösung des BTV Nr. 4 mit dem Tag des Inkrafttretens des TV-N zum 1. Januar 2007 spricht im Gegenteil eher dafür dass die Tarifvertragsparteien davon ausgingen, der abgelaufene BTV Nr. 4 sei nicht bereits mit seinem Ablauf durch den BMT-G abgelöst worden.

(d) Der Entscheidung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 15. November 2006 (- 10 AZR 665/05 - BAGE 120, 182) kann entgegen der Auffassung der Beklagten kein anderes Ergebnis entnommen werden. Die Beklagte übersieht, dass der Zehnte Senat die Ablösung des zum 31. Dezember 2002 ablaufenden spezielleren Firmentarifvertrages auf die zum Beginn der Nachwirkung am 1. Januar 2003 erfolgte Allgemeinverbindlichkeitserklärung des allgemeineren Tarifvertrages stützt.

cc) Der nachwirkende BTV Nr. 4 wird auch nicht durch den unmittelbar und zwingend geltenden BMT-G im Wege der Auflösung einer Tarifkonkurrenz verdrängt. Eine Tarifkonkurrenz liegt nur dann vor, wenn mehrere Tarifverträge denselben Sachverhalt regeln und nebeneinander anwendbar sind. Eine Tarifkonkurrenz kommt nicht in Betracht, wenn bereits die Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ergibt, dass nur einer von mehreren Tarifverträgen gelten kann oder gelten soll (s. etwa Senat 25. November 1987 - 4 AZR 361/87 - BAGE 56, 357 mwN). Danach liegt eine Tarifkonkurrenz zwischen dem BMT-G und dem nachwirkenden BTV Nr. 4 nicht vor.

(1) Für die Arbeitsverhältnisse der Arbeiter im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben gehen die Tarifvertragsparteien des BMT-G bereits selbst davon aus, dass die allgemeinen Regelungen des BMT-G den dortigen Bedürfnissen und Gegebenheiten nicht ausreichend Rechnung tragen, sondern entsprechende Sondervereinbarungen erforderlich sind. Diese wurden mit dem BMT-G gemeinsam abgeschlossen und über § 2 Abs. 1 Satz 2 BMT-G in den Tarifvertrag als dessen Bestandteil integriert. Damit gelten für diesen Beschäftigtenbereich aufgrund der Anlage 1 zum BMT-G nicht die allgemeinen Bestimmungen des BMT-G, soweit sie durch diese Sondervereinbarung ergänzt oder ersetzt werden.

(2) Die Tarifvertragparteien haben allerdings in § 28 Anlage 1 BMT-G zugleich geregelt, dass die Anlage 1 BMT-G nicht für den Bereich des KAV Bayern "gilt". Damit haben sie für den dort genannten Beschäftigungsbereich iSd. § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a BMT-G den räumlichen Geltungsbereich des BMT-G eingeschränkt. Für den Bereich des KAV Bayern haben sie für die dort Beschäftigten keine Tarifregelung treffen wollen. Vielmehr kommt in § 62 Satz 2 BMT-G der Wille der Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, dass es den Mitgliedern der VKA und den Bezirksverbänden der Gewerkschaft obliegt, eigenständige Sonderregelungen zu vereinbaren, die anstelle der Sondervereinbarungen in der Anlage 1 die allgemeinen Bestimmungen des BMT-G verdrängend gelten sollen.

(3) Treffen nunmehr ein Mitgliedsverband der VKA und ein Bezirksverband der Gewerkschaft ÖTV eine tarifliche Regelung nach § 62 Satz 2 BMT-G, entsteht aufgrund des fehlenden kongruenten räumlichen Geltungsbereichs beider Tarifregelungen keine Tarifkonkurrenz im Verhältnis zur Anlage 1 BMT-G.

(4) Eine Tarifkonkurrenz besteht auch nicht im Verhältnis des BTV Nr. 4 zu den allgemeinen Bestimmungen des BMT-G. Die Tarifvertragsparteien des BMT-G haben für die Arbeiter im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben bereits in Änderung und Ergänzung der allgemeinen Bestimmungen des BMT-G Sonderregelungen getroffen. Für diese Beschäftigten regelt § 2 BMT-G, dass dieser Tarifvertrag "mit den Sondervereinbarungen der Anlagen 1 bis 10a" gilt und nicht die allgemeinen Bestimmungen des BMT-G. Es liegen insoweit keine konkurrierenden Tarifregelungen vor.

Eine Tarifkonkurrenz entsteht vorliegend auch nicht deshalb, weil die ergänzenden und ersetzenden Regelungen für den Bereich des KAV Bayern auf bezirklicher Ebene in einem gesonderten Tarifvertrag getroffen wurden. Die allgemeinen Bestimmungen des BMT-G beanspruchen zumindest im vorliegenden Fall keine Geltung, wenn die Mitgliedsverbände der VKA und die Bezirksverbände der Gewerkschaft ÖTV ergänzende oder ersetzende Tarifregelungen zu solchen Sondervereinbarungen getroffen haben, deren räumlicher Geltungsbereich beschränkt ist. In einer solchen Fallgestaltung sind entsprechend der Regelungssystematik des BMT-G und ebenso wie im übrigen räumlichen Anwendungsbereich der Anlage 1 zum BMT-G allein die (Sonder-)Regelungen für den betreffenden Beschäftigtenkreis maßgeblich.

Das gilt auch für den Fall, dass die bezirklichen Regelungen lediglich nachwirken. Auch dann konkurrieren die allgemeinen Regelungen des BMT-G nicht mit denen des BTV Nr. 4. Es ist Sache der Tarifvertragsparteien des BMT-G oder ihrer Mitgliedsverbände und Untergliederungen, zwingende Regelungen an die Stelle des nachwirkenden Tarifvertrages treten zu lassen, wenn sie abweichende Regelungen im Nachwirkungszeitraum verhindern wollen. Es gilt insofern nichts anderes als bei Ablauf des BMT-G einschließlich der in den Anlagen enthaltenen Sondervereinbarungen. Für diese Regelungssystematik spricht zudem § 62 Satz 2 BMT-G. Die Regelungskompetenz für Bezirkstarifverträge bleibt bestehen, "soweit und solange die Tarifvertragsparteien [des BMT-G] diese nicht selbst abschließen".

(5) Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Januar 1962 (- 1 AZR 147/61 - BAGE 12, 194). In dieser Entscheidung hatte der Senat entschieden, dass mit Ablauf des räumlich engeren Tarifvertrages der allgemeinverbindliche, räumlich weitere Tarifvertrag auch die Arbeitsverhältnisse erfasst, die bisher von dem anderen Tarifvertrag erfasst wurden und deshalb eine Nachwirkung ausscheidet. Es handelte sich in der damaligen Entscheidung um zwei Tarifverträge mit deckungsgleichem Geltungsbereich. Demgegenüber fehlt es für die Sondervereinbarungen iSd. § 2 Abs. 1 Buchst. a BMT-G an einer Überschneidung der räumlichen Geltungsbereiche von BMT-G und BTV Nr. 4.

b) Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Lohnstandssicherungslohn in der beantragten Höhe nach § 15 Abs. 1 BTV Nr. 4 liegen bei dem Kläger unstreitig vor.

3. Der Zinsanspruch folgt aus § 26a Abs. 1 Satz 1 BMT-G iVm. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

III. Die Kosten ihrer erfolglosen Revision hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

Ende der Entscheidung

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