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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: 5 AZB 16/00
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 b
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 2
Leitsätze:

Wehrt sich eine als freie Mitarbeiterin eingestellte Beschäftigte gegen eine Kündigung mit dem Antrag festzustellen, daß durch diese ihr "Arbeitsverhältnis" nicht aufgelöst worden sei, handelt es sich um einen sic-non-Fall im Sinne der Senatsrechtsprechung, für den der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist.

Aktenzeichen: 5 AZB 16/00 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Beschluß vom 19. Dezember 2000 - 5 AZB 16/00 -

I. Arbeitsgericht Lüneburg - 1 Ca 1330/99 - Beschluß vom 24. September 1999

II. Landesarbeitsgericht Niedersachsen - 5 Ta 550/99 - Beschluß vom 28. Januar 2000


BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS

5 AZB 16/00 5 Ta 550/99

In Sachen

Beklagter, Beschwerdegegner und weiterer Beschwerdeführer,

pp.

Klägerin, Beschwerdeführerin und weitere Beschwerdegegnerin,

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 19. Dezember 2000 beschlossen:

Tenor:

1. Die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 28. Januar 2000 - 5 Ta 550/99 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.600,00 DM festgesetzt.

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

Der Beklagte handelt unter der Firma "H " mit Spielen und Tonträgern. Er führt in D und in B je ein Geschäftslokal, in D mit zwei Mitarbeitern, in B mit der Klägerin und einer Aushilfskraft. Der Beklagte ist außerdem Geschäftsführer der "H Vertriebs GmbH" in O . Diese beschäftigt zehn Angestellte. Grundlage der Vertragsbeziehungen der Parteien ist ein "Freier Mitarbeiter-Vertrag" vom 1. Mai 1998. Darin heißt es, der Beklagte biete der Klägerin "folgende Tätigkeiten zur Ausübung an: Organisation und Abwicklung des Vertriebes von Tonträgern, Spielen und ähnlichen Produkten im Einzelhandel"; die Klägerin nehme dieses Angebot an. Als Honorar wurden "mindestens 2.000,00 DM zuzüglich Umsatzsteuer" vereinbart. Bei Monatsumsätzen von mehr als 20.000,00 DM sollte die Klägerin eine Provision von zehn Prozent auf die übersteigenden Beträge erhalten. Nach § 4 des Vertrags steht dem Beklagten ein Weisungsrecht gegenüber der Klägerin nicht zu und hat die Klägerin ihrerseits kein Weisungsrecht "gegenüber den Arbeitern und Angestellten" des Beklagten. Gemäß § 5 des Vertrags teilt die Klägerin ihre Arbeitszeit nach freiem und pflichtgemäßem Ermessen ein. Sie ist an eine regelmäßige Arbeitszeit nicht gebunden. Ihr ist in § 9 des Vertrags das Recht eingeräumt, Nebentätigkeiten jedweder Art auszuüben. Für eine Kündigung ist die Frist von einem Monat zum Quartalsende vorgesehen. In einer "Ergänzung: Freier-Mitarbeiter-Vertrag", ebenfalls vom 1. Mai 1998, haben die Parteien vereinbart:

"a) (Die Klägerin) und/oder die ihr zugestandene Aushilfskraft ist zu den üblichen Öffnungszeiten (Mo. - Fr. 10 bis 18:00 Uhr, Sa 10 bis 13:00 Uhr) im Verkaufslokal in der Ba 8 in B anwesend. Einer etwa erforderlichen Verschiebung der Öffnungszeiten wird sich (die Klägerin) flexibel anpassen. Eine Ausweitung der Öffnungszeiten ist neu zu regeln.

b) (Der Klägerin) wird eine Aushilfskraft auf Kosten (des Beklagten) bis 590,00 DM pro Monat zugestanden. Sofern der durchschnittliche Monatsumsatz eines abgelaufenen Quartals 60.000,00 DM (ohne USt.) übersteigt, wird ab Beginn des darauf folgenden Quartals eine weitere Aushilfskraft bis 590,00 DM pro Monat bewilligt. (Die Klägerin) kann die Aushilfskräfte für das B Verkaufslokal selbst aussuchen und besitzt entgegen § 4 Abs. 2 des Vertrages - diesen gegenüber volle Weisungsbefugnis.

c) Eine Konkurrenztätigkeit zu den Aktivitäten im Zusammenhang mit H ist nicht gestattet."

Am 4. Juli 1999 kündigte der Beklagte das Vertragsverhältnis der Parteien fristlos. Er hat der Klägerin vorgeworfen, Firmenparkplätze untervermietet zu haben. Mit Schriftsatz vom 13. Juli 1999 erhob die Klägerin beim Arbeitsgericht die vorliegende Kündigungsschutzklage. Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, zumindest habe der Beklagte die vertragliche Kündigungsfrist einhalten müssen. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 4. Juli 1999 nicht beendet worden ist, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.

Im Beschwerdeverfahren streiten die Parteien über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, da sie in Wirklichkeit Arbeitnehmerin des Beklagten sei, seien die Gerichte für Arbeitssachen zuständig. Der Beklagte hat gemeint, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei nicht eröffnet.

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht als gegeben angesehen und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Tostedt verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht "das Arbeitsgericht" für zuständig erklärt. Mit seiner zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

II. Die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Für den Streitfall ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden.

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 b ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gelten in dieser Hinsicht als Arbeitnehmer ferner solche Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs mit der Begründung bejaht, auf der Grundlage ihres eigenen Tatsachenvorbringens sei die Klägerin als Arbeitnehmerin anzusehen. Wenn ein sogenannter sic-non-Fall nicht vorliege, sei für die Rechtswegbestimmung die Schlüssigkeit des entsprechenden Vorbringens ausreichend, aber auch erforderlich. Einen sic-non-Fall hat das Landesarbeitsgericht verneint. Zwar wehre sich die Klägerin nicht nur gegen die fristlose Beendigung ihres Vertragsverhältnisses, was sie auch als freie Mitarbeiterin mit Erfolg könne, sondern auch gegen dessen fristgemäße Beendigung, was sie mit Erfolg nur als Arbeitnehmerin könne. Doch sei eine der Voraussetzungen für die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes offensichtlich nicht gegeben: Der Beklagte selbst beschäftige insgesamt höchstens vier Mitarbeiter. Seien die Voraussetzungen für das Eingreifen des gesetzlichen Kündigungsschutzes offensichtlich nicht erfüllt, sei die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nicht allein deshalb begründet, weil ein Klageerfolg vom Arbeitnehmerstatus abhänge.

3. Ob die Klägerin jedenfalls auf Grund ihres Tatsachenvorbringens als Arbeitnehmerin im materiell-rechtlichen Sinne anzusehen ist, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, und ob dies im Falle substantiierten Bestreitens für die Rechtswegbestimmung ausreicht, kann dahinstehen. Ebensowenig muß entschieden werden, ob die Berufung auf einen sic-non-Fall dann ausscheidet, wenn die Klage auch auf arbeitsrechtlicher Grundlage offensichtlich keinen Erfolg haben kann. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen folgt hier daraus, daß der Streitfall sich unter einem anderen Aspekt durchaus als sic-non-Fall darstellt. Die Gerichte für Arbeitssachen sind außerdem deshalb zuständig, weil die Klägerin, wenn nicht als Arbeitnehmerin, so doch als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist. Sie gilt damit im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes als Arbeitnehmerin. Eine nähere Klärung ist für die Rechtswegbestimmung nicht erforderlich (BAG 17. Juni 1999 - 5 AZB 23/98 - AP GVG § 17 a Nr. 39 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 34 mwN).

a) Im Streitfall handelt es sich nicht nur unter dem Aspekt der Wirksamkeit der Kündigung um einen sic-non-Fall. Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis durch die ausgesprochene Kündigung nicht beendet worden ist, sondern fortbesteht. Mit diesem Antragsinhalt ist Streitgegenstand nicht nur die Frage, ob das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien durch die vom Beklagten erklärte Kündigung beendet worden ist. Streitgegenstand ist vielmehr auch, ob dieses Vertragsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist. Die beantragte Feststellung setzt voraus, daß im Zeitpunkt der Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien tatsächlich bestanden hat. Andernfalls ist der Antrag schon deshalb unbegründet (BAG 26. Mai 1999 - 5 AZR 664/98 - AP GmbHG § 35 Nr. 10; KR-Friedrich 5. Aufl. § 4 KSchG Rn. 225, 252 mwN). Der Klageerfolg hängt bei dieser Antragstellung folglich auch von Tatsachen ab, die zugleich für die Bestimmung des Rechtswegs entscheidend sind. Wegen dieser Doppelrelevanz sind die Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung über einen Antrag, wie ihn die Klägerin gestellt hat, berufen.

Dabei werden die Tatsacheninstanzen auf die Konsequenzen einer solchen Antragstellung hinzuweisen haben. Da die Klage schon dann abzuweisen ist, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht vorliegt, wird möglicherweise keine Entscheidung darüber ergehen, ob die angegriffene Kündigung aus Gründen unwirksam ist, die den Arbeitnehmerstatus nicht voraussetzen. Soll auch darüber eine Entscheidung herbeigeführt werden, ist es sachdienlich, einen entsprechenden (Hilfs-) Antrag zu stellen. Muß über diesen Antrag entschieden werden, ist auch insoweit über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu befinden. Sie kann sich nur ergeben aus § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG (Arbeitnehmerähnlichkeit des Klägers) oder aus § 2 Abs. 3 ArbGG (Zusammenhangklage); dabei bestehen gegen letzteres Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Erschleichung des Rechtswegs (BVerfG 31. August 1999 - 1 BvR 1389/97 - AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 6). Ist für den Hilfsantrag der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet, ist insoweit der Rechtsstreit an das zuständige Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verweisen.

b) Im Streitfall ergibt sich die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen - auch für einen entsprechenden Hilfsantrag - ferner daraus, daß die Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist.

aa) Das Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt nicht selbst, wer arbeitnehmerähnliche Person ist. Es setzt den Begriff als bekannt voraus. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind - in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation - in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Eine arbeitnehmerähnliche Person kann für mehrere Auftraggeber tätig sein, wenn die Beschäftigung für einen von ihnen überwiegt und die daraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Der wirtschaftlich Abhängige muß außerdem seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein (BAG 17. Juni 1999 aaO mwN).

bb) Danach war die Klägerin jedenfalls arbeitnehmerähnliche Person. Sie war aufgrund ihrer vertraglichen Bindung wirtschaftlich vom Beklagten abhängig. Neben ihrer Tätigkeit für diesen ist sie nach ihrem unwidersprochenen Vortrag keiner anderen Beschäftigung nachgegangen, sondern hat sich während der Öffnungszeiten nahezu ständig im Geschäftslokal aufgehalten. Die aus ihrer Tätigkeit für den Beklagten erzielte Vergütung stellte ihre einzige wirtschaftliche Existenzgrundlage dar. Daß es ihr erlaubt war, auch einer anderen Tätigkeit nachzugehen, ist für die tatsächlich bestehende Abhängigkeit vom Beklagten ohne Bedeutung. Die Klägerin war auch vergleichbar einer Arbeitnehmerin sozial schutzbedürftig. Die Höhe ihrer monatlich garantierten Einkünfte von 2.000,00 DM und die Notwendigkeit, ihre Dienste trotz der Mitarbeit einer geringfügig beschäftigten Aushilfskraft überwiegend persönlich zu erbringen, weisen sie als ähnlich schutzbedürftig aus.

Ende der Entscheidung

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