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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 17.06.1999
Aktenzeichen: 5 AZB 23/98
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 2
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 a
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 b
Leitsatz:

Sind im Rechtswegbestimmungsverfahren die entscheidungserheblichen Tatsachen unstreitig, muß das angerufene Gericht sogleich darüber entscheiden, ob der Kläger Arbeitnehmer beziehungsweise arbeitnehmerähnliche Person ist.

Aktenzeichen: 5 AZB 23/98 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Beschluß vom 17. Juni 1999 - 5 AZB 23/98 -

I. Arbeitsgericht Chemnitz - 13 Ca 10302/97 - Beschluß vom 23. April 1998

II. Sächsisches Landesarbeitsgericht - 3 Ta 164/98 - Beschluß vom 15. Juli 1998


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Rechtsweg - Arbeitnehmerähnliche Person (Motorrad-Rennfahre- rin)

Gesetz: ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, § 2 Abs. 1 Nr. 3 a, b

5 AZB 23/98 3 Ta 164/98 Sächsisches LAG

Beschluß

In Sachen

pp.

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 17. Juni 1999 beschlossen:

Tenor:

1. Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15. Juli 1998 - 3 Ta 164/98 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Die Beklagte entwickelt Motorräder. Sie erbringt außerdem Ingenieurdienste für die M GmbH und sonstige Auftraggeber. Die Klägerin ist Motorrad-Rennfahrerin. Sie war seit dem 1. Dezember 1996 für die Beklagte tätig. Grundlage der rechtlichen Beziehungen der Parteien war ein "Sportvertrag" vom 6. November 1996. Er hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"1.1 (Die Klägerin) nimmt als Fahrerin an allen Läufen zum Supermono-Europa-Cup und der Daytona-Speedweek teil. Diese Veranstaltungen haben absolute Priorität.

1.2 Soweit M nicht an der Daytona-Speedweek teilnehmen kann (Termine, Kosten, etc.) erhält (die Klägerin) die Genehmigung, bei dieser Veranstaltung mit einer anderen Marke zu starten.

1.3 Weitere nationale und internationale Rennen können von M eingeplant werden.

1.4 Für Rennen in der Supersport-Klasse Deutsche Meisterschaft erhält (die Klägerin) eine Freistellung, soweit sich die Termine nicht mit dem Supermono-Europa-Cup überschneiden.

...

6.1 M hat das Recht, mit Namen und Bild (der Klägerin) während der Vertragsdauer zu werben. (Die Klägerin) tritt ihre Rechte am eigenen Bild und Namen an M ab, d.h. M ist berechtigt, sämtliches im Zusammenhang mit den vertraglich vereinbarten Aktivitäten stehendes Foto- bzw. Filmmaterial weltweit zu verwerten.

...

6.4 (Die Klägerin) steht während der Vertragslaufzeit an mindestens 10 Tagen für PR-Veranstaltungen zur Verfügung.

...

7.2 Als Honorar für die vereinbarten Tätigkeiten und übertragenen Rechte erhält (die Klägerin) DM 60.000,-- + 15 % USt.

Es ist in monatlichen Teilbeträgen von DM 5.000,-- + 15 % USt, erstmals am 15.12.1996 zu überweisen. Hierüber erstellt (die Klägerin) bei Vertragsbeginn eine Jahresrechnung.

7.3 Bei Dienstreisen gelten die im Unternehmen M für Mitarbeiter üblichen Reisekostenregelungen. Die Dienstreisen sind vorher mit M abzustimmen.

7.4 Nach Absprache mit M kann (die Klägerin) Personalitysponsoren mit in das Team einbringen; davon fließen gegen Gewährung der entsprechenden Werbeflächen 40 % ins Team.

...

8.1 Der Vertrag ist gültig vom 01.12.1996 bis 30.11.1997 und verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, soweit er nicht durch einen der beiden Vertragspartner 12 Wochen vor Ablauf gekündigt wird.

8.2 Eine außerordentliche Kündigung ist beidseitig nur aus wichtigem Grund zulässig."

Im Jahr 1997 war die Klägerin an mindestens 87 Tagen für die Beklagte tätig.

Mit Schreiben vom 28. November 1997 kündigte die Beklagte den "Sportvertrag" mit sofortiger Wirkung. Als Grund gab sie an, sie beende ihr Engagement in der Klasse "Supermono" zugunsten des "Einstiegs in den Grand Prix Sport der Klasse bis 500 cm³". Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Sie hat neben der Feststellung, daß "das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 28. November 1997 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 1. Dezember 1997 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht", beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen als Rennfahrerin weiter zu beschäftigen.

Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Die Klägerin hat geltend gemacht, sie sei Arbeitnehmerin der Beklagten. Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die Klägerin sei weder in den Betrieb eingegliedert noch weisungsgebunden gewesen.

Die Vorinstanzen haben die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bejaht. Mit ihrer weiteren sofortigen Beschwerde möchte die Beklagte erreichen, daß der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt wird.

II. Die weitere sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Für den Streitfall ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Das haben die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden.

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a, b ArbGG sind die Arbeitsgerichte zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und über dessen Bestehen oder Nichtbestehen. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gelten in dieser Hinsicht als Arbeitnehmer ferner solche Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte mit der Begründung bejaht, es handele sich um einen der Fälle, bei denen die erhobenen Ansprüche ausschließlich auf eine arbeitsrechtliche Grundlage gestützt werden könnten (sog. sic-non-Fälle). Der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluß vom 10. Dezember 1996 (- 5 AZB 20/96 - AP Nr. 4 zu § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung = EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 36), nach dem der Erfolg einer Klage gegen eine außerordentliche Kündigung eines privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses den Arbeitnehmerstatus nicht notwendig voraussetze, könne es - das Landesarbeitsgericht - sich nicht anschließen. Auch der Erfolg einer Klage gegen eine außerordentliche Kündigung sei bei Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses an die Einhaltung weiterer und ausschließlich arbeitsrechtlicher Vorschriften gebunden. Dazu gehöre wegen § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG. Umgekehrt hänge die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung von zusätzlichen Umständen, etwa der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung ab. Behaupte der Kläger schlüssig das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, sei deshalb auch die Kündigungsschutzklage gegen eine außerordentliche Kündigung den sog. sic-non-Fällen zuzuordnen. Dies gelte auch für den Weiterbeschäftigungsanspruch. Für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte reiche es damit aus, daß diese sich aus dem klägerischen Antrag und den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen schlüssig ergebe. Das wiederum sei der Fall.

3. Gegen die Begründung des Landesarbeitsgerichts bestehen Bedenken. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den unterschiedlichen Anforderungen an den Vortrag des Klägers für die Rechtswegbestimmung setzt voraus, daß die tatsächlichen Grundlagen für die Beurteilung des Arbeitnehmerstatus überhaupt im Streit sind. Anderenfalls kommt es auf die Frage, welche spezifische Fallgestaltung - etwa ein sog. sic-non-Fall - vorliegt, für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht an. Im vorliegenden Fall sind dagegen die über eine mögliche Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin entscheidenden tatsächlichen Umstände nicht streitig. Welches die zwischen ihnen begründeten Rechte und Pflichten aus dem "Sportvertrag" vom 6. November 1996 sind und wie diese in Wirklichkeit praktiziert wurden, steht im wesentlichen fest.

Sind die rechtswegbestimmenden Tatsachen unstreitig, hat das angerufene Gericht sie rechtlich zu bewerten. Stellt sich dabei heraus, daß der Kläger Arbeitnehmer ist und handelt es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, so ist die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen begründet. Ergibt sich, daß der Kläger kein Arbeitnehmer ist, ist ggf. an das Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen. Diese Frage kann allenfalls dann anders zu beurteilen sein, wenn der Arbeitnehmerstatus in einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit "doppelrelevant" ist und sich mit der Verneinung des Arbeitnehmerstatus sogleich auch der Klageanspruch als unbegründet erweist. Für solche Fälle - in denen der Klägervortrag zum Arbeitnehmerstatus stets auch unschlüssig ist - ist zu erwägen, ob nicht das eigentlich unzuständige Arbeitsgericht - wenn dieses angerufen wurde - die Klage, statt sie zu verweisen, selbst als unbegründet abzuweisen hat (so bei unschlüssigem und zugleich streitigem Klägervortrag Senatsbeschluß vom 24. April 1996 - 5 AZB 25/95 - BAGE 83, 40, 50 = AP Nr. 1 zu § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung; vgl. ferner Lüke, JuS 1997, 215, 217; Reinecke, ZfA 1998, 359, 374 ff.). Dann wären im Fall doppelrelevanter Tatsachen auch bei unstreitigem Sachverhalt stets die Arbeitsgerichte zu einer Sachentscheidung berufen.

Eine solche Doppelrelevanz liegt hier allerdings nicht vor. Die Klage gegen die fristlose Kündigung kann auch dann erfolgreich sein, wenn die Klägerin nicht Arbeitnehmerin ist. Darum ist schon für die Rechtswegbestimmung die Prüfung, ob die Klägerin Arbeitnehmerin war, unumgänglich. Diese Prüfung wird auch nicht dadurch entbehrlich, daß die Klägerin zugleich den arbeitsrechtlichen vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch gestellt hat. Zwar sind insoweit die maßgeblichen Tatsachen doppelrelevant. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung ist aber ein (unechter) Hilfsantrag. Er teilt hinsichtlich des Rechtswegs das Schicksal des Hauptantrags und muß ggf. mit diesem verwiesen werden (Reinecke, aaO, 387).

4. Ob die Klägerin Arbeitnehmerin im materiell-rechtlichen Sinne ist, wie das Arbeitsgericht angenommen hat, kann gleichwohl dahinstehen. Sie ist, wenn nicht als Arbeitnehmerin, so doch als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen. Sie gilt deshalb im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes als Arbeitnehmerin, § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Eine nähere Klärung ist für die Rechtswegbestimmung nicht erforderlich (Senatsbeschluß vom 14. Januar 1997 - 5 AZB 22/96 - AP Nr. 41 zu § 2 ArbGG 1979).

a) Das Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt nicht selbst, wer arbeitnehmerähnliche Person ist. Es setzt den Begriff als bekannt voraus. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind - in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation - in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Eine arbeitnehmerähnliche Person kann für mehrere Auftraggeber tätig sein, wenn die Beschäftigung für einen von ihnen überwiegt und die daraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Der wirtschaftlich Abhängige muß außerdem seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein (Senatsbeschluß vom 16. Juli 1997 - 5 AZB 29/96 - BAGE 86, 178 = AP Nr. 37 zu § 5 ArbGG 1979; Senatsbeschluß vom 14. Januar 1997 - 5 AZB 22/96 -, aaO).

b) Danach war die Klägerin jedenfalls arbeitnehmerähnliche Person. Sie war aufgrund ihrer vertraglichen Bindung wirtschaftlich von der Beklagten abhängig. Im Jahre 1997 war sie bis einschließlich des Monats November an mindestens 87 Tagen für die Beklagte tätig. Eine für ihren Lebensunterhalt ausreichende sonstige Erwerbstätigkeit erscheint angesichts dessen und insbesondere angesichts der zeitlichen Unregelmäßigkeit ihrer Aktivitäten nicht möglich. Faktisch zumindest war die Klägerin in der Rennsaison 1997 ausschließlich für die Beklagte tätig. Die aus dieser Tätigkeit fließende Vergütung war ihre entscheidende Existenzgrundlage. Die Klägerin hatte nach Ziff. 6.1 ihr Recht am eigenen Bild an die Beklagte abgetreten und vermochte auch insoweit aus ihrer Tätigkeit keine zusätzlichen geldwerten Vorteile zu ziehen. Die Höhe ihrer monatlichen Einkünfte und die zwingende Notwendigkeit, ihre Dienste für die Beklagte persönlich zu erbringen, weisen sie als einer Arbeitnehmerin vergleichbar sozial schutzbedürftig aus.

Für den Streitfall ist deshalb der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben.

Ende der Entscheidung

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