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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 11.09.2002
Aktenzeichen: 5 AZB 3/02
Rechtsgebiete: ArbGG, AEntG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 6
ArbGG § 2 Abs. 3
AEntG § 1 Abs. 3
AEntG § 1 a
AEntG § 8
§ 8 AEntG begründet nicht nur die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, sondern auch die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen.
BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS

5 AZB 3/02

In Sachen

pp.

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 11. September 2002 beschlossen:

Tenor:

Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. Dezember 2001 - 15 Ta 448/01 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der weiteren Beschwerde zu tragen. Streitwert: 5.535,36 Euro

Gründe:

I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Die klagende gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen für den Zeitraum Januar bis Juli 2000 geltend. Die Beklagte hatte das polnische Bauunternehmen Marbud mit der Erbringung von Rohbauarbeiten auf verschiedenen Baustellen beauftragt. Hierbei beschäftigte die Firma Marbud aus Polen entsandte gewerbliche Arbeitnehmer. Wegen nicht entrichteter Urlaubskassenbeiträge nimmt der Kläger die Firma Marbud in einem vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden (- 6 Ca 1694/00 -) anhängigen Rechtsstreit in Anspruch. Dieser Rechtsstreit war bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage anhängig.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte hafte für die Urlaubskassenbeiträge gemäß § 1 a Satz 1 AEntG als selbstschuldnerische Bürgin. Die Vorinstanzen haben die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bejaht. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde.

II. Die weitere sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen folgt aus § 8 AEntG. Nach Satz 1 dieser Bestimmung kann ein Arbeitnehmer, der in den Geltungsbereich des AEntG entsandt ist oder war, eine auf den Zeitraum der Entsendung bezogene Klage auf Gewährung der Arbeitsbedingungen nach §§ 1, 1 a und 7 AEntG auch vor einem deutschen Gericht für Arbeitssachen erheben. Diese Klagemöglichkeit besteht gem. Satz 2 auch für eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 3 AEntG in bezug auf die ihr zustehenden Beiträge.

a) Der Wortlaut des § 8 AEntG macht bereits mit hinreichender Klarheit deutlich, daß diese Vorschrift die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen und nicht nur Fragen der internationalen Zuständigkeit regelt. Denn § 8 Satz 1 AEntG erklärt ausdrücklich die Gerichte für Arbeitssachen für zuständig. Dem entspricht der Normzweck. Mit § 8 AEntG sollte Artikel 6 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsende-Richtlinie - ABl. Nr. L 18/1 vom 21. Januar 1997) umgesetzt und ein inländischer Gerichtsstand für den aus dem Ausland entsandten Arbeitnehmer sowie für den Bereich der Urlaubskassen auch für diese gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien geschaffen werden. Damit sollte zugleich die wirksame Durchführung des AEntG gefördert werden (vgl. BT-Drucks. 13/8994). Diese Zielsetzung des § 8 AEntG wird nur verwirklicht, wenn die Vorschrift - ihrem Wortlaut entsprechend - neben der internationalen auch die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen begründet. Allein hierdurch wird gewährleistet, daß arbeitsrechtliche Streitigkeiten von Arbeitnehmern, die in den Geltungsbereich des AEntG entsandt wurden, ebenso wie arbeitsrechtliche Verfahren von in Deutschland lebenden Arbeitnehmern einheitlich vor den Gerichten für Arbeitssachen verhandelt werden.

b) Entsprechendes gilt für die Klagemöglichkeiten gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 3 AEntG in bezug auf die ihnen zustehenden Beiträge. § 8 Satz 2 AEntG eröffnet den in § 1 Abs. 3 AEntG genannten gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien für Klagen in bezug auf ausstehende Beiträge den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen. Auch diese Regelung dient der wirksamen Durchführung des AEntG. Das gilt nicht nur für Klagen gegen einen ausländischen Arbeitgeber, sondern ebenso für die Inanspruchnahme eines Unternehmens, das nach § 1 a AEntG für die Erfüllung der Beitragspflicht wie ein Bürge haftet. Eine entsprechende Einschränkung enthält das Gesetz nicht. Daß auch bürgschaftsrechtliche Fragen eine Rolle spielen können, begründet demgegenüber nicht die sachliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte.

2. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen folgt weiterhin aus § 2 Abs. 3 ArbGG. Danach können vor den Gerichten für Arbeitssachen auch nicht unter die Absätze 1 und 2 fallende Rechtsstreitigkeiten gebracht werden, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Art in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang steht und für seine Geltendmachung nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist.

a) Die mit der Klage verfolgten Ansprüche auf Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen sind keine arbeitsrechtlichen Ansprüche iSv. § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 ArbG, denn der Kläger nimmt die Beklagte gemäß § 1 a AEntG wie einen Bürgen, der auf die Vorausklage verzichtet hat, in Anspruch. Die aus § 1 a AEntG folgende Bürgenhaftung gehört nicht zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Einrichtungen der Tarifvertragsparteien iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG. Hierzu müßte die Beklagte als Arbeitgeberin der Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden, für die der Kläger Urlaubskassenbeiträge verlangt (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 2 Rn. 94). Der Kläger nimmt die Beklagte jedoch nicht in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin in Anspruch, sondern auf Grund der in § 1 a AEntG angeordneten Bürgenhaftung.

b) Der vom Kläger gegen die Beklagte geltend gemachte Zahlungsanspruch steht in einem rechtlichen und unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der in § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG bezeichneten Art.

aa) Die Beitragsforderung des Klägers gegen die Firma Marbud und die Bürgenschuld der Beklagten stehen in einem rechtlichen Zusammenhang. Die Bürgenhaftung der Beklagten ist gemäß § 767 Abs. 1 BGB akzessorisch, dh. vom Entstehen und Erlöschen der Hauptschuld abhängig.

bb) Zwischen dem Rechtsstreit des Klägers gegen die Firma Marbud vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden und dem hier anhängigen Verfahren gegen die Beklagte besteht ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang. Ein solcher ist anzunehmen, wenn Ansprüche auf demselben wirtschaftlichen Verhältnis beruhen oder wirtschaftliche Folgen desselben Tatbestands sind. Die Ansprüche müssen innerlich eng zusammengehören, also einem einheitlichen Lebenssachverhalt entspringen. § 2 Abs. 3 ArbGG setzt nicht voraus, daß die Parteien der bei einem Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreitigkeit mit denen der Zusammenhangsklage identisch sind. Es muß nur auf einer Seite eine der in § 2 Abs. 1 ArbGG genannten Parteien stehen (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge aaO § 2 Rn. 128; Grunsky ArbGG 7. Aufl. § 2 Rn. 137; MünchArbR/Brehm 2. Aufl. § 389 Rn. 50; GK-ArbGG/Wenzel § 2 Rn. 210).

Die vom Kläger in dem Rechtsstreit gegen die Firma Marbud und dem hier anhängigen Verfahren erhobenen Ansprüche beruhen auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich der Erbringung von Bauleistungen des Unternehmens Marbud. Hierauf gründet der Kläger seine Ansprüche in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden gegen die Firma Marbud und die im hier anhängigen Verfahren geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte, die die Firma Marbud mit der Erbringung dieser Bauleistungen beauftragt hatte.

3. Ob die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - aus § 3 ArbGG folgt, bedarf keiner Entscheidung.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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