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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 20.12.2006
Aktenzeichen: 5 AZB 35/06
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 9 Abs. 5
ArbGG § 69
ArbGG § 72b
ZPO § 313
ZPO § 547 Nr. 6
Das Berufungsurteil eines Landesarbeitsgerichts ist iSv. § 72b Abs. 1 ArbGG vollständig abgefasst, wenn es den formalen Anforderungen der §§ 313 bis 313b ZPO, § 69 ArbGG entspricht. Genügen die tatsächlich vorhandenen Entscheidungsgründe nicht den inhaltlichen Mindestanforderungen des § 547 Nr. 6 ZPO, kann dieser Mangel nicht mit der sofortigen Beschwerde nach § 72b ArbGG geltend gemacht werden.
BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS

5 AZB 35/06

In Sachen

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 20. Dezember 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 30. Juni 2006 - 11 Sa 987/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 35.077,70 Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, einen Auflösungsantrag der Beklagten sowie über Vergütungsansprüche des Klägers. Das Arbeitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat durch Teilurteil die Berufung der Beklagten im Wesentlichen zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers die Beklagte zur weiteren Zahlung verurteilt. Es hat die Revision nicht zugelassen. Mit ihrer sofortigen Beschwerde beantragt die Beklagte, das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts gem. § 72b ArbGG aufzuheben, soweit es auf die Berufung des Klägers die Beklagte verurteilt hat. Das Landesarbeitsgericht habe eine Hilfsaufrechnung übergangen. Deshalb sei das Urteil als nicht mit Gründen versehen anzusehen.

II. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. 1. Nach § 72b Abs. 1 ArbGG kann das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts durch sofortige Beschwerde angefochten werden, wenn es nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung vollständig abgefasst und mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehen der Geschäftsstelle übergeben worden ist.

a) Das Endurteil des Landesarbeitsgerichts ist iSv. § 72b Abs. 1 ArbGG vollständig abgefasst, wenn es den formalen Anforderungen der §§ 313 bis 313b ZPO, § 69 ArbGG entspricht (vgl. Stein/Jonas/Leipold 21. Aufl. Bd. 4/1 § 310 Rn. 9). Das Urteil muss danach enthalten die Bezeichnung der Parteien, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten; die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Richter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben; den Tag, an dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist; die Urteilsformel; den Tatbestand, in dem die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden (§ 313 Abs. 2 Satz 1 ZPO); die Entscheidungsgründe, die eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (§ 313 Abs. 3 ZPO); die Rechtsmittelbelehrung gemäß § 9 Abs. 5 ArbGG und die Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben (§ 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe kann das Landesarbeitsgericht unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 und 3 ArbGG verzichten (dazu BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 627/05 - AP KSchG 1969 § 15 Ersatzmitglied Nr. 2, zu I der Gründe).

b) Hiervon weicht § 547 Nr. 6 ZPO ab. Während dieser absolute Revisionsgrund auf das Fehlen notwendiger Gründe abstellt, hebt § 72b ArbGG auf den formalen Mindestinhalt eines Urteils ab. Die ZPO-Bestimmung ist auf den Inhalt der Entscheidung bezogen, während die ArbGG-Regelung auf die äußere Form des Urteils abstellt. Deshalb sind die weiteren Fälle des § 547 Nr. 6 ZPO, in denen zwar Entscheidungsgründe vorhanden sind, diese aber inhaltlichen Mindestanforderungen nicht genügen, wie beispielsweise das Übergehen geltend gemachter Ansprüche oder zentraler Angriffs- und Verteidigungsmittel (vgl. BGH 18. Februar 1993 - IX ZR 48/92 - NJW-RR 1993, 706, unter I 1 und 2 der Gründe; BGH 24. Mai 1988 - VI ZR 159/87 - NJW 1989, 773, zu II 1 der Gründe) nicht mit der sofortigen Beschwerde nach § 72b ArbGG geltend zu machen. Diese Vorschrift erfordert lediglich ein formal vollständig abgefasstes Urteil. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Entscheidungsgründe Lücken aufweisen. Insofern sind Mängel bei zugelassener Revision mit der Revisionsbegründung und bei fehlender Revisionszulassung wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machen.

c) Der sich aus dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung ergebende Zweck des § 72b ArbGG gebietet keine Erstreckung dieser Vorschrift auf die weiteren Fälle des § 547 Nr. 6 ZPO. Mit dem durch das Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 in das Arbeitsgerichtsgesetz eingefügten § 72b ArbGG hat der Gesetzgeber Konsequenzen aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 (- 1 BvR 383/00 - AP GG Art. 20 Nr. 33 = EzA ZPO § 551 Nr. 9) und vom 30. April 2003 (- 1 PBvU 1/02 - AP GG Art. 103 Nr. 64 = EzA GG Art. 103 Nr. 4) gezogen. In der Entscheidung vom 26. März 2001 (- 1 BvR 383/00 - aaO) hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, einem Urteil, das erst später als fünf Monate nach Verkündung mit den Unterschriften aller mitwirkenden Richter in vollständig abgefasster Fassung zur Geschäftsstelle gelangt sei, fehle eine rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Urteilsbegründung. Hatte das Landesarbeitsgericht die Revision nicht zugelassen, konnte die unterlegene Partei nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung des § 72a ArbGG nicht die nachträgliche Zulassung der Revision im Wege einer Nichtzulassungsbeschwerde erreichen. Ihr blieb nur die Verfassungsbeschwerde. Mit der Beschwerderegelung in § 72b ArbGG soll für diese Fälle ein einfaches und - im Vergleich zu dem Weg über die Nichtzulassungsbeschwerde - schnelleres Verfahren eröffnet werden, um so bald wie möglich die Sache vor dem Landesarbeitsgericht neu verhandeln zu können und eine mit Gründen versehene Entscheidung zu erhalten (vgl. BR-Drucks. 663/04 S. 49). In den weiteren Fällen des § 547 Nr. 6 ZPO ist eine einfache Feststellung des Verfahrensfehlers nicht möglich. Erforderlich ist vielmehr eine inhaltliche Prüfung des in den Tatsacheninstanzen gehaltenen Parteivortrags und der Urteilsgründe. Demgegenüber erlaubt § 72b ArbGG eine lediglich formale Prüfung in Unkenntnis der Entscheidungsgründe, die regelmäßig noch gar nicht vorliegen werden. Für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist allein festzustellen, ob binnen fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung das Urteil mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehen der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Nur diese formale Überprüfung rechtfertigt die im Gesetz vorgesehene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter. Geht es um eine materielle Prüfung des Parteivortrags, wirken die ehrenamtlichen Richter sowohl im Revisionsverfahren als auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren mit.

2. Die Voraussetzungen des § 72b ArbGG für eine Aufhebung des am 30. Juni 2006 verkündeten Teilurteils des Landesarbeitsgerichts liegen nicht vor. Nach dem Vermerk auf der Urschrift ist das Urteil mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Berufungskammer am 3. Juli 2006 und damit weit vor Ablauf der Fünf-Monats-Frist auf der Geschäftsstelle eingegangen. Ob die Entscheidungsgründe lückenhaft sind, ist auf Grund einer sofortigen Beschwerde nach § 72b ArbGG nicht zu prüfen.

III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.

Ende der Entscheidung

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