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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 18.11.2003
Aktenzeichen: 5 AZB 46/03
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 120 Abs. 4 Satz 2 | |
ZPO § 124 Ziff. 2 | |
ZPO § 571 |
BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS
In Sachen
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 18. November 2003 beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. Juli 2003 - 4 Ta 820/02 - aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Bocholt vom 30. Oktober 2002 - 3 Ca 1599/01 - nebst dem Nichtabhilfebeschluß vom 2. Dezember 2002 aufgehoben.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der dem Kläger bewilligten Prozeßkostenhilfe.
Der Kläger erhob im Juli 2001 eine auf Zahlung rückständiger Arbeitsvergütung in Höhe von 4.937,93 DM gerichtete Klage gegen den Beklagten. Das Arbeitsgericht bewilligte dem Kläger, der Sozialhilfe bezog, mit Beschluß vom 4. September 2001 Prozeßkostenhilfe ohne Ratenzahlung und ordnete ihm Rechtsanwalt Dr. K bei. Der Rechtsstreit wurde im Kammertermin vom 6. Dezember 2001 durch Prozeßvergleich erledigt. Der beigeordnete Rechtsanwalt erhielt eine Vergütung in Höhe von 1.368,80 DM aus der Staatskasse.
Am 9. Juli 2002 übersandte das Rechenzentrum in Hagen dem Kläger ein Schreiben im automationsgestützten Verfahren mit der Bitte, den beigefügten amtlichen Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vollständig auszufüllen und bis zum 23. Juli 2002 an das Arbeitsgericht zu senden. Da der Kläger nicht reagierte, setzte ihm das Arbeitsgericht mit Schreiben vom 7. August 2002 eine Frist zur Ausfüllung und Rücksendung bis zum 11. September 2002. Gleichzeitig wies es darauf hin, die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe werde widerrufen, falls der Kläger auch diese Frist ungenutzt verstreichen lasse. Da der Kläger wieder nichts unternahm, gewährte das Arbeitsgericht mit Schreiben vom 12. September 2002 eine "letzte Frist" zur Einreichung der Erklärung bis zum 23. Oktober 2002, wiederum verbunden mit der Androhung, die Prozeßkostenhilfe aufzuheben und die Anwaltskosten einzufordern.
Mit Beschluß vom 30. Oktober 2002 hat der Rechtspfleger beim Arbeitsgericht den Bewilligungsbeschluß vom 4. September 2001 gemäß § 124 Ziff. 2 ZPO aufgehoben, weil der Kläger die geforderte Mitwirkung im Prozeßkostenhilfenachprüfungsverfahren unterlassen habe.
Hiergegen hat der Kläger am 29. November 2002 sofortige Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle erhoben. Zugleich hat er eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 29. November 2002 und einen Bescheid der Stadt Münster vom 17. Oktober 2002 vorgelegt, nach dem er weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt bezog. Er macht geltend, die eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben und auf die Schreiben vom 7. August und 12. September 2002 nicht geantwortet zu haben, weil er nicht schreiben könne.
Der Rechtspfleger hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt, weil der Kläger sich schon früher an die Rechtsantragsstelle, seinen Rechtsanwalt oder an einen Bekannten hätte wenden müssen. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Zugunsten der Landeskasse kann unterstellt werden, daß der Rechtspfleger die Prozeßkostenhilfebewilligung am 30. Oktober 2002 zu Recht aufgehoben hat; denn der Kläger hat seine Bedürftigkeit nachträglich im Beschwerdeverfahren nachgewiesen.
1. Nach § 124 Ziff. 2 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufheben, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben hat. Nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO hat sich die Partei auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Änderung der für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Der Kläger ist dem Verlangen des Gerichts bis zur aufhebenden Entscheidung nicht nachgekommen. Allerdings macht er geltend, das Prozeßkostenhilfenachprüfungsverfahren sei fehlerhaft gewesen und biete deshalb keine Grundlage, die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufzuheben; das Aufforderungsschreiben vom 9. Juli 2002 habe nicht im automationsgestützten Verfahren ergehen dürfen, der Rechtspfleger hätte selbst die weiteren Aufforderungen unterschreiben und die Fristen setzen müssen, die Ausfüllung eines neuen Erklärungsvordrucks habe nicht verlangt werden dürfen, die Aufforderungen hätten auch an den verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt ergehen müssen. Diese Einwände des Klägers können dahingestellt bleiben.
2. Der Kläger konnte noch im Beschwerdeverfahren geltend machen, daß die Bewilligungsvoraussetzungen weiterhin vorlagen. Sein Vorbringen war nicht auf das (erstinstanzliche) Nachprüfungsverfahren beschränkt.
a) Nach § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann die Beschwerde auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden. Die Beschwerdeinstanz ist eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz. Zwar kann der Vorsitzende oder das Beschwerdegericht eine Frist für das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln setzen und deren Zulassung gegebenenfalls ablehnen (§ 571 Abs. 3 ZPO). Das ist im Streitfall aber nicht geschehen. Der Kläger hat bereits mit Einlegung der Beschwerde den erforderlichen Nachweis erbracht.
b) Die Fristen nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO sind keine Ausschlußfristen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 61. Aufl. § 120 Rn. 29, § 124 Rn. 39; Zöller/Philippi ZPO 23. Aufl. § 120 Rn. 28; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl. § 124 Rn. 3, alle mwN). Für die Annahme von Ausschlußfristen hätte es einer entsprechenden gesetzlichen Regelung bedurft. § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO sieht nur die Einräumung von Erklärungsfristen durch das Gericht vor. Deren Sinn besteht darin, daß erforderliche Erklärungen und Nachweise binnen angemessener Zeit beschafft werden. Ein endgültiger Rechtsverlust ist mit der Versäumung der Fristen nicht verbunden. Auch die Aufhebung der Prozeßkostenhilfebewilligung nach § 124 Ziff. 2 ZPO ist - bis zur Bestandskraft der Entscheidung - nicht in diesem Sinne endgültig. Sie dient nicht der Sanktionierung der Fristversäumung, sondern des Ausbleibens der geforderten Erklärung. Wie im Falle des § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO geht es auch bei § 124 Ziff. 2 ZPO um die sachlich richtige Entscheidung. Solange die Partei nicht ausreichend mitwirkt, ist im Regelfall mangels anderweitiger Erkenntnisse anzunehmen, daß die Bewilligungsvoraussetzungen nicht (mehr) vorliegen. Doch muß das Gericht im Falle des § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO die Bewilligung nicht sofort aufheben, sondern kann im Rahmen seines Ermessens etwaigen Zweifeln an dem Fortbestehen der Bewilligungsvoraussetzungen nachgehen.
c) Folglich ist es für die Beurteilung der Aufhebung der Prozeßkostenhilfebewilligung im Beschwerdeverfahren unerheblich, ob die Partei die Fristversäumung verschuldet hat (OLG Koblenz 5. Oktober 2000 - 10 W 599/00 - FamRZ 2001, 635; 19. März 1999 - 1 W 167/99 - FamRZ 1999, 1354; OLG Düsseldorf 18. Dezember 1998 - 3 WF 205/98 - FamRZ 1999, 1357; OLG Hamm 4. November 1998 - 8 WF 424/98 - FamRZ 2000, 1225; Reichold in Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl. § 124 Rn. 3; Zöller/Philippi ZPO 23. Aufl. § 124 Rn. 10a, alle mwN; aA OLG Bamberg 25. Mai 1998 - 7 WF 37/98 - FamRZ 1999, 1354; LG Koblenz 16. Februar 1999 - 3 O 246/95 - FamRZ 2000, 104). Abgesehen von § 571 Abs. 3 ZPO muß ein verspätetes Vorbringen nicht entschuldigt werden. Zu beachten ist, daß die Aufhebung der Bewilligung im Falle der § 124 Ziff. 2, § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO zunächst zu Recht erfolgt und die Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat (§ 570 ZPO). Schließlich kommt es nicht darauf an, daß der Rechtsstreit der Parteien bereits seit 2001 abgeschlossen ist.
III. Durch die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts wird die Prozeßkostenhilfebewilligung vom 4. September 2001 wiederhergestellt.
Ende der Entscheidung
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