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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 5 AZR 125/05
Rechtsgebiete: BGB, KSchG
Vorschriften:
BGB § 615 | |
KSchG § 11 |
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL
Verkündet am 11. Januar 2006
In Sachen
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 11. Januar 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch und Dr. Linck sowie die ehrenamtlichen Richter Bull und Mandrossa für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 2004 - 16 Sa 92/04 - zum Teil aufgehoben und unter Zurückweisung der Revision im Übrigen zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 20. April 2004 - 4 Ca 187/03 - abgeändert, soweit die Beklagte zur Zahlung verurteilt worden ist. Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.389,60 Euro brutto abzüglich 558,01 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 6. März 2004 zu zahlen. Der weitergehende Zahlungsantrag wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben der Kläger zu 4/15 und die Beklagte zu 11/15 zu tragen. Die Kosten der Revision werden dem Kläger zu 1/5 und der Beklagten zu 4/5 auferlegt.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über Ansprüche aus Annahmeverzug.
Die Beklagte betreibt einen überregionalen Einzelhandel und vertreibt in zahlreichen Filialen Elektroartikel und Fotogeräte. Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Fotoverkäufer beschäftigt. Der Monatsverdienst des Klägers betrug zuletzt 2.113,20 Euro brutto.
Mit Schreiben vom 19. April 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. November 2003. Zugleich bot sie dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als Verkäufer mit Kassentätigkeit zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.650,00 Euro an. Der Kläger nahm das Angebot auch nicht unter Vorbehalt an.
Mit der am 30. April 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht und nachfolgend im Wege der Klageerweiterung Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 1. Dezember 2003 bis zum 29. Februar 2004 verlangt. In diesem Zeitraum bezog der Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von 28,00 Euro täglich.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Die Beklagte sei deshalb zur Zahlung der Annahmeverzugsvergütung verpflichtet. Hierauf sei das erhaltene Arbeitslosengeld anzurechnen.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19. April 2003 nicht zum 30. November 2003 aufgelöst worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.339,59 Euro brutto abzüglich 2.548,00 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen erfolgt und sozial gerechtfertigt. Auf etwaige Annahmeverzugsansprüche müsse sich der Kläger nicht nur das erhaltene Arbeitslosengeld anrechnen lassen, sondern auch den Verdienst, den er bei der Beklagten auf Grund des ausgeschlagenen Änderungsangebots hätte erzielen können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage insgesamt stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat den Zahlungsantrag iHv. 4.950,00 Euro brutto abgewiesen, weil der Kläger anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen habe. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung des Zahlungsantrags.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Der Kläger muss sich auf das Arbeitsentgelt, das ihm die Beklagte für die Zeit vom 1. Dezember 2003 bis zum 29. Februar 2004 schuldet, neben dem böswillig unterlassenen Verdienst einen Teil des erhaltenen Arbeitslosengelds anrechnen lassen.
I. Die Beklagte befand sich in der Zeit vom 1. Dezember 2003 bis zum 29. Februar 2004 im Annahmeverzug mit der Rechtsfolge des § 615 Satz 1 BGB, denn nach der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hat die Kündigung vom 19. April 2003 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Nachdem der Kläger das mit der Änderungskündigung vom 19. April 2003 verbundene Änderungsangebot nicht angenommen hatte, haben die Parteien im Kündigungsschutzprozess nur über den Bestand des Arbeitsverhältnisses gestritten. Da in der Kündigung zugleich die Erklärung der Beklagten lag, sie werde die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitsleistung als Fotoverkäufer nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht annehmen, bedurfte es zur Begründung des Annahmeverzugs keines Angebots des Klägers (Senat 24. September 2003 - 5 AZR 500/02 - BAGE 108, 27, 29, zu I der Gründe).
II. Die Beklagte schuldet dem Kläger nach § 615 Satz 1, § 611 Abs. 1 BGB während des Annahmeverzugs die vertraglich vereinbarte Bruttovergütung iHv. 2.113,20 Euro monatlich.
III. Nach der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts muss sich der Kläger auf seine Vergütungsansprüche die für die Tätigkeit als Kassierer angebotene Bruttoarbeitsvergütung iHv. insgesamt 4.950,00 Euro brutto anrechnen lassen. Auf den verbleibenden Differenzbetrag iHv. 1.389,60 Euro brutto ist das erhaltene Arbeitslosengeld iHv. 558,01 Euro anzurechnen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das dem Kläger gezahlte Arbeitslosengeld könne bei der Anrechnung nicht berücksichtigt werden, weil die Beklagte nicht dargelegt habe, in welchem Umfang in den einzelnen Monaten Arbeitslosengeld anrechenbar gewesen sei. Das Landesarbeitsgericht hat hierbei übersehen, dass der Kläger selbst in der Berufungsbeantwortung dargelegt hat, er habe in den Monaten Dezember 2003, Januar und Februar 2004 täglich 28,00 Euro Arbeitslosengeld erhalten. Er hat deshalb beantragt, die Beklagte zur Zahlung des von ihm errechneten Bruttobetrags abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds in Höhe von 2.548,00 Euro netto (91 Tage x 28,00 Euro) zu verurteilen.
2. Der Kläger muss sich gem. § 11 Satz 1 Nr. 3 KSchG den Teil des bezogenen Arbeitslosengelds anrechnen lassen, der dem Anteil der Bruttovergütung entspricht, die die Beklagte dem Kläger noch nach Anrechnung des böswillig unterlassenen Erwerbs auf das vertraglich geschuldete Arbeitsentgelt zu zahlen hat.
a) Bezieht der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs Arbeitslosengeld, muss er sich nach § 11 Satz 1 Nr. 3 KSchG diese Leistung der Agentur für Arbeit auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber schuldet, anrechnen lassen. Bis zur Höhe der erbrachten Leistungen geht der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit über.
b) Wie die Anrechnung zu erfolgen hat, wenn sich der Arbeitnehmer zusätzlich zum Arbeitslosengeld noch nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Erwerb anrechnen lassen muss, erschließt sich aus den Zwecken des § 11 KSchG. Die Regelungen in § 11 Satz 1 Nr. 1 und 3 KSchG sollen gewährleisten, dass der Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Kündigung durch den Arbeitgeber finanziell nicht besser, aber auch nicht schlechter steht, als wenn das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung durchgeführt worden wäre. Deshalb sind der tatsächlich erzielte Verdienst und Leistungen der Sozialversicherung auf das vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt anzurechnen. In § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG wird demgegenüber dem Arbeitnehmer eine Obliegenheit zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers auferlegt. Der Arbeitnehmer soll seine Annahmeverzugsansprüche nicht ohne Rücksicht auf den Arbeitgeber durchsetzen können. Deshalb ist der Arbeitnehmer gehalten, eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG) zumutbare anderweitige Arbeit aufzunehmen (Senat 16. Juni 2004 - 5 AZR 508/03 - AP BGB § 615 Böswilligkeit Nr. 11 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 1 der Gründe). Unterlässt er dies, muss er sich anrechnen lassen, was er dabei hätte verdienen können.
c) Diesen Zwecken des § 11 KSchG wird Rechnung getragen durch eine anteilige Anrechnung des bezogenen Arbeitslosengelds auf das Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Anrechnung nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG noch vom Arbeitgeber verlangen kann. Bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ist das gesamte Arbeitslosengeld Äquivalent des Gesamtbruttoentgelts, so dass eine proportionale Zuordnung zu erfolgen hat. Wenn sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG auf das vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen muss, ist nur in Höhe des Anteils, den der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Anrechnung nach § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG noch vom Arbeitgeber verlangen kann, das bezogene Arbeitslosengeld nach § 11 Satz 1 Nr. 3 KSchG zur Anrechnung zu bringen. Durch die anteilige Anrechnung verbleibt dem Arbeitnehmer das bezogene Arbeitslosengeld nicht uneingeschränkt zusätzlich zu der vom Arbeitgeber geschuldeten Vergütung. Andererseits wird der Arbeitgeber durch die Leistungen der Agentur für Arbeit nicht vollständig von seiner arbeitsvertraglichen Pflicht zur Nachzahlung eines Teils der Bruttovergütung und des sich daraus ergebenden Nettobetrags entlastet.
d) Einer nur anteiligen Berücksichtigung des Arbeitslosengelds steht vorliegend nicht der vom Kläger im Klageantrag vorgenommene vollständige Abzug des erhaltenen Arbeitslosengelds entgegen. Dieser Abzug bezieht sich ersichtlich auf die vom Kläger verlangte volle Arbeitsvergütung für die Zeit vom 1. Dezember 2003 bis zum 29. Februar 2004 iHv. 6.339,59 Euro. Nur soweit ihm dieser Betrag zugesprochen wird, will er sich das gesamte im Annahmeverzugszeitraum bezogene Arbeitslosengeld anrechnen lassen. Steht ihm nur ein geringerer Betrag zu, hat ein anteiliger Abzug zu erfolgen.
3. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die geforderte Bruttovergütung iHv. 6.339,59 Euro verlangen, sondern nur 1.389,60 Euro. Das entspricht 21,9 % der Forderung. Demzufolge hat sich der Kläger von dem Arbeitslosengeld 558,01 Euro netto, entsprechend 21,9 % von 2.548,00 Euro, anrechnen zu lassen. Die Beklagte hat dem Kläger deshalb 1.389,60 Euro brutto abzüglich 558,01 Euro netto zu zahlen. Im Übrigen ist die Zahlungsklage unbegründet.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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