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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 29.05.2002
Aktenzeichen: 5 AZR 141/01
Rechtsgebiete: LugÜ


Vorschriften:

LugÜ Art. 2
LugÜ Art. 5 Nr. 1
Der Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit iSv. Art. 5 Nr. 1 Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen verrichtet, ist der Ort, den der Arbeitnehmer als tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit gewählt hat oder von dem aus er den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt. Dies gilt nicht nur, wenn der Arbeitnehmer in verschiedenen Staaten tätig ist, sondern auch, wenn er ausschließlich in einem Vertragsstaat abwechselnd an verschiedenen Arbeitsorten arbeitet (im Anschluß an EuGH 9. Januar 1997 - RsC 383/95 - (Rutten) AP Brüsseler Abkommen Art. 5 Nr. 2).
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

5 AZR 141/01

Verkündet am 29. Mai 2002

In Sachen

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 29. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch und Dr. Linck sowie die ehrenamtlichen Richter Mandrossa und Sappa für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 25. Januar 2001 - 2 Sa 49/00 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers und hierbei über die internationale Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Reutlingen.

Der in K bei Dresden wohnhafte Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 10. Dezember 1999 als Fachmonteur beschäftigt. Die Beklagte hat ihren Sitz in B in der Schweiz. Im Arbeitsvertrag vom 7. Oktober 1999 vereinbarten die Parteien für das Arbeitsverhältnis die Geltung deutschen Rechts. Ein Arbeitsort wurde im Arbeitsvertrag nicht bestimmt.

Der Kläger war zunächst vom 4. Oktober bis zum 17. November 1999 auf einer Baustelle in T (Arbeitsgerichtsbezirk Reutlingen) tätig. Hier arbeitete er auch am 19. November 1999 sowie vom 29. November bis zum 2. Dezember 1999. Am 18. November 1999 und vom 3. Dezember bis zum 10. Dezember 1999 wurde der Kläger auf einer Baustelle in B (Arbeitsgerichtsbezirk Stuttgart) eingesetzt. Vom 22. November bis zum 26. November 1999 war der Kläger arbeitsunfähig krank. In dieser Zeit sollte er in B arbeiten.

Die Beklagte war auf der Baustelle in T durch einen Baustellenleiter vertreten. Dieser erteilte gemeinsam mit einem Vorarbeiter dem Kläger Arbeitsanweisungen. Arbeitsnachweise und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen schickte der Kläger an den Firmensitz der Beklagten in der Schweiz. Dort zeigte er auch telefonisch seine Arbeitsunfähigkeit an. Den Oktoberlohn überwies die Beklagte dem Kläger auf ein Bankkonto. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers am 10. Dezember 1999.

Mit einer am 29. Februar 2000 beim Arbeitsgericht Reutlingen eingereichten Klage hat der Kläger rückständige Vergütungsansprüche für die Monate November und Dezember 1999 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsgericht Reutlingen sei international zuständig, weil er während des Arbeitsverhältnisses überwiegend auf der Baustelle in T tätig gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsgericht Reutlingen international zuständig ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, es gebe keinen Arbeitsort, an dem der Kläger gewöhnlich seine Arbeit verrichtet habe. Er sei als Monteur auf wechselnden Baustellen eingesetzt worden. Zuständig sei daher die Gerichtsbarkeit der Schweiz.

Das Arbeitsgericht hat durch Zwischenurteil die beantragte Feststellung ausgesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht die internationale Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Reutlingen angenommen.

1. Nach Art. 5 Nr. 1 des hier anwendbaren Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Diese besondere Zuständigkeitsregelung verdrängt den in Art. 2 LugÜ bestimmten allgemeinen Gerichtsstand, wonach Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen sind.

Die besondere Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 LugÜ ist durch die enge Verknüpfung zwischen dem Rechtsstreit und dem zu seiner Entscheidung berufenen Gericht gerechtfertigt. Das Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer die vereinbarte Tätigkeit auszuüben hat, ist regelmäßig am besten zur Entscheidung des Rechtsstreits in der Lage. Hinzu kommt das Ziel der Zuständigkeitsregelung, der sozial schwächeren Partei die Möglichkeit zu eröffnen, an dem Ort, an dem sie ihre Arbeitspflichten zu erfüllen hat, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Ort an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet iSv. Art. 5 Nr. 1 LugÜ ist der Ort, den der Arbeitnehmer als tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit gewählt hat oder von dem aus er den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt (vgl. EuGH 9. Januar 1997 - RsC 383/95 - (Rutten) AP Brüsseler Abkommen Art. 5 Nr. 2). Dies gilt nicht nur, wenn der Arbeitnehmer in verschiedenen Staaten tätig ist, sondern auch, wenn er nur in einem Vertragsstaat an verschiedenen Arbeitsorten arbeitet.

2. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Übereinkommens, den Ort zu bestimmen, zu dem der Rechtsstreit die engste Verknüpfung aufweist, und dem Arbeitnehmer einen angemessenen Schutz zu gewährleisten, spricht hier für den besonderen Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 LugÜ neben dem ausschließlichen Tätigwerden des Klägers in Deutschland ferner, daß die Parteien die Geltung deutschen Rechts für das Arbeitsverhältnis vereinbart haben. Daher scheidet ein Rückgriff auf den allgemeinen Gerichtsstand nach Art. 2 LugÜ aus.

3. Im Hinblick auf die kurze Dauer des Arbeitsverhältnisses und den wechselnden Arbeitseinsatz an zwei verschiedenen Orten hat das Landesarbeitsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts in Deutschland mit Recht auf den Ort abgestellt, an welchem der Kläger während des Bestands des Arbeitsverhältnisses überwiegend eingesetzt war. Dies war zu etwa 3/4 der Arbeitszeit T. Die Klage ist daher beim zuständigen Arbeitsgericht Reutlingen erhoben worden.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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