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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 26.06.2002
Aktenzeichen: 5 AZR 153/01
Rechtsgebiete: EFZG
Vorschriften:
EFZG § 4 |
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL
Verkündet am 26. Juni 2002
In Sachen
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch und Dr. Linck sowie die ehrenamtlichen Richter Bull und Kremser für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. Januar 2001 - 8 Sa 1457/00 - zum Teil aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 31. August 2000 - 1 Ca 1841/00 - zum Teil abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.272,28 DM brutto (= 650,51 Euro) nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Juli 2000 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die weitergehende Berufung sowie die Revision der Beklagten im übrigen werden zurückgewiesen.
4. Die Beklagte hat 6/7, der Kläger 1/7 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der 1952 geborene Kläger war bei der beklagten Spedition in der Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 31. Januar 2001 als Kraftfahrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft Bezugnahme im Arbeitsvertrag die regionalen Mantel-, Lohn- und sonstigen Tarifverträge für den Güternahverkehr Anwendung. Zu Ziff. 7 des Arbeitsvertrags ist folgendes bestimmt:
"...
7. Arbeitsentgelt
a) Der Wochen/Monatslohn beträgt inkl. Überstunden - Berechnungsgrundlage 33 Überstunden - 3.480,00 DM brutto.
...
Mit dem vereinbarten Wochenlohn/Monatslohn ist die geleistete Arbeitszeit - einschließlich etwaiger Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge - abgegolten.
..."
Der Kläger erhielt zuletzt einen Bruttomonatslohn von 3.811,00 DM.
Unter dem Datum des 28. April 1999 teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern in einem Rundschreiben folgendes mit:
"Ich bin nicht mehr gewillt im Krankheitsfall den vollen Lohn zu zahlen, da eine übertarifliche Entlohnung besteht, in der 33 Überstunden eingerechnet sind. In Zukunft wird im Krankheitsfall, diese eingerechneten Überstunden nicht mehr vergütet."
Der Kläger war vom 4. Mai 2000 bis nach dem 13. Juni 2000 arbeitsunfähig krank. Bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung legte die Beklagte eine tarifliche monatliche Arbeitszeit von 39 Stunden sowie einen Tariflohn in Höhe von 17,28 DM je Stunde zugrunde. Sie leistete Entgeltfortzahlung in Höhe von 2.584,26 DM für Mai und 1.157,94 DM für Juni.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung sei von dem vereinbarten Bruttomonatslohn in Höhe von 3.811,00 DM auszugehen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Mai 2000 einen restlichen Bruttolohn in Höhe von 895,34 DM nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 20. Juli 2000 zu zahlen;
2. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Monat Juni 2000 einen restlichen Bruttolohn in Höhe von 574,33 DM nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettolohn seit dem 20. Juli 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt sei bei der Entgeltfortzahlung nicht zu berücksichtigen.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
I. Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Die Vorinstanzen haben bei der Entgeltfortzahlung für die Monate Mai und Juni 2000 zu Unrecht Überstundenzuschläge berücksichtigt.
1. Auf das Arbeitsverhältnis findet § 7 Ziff. 3 BZMTV Anwendung. Nach dieser Bestimmung gelten bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers infolge Krankheit die gesetzlichen Regelungen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne daß ihn ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger war seit 4. Mai 2000 durchgehend mehr als sechs Wochen wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unverschuldet an seiner Arbeitsleistung verhindert. Die Parteien streiten allein über die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts.
2. Nach § 4 Abs. 1 EFZG ist dem Arbeitnehmer für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen.
a) § 4 Abs. 1 EFZG legt der Entgeltfortzahlung ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zugrunde. Maßgebend ist allein die individuelle Arbeitszeit des erkrankten Arbeitnehmers. Es kommt darauf an, welche Arbeitszeit aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist. Bei Schwankungen der individuellen Arbeitszeit ist zur Bestimmung der "regelmäßigen" Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten (Gesetzesbegründung BT-Drucks. 12/5263 S 13; Kasseler Handbuch/Vossen 2. Aufl. 2.2 Rn. 366 f.; Schmitt EFZG 4. Aufl. § 4 Rn. 18 ff.; Hold in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge 5. Aufl. EFZG § 4 Rn. 8, 54 f., 56 ff.; Marienhagen/Künzl EFZG Stand Mai 2000 § 4 Rn. 2 f.; Boecken aaO § 84 Rn. 8 f., 32 ff.; Feichtinger AR-Blattei SD Krankheit III Entgeltfortzahlung Rn. 277 ff.; zum Lohnausfallprinzip bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit allgemein BAG 6. Dezember 1995 - 5 AZR 237/94 - BAGE 81, 357, 361).
b) Die individuelle Arbeitszeit folgt in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag. Auf die allgemein im Betrieb geltende Arbeitszeit kommt es nicht entscheidend an, wie sich aus den Worten "bei der für ihn maßgebenden ... Arbeitszeit" ergibt. Auch die kraft Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung im Betrieb geltende Arbeitszeit kann von der individuellen Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach oben oder nach unten abweichen. Grundlage hierfür kann eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung oder etwa eine betriebliche Übung sein (vgl. nur Vossen aaO; ErfK/Dörner 2. Aufl. EFZG § 4 Rn. 9; Müller/Berenz EFZG 3. Aufl. § 4 Rn. 4 ff.; Schmitt aaO § 4 Rn. 22; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 20 ff.; Feichtinger aaO Rn. 280 ff.; Brecht 2. Aufl. § 4 EFZG Rn. 6). Eine wirksame Vereinbarung über die Arbeitszeit ist nicht erforderlich. Das Gesetz stellt dem Grundsatz nach entscheidend darauf ab, welche Arbeitsleistung tatsächlich ausgefallen ist. Es kommt darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er arbeitsfähig gewesen wäre. Etwaige gesetzliche oder tarifliche Höchstarbeitszeiten dienen dem Schutz des Arbeitnehmers. Sie bewahren den Arbeitgeber nicht vor der Verpflichtung, die darüber hinausgehende Arbeitszeit zu vergüten.
c) Zur Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist bei einer Stundenvergütung die Zahl der durch die Arbeitsunfähigkeit ausfallenden Arbeitsstunden (Zeitfaktor) mit dem hierfür jeweils geschuldeten Arbeitsentgelt (Geldfaktor) zu multiplizieren (vgl. Dörner aaO Rn. 6; Staudinger/Oetker BGB 13. Aufl. § 616 Rn. 396 ff.; Vossen aaO Rn. 339; Boecken aaO § 84 Rn. 16 ff.). Bei einer verstetigten, also stets gleichbleibenden Arbeitszeit bereitet die Feststellung der maßgebenden Arbeitszeit keine Schwierigkeiten (Vossen aaO 2.2 Rn. 368; Dörner aaO Rn. 8; Boecken aaO § 84 Rn. 35; Hold aaO § 4 Rn. 58; Gola EFZG 2. Aufl. § 4 Anm. 3.3.1 und 3.3.2). Ist ein festes Monatsentgelt vereinbart, ist dieses bei gewerblichen Arbeitnehmern ebenso wie bei Angestellten bis zur Dauer von sechs Wochen fortzuzahlen. Unterliegt die Arbeitszeit und damit die Entgelthöhe vereinbarungsgemäß unregelmäßigen Schwankungen und kann deshalb der Umfang der ausgefallenen Arbeit nicht exakt bestimmt werden, bedarf es der Festlegung eines Referenzzeitraums, dessen durchschnittliche Arbeitsmenge maßgebend ist.
3. Nach § 4 Abs. 1 a Satz 1 EFZG gehört nicht zum Arbeitsentgelt nach Abs. 1 das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt. Dieses ist im Krankheitsfall nicht fortzuzahlen. Zusätzlich für Überstunden gezahltes Entgelt stellen nicht nur die Überstundenzuschläge dar. Auch die Grundvergütung für die Überstunden wird zusätzlich zum "normalen" Entgelt, und zwar für die Überstunden, gezahlt. Hätte der Gesetzgeber nur die Überstundenzuschläge aus der Entgeltfortzahlung herausnehmen wollen, hätte er das mit dem eingeführten Begriff "Überstundenzuschläge" klar ausdrücken können. Er hätte zumindest das Wort "zusätzlich" zwischen die Worte "Überstunden" und "gezahlte" stellen und damit ausdrücken können, daß eine Zusatzvergütung (zur Grundvergütung) gemeint sei. Das Gesetz klammert demgegenüber sowohl die Grundvergütung als auch die Zuschläge für Überstunden aus (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/45 S 24). Das kommt aus dem Wortlaut und dem Zusammenhang der Norm hinreichend zum Ausdruck (zustimmend Vossen aaO 2.2 Rn. 345, 347, 371/372; Dörner aaO Rn. 11, 24; Boecken aaO Rn. 21, 27; Löwisch BB 1999, 102, 105; Müller/Berenz aaO § 4 Rn. 7; Hold aaO § 4 Rn. 33 f., 61; Schmitt aaO § 4 Rn. 94 ff., 96; Marienhagen/Künzl aaO § 4 Rn. 17 a, 17 b; Brecht aaO § 4 Rn. 10; Feichtinger aaO Rn. 284; Däubler NJW 1999, 601, 605).
II. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist die Revision der Beklagten nur begründet, soweit das Landesarbeitsgericht bei der Berechnung der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts tarifliche Überstundenzuschläge berücksichtigt hat. Im übrigen ist die Revision nicht begründet.
1. Zwischen den Parteien war ein fester Monatslohn in Höhe von zuletzt 3.811,00 DM vereinbart. Mit diesem Monatslohn sollte nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung die geleistete Arbeitszeit einschließlich etwaiger Mehrarbeit und nicht näher bezeichneter Mehrarbeitszuschläge abgegolten sein. Der Hinweis auf 33 Überstunden im Monat als weiterer Berechnungsgröße bei der Lohnfestsetzung verdeutlicht die übereinstimmende Auffassung der Parteien von einer in diesem Umfang regelmäßig verlängerten Arbeitszeit. Abweichend von der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit sollte für den Kläger eine um 33 Stunden monatlich verlängerte Arbeitszeit maßgeblich sein. Diese individuelle Arbeitszeit des Klägers ist bei der Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts zu berücksichtigen.
2. Der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kann gleichwohl nicht der volle Monatslohn von 3.811,00 DM zugrunde gelegt werden, weil nach der vertraglichen Vereinbarung hierin Überstundenzuschläge enthalten sind. Die Höhe der Überstundenzuschläge war allerdings vertraglich nicht ausdrücklich bestimmt. Sie ergibt sich jedoch aus dem arbeitsvertraglich ergänzend in Bezug genommenen Bezirksmanteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer im privaten Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalens (BZMTV). Nach § 3 Ziff. 1 Buchst. b BZMTV beträgt der Zuschlag für jede über 39 Stunden hinausgehende Arbeitsstunde 25 % des Tariflohns. Ausgehend von einem tariflichen Stundenlohn von 17,28 DM beträgt der Zuschlag damit 4,32 DM je Überstunde und für sechs Wochen insgesamt 197,39 DM. In Höhe dieses Zuschlags besteht nach § 4 Abs. 1 a EFZG kein Entgeltfortzahlungsanspruch.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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