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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 12.12.2001
Aktenzeichen: 5 AZR 238/00
Rechtsgebiete: TVG


Vorschriften:

TVG § 1 Auslegung
Erhalten Arbeitnehmer nach einer tariflichen Regelung "im Anschluß an die gesetzliche Gehaltsfortzahlung während der ersten sechs Wochen einer Erkrankung", "wenn sie dem Betrieb mindestens fünf Jahre angehören, den Unterschiedsbetrag zwischen ihrem Nettogehalt und dem Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung" auf die Dauer von höchstens sieben Wochen, ist Anspruchsvoraussetzung die Erfüllung der fünfjährigen Betriebszugehörigkeit bei Ablauf der sechswöchigen Gehaltsfortzahlung.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

5 AZR 238/00

Verkündet am 12. Dezember 2001

In Sachen

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge, die Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch und Dr. Linck sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Hann und Zoller für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Februar 2000 - 1 Sa 310/99 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Zuschuß zum Krankengeld.

Der Kläger war seit dem 1. Januar 1993 als Leiter der Gehaltsbuchhaltung bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Ab dem 7. November 1997 war er bis über das Jahr 1998 hinaus arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte die vereinbarte Arbeitsvergütung seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von sechs Wochen bis zum 19. Dezember 1997 fort. Danach erhielt der Kläger von der Krankenkasse Krankengeld.

Der Kläger verlangt von der Beklagten einen Zuschuß zum Krankengeld in unstreitiger Höhe für die Dauer von sieben Wochen, beginnend ab dem 1. Januar 1998. Er beruft sich auf § 9 Abs. 5 eines auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Firmentarifvertrags (FTV) der Beklagten. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

"Im Anschluß an die gesetzliche Gehaltsfortzahlung während der ersten sechs Wochen einer Erkrankung oder wegen Arbeitsunfähigkeit infolge eines Unfalls erhalten Arbeitnehmer, die krankenversicherungspflichtig sind, wenn sie dem Betrieb mindestens fünf Jahre angehören, den Unterschiedsbetrag zwischen ihrem Nettogehalt und dem Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. dem Verletztengeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. dem Übergangsgeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Dauer von höchstens sieben Wochen. Arbeitnehmer, die nicht krankenversicherungspflichtig sind, erhalten in diesem Fall, wenn sie dem Betrieb mindestens fünf Jahre angehören, 50 % ihres Nettogehaltes für die Dauer von höchstens sieben Wochen. Jedoch dürfen in keinem Fall der Zuschuß der Firma und das Krankengeld der Krankenkasse zusammen 100 % des regulären monatlichen Nettogehaltes übersteigen. Der Zuschuß der Firma wird entsprechend gekürzt, wenn der Gesamtbetrag 100 % übersteigt."

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch entstehe, sobald der Arbeitnehmer die fünfjährige Betriebszugehörigkeit vollendet habe; diese Voraussetzung müsse weder bei Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit noch bei Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums erfüllt sein. Er hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 2.851,80 DM netto zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Zuschuß zum Krankengeld zu, weil er die tariflichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Vorinstanzen haben § 9 Abs. 5 FTV zutreffend ausgelegt. Den Zuschuß kann nur der Arbeitnehmer verlangen, der zum Endzeitpunkt der gesetzlichen Gehaltsfortzahlung dem Betrieb mindestens fünf Jahre angehört.

1. Diese Auslegung folgt schon aus dem Wortlaut der Tarifnorm.

a) Der Anspruch besteht "im Anschluß an die gesetzliche Gehaltsfortzahlung". Damit wird der unmittelbar folgende, nicht ein beliebig später liegender Zeitraum bezeichnet (vgl. nur Duden Das Große Wörterbuch der Deutschen Sprache 2. Aufl. Bd. 1: "anschließen, sich anschließen" bedeutet "räumlich oder zeitlich unmittelbar folgen, sich anreihen"; "im Anschluß an" bedeutet "unmittelbar nach"; Wahrig Deutsches Wörterbuch 1997: "sich anschließen" bedeutet "einander unmittelbar folgen"; "im Anschluß daran" bedeutet "unmittelbar danach"). Es liegt auf der Hand und ist zwischen den Parteien auch nicht streitig, daß die Tarifvertragsparteien den Anspruch der gesetzlichen Entgeltfortzahlung unmittelbar folgen lassen wollten. Der Arbeitnehmer kann nicht stattdessen einen späteren Zeitraum wählen.

b) Der Anspruch erfordert eine fünfjährige Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers. Das Wort "wenn" in § 9 Abs. 5 Satz 1 FTV drückt diese Voraussetzung aus. Es bezieht sich zeitlich auf die Entstehung des Anspruchs, also den Zeitpunkt im unmittelbaren Anschluß an die gesetzliche Gehaltsfortzahlung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, "wenn" bedeute "falls", sei demnach nicht ohne weiteres mit "sobald" gleichzusetzen.

c) Die Voraussetzung der Betriebszugehörigkeit kann nach dem Zusammenhang der tariflichen Formulierung nicht mehr irgendwann später anspruchsbegründend erfüllt werden. Eine dahingehend erweiternde Auslegung wird dem Wortlaut des Tarifvertrags nicht gerecht. Würde der Konditionalsatz überhaupt fehlen, wäre ganz unzweifelhaft, daß der Anspruch auf den Krankengeldzuschuß unmittelbar mit Ablauf der gesetzlichen Entgeltfortzahlung entsteht; dieser Zeitpunkt entspricht auch regelmäßig dem Beginn des Anspruchs auf Krankengeld. Allein das zusätzliche Erfordernis einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit vermag daran nichts zu ändern. Die Betriebszugehörigkeit tritt als Anspruchsvoraussetzung hinzu, schiebt aber den Anspruch nicht hinaus.

2. Der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht gegen die vom Kläger vertretene Auslegung.

a) Der Anspruch ist auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem Nettogehalt und bestimmten Leistungen der Sozialversicherung gerichtet. Diese Leistungen sind zeitlich befristet, werden jedenfalls regelmäßig nur vorübergehend erbracht (vgl. §§ 48 f. SGB V, §§ 45 ff. SGB VII, §§ 20 ff. SGB VI). Dem würde es nicht gerecht, könnte der tarifliche Anspruch ohne zeitliche Begrenzung auch noch bei einem späteren Erreichen der erforderlichen Betriebszugehörigkeit entstehen. Vielmehr liegt die Annahme nahe, daß angesichts des Interim-Charakters der Sozialleistungen die Anspruchsvoraussetzungen für Zuzahlungen sofort erfüllt sein müssen.

b) Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus § 9 Abs. 5 Satz 2 FTV nichts zugunsten des Klägers. Ist der Arbeitnehmer nicht krankenversicherungspflichtig, knüpft die Zahlung des Arbeitgebers nicht an eine Leistung der Sozialversicherung an. Statt eines Unterschiedsbetrags wird die Hälfte des Nettogehalts geschuldet. Im übrigen entspricht Satz 2 dem Satz 1. Die Leistung ist im Anschluß an die sechswöchige Gehaltsfortzahlung zu erbringen, wenn der Arbeitnehmer dem Betrieb mindestens fünf Jahre angehört. Auch hier legt der Wortlaut der Norm die Annahme nahe, daß auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Arbeitgeber die Leistung erstmalig zu erbringen hat.

c) Die enge Verknüpfung zwischen der gesetzlichen Entgeltfortzahlung und der Zuzahlung des Arbeitgebers zum Krankengeld zeigen auch die Sätze 3 und 4 von § 9 Abs. 5 FTV. Wenn die Obergrenze des Gesamtbetrags auf 100 % des Nettogehalts festgelegt wird, bezweckt das erkennbar einen zusammenhängenden Weiterbezug des Nettoeinkommens ab dem Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für die Dauer von 13 Wochen.

3. Der sich aus Wortlaut und tariflichem Zusammenhang ergebende Zweck der Vorschrift besteht danach darin, den für länger beschäftigte Arbeitnehmer als zu kurz empfundenen gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraum faktisch auf 13 Wochen (= 1/4 Jahr) zu verlängern. Dem Arbeitnehmer soll bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der bisherige Lebensstandard für einen erweiterten Zeitraum gesichert werden. Die Tarifvertragsparteien haben freilich nicht den Anspruchszeitraum der Entgeltfortzahlung verlängert, sondern den Weg von Zuzahlungen zu den Leistungen der Sozialversicherung gewählt, da eine Entlastung der Sozialversicherung nicht gewollt war. Voraussetzung für diese tarifliche Vergünstigung ist die mindestens fünfjährige Betriebszugehörigkeit. Die Möglichkeit, den Anspruch im Sinne der Revision hinauszuschieben, würde demgegenüber den Charakter der Leistung verändern.

Zwar könnte es dem Zweck der Vorschrift noch entsprechen, als Endzeitpunkt der Leistung den Ablauf von 13 Wochen nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit anzusehen und den Anspruch bei zwischenzeitlicher Vollendung der maßgeblichen Betriebszugehörigkeit teilweise, nämlich ab diesem Zeitpunkt zu bejahen. Dem Kläger stünde dann der Anspruch überwiegend zu. Doch stehen diesem Verständnis Wortlaut und tariflicher Zusammenhang entgegen. Für die Möglichkeit von Teilansprüchen bestehen keine Anhaltspunkte. Die tarifliche Voraussetzung einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit muß vielmehr im Sinne einer Stichtagsregelung verstanden werden. Stichtag ist hierbei der Entstehungszeitpunkt des einheitlich geregelten Anspruchs, also der Ablauf der gesetzlichen Sechswochenfrist.

4. Die im Kommentar von Dutti/Kappes/Sauer (Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken 5. Aufl. § 12 MTV Anm. 37) vertretene Rechtsauffassung ist entgegen der Meinung des Klägers für die Auslegung nicht maßgebend. Das gilt schon für die dort kommentierten Tarifverträge, erst recht für den hier in Rede stehenden FTV. Das Landesarbeitsgericht hat auch insoweit zutreffend auf die anerkannten Auslegungsgrundsätze abgestellt. Insbesondere kommt es nicht darauf an, von wem der Kommentar herausgegeben worden ist. Eine für die Gerichte verbindliche Interpretation des Textes könnten nur die Tarifvertragsparteien selbst in der Form des Tarifvertrags vornehmen.

5. Da der Anspruch nicht besteht, kommt es nicht darauf an, ob der Unterschiedsbetrag als "Nettobetrag" verlangt werden könnte.

6. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Ende der Entscheidung

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