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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.11.1998
Aktenzeichen: 5 AZR 257/98
Rechtsgebiete: EFZG, Arbeitsvertragsrichtlinien in Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
Vorschriften:
EFZG § 4 Abs. 1 Satz 1 n.F. | |
Arbeitsvertragsrichtlinien in Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes § 9 Abs. 1 |
Nach § 9 der Arbeitsvertragsrichtlinien in Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat der Arbeitnehmer bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 %.
Aktenzeichen: 5 AZR 257/98 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Urteil vom 25. November 1998 - 5 AZR 257/98 -
I. Arbeitsgericht Hannover - 4 Ca 14/97 - Urteil vom 20. Februar 1997
II. Landesarbeitsgericht Niedersachsen - 16 Sa 725/97 - Urteil vom 05. Dezember 1997
---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------
Entscheidungsstichworte: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %
Gesetz: EFZG § 4 Abs. 1 Satz 1 n.F.; Arbeitsvertragsrichtlinien in Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes § 9 Abs. 1
5 AZR 257/98 16 Sa 725/97 Niedersachsen
Im Namen des Volkes! Urteil
Verkündet am 25. November 1998
Clobes, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In Sachen
pp.
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. November 1998 durch den Richter Dr. Reinecke als Vorsitzenden, die Richter Kreft und Prof. Dr. Mikosch sowie die ehrenamtliche Richterin Reinders und den ehrenamtlichen Richter Sappa für Recht erkannt:
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 5. Dezember 1997 - 16 Sa 725/97 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger ist bei der Beklagten als Altenpfleger beschäftigt. Nach Ziffer 2 des Arbeitsvertrages vom 3. Juni 1987 gelten für das Dienstverhältnis die vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband herausgegebenen Richtlinien für Arbeitsverträge (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. In den Richtlinien heißt es:
"§ 9 Fürsorge bei Krankheit
(1) Mitarbeiter, die wegen Krankheit oder Unfall aufgrund gesetzlicher Bestimmungen Anspruch auf Weitergewährung ihrer Vergütung bis zu sechs Wochen gegenüber ihrem Dienstgeber haben, erhalten nach längerer Dienstzugehörigkeit beim DPWV oder einer ihm angeschlossenen Mitgliedsorganisation über die Dauer von sechs Wochen hinaus einen Zuschuß zum Krankengeld bzw. Krankentagegeld. Und zwar wird dieser Zuschuß gezahlt nach einer Dienstzugehörigkeit beim DPWV oder einer ihm angeschlossenen Mitgliedsorganisation
von mindestens 2 Jahren bis zum Ende der 09. Woche, von mindestens 3 Jahren bis zum Ende der 12. Woche, von mindestens 5 Jahren bis zum Ende der 15. Woche, von mindestens 8 Jahren bis zum Ende der 18. Woche, von mindestens 10 Jahren bis zum Ende der 26. Woche,
für nach dem 30.06.1994 eingestellte MitarbeiterInnen nach einer Beschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis von mehr als einem Jahr, längstens bis zum Ende der 13. Woche, von mehr als drei Jahren, längstens bis zum Ende der 26. Woche seit dem Beginn der Dienstunfähigkeit.
(2) Die Höhe des Zuschusses ergibt sich aus dem Differenzbetrag zwischen dem von der Krankenkasse gezahlten Nettokrankengeld und 100 % der Nettourlaubsvergütung nach § 10 Abs. 1 AVR. ..."
Der Kläger war vom 24. Oktober bis zum 13. November 1996 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % des Entgelts unter Berufung auf die ab dem 1. Oktober 1996 geltende neue Fassung des § 4 EFZG.
Der Kläger beansprucht den Differenzbetrag zu 100 % in rechnerisch unstreitiger Höhe. Er sieht in § 9 Abs. 1 AVR eine eigenständige Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung. Das ergebe sich aus der Zuschußregelung.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 620,93 DM nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 25. November 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Richtlinien enthielten keine Regelung der Entgeltfortzahlung in den ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % seines Arbeitsentgelts. § 9 Abs. 1 AVR enthält keine Regelung zur Entgeltfortzahlung in den ersten sechs Wochen.
I. Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994, in Kraft getreten am 1. Juni 1994 (Art. 68 Abs. 4 PflegeVG vom 26. Mai 1994 - BGBl. I S. 1014, 1070), wurde die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter und Angestellte auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei blieb die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts zunächst unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1476, 1477) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall herabgesetzt. Sie beträgt nunmehr nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG n. F. nur noch "80 vom Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts".
Bestehende tarifliche Regelungen sind durch die gesetzliche Neuregelung nicht aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wollte nicht in bestehende Tarifverträge eingreifen (BT-Drucks. 13/4612 S. 2; Buchner, NZA 1996, 1177, 1179). Für Arbeitsverträge gilt nichts anderes.
II. Die Auslegung der Arbeitsvertragsrichtlinien ergibt, daß die Höhe der Entgeltfortzahlung dort nicht geregelt ist. Dies ist unabhängig davon, welche Rechtsqualität die Richtlinien haben und ob sie wie Tarifverträge oder wie allgemeine Arbeitsbedingungen auszulegen sind.
1. Für tarifvertragliche Verweisungen gilt folgendes: Tarifliche Verweisungen auf geltende, ohnehin anwendbare gesetzliche Vorschriften sind im Zweifel deklaratorisch (BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Beschluß vom 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - und BAG Urteil vom 4. März 1993 - 2 AZR 355/92 - AP Nr. 24, 40 zu § 622 BGB; Senatsurteile vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, und vom 1. Juli 1998 - 5 AZR 456/97 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; vgl. auch BAG Urteil vom 12. November 1964 - 5 AZR 507/63 - AP Nr. 4 zu § 34 SchwBeschG 1961). Dabei macht es keinen Unterschied, ob allgemein auf gesetzliche Bestimmungen oder auf bestimmte Gesetze, z. B. das Lohnfortzahlungsgesetz bzw. die für Angestellte geltenden gesetzlichen Vorschriften verwiesen wird, oder ob es heißt, der Arbeitnehmer habe Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts oder "seiner Bezüge" nach oder nach Maßgabe bestimmter gesetzlicher Vorschriften. Da Verweisungen auf ohnehin anwendbare gesetzliche Vorschriften typischerweise auf fehlenden Regelungswillen hindeuten, bedarf es in solchen Fällen besonders deutlicher Anhaltspunkte dafür, daß gleichwohl ein Regelungswille bestand. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Vorhandensein einer eigenständigen Tarifregelung über die Zahlung von Zuschüssen zum Krankengeld ab der siebten Krankheitswoche bei bloßen Verweisungen - anders als bei der wort- oder inhaltsgleichen Übernahme gesetzlicher Bestimmungen in den Tarifvertrag - kein hinreichend starkes Indiz dafür, daß der Tarifvertrag die Höhe der Entgeltfortzahlung innerhalb der ersten sechs Wochen eigenständig regelt (BAG Urteil vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dieselben Grundsätze gelten für die Auslegung allgemeiner Arbeitsbedingungen.
2. Für den Streitfall ergibt sich folgendes:
§ 9 Abs. 1 AVR enthält ausschließlich Bestimmungen über die Zuschüsse zum Krankengeld ab der siebten Krankheitswoche. Die Vorschrift enthält aber keine Bestimmungen - seien sie deklaratorisch oder konstitutiv - zur Entgeltfortzahlung während der ersten sechs Krankheitswochen. Daraus folgt, daß die Richtlinien auch keine Bestimmung zur Höhe der Entgeltfortzahlung enthalten.
Aus der Formulierung "über die Dauer von sechs Wochen hinaus" ergibt sich nichts anderes. Sie ist entgegen der Auffassung der Revision gleichbedeutend mit "nach Ablauf der sechs Wochen" bzw. "ab der siebten Woche". Soweit in § 9 Abs. 1 AVR von Mitarbeitern die Rede ist, "die wegen Krankheit oder Unfall aufgrund gesetzlicher Bestimmungen Anspruch auf Weitergewährung ihrer Vergütung bis zu sechs Wochen gegenüber ihrem Dienstgeber haben", so handelt es sich dabei um ein Tatbestandsmerkmal. Nur wer für die ersten sechs Krankheitswochen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall "aufgrund gesetzlicher Bestimmungen" hatte, kann einen Anspruch auf Zuschuß zum Krankengeld haben.
Zwar wird aus diesen Formulierungen deutlich, daß sich die Verfasser der Richtlinien bei der Zuschußregelung eine vorausgegangene Entgeltfortzahlung zu 100 % vorgestellt, die Verhandlungen also auf der Basis der damaligen gesetzlichen Regelung geführt haben. Sie haben aber keine entsprechende Regelung getroffen. Ist aber das Vorhandensein einer Zuschußregelung ab der siebten Woche bei Verweisungen auf der Rechtsfolgenseite kein hinreichendes Indiz dafür, daß die Entgeltfortzahlung innerhalb der Sechswochenfrist eigenständig geregelt ist, kann dies bei Verweisungen im Tatbestand einer Bestimmung über Krankengeldzuschüsse nicht anders sein.
Ende der Entscheidung
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